Jochen Rieker
· 09.05.2023
Die Lücke, die er hinterlässt, ist eigentlich gar nicht zu füllen. Nach schwerer Krankheit verstarb am Montagnachmittag der einzige Deutsche, der die Welt ost- wie westwärts solo nonstop umsegelt hat
Schon seine Nachricht, dass es mit dem Segeln krankheitsbedingt vorbei sei, hatte letzten Herbst für eine Welle von Genesungswünschen und Sympathiebekundungen gesorgt. Um wieviel mehr wird Wilfried Erdmanns Tod die Segler bewegen, die teils erst durch ihn zum Sport gefunden haben, durch seine Bücher, seine Vorträge, seine Fahrten?
Wie kaum jemand vor oder nach ihm hat der Abenteurer über Jahrzehnte deutsche Segelgeschichte geschrieben. Ohne Pomp, ohne große Sponsoren, auf seine leise, kluge, planvolle, bedachte Weise. Hat Bestseller geschrieben, Vortragssäle gefüllt, Messestände gesprengt, stets ohne großes Aufhebens.
Seinen letzten Auftritt Ende September voriges Jahr bei der Bootsmesse Insa in Flensburg trotzte er noch dem Krebs ab, wie einst sein französischer Vorgänger und sein Vorbild, Benard Moitessier. Doch am Ende, das schneller kam als erwartet, erwies sich die Krankheit, der er monatelang widerstanden hatte, als stärker. Wilfried wurde 83 Jahre alt.
Sein Ruf, seine Verdienste, seine Leistungen aber sind unsterblich. Bis heute bleibt seine Segel-Vita in Deutschland unerreicht, wenn nicht unerreichbar.
Schon seine erste große Reise, 1966 bis 1968, auf einem nur 7 Meter langen Kielschwerter, noch in Etappen damals, war eine Sensation – so sehr, dass sie teils angezweifelt wurde, statt uneingeschränkt gefeiert zu werden. Dabei sollte es nur die erste von mehreren Pionierleistungen sein, die folgten – eine größer als die andere.
Zweimal reichte ihm nicht, allein in See zu gehen. Es sollten Nonstop-Fahrten werden. Die erste hätte schon für den Segel-Olymp gereicht: Am 8. September 1984 startete Wilfried in Kiel zum legendären Törn um die Welt, später festgehalten im Buch „Die magische Route“. Das Boot, das ihn trug, wurde zu einer Art Markenzeichen: die bei Dübbel & Jesse gebaute 35-Fuß-Aluminium-Slup „Kathena nui“.
Mit ihr bestritt er auch das zweite Nonstop-Solo, diesmal gegen die vorherrschenden Windrichtungen. Es war ein Extremtörn, der ihm, dem damals schon 60jährigen, noch einmal alles abverlangte. Fast ein Jahr war er unterwegs von Cuxhaven nach Cuxhaven, 343 lange Tage.
Erstmals konnten seine Fans, die nach Hunderttausenden zählen, seine Fahrt im Internet mitverfolgen. Auf seinem sonst unverändert karg ausgebauten Boot, das weder über Einbaumaschine noch Toilette verfügte, hatte Wilfried einen Benzin-Generator und ein Faxgerät an Bord. Auf diese Weise hielt er seine Frau Astrid auf dem Laufenden, sofern das Wetter es erlaubte, die wiederum Positionsmeldungen an YACHT online durchkabelte und auf Wilfrieds eigene Homepage stellte.
Schon sein erster Nonstop-Törn von West nach Ost stand mehr als drei Jahrzehnte allein; erst 2019 gelang es Susanne Huber-Curphey, es Wilfried gleichzutun. Boris Herrmann zog bei der Vendée Globe 2020-21 nach, wenn auch in nur 80 statt 271 Tagen, und auf einem fast doppelt so großen, viermal so schnellen Boot.
Das Ost-West-Solo „verkehrt herum“, wie Wilfried selbst sagte, blieb aber bis heute unerreicht. Weltweit gibt es nur rund ein Dutzend Skipper, die beides nonstop versucht und vermocht haben. Das allein unterstreicht die seglerische Sonderklasse Wilfried Erdmanns.
Fast genauso herausragend wie seine Fahrten und sein Durchhaltevermögen war freilich seine Gabe, das Erlebte zu vermitteln, sei es in seinen Log-Tagebüchern, seinen Skizzen oder später seinen zigtausendfach verkauften Büchern. Mit ihnen baute er sich selbst eine Bühne und den Lesern eine Brücke. Er nahm sie mit in seiner unnachahmlichen Art, mal knapp, nüchtern, fast schroff erzählend und beobachtend, dann wieder elegisch. Und nicht nur auf große Fahrt! Genauso wertvoll erscheinen im Rückblick seine Fahrtentörns auf Nord- und Ostsee, mit Booten von Dehler oder Hanse, mit Zugvogel oder Hansajolle.
Sein letztes Werk ist in diesen Tagen erst bei Delius Klasing erschienen: „Ingeborg und das Meer“, eine späte Hommage an seine Schwiegermutter Ingeborg von Heister, die ihrerseits auf dem Atlantik mit Erstleistungen glänzte. Im Nachhinein wirkt es wie das Manifest eines Segelhelden, der über seiner eigenen Größe nie den bewundernden Blick für all die anderen Abenteurer zur See verlor.
Du wirst uns allen so sehr fehlen, Wilfried!