Jochen Rieker
· 04.04.2023
Robertson & Caine ist Südafrikas bedeutendster Bootsbauer und eine der größten Kat-Werften der Welt. Ein neuer Investor sieht noch mehr Potenzial. Porträt eines sympathischen Riesen
Zehntausende Segler auf der ganzen Welt kennen ihre Boote – wenn auch unter anderem Namen. Als Sunsail 454 oder Moorings 4200 laufen die Kats aus Kapstadt weltweit in Charter. Von der Werft aber haben nur wenige etwas gehört. Dabei blickt sie auf eine im Mehrrumpf-Markt lange und einzigartige Geschichte zurück.
Tatsächlich kann man Robertson & Caine in der bunten Welt des Yachtbaus als eine Art „Hidden Champion“ sehen. Zwar hält das 1991 gegründete Unternehmen in Stückzahlen wie in der Breite der Modellpalette einigen Abstand zu Weltmarktführer Lagoon. Mit Fountaine Pajot und Bali sind die Südafrikaner, die ihre Modelle unter der Eigenmarke „Leopard“ verkaufen und in vielerlei Hinsicht den Status eines Ausnahmebetriebs haben, aber ungefähr gleichauf.
Die jahrzehntelange Lizenzfertigung für Moorings, später auch für Sunsail, hat ihren Fahrtenkats zu enormer Popularität verholfen. Insbesondere in der Karibik, Florida und den Bahamas haben die Boote aus Südafrika lange Zeit den Chartermarkt dominiert und prägen ihn heute noch.
Aufgrund der nahezu ganzjährigen Nutzung in diesem ihrem Stammrevier und der teils sportlichen Segelbedingungen im Passat gelten die Katamarane von Robertson & Caine seit jeher als besonders robust. Eine Einschätzung, die auch der Tatsache geschuldet ist, dass die Auslieferung fast aller Schiffe bis vor wenigen Jahren auf eigenen Kielen erfolgte – von Kapstadt direkt in die Karibik oder nach Europa.
Diese lange gepflegte Eigenheit begründete den Ruf besonderer Seegängigkeit. Sie erinnert an den Imagegewinn, den deutsche Autohersteller daraus ziehen, dass zwischen Flensburg und Garmisch kein generelles Tempolimit auf Autobahnen gilt. Ein Mythos zwar, aber für die Vermarktung hilfreich und folglich bis heute gepflegt.
Es wäre freilich eine unzulässige Verkürzung, die Modellpalette einzig auf ihre Rauwasser-Tauglichkeit zu reduzieren. Die hat ihren Ursprung ohnehin nicht nur in der jahrelangen Überführungspraxis unter Segeln, sondern mindestens ebenso sehr in den Bedingungen vor Ort in Kapstadt. Dort, in diesem Mekka der Surfer, wechselt das Wetter mitunter binnen Stunden, und der „Cape Doctor“ genannte Südostwind schickt gern heftige Böen den Tafelberg hinunter, sodass die See zu kochen beginnt. Wer da Boote konzipiert, baut und erprobt, weiß ganz genau, was sie bisweilen wegstecken müssen.
Außer durch ihre Nehmerqualitäten zeichnen sich Robertson & Caines Leoparden aber auch durch recht agile Segeleigenschaften aus. Den zwischenzeitlichen Trend zur Selbstwendefock haben sie ausgelassen, weil eine überlappende Genua bei Leichtwind mehr Vortrieb und geschrickt besseren Stand bietet.
Aber auch in Sachen Fahrtenkomfort setzen die Südafrikaner immer wieder Akzente, etwa mit der Einführung des vom Salon aus erreichbaren Vorschiffscockpits. Anders als die Plicht achtern, bietet dieses Deckslayout zusätzliche Sitzgelegenheiten dort, wo stets ein Brisenstrich weht, ob unter Segeln oder vor Anker. Die Tür am vorderen Aufbau verbessert obendrein die Belüftung im Schiffsinneren. Alle Typen des aktuellen Segel-Katamaran-Programms verfügen über das Arrangement: vom Leopard 42 bis zum Leopard 50. Die Motor-Kats bieten vom Salon aus ebenfalls einen Austritt nach vorn.
