The Ocean RaceDie dramatische 4. Etappe in der Zusammenfassung - jetzt mit Video

Tatjana Pokorny

 · 12.05.2023

Homerun: 11th Hour Racing im Ziel vor Newport, dem  Segelmekka der USA, lange Jahre Austragungsort des America’s Cup
Foto: Sailing Energy/The Ocean Race

Ocean Race, Etappe vier: Zwei Masten brechen, 11th Hour Racing und Malizia kämpfen um den Sieg, und das Endergebnis ist wieder unsicher

Drei Erkenntnisse bleiben nach der Tour de Force auf Etappe vier im Ocean Race: Erstens haben zwei Mastbrüche die ohnehin schon kleine Flotte auf brutale Weise dezimiert. Zweitens konnten die bis dahin von technischen Rückschlägen gebeutelten Vorstartfavoriten vom US-Team 11th Hour Racing endlich und pünktlich auf Kurs Heimathafen Newport eine Etappe gewinnen. Und drittens hat der unerwartete Verlauf der Etappe dafür gesorgt, dass im Kampf um den Gesamtsieg wieder Hochspannung herrscht.

Aber der Reihe nach: Der 5500-Seemeilen-Abschnitt von Itajaí in die ostamerikanische Segelhochburg Newport begann nach gemeisterter Kap-Hoorn-Königsetappe vielversprechend. In angriffslustiger Spiellaune jagten sich die Teams in der Eröffnungsphase die Führung immer wieder gegenseitig ab. Die Flotte lag eng beieinander, als am 27. April die erste Schocknachricht aus dem Südatlantik kam: Mastbruch auf Spitzenreiter „Holcim – PRB“!

Der 1. Mastbruch

Verursacher des technischen K.-o.-Schlags war ein gebrochener Toppwirbel. Das Rigg kam in drei Teilen von oben und beendete die Etappe für Skipper Escoffier und seine Crew brutal. Die umgehend eingeleitete Suche nach der bestmöglichen Lösung für die Fortsetzung des Rennens mündete in einen Wettlauf gegen die Uhr. Team Holcim – PRB ließ die entmastete Imoca von Rio de Janeiro in den nächsten Etappenhafen verschiffen. Der einzige Ersatzmast der Klassenvereinigung wurde – ebenfalls per Frachter – aus Lorient über den Atlantik nach Newport geschickt. Im besten Fall, so hofft Skipper Escoffier, bleiben seinem Team im amerikanischen Etappenhafen 48 Stunden für die erfolgreiche Hochzeit von Boot und Mast, bevor am 21. Mai der Startschuss zur fünften Etappe fällt.

Drei Tage nach dem Aus für Team Holcim – PRB manifestierte sich am 30. April an der Spitze der dezimierten Flotte der Zweikampf zwischen 11th Hour Racing und Team Malizia um den Etappensieg, während die Teams Biotherm und Guyot zurückfielen. 16 Führungswechsel über elf Tage bezeugen ein Duell auf Augenhöhe, in dem jede Crew ihre Momente hatte. 11th-Hour-Racings An-Bord-Reporter Amory Ross: „Man konnte sehen, dass wir beide unsere Stärken und Schwächen hatten. Es war erschreckend, wie knapp es zuging. In der letzten Nacht hatten wir 27 oder 28 Knoten Downwind – das ist eine Stärke von ihnen und eine Art Achillesferse von uns. Wir haben gegen die Uhr gekämpft und gehofft, dass wir weit genug nach Westen und Norden in die leichteren Amwind-Bedingungen kommen, was unsere Stärke ist. Es war ein Kampf bis zum Ende.“

Der 2. Mastbruch

Bevor die Entscheidung fiel, folgte eine weitere Schreckensmeldung: Mastbruch auf „Guyot“! Während zwar auch 11th Hour Racing und Team Malizia kurz vor ihrem Showdown ein hässliches Sturmtief meistern mussten, hatte sich dessen wütende Kraft bis zur Begegnung mit den Nachzüglern noch gesteigert. Der ungute Mix aus Winden zwischen 35 und 45 Knoten, Böen jenseits von 50 Knoten und den Golfstrom-Auswirkungen hatte Team Guyot zur maximal defensiven Segelkonfiguration bewogen: drei Reffs im Großsegel, kein Vorsegel. Trotzdem kam in dunkler Nacht das Rigg von oben. Die Ursache dafür blieb zunächst unklar. Die Crew schnitt bis auf ein vier Meter langes Mastfußstück alles weg, was den bereits beschädigten Rumpf im Sturm noch weiter hätte demolieren und die Crew gefährden können. Mit über Bord gingen eine J3, die J2, das Großsegel und die Wanten.

