YACHT-Redaktion
· 13.05.2023
YACHT-Woche – Der Rückblick
Liebe Leserinnen und Leser,
Was für eine Woche. Die Segelsaison 2023 nimmt langsam Fahrt auf. Malizia ist als zweites Schiff in Newport eingelaufen. Wir selbst sind am Montag mit unserem Katamaran das erste Mal zu Wasser gegangen und haben eine 8-wöchige Auszeit im Mittelmeer begonnen.
Doch dann erreichte uns am Montagabend eine Nachricht, die die Seglerwelt ins Schwanken brachte: Wilfried Erdmann, der deutschlandweit wegen seiner seglerischen Leistungen geachtete, durch seine großartigen Bücher geschätzte und dank seiner bodenständigen Persönlichkeit auch sehr beliebte Pionier des deutschen Segelsports, erlag seiner schweren Krankheit.
Im vergangenen September hatte ich noch einmal das Privileg, ihn zusammen mit Jochen Rieker in seinem Haus in Goltoft an der Schlei besuchen zu dürfen. Ein letztes großes Interview mit der YACHT, dem Magazin, in dem jedes seiner kleinen und großen Segelabenteuer stattgefunden, das sein ganzes seglerisches Leben begleitet hatte. Doch dieses Mal war unser Besuch aus traurigem Anlass, denn der Artikel sollte ein Abschlussbericht seines seglerischen Wirkens sein. Wilfried berichtete uns von einer schweren Krankheit, die ihn schon seit einiger Zeit begleitete. Er verkündete seinen Abschied vom Segeln.
Eine schwere Entscheidung, denn seit Wilfried im Jahr 1965 seinen Fuß auf die erste „Kathena“ setzte, hatte der Segelsport sein Leben bestimmt. Der Abschied von diesem Leben ist keine Nachricht, die leicht über die Lippen geht. Auch seine Leser bewegte diese Mitteilung sehr. Denn niemand in Deutschland - und da lege ich mich fest - brachte über viele Jahrzehnte mehr Menschen zum Segelsport, als Wilfried Erdmann.
Die Beziehung zu seinen Lesern und Fans ist deshalb eine ganz besondere, wie sie wohl nicht häufig vorkommt. Nicht allein bestimmt durch die Bewunderung seiner Leistungen und der vielen Meilen, die Wilfried im Kielwasser gelassen hat - das natürlich auch! Dazu seine mitreißenden Bücher und fantastischen Vorträge. In den vielen Kommentaren bei Facebook zu Wilfrieds Tod schwang aber immer auch eine große Dankbarkeit seiner Fans mit. Dank für das Vorleben eines Lebens auf See. Wilfried war ein Vorbild. Ein Wegbereiter für viele.
Aus diesem Grund empfanden viele seiner Fans auch eine besonders starke und innige Beziehung zu Wilfried, als würden sie ihn seit Jahren persönlich kennen. Viele haben seine Bücher ganz zu Beginn ihrer Segelkarriere gelesen, ihn während seiner Abenteuer an Bord begleitet. Und in all den Jahrzehnten des Segelns war Wilfried immer dabei: Ob an Land auf dem Nachttisch, an Bord im Schapp oder im Bordalltag in vielen Handgriffen, Ansichten und Entscheidungen, die sie aus Wilfrieds Büchern gelernt und verinnerlicht hatten.
Dazu kommt, dass Wilfried Erdmann ein Mann war, den man einfach sympathisch finden musste, der nie wegen seiner Leistungen abgehoben wirkte, sondern stets bescheiden. Ein Mann, den man auf seinem Boot treffen und mit ihm auf dem Steg sitzend ein Bier trinken konnte. Oder unangemeldet in Goltoft an der Schlei an seiner Tür klingeln - unzählige Fans scheinen das getan zu haben - und alle berichteten, dass Wilfried und seine Frau Astrid sich jedes Mal Zeit für sie nahmen.
Ein Kommentator bei Facebook postete vorgestern ein Bild aus seinem Cockpit vor Anker im Mittelmeer. „Nur wegen dir bin ich jetzt hier“, schrieb er darunter.
Genauso geht es mir auch.
Meine Geschichte mit Wilfried begann im Alter von 11 Jahren, im Frühjahr 1997. In der kalten, grauen und trostlosen Zeit zwischen Neujahr und Frühlingsbeginn, die sich immer so lang zieht. In meiner Familie konnte damals keiner etwas mit Segeln anfangen. Doch dann fielen mir ein paar Exemplare der YACHT in die Hände. Das, was darin beschrieben wurde, fand ich ziemlich cool: Auf dem Wasser unterwegs zu sein, schnell über die Wellen zu glitschen. Der Selbstbau einer Segger-Jolle war darin beschrieben, außerdem wie eine Rollwende in der Jolle funktioniert. Wahrscheinlich wäre ich also Jollen- oder gar Regattasegler geworden, wäre da nicht ein Buch dazwischengekommen …
In der Schulbibliothek gab es etwa einhundert Meter Regale, die dicht an dicht mit Büchern gefüllt waren. Dazwischen ein mageres Brettchen mit der Beschriftung „Segeln“. Ein Buch über Jollensegeln stand darin, ein weiteres über die Basics der Navigation. Und dann war da noch ein Buch mit dem Titel „Mein Schicksal heißt Kathena“. Ein Jugendbuch vom Oetinger-Verlag. „Hmm. Aber wer ist diese Frau Kathena - und warum steht es im Segelregal? Nanu … da ist ja doch ein Boot drauf. Und geschrieben von einem Erdmann“. Klar, dass mich das interessierte. Fahrtensegeln fand ich ja irgendwie auch „ganz witzig“. Aber die Vorstellung lag für einen elfjährigen Schüler eben noch etwas weiter entfernt als eine Jolle.
