Den Winter des Jahres 1973 läutete in Bosund unaufhörlicher Schneefall ein. In 400 Kilometer nördlicher Entfernung von Helsinki setzt auch heute noch der Frost Ende September ein, und die Eisdecke verschwindet erst gute drei Monate nach der boot Düsseldorf von der Ostsee. Genau hier nahm die Unternehmung, die später unter dem Namen Baltic Yachts bekannt werden sollte, mit der Errichtung einer Rundbogenhalle ihren Lauf; umgeben von Pinienwäldern und in – wie es eine ältere Werftpublikation nennt – „herrlicher Abgeschiedenheit“.
Neben der inselreichen Küste ist die Region Ostbottnien, die jahrhundertelang zu Schweden gehörte, bekannt für ihre exzellenten Bootsbauer. Dazu zählen auch die Baltic-Gründer Per-Göran „PG“ Johansson, Tor Hinders, Nils Luoma, Ingmar Sundelin und Jan-Erik Nyfelt. Sie alle gaben ihre Arbeit bei Nautor’s Swan auf, weil man dort ihren neuen Leichtbauweg nicht mitgehen wollte.
Der deutsche Baltic-Händler Walter Meier-Kothe erinnert sich: „PG war Projektmanager für die Swan 65 ‚Sayula‘, die er so leicht wie möglich bauen wollte. Nautor beharrte aber auf der GFK-Standardversion.“ Im Sieg von „Sayula“ beim ersten Whitbread-Race 1973/74 sah Nautor eine Bestätigung, gleichzeitig wuchs der Druck auf Johansson und seine Mitstreiter. Sie wollten die Sandwich-Bauweise mit Balsaholz-Kern und, auch das ein Novum, unidirektionalen Glasfasergelegen etablieren. Aber die fünf brauchten einen Riss und Stücklisten, also eine exakte Übersicht über alle Komponenten. Das gab keine Werft und kein Konstruktionsbüro einfach so heraus.
Zu der Zeit beabsichtigten die Kanadier von C&C, in Europa zu wachsen. Da Sparkman & Stephens bereits mit Nautor Erfolge auf dem alten Kontinent feierte, wollte man Vertretungen aufbauen, um die eigenen Designs von unterschiedlichen Werften bauen zu lassen. Die expansionswilligen Kanadier und die experimentierfreudigen Finnen fanden zusammen und realisierten nach Tanktests die C&C 46 „Diva“ für das kanadische Admiral’s-Cup-Team. Mit 12,1 Tonnen war sie vergleichsweise leicht, steif und schnell.
In Deutschland vertraten Michael Schmidt und Rolf Vrolijk C&C Yachts und zeigten die finnische 46 im Herbst 1974 auf der Hanseboot in Hamburg. In ihrem Dunstkreis bewegte sich auch Walter Meier -Kothe, der alsbald in das Geschäft einstieg: „Nach der Arbeit traf ich in der Segler -Villa an der Elbchaussee auf Michael Schmidt. Als Schiffsmakler hatte ich einen Anzug an, da kam ihm die Idee, dass man es mit mir versuchen könnte, die teuren Boote zu verkaufen.“
Ein C&C -Büro in Hamburg wurde eröffnet, und die Kundschaft kam. Thomas Friese orderte einen 42 Fuß langen IOR -Zweitonner, ursprünglich für den Admiral’s Cup. Doch zu den Ausscheidungs-Rennen für die 75er-Ausgabe kamen nach dem deutschen Außenseitersieg 16 Boote, und „Tina i-Punkt“ war nicht unter den drei Schiffen, die später auf dem Solent antraten. Baltic nutzte die Rumpfform für die dann 21-fach gefertigte C&C 42. Das erfolgreichste Serienmodell maß 39 Fuß und wurde innerhalb von sechs Jahren 74-mal gebaut. Es gab sogar einen 33-Fußer, aber auf den Rümpfen stand immer noch C&C.
