YACHT-Redaktion
· 15.04.2023
YACHT-Woche – Der Rückblick
Liebe Leserinnen und Leser,
ich glaube meine Augen lügen mich an! Tatsächlich – da steht mein alter Segelkumpel Heinz auf der Flybridge einer fetten Motorbratze im Hafen und grüßt mich fröhlich. Die Motoren laufen bereits, und die Gäste an Bord sind mit dem Loswerfen der Festmacher beschäftigt. Nach etwas Smalltalk wage ich die Gretchenfrage: Wie es denn dazu kommen kann, will ich gern wissen, und ich deute dabei auf die in meinen Augen ziemlich unförmig daherkommende GFK-Wohnburg am Steg. Als hätte er die Frage bereits erwartet, erklärt mir Heinz, der ehemals ambitionierte Segler und jetzt offenbar Neo-Motorbootfahrer, er möge halt einfach nicht mehr auf Wind warten. Punkt!
Freilich: Ein Blick auf die spiegelglatte Oberfläche des Bodensees an diesem sonnigen Morgen untermauert seinen Standpunkt. “Das hat vielleicht was”, denke ich mir arglos. Ich wünsche Heinz und seiner Familie jedenfalls noch ein schönes und erlebnisreiches Osterwochenende auf dem Wasser, verabschiede mich höflich und beobachte interessiert, wie die zwei Antriebe der brummenden Dieselmotoren die dralle, glänzend-weiße Kunststoff-Yacht langsam durch die Dalben der Hafenbox schieben.
“Jeder wie er mag und lustig ist. Leben und leben lassen”, denke ich beim Weitergehen, noch unwissend, dass ich wenig später an diesem schönen Tag meine Meinung nochmals radikal revidieren sollte. Wie kommt’s? Gerade habe ich bei aufkommender Thermik im Konstanzer Trichter die Segel gesetzt und freue mich über das lautlose, genussvolle Dahingleiten auf meinem alten, schlanken Klassiker.
Unvermittelt wird das nautische Behagen auf dem Wasser abrupt zerhackt vom Wummern nervöser Techno-Beats. Die Quelle der zunehmenden Unruhe scheint das in knalligen Metallicfarben lackierte Motorboot zu sein, das sich just in meine Richtung bewegt. Achtern reitet einer mit Surfbrett und buntem Neoprenanzug im Takt der Musik eine selten hohe Heckwelle ab. Wakesurfing nennt man das wohl. “Schon irgendwie cool”, denke ich – zunächst noch.
Was ich schon weiß: Damit die junge und trendige Sportart überhaupt funktioniert, werden die eigens dafür gebauten Motorboote nicht nur üppig motorisiert, sondern auch konstruktiv entsprechend um- und ausgerüstet. Nämlich mit riesigen Tanks im Heck für zusätzlichen Wasserballast sowie mit einer Art von Spoilern am Rumpf, die Widerstand erzeugen und die Fahrt abbremsen. Das Ziel dieser Maßnahmen: bei möglichst langsamer Fahrt gleichzeitig eine möglichst hohe Heckwelle aufzuwerfen, auf der man ganz lässig mit Brettchen runterreiten kann.
So pflügen sie dann an mir vorbei, an diesem bis dahin recht besinnlichen Tag an Ostern auf dem Bodensee. Und zwar so nah, dass ich leicht und mit bloßem Auge erkennen kann, welche Marke Bier die jungen Leute trinken, während ihr eigentümliches Gefährt augenscheinlich fast abzusaufen droht, so tief wie es im Wasser liegt. Die Jungs grölen dabei, die Mädels kreischen. Ich grüße noch verhalten – niemand grüßt zurück.
Zurück bleibt das langsam abklingende Dröhnen der Motoren und der immer noch ohrenbetäubende Sound der Musik, die zwei gigantische Boxen achteraus in die vermeintliche Idylle blasen. Und natürlich die Wellen – diese verdammten Wellen! Kurz, hoch, steil und mit erbarmungsloser Unaufhaltbarkeit rollen die Kaventsmänner in drei zerstörerischen Linien auf den niedrigen Freibord meines Klassikers zu. Das Schiff zu drehen ist jetzt nicht mehr rechtzeitig möglich. Schon die erste Welle steigt mit viel Gewalt über den Süllrand ins Cockpit ein und spült die zuvor liebevoll hergerichtete Brotzeit von den Duchten. Wild schlagen der Großbaum und die Segel hin und her. Es herrscht blankes Chaos.
Was man in diesem Moment und bei zunehmend schwindender Contenance den jungen Leuten auf dem Motorboot hinterherrufen möchte, behält man besser für sich. Es würde auch nicht viel nützen, weil erbarmungslose Fluchtiraden meinerseits ohnehin im abziehenden Lärm der nautischen Apokalypse untergehen würden. Was bleibt, ist ein patschnasser Skipper ohne Ersatzkleidung, jede Menge Wasser im Schiff und eine weit verstreute Brotzeit im Cockpit, was im Nachhinein reflektiert fast am schlimmsten ist. In dem Moment öffne ich mir ebenfalls ein Bier und suche nach Besinnung und Ansätzen für Verständnis – leider umsonst.
Während das wirre Wellenbild langsam abklingt, sehe ich in der Ferne das bunte Boot im Konstanzer Trichter einen weiten Bogen fährt. Und wieder nehmen sie Kurs direkt in meine Richtung. Dieses Mal kommt das Grauen von der anderen Seite. Himmel hilf!
Michael Good, Redakteur YACHT
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