The Ocean RaceDas irre Rennen um den Ersatzmast für „Holcim – PRB”

Jochen Rieker

 · 27.04.2023

The Ocean Race: Das irre Rennen um den Ersatzmast für „Holcim – PRB”Foto: YACHT/J. Rieker
Einheitsmast für alle Imoca 60 von Lorima. Wie kriegt man so ein 28-Meter-Rigg mal eben auf die andere Seite des Atlantiks?

Das führende Team im Ocean Race steht nach dem Mastbruch vor einer der wohl schwersten logistischen Herausforderungen: Wie kommt das Ersatzrigg am schnellsten zum Boot?

Im Moment glühen die Drähte zwischen Kevin Escoffiers „Holcim – PRB“, der Teamleitung, dem Sponsor, der Imoca-Klasse und Logistik-Experten. Denn beim Versuch, das Boot im Rennen und auf Siegkurs zu halten, zählt sprichwörtlich jede Minute.

Hier nach dem aktuellen Stand der YACHT die wichtigsten Fragen und Antworten, soweit wir sie verifizieren konnten.

Woher kommt der Ersatzmast?

Nur wenige Imoca-Teams verfügen über ein eigenes Zweit-Rigg. Deshalb hat die Imoca-Klasse für Fälle wie diesen beim Hersteller der Einheitsmasten, Lorima, ein Ersatzteil bereitliegen.

Bis zum vorigen Jahr war das ein gebrauchter und aufgearbeiteter Mast, der an Louis Burtons „Bureau Vallée“ ging, nachdem diesem im November 2021 das Rigg bei der Transat Jacques Vabre gebrochen war.

Vor dem Ocean Race wurde dann im Auftrag der Imoca-Klasse ein neuer Ersatzmast in Lorient gebaut, auch im Hinblick auf die derzeit laufende Regatta um die Welt.

Er steht dem Team zur Verfügung, das als erstes Bedarf anmeldet und die Kosten für Mast und Transport aufbringt. Team Holcim hat bereits die Klasse kontaktiert. Jetzt geht es um die Frage, wie das Carbon-Flügelprofil zum und aufs Boot kommt.

Warum es schnell gehen muss

Spielte Zeit keine Rolle, würde man den Mast als Decksfracht auf ein Schiff laden und nach Brasilien, Florida oder direkt nach Newport schicken. Das aber könnte im schlimmsten Fall so lange dauern, dass der mögliche Sieg für „Holcim – PRB“ gefährdet wäre, weil bis zu 15 Wertungspunkte fehlen könnten – fünf für Etappe vier nach Newport, die ohnehin weg sind, und noch mal zehn für Etappe fünf nach Aarhus, die doppelt zählt und deshalb so wichtig ist, falls “Holcim” nicht rechtzeitig an der Startlinie wäre.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Aufenthalt in Newport nur kurz sein wird. Bestenfalls eine Woche haben die Teams für technische Arbeiten, bevor das Programm der Pro-Am- und In-Port-Rennen wieder anläuft. Newport ist ein „Non-haul-out-Stopp“, also ein Aufenthalt, bei dem die Boote im Wasser bleiben, so wie auf den Kapverden zwischen Etappe eins und zwei. Man kann das Rigg mit einem Mobilkran zwar auch so stellen, das ist nicht das Problem. Aber der verbleibende Weg zum Etappenhafen ist mit gut 4.000 Seemeilen zu lang, die Maschine der Imocas zu schwach, die Geschwindigkeit unter Motor mit ca. 5 Knoten zu gering, um das Boot zeitig genug nach Newport zu bringen – was ohnehin mehrfaches Bunkern von Diesel erfordern würde. Unter Notrigg oder Maschine wäre „Holcim – PRB“ einen Monat unterwegs. Diese Option scheidet also aus.

