Svante Domizlaff
· 13.04.2023
Update 13.4.2023: Gerade hat Baunummer 2 des Baltic 68 Café Racer die Werft in Finnland verlassen. Gegenüber dem unten beschriebenen ersten Modell gibt es ein paar Unterschiede. Während der erste Baltic 68 Café Racer die Verwendung nachhaltiger Baumaterialien, die Entwicklung elektrischer Antriebe und die Range-Extender-Technologie erforschte, ist “Open Season” mit einem Sprint-Carbon-Rumpf und einem Prepreg-Nomex-Deck auf Leistung optimiert. Die prognostizierte Verdrängung der “Open Season” beträgt 20,6 Tonnen, sie wäre damit fast zwei Tonnen leichter als die “Pink Gin Verde”. Im Gegensatz zu ihrer Doppelruderschwester ist die “Open Season” mit einem einzigen Ruder ausgestattet. Das Boot soll im Sommer seine ersten Probeschläge segeln.
Artikel vom 31.1.2023:
Eine rassige 22-Meter-Yacht für die kleine Crew, angetrieben nur von Wind- und Elektroenergie: Mit ihrem Café Racer Baltic 68 nimmt die finnische Werft Nachhaltigkeit beim Wort. Wir waren in Porto Cervo an Bord
Denkt man an romantische Stunden zu zweit an Bord, dann liegt die Vorstellung einer Gondelfahrt durch Venedigs Kanäle nahe. Eine erhebliche Portion Fantasie wäre nötig, verlegte man den Traum von Zweisamkeit auf eine 20,73 m lange Maxi-Segelyacht. Doch mit Hilfe der für ihre ebenso solide wie innovative Bootsbaukunst bekannten Baltic-Werft ist die Erfüllung dieses Traums gerade ein gutes Stück näher gerückt.
Anlässlich der Regatten um den Maxi Yacht Rolex Cup im Herbst letzten Jahres vor Porto Cervo, Sardinien, stellten die Finnen den Baltic 68 Café Racer der Öffentlichkeit vor. Mit seinem eleganten carbonschwarzen Rumpf, den nachtschattendunklen Doyle-Segeln und einem hellen Teakdeck-Look macht der auf den Namen „Pink Gin Verde“ getaufte Maxi-Daysailer sogar im illustren Kreis der Superyachten Bella Figura.
Die Bezeichnung „Café Racer“ erinnert an eine Subkultur im England der frühen 1960er-Jahre, als in der halbstarken Rockerszene hochfrisierte, auf wesentliche technische Elemente reduzierte Motorräder Kultstatus besaßen. Der Spaß nahm seinen Ausgang im legendären Londoner Ace Cafe und bestand darin, mit den Knatterbüchsen die Distanz von der Kneipe bis zum nächsten Kreisverkehr und zurück zu rasen, noch ehe eine zuvor in der Jukebox ausgewählte Rock-’n’-Roll-Single abgedudelt war. Der Begriff „Record Race“ bürgerte sich ein, nach dem englischen Wort für Schallplatte.
Mit dem Café Racer will Baltic-Hauptgesellschafter Hans Georg Näder heute den Maxizirkus rocken. Seine Supersegler mit dem Namen „Pink Gin“ sind in der Szene längst Legende. Dass er seiner Neuerwerbung den Zunamen „Verde“ anfügte, hat seine guten grünen Gründe. Auf der Yacht stinkt und knattert nämlich gar nichts.
Die Idee zum minimalistisch aufgeräumten Daysailer im Maxiformat ist mehr als 20 Jahre alt und kommt aus Italien. Stolperfreie Decks, Segelbedienung auf Knopfdruck, großzügiges Innendesign und die Verwendung von leichten Carbonmaterialien bedeuteten einen Quantensprung im Yachtsport. Aber der Traum vom Törn zu zweit blieb letztlich unrealistisch. Realistisch war vielmehr eine Stammbesatzung, bestehend aus Skipper, Deckhand und Stewardess und einem dauerhaft brummenden Generator, der die Kraft zum Bedienen der Segel liefert und die Klimaanlage mit Strom versorgt.
Die bedächtigen Finnen mit ihrem hohen Qualitätsanspruch konnten in den letzten zwei Jahrzehnten selbst Erfahrungen mit solch modernen Formaten sammeln. Ihr 2014 gebauter 33 Meter langer Cruiser/Racer „WinWin“ beispielsweise setzte in der Superyachtszene ein Ausrufezeichen und imponiert auch auf Regattabahnen, allerdings mit Hilfe von zwei Dutzend muskulösen Mitseglern an Bord. Mit der Baltic 68 ist die Werft zu den Wurzeln des Maxi-Daysailers zurückgekehrt: ein zeitgenössisches Design auf dem Stand fortgeschrittener Umwelttechnik, pechschwarz, aber mit grünem Herzen. Das Design der Baltic 68 vertraute die Werft dem Konstrukteur Javier Jaudenes aus Palma de Mallorca an. Jaudenes ist zwar noch nicht allzu bekannt, hat sich aber als Konstrukteur von „WinWin“ längst für höhere Aufgaben empfohlen.
