YACHT-Redaktion
, Jochen Rieker
· 21.04.2023
Den jeweils aktuellsten Stand von The Ocean Race sehen Sie unten im Live-Tracker. Er wird stündlich aktualisiert. Außerdem: Welche Funktionen er bietet und wie Sie ihn richtig deuten
Der Live-Tracker von The Ocean Race zählt zu den am meisten abgerufenen Seiten der vergangenen Wochen und Monaten. Nirgends kann das Rennen so direkt und selbstständig mitverfolgt werden und begleitet so viele Fans durch den Tag. Nicht selten ist der Tracker aber auch die meistdiskutierte oder gar am meisten verunglimpfte Seite von The Ocean Race. Dann nämlich, wenn die Rangfolge der Teams wie gewürfelt erscheint oder wenn die Speedwerte und Kurse der Imocas nicht zu den in der Karte eingeblendeten Winddaten passen. Smartphone-Nutzer ärgern sich bisweilen über die nur rudimentären Funktionen des Trackers in der The Ocean Race App. Deshalb hier Tipps und Hintergrunderklärungen für Einsteiger wie Regatta-Geeks.
Die Systemplattform basiert schon seit dem Volvo Ocean Race 2011/12 auf dem Tracking des französischen Spezialisten Geovoile. Der ist beileibe nicht der einzige IT-Anbieter in dem Segment, aber einer der besten und etabliertesten.
Die Firma gehört Yann Groleau, einem Hobbyflieger und Segellaien, der bereits 2005 begann, sein auf Flash basierendes Programm zu etablieren. Er lebt nur wenige Kilometer außerhalb von La Rochelle, einer der Herzkammern des französischen Hochseesports. Mit seinem Tracker bildet er viele der wichtigsten Regatten ab – darunter neben dem The Ocean Race auch die Vendée Globe, die Route du Rhum oder das Solitaire du Figaro.
Gegenüber vielen anderen Systemen bietet Geovoile den Vorteil, als Nutzer nicht nur Winddaten sowie Längen- und Breitengrade einblenden, sondern auch die Abstände der Teilnehmer zueinander oder zu wichtigen Wegpunkten auszumessen. Zudem werden nicht nur die Positionen der Boote archiviert, sondern auch die jeweilige Wetterprognose, sodass man entscheidende Passagen rückblickend analysieren kann.
Weil beim The Ocean Race alle Teilnehmer per Inmarsat permanent mit dem Internet verbunden sind, gehen Position, Kurs und Geschwindigkeit nahezu in Echtzeit im Hauptquartier in Alicante ein. Alle 10 Sekunden aktualisieren sich die Daten, die Wettfahrtleiter Phil Lawrence und seinem Team zur Verfügung stehen – unerlässlich bei eventuellen Havarien oder Regelverletzungen. Die Veranstalter haben also weit präzisere Daten auf ihrem internen Tracker als jene, die öffentlich zur Verfügung stehen.
Wir Fans erhalten nur einmal je Stunde die neuesten Informationen von Bord, ebenso wie die Teilnehmer am The Ocean Race selbst. Das ist vergleichsweise häufig. Zum Vergleich: Bei der Vendée Globe wird nur alle vier Stunden aktualisiert, beim Volvo Ocean Race 2014/15 alle drei Stunden. Auch deshalb wird die Homepage von The Ocean Race wohl einen neuen Rekord aufstellen, was die Abrufzahlen betrifft – denn je häufiger neue Positionen zur Verfügung stehen, desto öfter werden sie auch geklickt. Und kommentiert. Das erklärt die fast schon hysterischen Posts einiger übereifriger Beobachter, die aus jeder ihnen unerklärlichen Halse gleich einen groben taktischen Schnitzer konstruieren, wie in der Endphase der zweiten Etappe, als Team Malizia statt mittenmang in eine Hochdruckzone zu halten einen Schlenker weg vom Feld gemacht und dadurch für einige Stunden die Führung verloren hatte.
Bei der Zielankunft und beim Start erfolgt die Aktualisierung sogar alle fünf Minuten. Das erwies sich im Finish vor Kapstadt als hilfreich für alle, die nicht gerade vor Ort waren, weil die Top-3-Boote jeweils binnen weniger als einer Viertelstunde über die Linie gingen.
