Kristina Müller
· 12.10.2022
Fünf Wochen sind die Solo-Segler beim Golden Globe Race mittlerweile unterwegs. Große und kleine Katastrophen beim Retro-Rennen um die Welt häufen sich, die Zwischenfälle sind so skurril wie dramatisch
Seit dem Rennauftakt auf der Biskaya, die den Seglern und ihren Booten gleich viel abverlangt hat, ist einiges passiert: Damien Guillou aus Frankreich kämpft sich nach einer Reparatur zurück zum Feld, Edward Walentynowicz aus Kanada und Mark Sinclair aus Australien haben aufgegeben, Guy deBoer aus den USA ist auf Fuerteventura gestrandet. Aktuell sind also nur noch 13 der gestarteten 16 Skipper auf der Suche nach dem besten Kurs nach Süden.
Damien Guillou arbeitet hart an seinem Comeback. Nachdem er mit einer defekten Halterung für seine Windsteueranlage, eine Hydrovane, kurz nach dem Start nach Les Sables-d'Olonne zurückgesegelt war, konnte er das Teil dort mit Hilfe von Vincent Riou und Jacques Fort verstärken.
Nach sechs Tagen legte er wieder ab, überquerte die Biskaya bei wechselhaften Bedingungen, schloss zum Feld auf und lieferte ein beeindruckendes Comeback. Konsequent segelte er die schnellsten Etmale und holte zunächst seinen Landsmann Arnaud Gaist und schließlich den Australier Mark Sinclair ein.
Die Hälfte der Boote hat der Favorit aus Frankreich inzwischen überholt und segelt an sechster Position weiter in Richtung Spitze. Dort segelt seit Wochen konsequent der äußerst entspannt wirkende Brite Simon Curwen. Der brachte beim Bericht von Bord das Golden Globe Race auf den Punkt: „Es ist essen, schlafen, segeln – und dann das Ganze wieder von vorn!“
Ein weiteres starkes Comeback hat Kirsten Neuschäfer abgeliefert, die die Biskaya noch als zehntes Boot verließ und als sechstes Boot den Medienstopp auf Lanzarote erreichte. Mittlerweile hat sie sich auf Platz fünf der Führungsgruppe vorgekämpft, die aktuell vor der brasilianischen Küste segelt. Mit über 170 Meilen pro Tag zählte auch ihre Cape George 36 „Minnehaha“ zuletzt zu den schnellsten Schiffen im Golden-Globe-Feld.
In den Nachrichten, die die Skipper von Bord an die Regattaleitung schicken, wirkt Neuschäfer zufrieden mit dem Rennen und den einsamen Tage auf See. „Ich weiß nicht, wo ich in der Flotte bin, und ziehe es eigentlich vor, nicht zu wissen, wo die anderen sind, und genieße es einfach zu segeln“, so die 39-jährige Profiskipperin.
Wie die Segler ihre Tage auf See erleben, kann man mittlerweile in Videos von Damien Guillou, Kirsten Neuschäfer und dem führenden Simon Curwen mitverfolgen. Beim ersten Filmstopp vor Lanzarote übergaben die Skipper an Bord gefilmtes Videomaterial an die Rennleitung, die es sukzessive veröffentlicht. Für 20 Minuten lassen sich die Segler bei diesen Zwischenstopps treiben, berichten von den vergangenen Tagen und haben die Möglichkeit zu erfahren, wo im Feld sie überhaupt liegen.
Dramatische Stunden hat unterdessen der US-Amerikaner Guy deBoer durchlebt. Er strandete mit seiner Tashiba 36 „Spirit“ nach Übermüdung auf Fuerteventura. Das Boot konnte inzwischen mit einem mobilen Kran von den Felsen gehoben werden – ein aufwändiges Unterfangen, für das zunächst eine Zufahrt für Kran und Tieflader zum Unglücksort geschaffen werden musste.
Auf die eigentliche Havarie folgte jedoch ein weiterer Schock: Während deBoer die Bergung organisierte und die Yacht am Strand lag, wurde das Gros seiner wertvollen Langfahrtausrüstung an Bord abmontiert – gestohlen. Unter anderem sollen seine Hydrovane, der Watt-&-See-Hydrogenerator, Winschen und weiteres Material im Wert von über 50.000 US-Dollar entwendet worden sein.
Auch für die Flotte blieb das Rennen nervenaufreibend, während sie sich den Doldrums und damit der windstillen Zone um den Äquator näherte. Dort treffen die nordwestlichen Passatwinde der nördlichen Hemisphäre auf die südöstlichen Winde der südlichen Hemisphäre. Die Hitze zwingt die heiße, feuchte Luft in die Atmosphäre, wo sie sich nach dem Abkühlen in strömenden Regen verwandelt.
Diese Zone mit schwachen, unberechenbaren Winden, heißen Temperaturen, Böen und Schauern ist bei Weltumseglern seit jeher wohl fast ebenso gefürchtet wie Kap Hoorn. Damien Guillou bringt es in einem Bericht von Bord auf den Punkt. „Nichts ist schlimmer als die Flaute und das Warten auf Wind.“ Es sind nervenaufreibende Tage für die Segler auf dem Weg nach Süden.
Mark Sinclair hat es gar nicht erst so weit kommen lassen. Statt nach dem Medienstopp auf Lanzarote wieder auf Kurs zu gehen, lief der Australier in den dortigen Yachthafen ein und brach das Golden Globe Race ab. „Ich wollte unbedingt starten“, sagte er. „Aber es war unheimlich viel Arbeit vor dem Rennen, und ich bin einfach müde“, so der 63-Jährige.
Außerdem habe er ohnehin vorgehabt, in Kapstadt einzulaufen, um an der Hochzeit seines Sohnes teilnehmen zu können. Danach hätte er das Rennen in der sogenannten Chichester-Klasse fortsetzen wollen. In dieser Wertung können all diejenigen weitersegeln, die unterwegs einen Stopp einlegen.
Auf diese Art hatte Sinclair auch das 2018 gestartete Golden Globe beendet – allerdings erst nach beeindruckenden vier Jahren und langem Landaufenthalt in der australischen Heimat. Er verließ Adelaide erneut im Dezember 2021, segelte in 174 Tagen nonstop nach Les Sables-d'Olonne und arbeitete seitdem nonstop darauf hin, im September 2022 erneut starten zu können. Offenbar zu viel für den sympathischen Skipper der „Coconut“, der der Flotte nun nur noch im Tracker folgen wird.
Hier geht es zum Race-Tracker des Golden Globe Race 2022/23.