MeinungFakten oder Fiktion?

YACHT-Redaktion

 · 20.05.2023

Meinung: Fakten oder Fiktion?

YACHT-Woche – Der Rückblick


Liebe Leserinnen und Leser,

es ist endlich so weit - die neue Segelsaison startet! Es wird Zeit, wieder raus aufs Wasser zu gehen, die Segel zu setzen und das warme Wetter sowie den guten Wind zu genießen. Es gibt kaum etwas Schöneres, als sich auf dem Wasser treiben zu lassen und die Freude und gute Laune zu spüren, die mit dem Segeln einhergehen.

Egal, ob ihr bereits erfahrene Segler seid oder das erste Mal in einem Boot sitzt, das Segeln ist eine Leidenschaft, die uns alle verbindet. Vom Nervenkitzel des perfekten Windes bis hin zur Kameradschaft bei einer Regatta, das Segeln verspricht stets unvergessliche Erlebnisse und Abenteuer in der Natur.

Hand aufs Herz, haben Sie gleich gemerkt, dass bis hierher der Text von einem sogenannten KI-Programm geschrieben ist? Erschreckend, aber zugleich auch irgendwie faszinierend, wie täuschend echt, um nicht zu sagen: authentisch, sich die Zeilen lesen – nicht wahr?

Zugegeben, eine neue Erkenntnis ist das nicht. Über Programme wie ChatGPT oder Bing wurde in den vergangenen Wochen viel und kontrovers debattiert. Allein, ein Zurück wird es meines Erachtens nicht mehr geben. Auch in die Medienlandschaft wird die künstliche Intelligenz Einzug halten, dessen bin ich mir sicher. Allein schon aufgrund der allgegenwärtigen Sparzwänge der Verlage. Warum noch teure Redakteure bezahlen, wenn der Computer Gleiches leisten kann, dazu schneller und kostengünstiger?

Doch stopp, ist uns die KI tatsächlich schon ebenbürtig oder gar überlegen? In Teilbereichen mag das der Fall sein. Eine allgemeine Mail-Begrüßung schreiben, das kann das Programm schon recht ordentlich, wie man am Beispiel oben sieht. Über die stilistischen Mängel wie die diversen Wortwiederholungen, die ich als Textchef rausstreichen würde, will ich an dieser Stelle einmal hinwegsehen.

Näher betrachtet hat die KI aber nichts anderes getan, als einzelne Worthülsen und Allgemeinplätze in Textform zu bringen. Hübsch zu lesen, aber doch arg inhaltsleer.

Richtig ist natürlich: Die Qualität eines von der KI geschriebenen Textes steht und fällt mit der Qualität dessen, was ich, was wir Journalisten dem Programm vorgeben. Womit wir beim Kern sind: Was ist die Aufgabe eines Journalisten? Einen schönen, kurzweilig zu lesenden Text schreiben – unbedingt! Das aber ist nur das Ergebnis unserer eigentlichen Arbeit: zuallererst ein relevantes Thema überhaupt als solches zu identifizieren und dann die Informationen, die für dieses Thema wichtig sein könnten, zu recherchieren, zu überprüfen, zu filtern und schlussendlich so aufzubereiten, dass sie für Sie als Leser verständlich sind.

Das alles leisten die Programme nicht. Wie sollten sie auch? Sie greifen auf Bestehendes zurück, das sie neu zusammenmixen. Wirklich Neues entsteht dadurch nicht.

Auf den Segeljournalismus bezogen heißt das konkret: Die KI geht nicht an Bord eines brandneuen Schiffes, um es in puncto Segelleistung, Verarbeitung und Komfort zu prüfen, zu bewerten und zu vergleichen. Die KI unternimmt keine Segeltörns, um Ihnen Eindrücke aus erster Hand von den unterschiedlichsten Segelrevieren in aller Welt zu liefern. Die KI testet keine Kartenplotter, Bordräder oder Segelbekleidung. Und die KI führt auch keine Interviews mit Seglern, die Spannendes, Außergewöhnliches oder Bewegendes erlebt oder geleistet haben. Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen.

Gewiss, neu ist auch diese Erkenntnis nicht. Spätestens seit einem via Internet täglich eine unüberschaubare Menge an Informationen auf den PC, das Tablet oder Smartphone gespült werden, ist der Job der sichtenden, bewertenden, auswählenden Journalisten wichtiger denn je geworden. Das gilt auch für den Bereich des Segelns.

