Kristina Müller
· 15.03.2023
Die Spitze der Flotte im Golden Globe Race, die nur noch sechs Boote umfasst, ist auf dem Weg zum Äquator. Wie fordernd der lange Endspurt Richtung Frankreich für die Skipper ist, berichtet der Österreicher Michael Guggenberger in einem seiner letzten Safety Calls mit dem Veranstalter.
Windrichtung und -stärke ändern sich andauernd, ich wechsle ständig die Segel und bekomme wenig Schlaf. Eine Herausforderung! Ich versuche, irgendwo zwischen Performance- und Cruising-Modus zu segeln und zu trimmen, sonst wird es zu hart. Ich bin körperlich und emotional erschöpft. Bis zum Kap Hoorn war alles neu, den Atlantik aber kenne ich.”
In Führung liegt nach wie vor Kirsten Neuschäfer, die unlängst ihre eigene Kurslinie gekreuzt hat – ein großer Moment jeder Weltumsegelung, der zeigt, dass das Ziel näher rückt. Sollte Neuschäfer ihren Vorsprung auf Abhilash Tomy halten können, wäre sie sogar die erste Frau, die eine Nonstop-Regatta um die Welt gewinnen würde. Sie könnte Les Sables in der zweiten Aprilhälfte erreichen.
Zuletzt sah es gut aus für die erfahrene Profiskipperin: Mit Hilfe von historischen Wetterkarten und Routen der Frachtsegler von einst hatte sie sich einen komfortablen Vorsprung auf dem Weg zu den Doldrums ersegelt, indem sie einen eher östlichen Kurs auf dem Südatlantik eingeschlagen hatte.
Doch ihr Verfolger Abhilash Tomy konnte die Distanz zur Skipperin der „Minnehaha“ wieder verringern – und das, obwohl er mit heftigen Problemen auf seiner Rustler 36 „Bayanat“ zu kämpfen hat. Mehrfach musste er in den Mast klettern, um ein Backstag zu ersetzen. Kaum weniger schlimm: Sein Großsegel riss unterhalb des ersten Reffs komplett auseinander. Doch er konnte es von Hand wieder zusammennähen.
Das hat lange gedauert und war mühsam, aber das Segel ist wieder dran und sieht gut aus. Besser als das Boot, auf dem ein einziges Durcheinander herrscht“,
so Tomy in einem Bericht von Bord.
Aktuell nur gut 200 Seemeilen hinter Tomy zeigt Simon Curwen, dass er nicht ohne Grund während der ersten Hälfte der Weltumsegelung den anderen davongesegelt war, bis ihn der Ausfall seiner Windsteueranlage zwang, die chilenische Küste anzulaufen. Der Brite hat seit seinem Neustart Ende Januar die Distanz zu Neuschäfer und Tomy kontinuierlich verringert. Zwar segelt er seit dem Reparaturstopp außerhalb der Wertung ein Rennen gegen sich selbst, doch den ehemaligen Mini-Transat-Zweiten treibt auch der Ansporn an, trotzdem als einer der schnellsten Rückkehrer in Les Sables-d’Olonne gefeiert zu werden.
Auch wenn ich nicht mehr im Rennen bin, segel ich das Boot fast so schnell es geht. Ich mache immer noch viele Segelwechsel, um sie an Windgeschwindigkeit und -richtung anzupassen. Ich will zurück nach Les Sables und es zu Ende bringen“,
so der Skipper der Biscay 36 „Clara“.
Sein einziger Mitstreiter in der Chichester-Wertung hat gerade den Atlantik erreicht – Jeremy Bagshaw passierte Kap Hoorn als Fünfter! Zuvor musste er gleich zwei schweren Stürmen ausweichen, so gut das in dem unwirtlichen Seegebiet auf dem Weg zum Hoorn eben geht.
Die Wettfahrtleitung des Golden Globe Race hatte ihm sogar eine Wetterwarnung geschickt und ein Routing, demzufolge er vor dem Tief nach Norden ausweichen sollte. In dem Retro-Rennen sind solche Wetterinformationen eigentlich tabu und werden nur in Ausnahmefällen weitergegeben. Nun aber hat Bagshaw das letzte große Kap der rund 27.000 Seemeilen langen Route im Kielwasser und ebenfalls den kräftezehrenden Atlantik-Endspurt vor sich.
Bleibt noch Ian Herbert-Jones, der als Vierter in der Golden-Globe-Wertung und Letzter im Feld im Südpazifik aktuell Richtung Kap Hoorn segelt. Die No-go-Zone entlang von 47 Grad Süd hat er hinter sich und könnte Kap Hoorn in gut einer Woche erreichen. In einem seiner letzten Berichte von Bord ist der Skipper der Tradewind 35 „Puffin“ guter Dinge:
Alles in Ordnung an Bord. Ich habe keine Ersatz-Großsegelrutscher mehr, habe aber gelernt, die alten wieder instand zu setzen. Ich versuche drei warme Mahlzeiten am Tag zu essen, ich schlafe in einer trockenen Koje, was super ist. Nur meine Socken sind alle nass!“
In gut einer Woche könnte auch er als Schlusslicht Kap Hoorn passiert haben. Dann sind alle Skipper des Golden Globe Race wieder auf dem Atlantik und auf dem langen Weg zum Ziel.