„Pink Gin Verde“ zeigt einen leicht negativen Deckssprung, einen deutlich negativen Steven und ein breites, flaches Heck mit angehängten Doppelrudern, die das Steuern bei raumen Kursen erleichtern. Ganz unten hängt ein vier Meter tiefer, 8,2 Tonnen schwerer Kiel mit Bombe. Alles State of the Art, versteht sich. Ein flach gehaltenes Deckshaus liegt mittschiffs, dahinter stehen zwei U-Sofas mit Tischen ohne permanentes Dach. Die Open-Air-Salons sind typisch für Daysailer. Scheint die Sonne zu heiß, wird ein Bimini aufgespannt. Auf ein Spraytop über dem Niedergang und ein schützendes, gegen überkommendes Wasser abgrenzendes Cockpit wird konsequent verzichtet. Man will doch die schönen Ankerbuchten im Mittelmeer erkunden und den Sonnenuntergang bei Capri und nicht die finnischen Schären am Polarkreis.
Auf dem Deck stört nichts. Achtern stehen die beiden Steuerräder mit Navigationsbildschirmen und der Knopfleiste für die Segelautomatik, daneben Konsolen für jeweils zwei elektrische Winschen, ferner ein Schlitz, durch den die vier spinnenwebfeinen Parten der Großschot geführt werden. Auf dem Vorschiff sieht man zwei plan abschließende Decksluken – kein Stolperdraht, nirgendwo, nur zwei Löcher im Deckshaus, durch die die Fockschoten gefahren werden. Es gibt auch keine Treppen oder Absätze. Das tief liegende Achterdeck ist mit dem höheren Vorschiff über ein flach ansteigendes Seitendeck verbunden, rollatorgerecht.
Doch kommen wir zum Thema Zweihandsegeln und dazu, wie die Technik dabei hilft. Die Baltic 68 trägt ein schwedisches Marstrom-Rigg mit weit außen am Rumpf liegenden Wanten und stark nach achtern gepfeilten Salingen. Bei dieser Anordnung werden weder ein Achterstag noch laufende Backstagen benötigt. Am Heck hängt also nichts mehr lose in der Gegend herum. Diese Verstagung macht sogar ein strömungsgünstiges Großsegel mit ausgestelltem Fathead-Top möglich. Zum Bergen lässt man das Großsegel in die Schale des Park-Avenue-Großbaums fallen. Die leicht überlappende Rollfock bringt Power auf Kreuzkursen, und wer auf raumen Kursen den Turbo einschalten will, kann das große Code-Zero-Vorsegel am fest installierten, weit hervorspringenden Bugspriet aus- und einrollen, Knopfdruck genügt. Mit dieser Besegelung, deren Schnitt insbesondere im Hinblick auf die speziellen Erfordernisse des Einrollens in Zusammenarbeit mit den Segelmachern von Doyle entwickelt wurde, verspricht das mit knapp 23 Tonnen außerordentlich leichte Schiff echte Racer-Qualitäten.
Aber wie ist das mit der Zweisamkeit? Tatsächlich wäre es wohl möglich, die Yacht von einem erfahrenen Pärchen bei moderater Brise unter Segel wieder in den Hafen zu bringen. Dafür ist das Schiff intelligent ausgelegt und dank seiner Knopfdruck-Automatisierung auch kein Kraftakt. Technische Ausfälle darf es hingegen nicht geben. Aber wenn nicht der legendären Baltic-Qualität, wem sollte man sonst vertrauen? Mit Freunden an Bord und einem professionellen Bootsmann zur Seite, der für die Pflege des Schiffes ohnehin unabdingbar ist, bietet der Café Racer zweifellos großes Vergnügen.