Trotzdem: Es gibt immer mal wieder Übertragungslücken oder -fehler. Bleibt ein Boot also vermeintlich auf der Stelle „stehen“, kann es sehr wohl weiter flott unterwegs sein. Dann hat der Satellit, wahrscheinlicher aber der Live-Tracker schlicht ein paar Datenpakete „verschluckt“. Es ist also nicht gleich ein Indiz für Bruch, Havarie, Stromausfall oder eine ähnliche Unbill.
Am vielleicht irreführendsten ist das Ranking, das der Tracker bei jeder neuen Positionsmeldung errechnet. Es bezieht sich auf die Distanz zum Ziel entlang der kürzestmöglichen, also rein theoretischen Kurslinie.
Um dabei nicht völlig daneben zu liegen, fügt die Wettfahrtleitung bisweilen sogenannte „floating Waypoints“ ein, also Wegpunkte, die nicht Kursmarken, damit keinesfalls verbindlich sind, die aber helfen, die Kalkulation realitätsnäher zu machen. Auf Etappe zwei von den Kapverden nach Kapstadt lag ein solcher Punkt südöstlich des St.-Helena-Hochs im Südatlantik.
Solange die Boote also nördlich davon segelten, entsprach die Rangfolge im Rennen der Distanz zu diesem Wegepunkt und von dort entlang eines Großkreiskurses nach Kapstadt. So blieb die französische-deutsche „Guyot-Environnement – Team Europe“ unter Skipper Robert Stanjek aufgrund ihres östlichen, damit näher an dem Wegpunkt gelegenen Kurses rechnerisch lange in Führung, obwohl die weiter westlich platzierten Imocas längst in frischerem Wind und mit weit höherer Geschwindigkeit segelten.
Denn: Das St.-Helena-Hoch hatte sich ungewöhnlich weit nach Westen verschoben. Der floating Waypoint aber entsprach einer Position, die zum Start noch ungefähr korrekt war, nach zehn Tagen Renndauer faktisch aber nicht mehr der Realität entsprach. Somit war auch das Ranking Makulatur.
Ähnlich war es am Morgen des letzten Tags der Etappe nach Kapstadt. Da lag „Malizia – Seaexplorer“ laut Live-Tracker vorn, weil näher am Ziel. Die drei weiter nordwestlich positionierten Boote – „Holcim – PRB“, „Biotherm“ und „11th Hour Racing“ – erwischten aber früher Wind und mussten weniger Tiefe fahren als „Malizia“, waren also wesentlich schneller. Solche taktischen Vorteile reflektiert das Ranking nicht.
An Etappe zwei und drei lässt sich auch ein anderer „Sehfehler“ des Trackers veranschaulichen. Die Distanz von den Kapverden nach Kapstadt wurde von Wettfahrtleiter Phil Lawrence ursprünglich mit 4600 Seemeilen taxiert – entlang der gedachten Kurslinie inklusive des Wegepunkts im Südatlantik. Tatsächlich aber loggten die Boote zwischen 6.100 und 6.600 Seemeilen, weil sie weiter nach Westen und viel weiter nach Süden segeln mussten, um im Wind zu bleiben.
Das wird sich auf der dritten Etappe wiederholen. Diese ist mit 12.750 Seemeilen ohnehin schon die längste jemals gesegelte in der 50-jährigen Geschichte der Weltregatta. Es werden aber am Ende wohl um die 16.000 Meilen werden.
Schuld ist diesmal kein theoretischer Wegpunkt; einen solchen gibt es zwischen Kapstadt und Itajai nicht. Der Grund ist die Eisgrenze, die insbesondere im Pazifik viel weiter nördlich verläuft als üblich.
In Folge der Klimaerwärmung gab es in der Antarktis während des dortigen Sommerhalbjahres zahlreiche Gletscherabbrüche. Deretwegen zeigen die Satellitenauswertungen, die Phil Lawrence in Auftrag gab, jede Menge Treibeis auf dem direkten Kurs zwischen Neuseeland und Kap Horn. Auf der Karte, die er auf sein MacBook lädt, um uns die Situation zu verdeutlichen, sieht es aus wie ein bunter Konfettiregen. Überall Eis!