Eine weitere Option auf dem Seeweg wäre: „Holcim“ mit einem Spezialschiff per Kran an Deck hieven, direkt nach Miami oder Newport transportieren und zeitgleich den Mast von Lorient per Decksfracht nach Nordamerika schicken. Diese Möglichkeit wird derzeit ebenfalls erwogen und geklärt, ist aber gleichfalls zeitkritisch.

Boris Herrmann von Team Malizia hat bereits Kontakte hergestellt zwischen seinem Sponsor Kühne + Nagel und dessen Logistik-Experten sowie Kevin Escoffiers Team.

Der sicherste, weil schnellste Weg führt über Luftfracht. Nur – auch der ist extrem knifflig und vor allem: sehr, sehr teuer!

Welche Flugzeuge können ein 28-Meter-Rigg schlucken?

Die Kapazitäten der Luftfahrt sind nicht auf den Versand von Masten ausgelegt. Zwar spielt das Gewicht des Imoca-Riggs von mehreren Hundert Kilogramm keine nennenswerte Rolle; damit kommt jedes Passagierflugzeug klar. Es sind die Länge und die Belademöglichkeit, die den Transport so schwer machen.

Denn die meisten konventionellen Flugzeuge sind in Sektionen unterteilt, wie Thomas Kölbl vom Münchner Spezialunternehmen CargoWings gegenüber der YACHT erklärte. „Eine Boeing 737 hat Abteilungen von maximal 10 Meter Länge“, sagte er heute Früh. „Und die Frachträume werden über seitliche Türen beladen.“ Damit scheidet die gängigste Versandvariante, die auch sofort weltweit buchbar wäre, aus. Es braucht spezielle Frachtflugzeuge.

Aber da sind die Kapazitäten begrenzt, wie Andreas Wald von Chapman Freeborn weiß, einem weltweit tätigen Charterunternehmen, das für Fälle wie diesen prädestiniert ist. „Wegen der Länge des Masts ist eine Beladung nur durch Nase und Heck möglich“, sagt der Vertriebsmanager. „Und es braucht schon einen der größten verfügbaren Frachter“.

Die russische Iljushin zum Beispiel wäre dafür zu klein. In Frage käme eine Antonov 124, die aber wegen des Kriegs in der Ukraine einer „extremen Markverknappung“ unterliegt, wie Andreas Wald sagt. Der Betreiber, ein ukrainischer Carrier, muss mit den begrenzten Ressourcen aufgrund der Zerstörung weiter Teile seiner Flotte jetzt mit wenigen Flugzeugen den gesamten Betrieb aufrechterhalten. Das macht einen Flug etwa nach Brasilien praktisch unbezahlbar: “1,5 bis 2 Millionen Dollar”, schätzt der Experte von Chapman Freeborn.

Deutlich günstiger käme ein Transport mit einer Boeing 747 mit „Nose Door“, die teils sogar im Linienverkehr eingesetzt wird. Sie könnte den Mast laden. Die Kosten lägen aber immer noch im sechsstelligen Euro-Bereich, nach YACHT-Informationen mindestens 300.000 bis 400.000 Euro. Und es fliegen nur wenige Maschinen regelmäßig Südamerika an.

Wohin für Mast und Boot?

Womit sich eine weitere Frage stellt, nämlich die nach der besten Destination. Sie hängt von der Manövrierbarkeit des Imocas ab, die derzeit noch nicht geklärt ist, aber auch vom engen Zeitplan.

Denkbar wäre, den Mast und das Boot nach Port of Santos südöstlich von São Paulo zu dirigieren oder nach Recife. Dann müsste das Team dort riggen, um anschließend auf eigenem Kiel dem Feld hinterher nach Newport zu laufen, außerhalb der Wertung. Aber auch eine Destination wie Miami wäre mach- und denkbar.

Nach jüngsten Informationen der YACHT aus Frankreich wird der Ersatzmast wohl noch heute, spätestens morgen verschifft. Wohin, ist noch nicht bestätigt.

Wie auch immer die Entscheidung am Ende ausfällt: Es wird ein Rennen mit der Zeit.