Wie die Boote selbst folgt auch ihre Fertigung eigenen Wegen – manche historisch bedingt, andere von den Gegebenheiten vor Ort bestimmt. Das vielleicht Verblüffendste an Robertson & Caine ist, dass es bis heute die eine Werft gar nicht gibt.
Vielmehr verteilt sich die Produktion auf nicht weniger als fünf Standorte im Industriegebiet östlich des Stadtzentrums. Vier Hallen im Fußballstadionformat sind dem eigentlichen Bootsbau gewidmet. Der fünfte Komplex, zugleich der modernste und effizienteste, dient dem computergesteuerten Holzzuschnitt und der Möbelmontage. Zusammen sind es 60.000 Quadratmeter. Die fragmentierte Struktur, nach und nach gewachsen, bietet Vor- und Nachteile. Sie erschwert die Logistik, weil Motoren, Beschläge, Ladegeräte, Elektronik nicht zentral angeliefert und direkt eingebaut werden können. Dasselbe gilt für Harze, Glasfasermatten, Schaumsandwichkerne. Wo andere Serienwerften alle oder fast alle Modelle unter demselben Dach produzieren, an ein oder zwei Bändern, arbeitet Robertson & Caine stark zergliedert.
Dadurch reduziert sich an der Linie aber die Komplexität erheblich, was den Einsatz weniger gut ausgebildeter oder neu angeworbener Bootsbauer und Monteure vereinfacht. Die am meisten nachgefragten Modelle, der Leopard 45 und der 40 Power Cat, haben jeweils eigene, dedizierte Werke, die nichts anderes produzieren als diesen einen Typ. Das vereinfacht die Einarbeitung und das Abstellen von eventuellen Fertigungsmängeln, sofern sie bei der Abnahme am Ende des Bandes erkannt und zurückverfolgt werden.
Insgesamt zwei Qualitätsprüfungen durchläuft jedes Boot vor dem Abtransport. Bis der Schwerlasttransporter anrückt, müssen alle Macken, Kinken und Funktionsstörungen beseitigt sein. Dafür gibt es modellspezifische Prüflisten und unabhängig von den Monteuren arbeitende Meister. Mitunter wuseln an dieser letzten Station fünf, sechs Spezialisten durchs Schiff.
Damit aber ist es noch nicht getan. Von der Werft geht es nachts per Lkw zur Auslieferungs-Pier am Yachtclub, wo jeder Kat probehalber geriggt wird und alle Aggregate stundenlang einem umfassenden Funktionstest im Wasser unterzogen werden.
Da liegen dann fünf, sechs, zehn Boote in Reihe, mit laufenden Maschinen, leise brummenden Generatoren, Kühlluft produzierenden Klimaanlagen. Erst nach Passieren dieser dritten Prüfstation sind sie fertig zur Auslieferung, die inzwischen beinah durchweg per Frachter erfolgt, meist an Deck, mit stehendem Mast, sofern dies möglich ist.
2.300 Mitarbeiter an fünf Standorten: Die Werft verfügt über die höchste Fertigungstiefe der großen Fahrtenkat-Hersteller
Auch darin unterscheidet sich Robertson & Caine von den französischen Mitbewerbern. Während die Europäer aufgrund hoher Lohnkosten und eines zunehmenden Mangels an Arbeitskräften ihre Fertigung bereits weit stärker standardisiert und industrialisiert, Prozesse vereinfacht, Wege verkürzt haben, Kontrollen laufend statt vorwiegend zum Schluss durchführen, können die Südafrikaner personell aus dem Vollen schöpfen.
Für eine Jahresproduktion von um die 200 bis 225 Katamarane beschäftigt der Betrieb in Kapstadt derzeit 2.300 Mitarbeiter. Zum Vergleich: Fountaine Pajot schafft das gleiche Pensum mit 600 Angestellten, kaum mehr als ein Viertel. Allerdings reicht die Fertigungstiefe bei Robertson & Caine viel weiter als bei der Konkurrenz, die mehr Halbzeuge zukauft und weniger selbst produziert.