Trotzdem habe ich es ausgeliehen. Ich wollte wissen, was der Mann erlebt hat. Und ich war erst einmal baff, dass so etwas überhaupt möglich ist: Um die Welt zu segeln mit einem Boot, das genauso lang ist wie unser Wohnzimmer. Nach den ersten angelesenen Seiten habe ich das Buch wie einen heißen Stein in meinem Rucksack nach Hause getragen. Es brannte förmlich darin, ich konnte kaum erwarten es wieder auszupacken. Am selben Abend noch hatte ich schon die ersten 100 Seiten des Buches geknackt. Ich glaube, ich habe nie zuvor ein Buch derart lang am Stück in meiner Hand gehalten. Am nächsten Tag führte mich mein Weg nach der Schule deshalb auch direkt zum örtlichen Buchladen, wo ich mir „Mein Schicksal heißt Kathena“ bestellt habe. Das wäre eigentlich nicht nötig gewesen, denn ich hatte es ja für zwei Wochen ausgeliehen. Aber das reichte mir nicht. Ich wollte eine Ausgabe besitzen. Ich musste sie haben.
Denn mir war auf den ersten 100 Seiten bereits klar geworden, dass das Buch mein weiteres Leben verändern würde. Das, was Wilfried dort alles erlebte … die großen Seepassagen mit dem kleinen Boot, die fernen Länder und die großen Abenteuer. Das war es, was ich auch eines Tages erleben wollte.
Bis heute ist es das Buch, das mich am meisten beeinflusst hat. Ich bin mir sicher, dass viele Segler eine ähnliche Geschichte zu dem Buch berichten können. Wenn ich es aufschlage, bin ich plötzlich wieder der elfjährige Johannes, der die Segelwelt aus den Augen Wilfrieds entdeckt. Alles, was ich in den vergangenen fast zwei Jahrzehnten seit meiner ersten Atlantiküberquerung erlebt habe, ist dann kurzzeitig weg. Ich staune, träume, halte inne und genieße jede Seite. Ich bin an Bord der kleinen, hölzernen Kathena, deren Bohrwurmlöcher Wilfried pragmatisch mit Zahnstochern flickte. Ich rieche das feuchte Holz, schmecke das Salz an seinen Händen, höre das Flattern der alten Baumwollsegel.
Heute bin ich deutlich älter als Wilfried damals. In meinem jetzigen Alter hatte Wilfried schon zwei Weltumsegelungen im Kielwasser und befand sich mit seiner Frau Astrid und Sohn Kym für drei Jahre „auf Elternzeit“. Auch das verbindet. Denn wir befinden uns auch gerade mit unseren beiden Söhnen an Bord unseres Bootes. Allerdings „nur“ für acht Wochen auf einer Schleife durch Griechenland, während Wilfried mit seiner jungen Familie von Neuseeland nach Frankreich segelte, auf einem 10-Meter-Schiff.
Nach „Mein Schicksal heißt Kathena“ habe ich in den Folgejahren die komplette Buchreihe verschlungen und bin mit der Nase beinahe über die Bilder geschliffen, so genau habe ich alle Details in mich aufgesogen. Als Wilfried uns im Sommer 2018 an Bord seiner Kathena eingeladen hat, konnte ich genau aufzählen, was sich dort seit 1985 verändert hat. So genau kannte ich das Boot aus den Bildern.
Das Buch „Segeln mit Wilfried Erdmann“, ein Ratgeber zum Langfahrtsegeln, habe ich als Teenie wie einen Roman verschlungen. Seine Lehren darin haben mich geprägt. Egal was ich hier und heute auch an Bord anfasse. Es erinnert mich vieles an ihn. Von den bunten Liros-Schoten, die er auch schon auf Kathena Nui an Bord hatte und die ich natürlich ans Schothorn knote, nicht schäkele, bis hin zur Packung Spaghetti, die Wilfried so sehr liebte. Zu unserer Hochzeit schenkte Wilfried uns ein Barometer, das wir immer in Ehren halten werden.
Dann kam das Jahr 2000, Wilfrieds Website und die zweite Nonstopfahrt, gegen den Wind um die Welt. Die ganze Reise über habe ich jede Positionsmeldung in einer großen Weltkarte über meinem Bett eingetragen. Zu Beginn der Reise hatten wir zu Hause noch keinen Internetanschluss und ich musste jede Woche einen Mitschüler mit einem Snickers bestechen, damit er mir die aktuelle Meldung ausdruckt.