Die einfache Bedienbarkeit und Großzügigkeit an Deck der Yacht setzt sich unter Deck fort. Hier gibt es nur zwei Räume, die sich jeweils über die volle Schiffsbreite erstrecken. Im Vorschiff befindet sich die großzügig geschnittene Eignerkammer mit Bad en suite. Mittschiffs liegt ein weiträumiger Salon mit Küchenzeile sowie einer abgetrennten Tagestoilette. An Steuerbord schließt sich eine Gästekabine mit Doppelbett an, etwas spartanisch, denn sie liegt bereits im flachen Achterschiff und kann daher keine Stehhöhe bieten. Die Räume unter Deck lassen sich selbstverständlich individuell gestalten, Optionen von verschiedenen Designern sind bereits ausgearbeitet. Für die erste Baltic 68 wählten die Inneneinrichter von Design Unlimited vor allem helles Eichenholzfurnier und farbenfrohes Leder sowie Stoffe mit floralen Mustern. Für die Stirnwand des Salons und die Wand seiner privaten Kammer wünschte sich der Eigner eine Küstenlandschaft mit Palmen. Chacun à son goût. Die schmucke „Pink Gin Verde“ ist, so wie beschrieben, eine deutliche Bereicherung der Maxiszene. Nun kommt die Yacht aber in einer Zeit auf den Markt, in der Themen wie Klimakrise und Nachhaltigkeit dauerhaft im Gespräch sind.
Gerade auf diesem Gebiet kann die Baltic 68 deutlich punkten. Zwar gilt der Segelsport dank seines Windkraftantriebs als ausgesprochen umweltfreundlich; doch beim Bau von Yachten und ihren Hilfsantrieben geht noch viel schlechte Luft nach oben. Die Verwendung von ultraleichten Kohlenstofffasern für Rumpf, Deck und Rigg ist eine Voraussetzung für den Bau von Hochleistungsyachten, und die Herstellung von Carbonstrukturen geht mit einem hohen Verbrauch an fossiler Energie einher. Auch bei der Entsorgung von Kohlefasergeweben bestehen nach wie vor Probleme.
Für den Rumpf verwendet Baltic daher eine Verbundfaser, die je zur Hälfte aus Carbon und ampliTex-Fasern des Schweizer Herstellers Bcomp besteht. Die ampliTex-Fasern sind ein reines Naturmaterial, denn sie werden aus natürlichem Flachs hergestellt. Die hochbelasteten Teile des Rumpfs werden in der bewährten hochwertigen Carbon-Corecell-Sandwichbauweise hergestellt. Für Quer- und Längsstringer nimmt man Balsaholz als Kernmaterial. Die weniger stressrelevanten Teile der Einrichtung haben einen besonders dämmfähigen Polyethylen-Schaumkern aus Plastik-Recyclingmaterial.
Das Naturmaterial Kork, gewachsen auf nachhaltig angebauten Korkeichenplantagen in Portugal, ersetzt als Decksbelag die übliche traditionelle Teakholzausstattung. Das Material schadet keinem Tropenwald, es ist optisch und haptisch von Teak kaum zu unterscheiden, es wird mit einem Naturleim verklebt, ist rutschfest und rottet nicht.
Den konsequentesten Schritt in Richtung einer umweltfreundlichen Technik ist die Baltic-Werft beim Antrieb gegangen. Die Baltic 68 ist vollelektrifiziert: CO2-Abdruck: null. Die Batteriebänke im „Maschinenraum“ achtern liefern die Energie für zwei leichte 15-Kilowatt-Elektromotoren, die das Schiff bei ausreichender Ladung (mit Landanschluss) zum Leben erwecken. Sie liefern Strom für den Saildrive-Flautenschieber und das Bugstrahlruder zum Manövrieren im Hafen. Der Strom reicht für 13 Stunden Fahrt bei einer Geschwindigkeit von fünf Knoten. Strom betreibt auch die Winschen an Deck, die Fallen und Schoten, mithin die gesamte Bordelektrik auf und unter Deck. In sonnigen Gewässern wie dem Mittelmeer ist der Betrieb einer Klimaanlage Voraussetzung. Aircondition frisst bekanntermaßen nach dem Schiffsantrieb die meiste Energie an Bord. Die vier auf dem Deckshaus verlegten Sonnenkollektoren reichen laut Aussage der Werftingenieure aus, um die Klimaanlage dauerhaft im Eco-Modus zu betreiben.
Resümee: „Pink Gin Verde“ ist ein bildschönes Schiff mit wunderbar ausgewogenen Linien und einem leistungsfähigen Rigg. Die Verarbeitung entspricht der Qualität besten finnischen Bootsbaus. Die Knopfdruck-Bedienfreundlichkeit der Yacht hat einen neuen Standard erreicht. Eine Yacht dieser Größe, die ohne einen CO2-Abdruck unterwegs ist, dürfte auf dem Markt einzigartig sein. Grüner geht’s nicht. Dass „Pink Gin Verde“ viel mehr als ein Daysailer sein kann, hat sie längst bewiesen. Bei der Überführung von Palma de Mallorca nach Porto Cervo auf Sardinien im Spätsommer 2021 musste die Yacht zwei Tage und zwei Nächte gegen einen harten Ostwind anknüppeln. Ungemütlich, aber kein Problem. Besatzung: zwei Mann