Mit der Verpflichtung des US-Konstrukteurs Doug Peterson wurde Baltic Yachts als eigenständige Marke aus der Taufe gehoben. Die DP-Modelle waren die ersten, die vollständig auf dem Computer entworfen wurden. Ende der siebziger Jahre ging man bereits dazu über, kleinere Teile aus Carbonfasern herzustellen. Auch das Vakuumhärten in Folien, zunächst für Ruderwellen, Skegs und zur Versteifung beanspruchter Rumpfbereiche, wurde schon praktiziert. Baltics waren schnell, und Walter Meier-Kothe erkannte die Werbewirkung von Dickschiff-Regatten: „Von Anfang an verteilten wir uns auf die von uns verkauften Boote, um gute Ergebnisse zu erzielen.“
Stetig lotete die Werft die Grenzen der Komposit-Bauweise aus, nutzte statt Balsa leichtere Kerne aus Schaum und Carbonfasern
Mit Konstruktionen von Judel/Vrolijk wuchs die Eigenständigkeit. Von der 1984 erstgewasserten Baltic 35 verließen insgesamt 45 Exemplare das finnische Bosund. Die Bremerhavener zeichneten die 63-Fuß-Racer „Saudade“ und „SiSiSi“, die aufgrund einer Anhebung der Mindestlänge auf 80 Fuß nicht in der Maxi-Klasse starten durften. Baltic gehörte mittlerweile der Hollming-Gruppe. Als die finnischen Schiffbauer den Satelliten 1990 veräußern mussten, wurden 34 Manager und Mitarbeiter, darunter PG Johansson und Jan-Erik Nyfelt, unmittelbar zu Werfteigentümern.
Stetig lotete Baltic die Grenzen der Komposit-Bauweise aus, nutzte statt Balsa leichtere Schaumkerne und laminierte seit Ende der achtziger Jahre Carbon- und Kevlarmatten mit Epoxidharz und unter Vakuum. Fünf Jahre später legte der erste Supersegler ab, die von einem Deutschen bereederte „Anny“. Die 26 Meter sahen mit Deckshaus und Targabügel nach Cruising aus, nahmen aber rege an den aufkommenden Superyacht-Regatten teil. Mit der Baltic 67 „Aledoa 4“ baute man 1996 den ersten Cruiser-Racer nahezu vollständig aus Prepreg-Carbon. Die vorimprägnierten Kohlefasern kamen kurz darauf für „Loftfari“ auch auf Nomex-Kernen im Innenausbau zum Einsatz.
Der gleiche deutsche Eigner, SAP-Mitbegründer Hasso Plattner, nahm 2002 die fast 45 Meter lange „Visione“ entgegen. Eine Bau-Anekdote besagt, dass der Tender abgelehnt wurde, weil er nur wenige Kilogramm schwerer war, als vom Zulieferer spezifiziert. Den feinen Sinn für das Leichte, der nie in Leichtsinnigkeit übergeht, bewahrte sich Baltic immer. Den Canting Keel führte man 2000 an der Baltic 78 mit unter der Wasserlinie liegender Mechanik und Hydraulik ein.
Nach diversen Erweiterungen in Bosund wurde 2010 ein zusätzlicher Standort am Wasser im 20 Kilometer nördlich gelegenen Jakobstad errichtet, wo ein Jahr später mit der fast 60 Meter messenden „Hetairos“ die größte Komposit-Segelyacht der Welt ablegte. Doch die Auswirkungen der Finanzkrise machten auch vor Baltic Yachts nicht halt. Trotz guter Auftragslage gab es keine Bankgarantien mehr.
Eigner wurden zu mobilisieren versucht. „PG kontaktierte aus dem Ruhestand Hans Georg Näder“, entsinnt sich Walter Meier-Kothe. Der Händler hatte dem Orthopädietechnik-Unternehmer 1999 zu seiner ersten 30-Meter-Baltic verholfen, natürlich namens „Pink Gin“. Im März 2013 erwarb Näder über die Ottobock Holding 80 Prozent der Firmen-Anteile. Zu dem Zeitpunkt segelte er auf 46 Metern (2006). Die 54 Meter lange und kürzlich verkaufte „Pink Gin VI“ sorgte 2017 mit Hai-Kielbombe für Aufsehen.
Das 50-jährige Jubiläum feierte Baltic mit einem Mittsommer-Fest und einer Regatta vor Sardinien, wo die Ur-Baltic „Diva“ als überholte „Queen Anne“ antrat. Nächstes Jahr macht die Werft sich ein verspätetes Geschenk, das etwas wehmütig stimmt. Die dann abgeschlossene Kapazitätserweiterung in Jakobstad geht einher mit der Schließung des Gründungsstandorts in Bosund.