Schon Mitte Februar legte er die Eisgrenze, welche die Crews nicht nach Süden unterschreiten dürfen, in diesem Bereich des Südpazifiks weit nach Norden. Es ist eine mächtige Ausbuchtung, die bis über den 48. Breitengrad hochragt – gut erkennbar, wenn man ganz aus der Seekarte des Trackers herauszoomt. Damit werden aber auch der freie Seeraum und die taktischen Optionen für die Crews stark begrenzt. Außerdem verlängert sich der Weg um mehrere Tausend Seemeilen.
„Diese Boote sind mehr als 30 Knoten schnell“, sagt der Race Director. „Sie sind sehr sicher konstruiert, aber wir wollen keinen Crash riskieren.“ Deshalb lässt er sich laufend über die weitere Entwicklung informieren und behält sich vor, die Eisgrenze anzupassen. „Wenn die Boote Australien querab haben, werden wir nochmal neue Daten anfordern und danach entscheiden.“
Die im Live-Tracker von The Ocean Race angezeigten Windanimationen und die ihnen zugrundeliegenden Grib Files stammen vom europäischen Wettermodell ECMWF. Bei der Implementierung griff Geovoile auf die Unterstützung von D-Ice Engineering zurück, besser bekannt durch sein Navigationsprogramm Squid, das es auch als App für Smartphones und Tablets gibt.
Die Datenqualität ist also gut bis sehr gut, weil ECMWF eine höhere Auflösung hat als das amerikanische GFS-Modell. Dennoch sind es Prognosen, also Hochrechnungen, nicht Wetterbeobachtungen. Wer anhand des vorhergesagten Windes und der Richtung Ableitungen trifft über die taktischen oder seglerischen Fähigkeiten der Crews, liegt praktisch immer daneben. Zumal Wellenhöhe, Wellenfrequenz, -richtung oder gar Strom unberücksichtigt bleiben.
Leider gibt es auf Windy kein Plug-in für The Ocean Race, anders als bei der Route du Rhum 2022 oder der Vendée Globe 2020/21. Dann wäre mehr Analyse möglich – wohlgemerkt aber auch da nur anhand von Wettervorhersagen, nicht tatsächlichen Wetterdaten.
Die Darstellung des Trackers und das Angebot an Funktionen ist abhängig von der zur Verfügung stehenden Bildschirmgröße. Dieses an sich sinnvolle Verhalten führt in sehr vielen Fällen jedoch dazu, dass insbesondere auf Smartphones einige Icons dauerhaft ausgeblendet bleiben und die Navigation auf der Seite nur eingeschränkt möglich ist.
Am restriktivsten verhält sich dabei die App von The Ocean Race selbst. Wer über sie den Live-Tracker nutzt, kann nichtmal auf einem topaktuellen iPhone 14 plus die Statistik-Funktion oder die Distanz-Funktion aktivieren. Beide bleiben unsichtbar, obwohl mehr als genug Bildschirmhöhe vorhanden wäre. Hier scheint es, als hätten die verantwortlichen Programmierer schlicht ungenau gearbeitet.
Wer auf kleinen Laptops mit vergleichsweise niedriger Auflösung arbeitet oder den Tracker nicht formatfüllend anzeigen lässt, verliert ebenfalls die am linken unteren Bildschirmrand angezeigten Funktionen. Das Aufziehen des Browserfensters kann sich also lohnen, zumal gerade die Statistikfunktion interessant ist.
Nur eine kleine Randnotiz dazu noch: Die Entwicklung der Bootsgeschwindigkeit wird nicht im Zeitverlauf abgetragen – man sieht also nicht, welche Sprünge nach oben oder unten ein Team im Bootsspeed gemacht hat. Vielmehr wird die Entwicklung des Durchschnitts der letzten 24 Stunden angezeigt, was stark glättend wirkt. Kommt es doch einmal zu Sprüngen, dann beruhen die nicht auf einem plötzlichen Peak der Geschwindigkeit, wozu die neuesten Imocas ja durchaus in der Lage sind, sondern auf einer Lücke bei der Datenübertragung.