„Wir müssen nach Cuxhaven“, war mein einziges Argument, als seine Ankunft nahte. Genauso wie bei der Sache mit dem ersten Buch. Eine Notwendigkeit. Ich überzeugte die Familie, einen Ausflug zu machen. Aufgeregt lief ich den ganzen Vormittag auf der Mole auf und ab. Irgendwer von den anderen Fans hatte Neuigkeiten, Wilfried sei in der Elbmündung gesichtet worden. Die Spannung stieg. Dann war „Kathena Nui“ plötzlich zu sehen, mitten in einem Pulk anderer Yachten. Ganz klar zu erkennen an der grün-weißen Genua. Der Rest ist in meiner Erinnerung verschwommen. Wilfried im Mast. Mengen von Menschen. Nebelhörner. Kathena Nui. Die Ankunft war einfach phänomenal.
Nachdem die Presse ihre Geschichten auf Tonband und Kodakfilmen gesichert hatte, lichteten sich die Reihen auf dem Steg und ich traute mich einen Schritt näher an „Kathena Nui“ heran. Jahre später saßen Wilfried und Astrid in meiner Kieler Studentenbude auf dem IKEA-Sofa und wir erinnerten uns an die Ankunft, da fragte Wilfried plötzlich: „Sag bloß, du hast dir damals auch ein Buch signieren lassen“ – ein Griff ins Regal und da war es. Signiert am 23. Juli 2001. Wie aus dem Buchladen. Ich habe es extra für den Empfang gekauft und danach nie gelesen. Dafür gab es eine zweite Leseausgabe im Regal.
Ich hatte mein Buch damals in Cuxhaven schon signiert unter dem Arm, wollte aber noch ein bisschen verweilen, die Nähe zu meinem Helden Wilfried und seinem Boot auskosten. Ich hielt mich an der zweiten Relingsstütze von vorn fest und versuchte so viele Details und Eindrücke wie möglich aufzusaugen. Wilfried erzählte, wie gut sich seine „Kathena Nui“ wieder gemacht hat, stellte seine eigene Leistung in den Schatten. So war er. Das Schiff sah auch aus wie frisch aus der Werft. Der starke, wunderschön geformte Alurumpf, die bunten Liros-Leinen, das schneeweiße, gesandete Deck. Das schönste Schiff der Welt.
Viel schneller als mir lieb war, ging der Empfang zu Ende. Wilfried, Astrid und Kym wollten sich auf den Weg in den Ort machen, Wilfried sprach von einem Steak der Größe „Windstärke 10“, das nun erstmal fällig wäre. Neben mir erkannte ich YACHT-Chefredakteur Jochen Rieker, meinen späteren Chef bei der YACHT.
Ein Job, den mir auch Wilfried später einmal vermittelt hat.
Unglaublich, wie sehr er mein Leben geprägt hat.
Immer wieder werde ich gefragt – und viel öfter noch wird es als selbstverständlich angenommen –, ob wir verwandt seien. Klar, beide Langfahrtsegler, beide schreiben Bücher, beide heißen Erdmann. Irgendwann hat Astrid begonnen, mich als ihren „Ziehsohn“ vorzustellen. Was für eine Ehre. Und es stimmt: Wilfried hat mir nicht nur durch seine Bücher den Traum von der See ins Herz gelegt - und die Liebe zu Büchern - sondern auch im Alltag an Land immer wieder Starthilfe gegeben.
Mein erstes Buch haben Wilfried und Astrid Korrektur gelesen, einige meiner ersten Vorträge in Segelvereinen vermittelt, mit denen ich es auch als Student geschafft habe, ein Boot zu finanzieren. Letztlich meinen Job bei der YACHT, mein seglerischer Werdegang.
Wilfried war nicht nur seglerisch und journalistisch mein großes Vorbild. Vor allem auch menschlich. Ein Vorbild in jeglicher Hinsicht. Und mein Freund.
Zu Hause in unserem Wohnzimmer steht eine alte Optimistenjolle, senkrecht an der Wand. Vor zwei Jahren habe ich Wilfried schon erzählt, dass ich daraus ein Bücherregal für meine Segelbücher bauen will und ein besonders breites Brett für seine Bücher reserviert hab. Eine Etage tiefer eine Reihe von Büchern, die Wilfried mir über die Jahre geschenkt hat. Nicht alles Segelliteratur. Aber fast jedes Buch enthält auf der ersten Seite eine kurze Notiz, wo er das Buch gelesen hat. In einem Buch steht zum Beispiel „Dezember 1984“. Das war nicht nur gut ein Jahr vor meiner Geburt, sondern auch zu einer Zeit, als sich Wilfried das erste Mal mit „Kathena Nui“ auf seiner „Magischen Route“ durch den Southern Ocean kämpfte.
Viele solcher Reisen, solcher Kämpfe gegen die See und gegen die Einsamkeit, hat Wilfried gewonnen. Den letzten, gegen seine schwere Krankheit, hat er nun verloren. Doch er wird unvergessen bleiben.
Johannes Erdmann,
Redakteur YACHT
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