Für Team Guyot ist das Unglück ein Desaster. Sie wissen schnell, was Co-Skipper Robert Stanjek in erste spontane Worte fasst: „Wir kriegen hier bis zum nächsten Etappenstart keinen Mast her. Das ist völlig utopisch.“ Skipper Benjamin Dutreux rang bei einer ersten Pressekonferenz von Bord des traurigsten Teams im Ocean Race auf die Frage nach der Zukunft seines Teams sichtlich um Worte und sagte dann: „Es ist nicht einfach, wir sind nur eine kleine Kampagne.“

Ob und wann ein Comeback für das vielfach leidgeprüfte Team, das schon die Königsetappe drei mit Rumpfschaden hatte aufgeben müssen, möglich ist, bleibt zunächst trotz Zuspruch und vieler Hilfsangebote anderer Teams offen. Enge Zeitfenster vor und nach den kommenden Etappen sowie knappe finanzielle Mittel stehen Willen und Wunsch im Guyot Environment – Team Europe diametral entgegen. Eine schnelle Lösung wie die im Fall Holcim – PRB ist zunächst nicht in Sicht. Mit dem Mast zerbrachen alle Hoffnungen auf eine sportlich hochkarätige und würdige zweite Halbzeit bei der Weltumsegelung.

Schwerer Rückschlag für deutsche Ambitionen

Auf deutscher Seite hatten Team-Co-Manager Jens Kuphal, Robert Stanjek und auch Annie Lush und Phillip Kasüske mit dem Offshore Team Germany einen langen und dornenreichen Weg beschritten, um ihren großen Traum von der Teilnahme am Ocean Race in Kooperation mit dem französischen Team um „Guyot“-Skipper Ben Dutreux zu realisieren. Viel Schub hatte der Sieg-Coup im Ocean Race Europe 2021 gegeben. „Wir haben sieben, acht Jahre gekämpft“, erklärt Robert Stanjek das Ausmaß des Gesamtengagements.

Doch mit dem Startschuss hat sich die einst so magisch lockende Herausforderung für Team Guyot und seine gut sieben Jahre alte, aber bewährte Imoca Etappe für Etappe in einen Albtraum verwandelt. „Wir hatten sehr viel Pech auf der Materialseite“, fasst Stanjek das Kernproblem zusammen. Im Detail: „Auf Etappe zwei waren es der A2 und der Fractional Zero. Auf Etappe drei: Delamination und Aufgabe.“ Auf Etappe vier versagte erst die Trimmleine fürs Foil und warf die zwischenzeitlich sogar führende und stark agierende Crew heftig zurück, bevor der Mastbruch das Team wie ein böser Blitz aus dem Nachthimmel mattsetzte.

Der Kampf um den Etappensieg

Fast parallel zum „Guyot“-Mastbruch fiel im Spitzenduell der vierten Etappe die Vorentscheidung, wie sich später herausstellen sollte. In der aus deutscher Fansicht ebenfalls unglücklichen Nacht zum 8. Mai blieb Team Malizia unter einem Wolkenband ohne Wind stecken und verlor binnen weniger Stunden 25 Seemeilen auf die davoneilenden Amerikaner. Zwar gaben Skipper Will Harris, Rosalin Kuiper, Navigator Nico Lunven und Christopher Pratt danach nie auf und kamen den flauen Winden am Morgen der Entscheidung vor Newport noch einmal bis auf sieben Seemeilen an 11th Hour Racing heran. Mehr aber war im zuletzt wieder auffrischenden Wind nicht drin, mit dem die US-Lokalmatadoren nach großem Kampf souverän dem umjubelten Heimsieg entgegenrauschten. Im Ziel reichte nach 17 bewegten Tagen, 2 Stunden, 26 Minuten und 41 Sekunden eine halbe Stunde Vorsprung vor Team Malizia zum Triumph. Skipper Charlie Enright, der diesen Sieg so sehr wollte – „Auf einer Skala von null bis hundert? Tausend!“ –, jubelte im Heimathafen: „Das war wild! Wie ein Filmskript. Die letzten 24 Stunden waren die längsten meines Lebens.“ Seine Trimmerin Francesca Clapcich, Olympionikin und 49er-FX-Weltmeisterin, konstatierte: „Wir waren an der Reihe zu gewinnen. Wir hatten zu hart gearbeitet, um es nicht zu schaffen. Wir mussten es schaffen. Und wir haben es geschafft.“

