Friedrich W. Pohl
· 01.04.2023
„Pink Gin“ taufte ihr Eigner Hans Georg Näder auch seine jüngste Slup. Mit 53,90 Meter Länge über alles rockt er den zurzeit längsten Carbon-Einmaster über die See. Die erste Baltic 175 versammelt dazu erstaunliche Innovationen
“Drei Jahre Planung, drei Jahre Bau.“ Mit knappen Worten beschrieb Hans Georg Näder Mitte Mai 2017 den Verlauf des Projekts „Pink Gin VI“. Näder hatte 2018 zum Launch der zu dem Zeitpunkt größten Carbonslup ins finnische Pietarsaari geladen. Dort gingen die knapp 54 Meter mit grauem Rumpf zu Wasser.
Gebaut hat sie Baltic Yachts im ein paar Kilometer entfernten Bosund. Baltic Yachts gehört Näder. Der Eigner ist hier seit 2013 auch Werftherr, und er kannte Baltic Yachts bereits vor fünf Jahren recht gut. Die Werft hatte ihm schon „Pink Gin“ serviert, 1999 die Baltic 97 und 2008 dann 152 Fuß, die „V“.
Nach Informationen von Baltic Yachts segelt Eigner Hans Georg Näder derzeit mit seiner „Pink Gin VI” und wird dabei zusätzlich von einem Explorer begleitet. Zum jetzigen Zeitpunkt steht die Segelyacht für 27.500.000 Euro zum Verkauf. Neben ihr werden auch Näders 43-Fuß-Yacht und die „Pink Gin Verde” verkauft. Letztere wurde 2021 gebaut und liegt derzeit vor der Balearen-Insel Mallorca.
Der Stones-Fan rockte im Jahr 2018 – das rote Stones-Zungen-Logo auf dem Rumpf von Näders Bombardier Challenger gibt darüber ganz klar Auskunft – mit seiner sechsten „Pink Gin“ die See. Und dieser Gin hat es in und auf sich. Näders Sechste summiert bestandene Herausforderungen, vor allem die größte: „Einen zeitlosen Stil entwickeln, eine Yacht, die zum Nutzungsverhalten des Eigners passt, starke Leistung bringt und dabei gefällig aussieht“, erklärt ihr Designer Rolf Vrolijk.
Überhaupt hieß die Aufgabe: „Lehren aus der Baltic 152 ziehen, sie verbessern und upgraden.“ Die Neue teilt die See mit einem steilen Vordersteven. „Deckslinien und Aufbau basieren auf der Vorgängerin.“ Vrolijk und Näder kennen sich seit nahezu Jahrzehnten. Man versteht sich. „Die neue ‚Pink Gin‘ sollte nicht länger als 50 Meter werden, um noch in Häfen wie Saint-Tropez festmachen zu können. Obwohl sie jetzt fast 54 Meter erreicht, passt sie trotzdem noch in viele Häfen“, ergänzt Vrolijk.
Zu den Verbesserungen gehört eine höhere Formstabilität: „Die erhöhte U-Gestalt des Rumpfes sorgt dafür. Wir begrenzten den Krängungswinkel auf maximal 20 bis 22 Grad, komfortabel und dennoch effizient. Reine Regattayachten werden für bis zu 27 Grad konstruiert.“ Mit einem Ballast von 75 Tonnen sei „Pink Gin VI“ steif genug. Das gesamte Kielgewicht von gut 80 Tonnen setzt sich übrigens neben der Kielbox, den Hydraulikzylindern und der Sperrmechanik aus 56 Tonnen für die Bleibombe und 18 Tonnen für die edelstählerne Finne zusammen. Die Bombe lässt sich von sieben Meter Tiefgang anheben und auf 5,56 Meter und 4,50 Meter arretieren, um auch in flacheren Buchten zu ankern.
Für den Leistungsgewinn spielt auch der Segelplan eine Rolle. Den legten die Entwickler von Vrolijks Bremerhavener Büro Judel/Vrolijk & Co für leichte mediterrane Winde und lange raume Kurse auf Ozeanüberquerungen aus. „Sie ist in erster Linie für weltweite Reisen konstruiert und braucht viel Segelfläche, die ihr hohes Sluprigg auch bietet.“ Bei moderaten Raumkursen wird sie um 13 und 14 Knoten erreichen. Bei leichten Winden wird sie nicht auf den Zwölfzylinder von MAN zurückgreifen müssen, der seine Kraft über ein Hundested-Getriebe mit Hundested-Propeller ins Wasser bringt.
„Die optimalen Segelbedingungen“, hat Vrolijks Team schon vor der Wasserung ausgerechnet, „wird sie bei 14 bis 16 Knoten nutzen.“ Ab 16 Knoten am Wind reduziert die Crew die Segelfläche. „Pink Gin VI“ setzt am Wind bei leichten bis mittleren Winden eine Genua, sonst ein schlank und hochgeschnittenes Blade-Segel und eine Arbeitsfock am inneren Stag. An der Kreuz stehen mit Großsegel und Blade 1.322 Quadratmeter. Raumschots ziehen mit dem pinkfarbenen asymmetrischen Monstersegel 2.593 Quadratmeter am Boot.