So baut die Leopard-Crew von Geschäftsführer Theo Loock ihre Rumpf- und Decksformen selbst, fräst die Schaumsandwichkerne im Betrieb und klebt Kantenumleimer in Eigenregie auf die Sperrholzplatten, aus denen später der Ausbau entsteht. Das erklärt den personellen Mehraufwand jedoch nicht in Gänze. Dieser hat auch mit der teils geringeren Qualifikation der Arbeiter zu tun, vor allem aber mit deren ungleich geringeren Bezahlung. Der Betrieb kann es sich einfach leisten, mehr Menschen zu beschäftigen.
Das geht sogar so weit, dass Theo Loock bei seinem Einstieg ins Unternehmen vor zweieinhalb Jahren bewusst mehr in Qualität investiert und dafür die Produktionszahlen begrenzt hat. Obwohl mit der derzeitigen Infrastruktur auch 250 Katamarane pro Jahr machbar wären, beschloss der von Mitbegründer John Robertson geholte Topmanager, die Kapazität bewusst nicht auszuschöpfen. Stattdessen hat er inmitten der Corona-Pandemie Weiterbildung, Mitarbeiter-Bindung und Teamgeist gefördert, womit er das ganze Unternehmen mobilisieren konnte.
Nach und nach modernisiert Loock seither die Fertigung. Insbesondere im GFK-Bereich, aber auch in der Tischlerei steht Robertson & Caine den Besten nicht mehr nach. Rümpfe und Decks werden zunehmend im Vakuum-Infusionsverfahren laminiert, was einen homogeneren, stärkeren Faserverbund gewährleistet. Als Harz kommt Vinylester zum Einsatz, für hohen Osmoseschutz NPG-Gelcoat. Kleinere Bauteile wie Lukendeckel entstehen im RTM-Verfahren (Resin Transfer Moulding), was ein beidseitig perfektes Oberflächenfinish ergibt.
So weit weg vom europäischen Zentrum des modernen Yachtbaus der Betrieb in Kapstadt liegen mag, so anders die Philosophie, so groß der Personalaufwand – technisch müssen sich die Südafrikaner keinesfalls verstecken. Sie agieren vielmehr auf Augenhöhe. Für ihre Solidität und Praktikabilität sind sie selbst bei den Wettbewerbern geschätzt, gelten gar als Benchmark, auch wenn das nur im kleinen Kreis eingeräumt wird.
Und wer weiß: Vielleicht liegt die beste Zeit von Robertson & Caine erst noch voraus. Mitte Februar hat Vox Ventures, ein Unternehmen der tschechischen Investorengruppe PPF, die zusammen mit der Beneteau-Gruppe die Mehrheit am weltgrößten Charterunternehmen Dream Yachts hält, die Übernahme der Werft bekannt gegeben.
Mitbegründer John Robertson hat die Leitung schon vor Jahren abgegeben. Sein Sohn aber bleibt als Kontinuum in der Firma
Befragt zu den Gründen der Akquisition, sagte Didier Stoessel, Chief Investment Officer von PPF, dass „die Qualität der Arbeit, die Fähigkeiten und das Knowhow der südafrikanischen Bootsbauer“ den Ausschlag gegeben hätten. Auf dieser „Exzellenz“ wolle sein Haus bei der Weiterentwicklung der Marke aufbauen.
Für John Robertson, der den Betrieb zusammen mit Jerry Caine vor 32 Jahren gegründet und groß gemacht hat, heißt es jetzt, ganz loszulassen. Doch mit Wehmut hält sich der hemdsärmelige Macher, der sich einst mit dem Bau leichter Einrumpf-Regattayachten Ansehen in der Region erworben hatte, nicht lange auf. „Obwohl es ein bittersüßer Moment ist, bin ich zuversichtlich, dass unser Erbe weiter wachsen wird.“
Das Portfolio wohl auch. Intern ist die Rede davon, dass im Bereich der Segel-Katamarane ein neues Topmodell kommen soll – ein Nachfolger des Leopard 58. Größere Einheiten geben die derzeitigen Bänder nicht her.
Franck Bauguil, der die weltweite Vermarktung der Robertson-&-Caine-Produktion leitet, sieht den Exklusiv-Vertrieb durch die PPF-Übernahme nicht in Frage gestellt. „Die langjährige Verbindung mit Moorings und Sunsail ist hier, um zu bleiben.“