Boris Herrmann, der auf dieser Etappe pausierte und in seinem Heimathafen Hamburg andere Teamaufgaben wahrnahm, war auch mit Platz zwei glücklich: „Ich bin sehr stolz auf die Crew! Sie hat aus meiner Sicht einen perfekten Job gemacht und eine supergute Seemannschaft abgeliefert. Wir haben Sport auf hohem Niveau gesehen. Yachtsport, wie man dachte, dass es nur mit One-Design-Booten geht.“ Zu zwei Mastbrüchen auf nur einer Etappe sagte Herrmann: „Man kann daraus nicht schlussfolgern, dass die Imoca-Klasse instabile Masten hat und es ein grundsätzliches Problem gibt. Das sind statistische Abweichungen, eine Anomalie. Vor allem zum Leidwesen von Team Guyot, das mir unheimlich leidtut. Es wäre gerade mit Blick auf Robert Stanjek und Phillip Kasüske auch für die deutsche Fangemeinde ein Riesenverlust, sie nicht mehr im Rennen zu haben. Wir hoffen sehr, sie dabei zu behalten.“

Spannendes Klassement

Auf der sportlichen Habenseite des Ocean Race steht vor der Transatlantik-Etappe von Newport in die dänische Seglerstadt Aarhus die neue Spannung, die das Ergebnis der vierten Etappe in den Kampf um den Gesamtsieg gebracht hat: Team Holcim – PRB verteidigt seine Führung trotz Etappen-Aus mit 19 Punkten vor den punktgleichen Teams 11th Hour Racing und Malizia (beide 18) auf den Plätzen zwei und drei. Weil Tiebreaks im Ocean Race mithilfe der Wertung der Hafenrennen vorgenommen werden und 11th Hour Racing dieses Nebenklassement anführt, haben die Amerikaner die Bugspitze vor den ausstehenden drei Etappen knapp vor Team Malizia. Boris Herrmanns Schlachtruf: „Jetzt wird es erst richtig spannend. Wir werden hart am Wind segeln und voll angreifen.“ Die fünfte Etappe winkt mit doppelter Punktzahl und hat das Potenzial, das Klassement ein weiteres Mal aufzumischen.

Bis dahin bleibt Etappe vier als Masten- und Herzensbrecher im Gedächtnis. Seglerisch war sie hoch anspruchsvoll. Die Seglerinnen und Segler hatten über zweieinhalb Wochen viele Übergänge zwischen unterschiedlichsten Wettersystemen zu meistern. Dazu im Finale einer der heftigsten Stürme, der diese Auflage seit ihrem Start am 15. Januar in Alicante heimgesucht hat. Amory Ross von 11th Hour Racing sagte: „Dieser Sturm geht an die rote Linie. Er ist furchterregend.“ Gefordert war die hohe Schule in Navigation, Bootshandling, Strategie und Taktik. Die vor dem Etappenstart kursierende Annahme, die Southern-Ocean-Königin „Malizia – Seaexplorer“ könne für den Abschnitt vom Süd- in den Nordatlantik zu schwer und träge sein, um mit der leichtfüßigen „Malama“ mitzuhalten, hat sich nicht bewahrheitet. Team Malizia hat offensichtlich gelernt, sein erst zehn Monate altes Boot in allen Bedingungen zum Laufen zu bringen.