30 Knoten in der Spitze sind auf diesen Kursen möglich. Das Asymmetrische wiegt eine Vierteltonne und lässt sich mit der Muskelkraft der Crew nicht mehr bewältigen. Beim Setzen und Bergen hilft eine von Baltic entwickelte ferngesteuerte Trommel aus Kohlefasern mit zwei Meter Durchmesser in der Vorpiek.
Segelstellung und Yacht lenkt der junge mallorquinische Kapitän Oscar Vallejo aus dem mittleren Cockpit – einem von drei – mit einem der beiden Steuerstände. Die Steuerung gehört zu den ausgefallenen Novitäten mit dem Namen Force Feedback Steering System – eine Innovation von Baltic Yachts. Trotz des Ruderdrucks auf dem riesigen vier Meter tief gehenden Blatt spürt der Rudergänger nur seidenweichen, jedoch relativ zunehmenden und abnehmenden Widerstand wie auf einem kleinen Boot mit direktem Kontakt zum Quadranten. Elektronische Sensoren machen’s möglich.
Die Ergonomie des Deckslayouts mit drei Cockpits entschied der Eigner. „Sie spiegelt die Nutzung wider“, erklärt Vrolijk. Im achterlichen Cockpit hinter der Baumnock beten Eigner und Gäste entspannt die Sonne an, komplett getrennt vom großen Steuer- und Kontrollstand davor. Weiter vorn lädt das dritte Cockpit mit einer Bar ein, samt Speiseplatz unter freiem Himmel.
Den verwandeln vor Anker ein Sonnensegel über dem Baum und zwei Kandelaber aus Muranoglas unter dem Baum – ein Entwurf der „Pink Gin“-Interieurdesigner von Design Unlimited mit Ausführung durch den Pariser Beleuchtungsspezialisten Veronese – in einen geschützten Al-fresco-Speisesalon. Zusammen mit Blumenschmuck und Topfpflanzen wirkt dieses große mittlere Cockpit wie eine Terrasse mit Seeblick rundum, mit direktem Zugang zum ersten, oberen Salon im Deckshaus. Der dient musikalischem Vergnügen. Dafür sorgt ein selbst spielender kleiner Carbonflügel der englischen Pianobauer von Edelweiss aus Cambridge an Backbord, eine Einzelanfertigung mit Tasten aus Mooreiche.
Gegenüber nimmt das Publikum auf einem U-Sofa im Chesterfield-Stil mit kleinem Speisetisch, ebenfalls aus Mooreiche, Platz, um dem elektronischen Pianisten zu lauschen. Tisch und Piano beleuchten Baccarat-Lüster, Lachsleder bedeckt Säulen in der Mitte des Salons. Den zweiten, zwei Stufen tiefer gelegenen Speiseplatz voraus an Backbord schmückte der Holländer Marcin Rusak mit getrockneten Blumen und Laub, eingelegt in halb durchsichtiges Harz. Den Leuchter über dem Tisch erbte Hans Georg Näder von seiner „Pink Gin V“. Er hing an ihm. Ebenso wenig konnte er von der großen Vuitton-Reisekiste lassen; auch sie hat bereits auf seinem vorherigen segelnden Gin-Palast gedient und bildet das Zentrum der Sitzgruppe gegenüber vom großen Speisetisch.
Die Werft selbst kümmerte sich im Salon um die Bodenbretter aus gerauchter Eiche, angestrichen mit Gold, dann Silber und danach bewusst unregelmäßig geschmirgelt, um die Schichten stellenweise freizulegen. So sieht kostbar hochgebrezelter Shabby Chic aus. Vor den Salons montierte die Werft vier Gästekabinen, davon zwei mit Doppelbetten, eine größere für VIPs ausgelegt.
Die Eignersuite baute die Werft im Bug ein. Näder, der nicht böse ist, wenn er seinen Professorentitel liest, ließ es auch bei Schlafraum, Bad und begehbarem Schrank nicht an den höchst kostspieligen Schäbigkeiten fehlen. Seidenmalereien des kubanischen Künstlers Roberto Fabelo schmeicheln zwar dem Studio, sorgsam komponierte Puzzle-Paneele aus Rumpfhölzern abgewrackter kubanischer Fischerboote untermalen jedoch die augenzwinkernde Bescheidenheit.
Zu den herausragenden Elementen gehören zwei Balkone, die sich wie Seitenluks öffnen. „Normalerweise werden auch bei großen Segelyachten alle Dinge erst hoch aufs Deck gehievt und dann wieder nach unten verstaut“, erläutert Vrolijk. Das gilt nicht nur für Vorräte und Gepäck; warum sollten nicht auch Gäste und Crew direkt von Land zu ihren Unterkünften kommen können? Die Klappe des Backbordluks erlaubt das. Sie dient als gemeinsamer Zugang. Die Crew findet ihre Unterkünfte direkt von hier aus im Heck. Der Balkon steuerbords jedoch gehört dem Eigner. Ersterer klappt neben dem Kingsize-Bett aus der Suite.
Acht Crew-Köpfe braucht „Pink Gin VI“ zur technischen Bedienung und gastfreundlichen Betreuung. Neben dem Kapitän, seinem Ersten Offizier und dem Ingenieur wohnen im Heck noch zwei Deckshände, zwei Stewardessen und der Chef. Mit ihnen, Freunden und Familie steuerte Hans Georg Näder gegen Ende des Jahres 2018 auch gern Uruguays Küsten an. „Pink Gin VI“ ist schließlich für Passagen dieser Art ausgelegt.