Längst kann jeder, der sich berufen fühlt, sein Wissen, sein Halbwissen und auch seine ganz subjektive Meinung verbreiten über Seenotfälle, ideale Fahrtenschiffe, die besten Segelreviere, die verlässlichsten Navi-Apps, über spektakuläre Regatten, den besten und schlechtesten Hafen, über segelnde Zeitgenossen, perfekte Blauwasserausrüstung, ideale Törnrouten. Auch hier hat die Liste kein Ende.

Doch was davon stimmt, auf was ist Verlass? Sind das Fakten, die einem in den Segeln-Facebook-Gruppen, auf Instagram und Youtube oder in einem der vielen Segelblogs und -vlogs serviert werden? Oder handelt es sich in Wahrheit doch nur um individuelle Ansichten Einzelner? Immer häufiger fällt es schwer, darauf eine Antwort zu finden.

Und jetzt also auch noch die KI, die Texte schreibt! Und auch Bilder ganz nach dem Geschmack des Auftraggebers „komponiert“. Ein Hund, der den Festmacher einer Yacht gekonnt annimmt? Kein Problem! Unser Bildredakteur hat es neulich ausprobiert. Das Ergebnis: ein Dackel mit glänzendem Fell im Abendlicht auf dem Steg, im Maul eine Leine, die zu einem Boot führt, das im Bildanschnitt zu sehen ist. Perfekter hätte kein Profifotograf die Szene inszenieren können. Und als ein von der KI geschaffenes Werk war das Foto auch nicht zu erkennen. Nicht die allerkleinste Ungenauigkeit wäre dem Betrachter auf den ersten Blick ins Auge gesprungen.

Man kann das schlimm finden. Oder großartig. Ich persönlich bin bei dem Thema hin und her gerissen. Auf der einen Seite ergeben sich viele neue und heute noch ungeahnte Möglichkeiten und Chancen. Vielleicht sogar in einem ähnlichen Ausmaß, wie vor rund 25 Jahren, als das Internet in Fahrt kam und binnen weniger Jahre zu einem festen Bestandteil unseres Alltags wurde.

Andererseits fürchte ich, dass es in Zukunft noch schwieriger werden wird, als es heute bereits ist, Fakten von Fiktion zu unterscheiden. Woran werden wir erkennen, ob eine spannend geschriebene Törnreportage überhaupt so stattgefunden hat, wie es im Artikel beschrieben ist? Oder ob ein Interview mit einem Segler, einem Hafenmeister, einem Vercharterer, einem Clubvorsitzenden überhaupt von einem Redakteur geführt wurde. Vielleicht sind die Antworten schlicht mit Hilfe von Informationen, Meinungen und Gerüchten zusammengestellt worden, nach denen ein KI-Programm in den Untiefen des Internets gefischt hat – Stichwort Michael Schumacher und „Die Aktuelle“.

Für den einzelnen Leser wird es immer wichtiger werden, sehr genau hinzuschauen, wer ihm da Informationen liefert und in welcher Art und Weise er das tut. Das erfordert zum einen mehr als bisher mitzudenken, den gesunden Menschenverstand walten zu lassen. Nicht minder wichtig aber ist Vertrauen. Welcher Quelle kann ich uneingeschränkt Glauben schenken, bei wem sollte ich vorsichtiger sein?

Ganz bestimmt werden wir bei der YACHT die KI ausprobieren und entsprechende Text- und Bildprogramme für unsere Arbeit einsetzen, sollte sich dies als nützlich und sinnvoll erweisen. Auch wenn wir selbst noch nicht so recht wissen, was da auf uns und damit letztlich auf Sie als Leser zukommt, schauen wir mit offenem Blick nach vorn.

Seit bald 120 Jahren ist die YACHT eine Institution im deutschen Segelsport. Während dieser Zeit hat sie sich beständig verändert, gewandelt, weiterentwickelt, neu erfunden. Sie ist längst mehr als ein gedrucktes Heft. Oder eine Homepage. Oder eine Präsenz auf den diversen Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram oder Youtube.

Für viele Segler ist die YACHT ein Wegbegleiter. Dem sie vertrauen können. Daran wird sich – künstliche Intelligenz hin oder her – nichts ändern.

Wie denken Sie über das Thema? Schreiben Sie uns per E-Mail an mail@yacht.de!

Pascal Schürmann

YACHT-Textchef

PS: So hätte übrigens ein von der KI formulierter Schlusssatz unter dieser YACHT-Woche gelautet: „Ich wünsche allen Seglern eine erfolgreiche Zeit auf dem Wasser und hoffe, dass meine Berichterstattung dazu beigetragen hat, eure Leidenschaft für den Segelsport zu stärken und zu bereichern. Möge der Wind stets in eurem Rücken sein und eure Segel immer prall gefüllt sein!“

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