Morten Strauch
· 06.08.2023
Der Countdown läuft: Heute um 10.30 Uhr will Norbert Sedlacek Koch zum fünften Mal mit seinem Vulkanfaser-Imoca-Derivat von Les Sables-d’Olonne aus in See starten, um endlich einhand und nonstop alle Ozeane inklusive Arktischem Ozean und Südpolarmeer zu bezwingen. Seine vier gescheiterten Versuche, die Corona-Pandemie und eine schwere Erkrankung scheinen den Wiener Extremsegler nicht davon abbringen zu können, sich und der Welt zu beweisen, dass sein nachhaltig gebauter Racer, der zudem zu 100 Prozent recycelbar ist, jedem noch so strapaziösen Ritt über die Weltmeere gewachsen ist.
Viel wurde über den Österreicher und sein ambitioniertes Projekt „Ant Arctic Lab“ in den letzten Jahren geschrieben. So manch einer belächelt ihn aufgrund seiner frühzeitigen Abbrüche und kann es eigentlich kaum erwarten, ihn erneut scheitern zu sehen. Gern ist dabei die Rede vom Wiener Tramfahrer, der es wieder einmal nicht gepackt hat. Doch was steckt hinter dem Mann, der hartnäckig für seine Vision kämpft und an dem Hohn und Spott aus dem zumeist deutschsprachigen Raum abperlen wie Wasser an der Ente? Wer einen Blick in die Segel-Vita von Sedlacek Koch wirft, dem wird sofort klar, dass es sich nicht nur um einen Visionär, sondern auch um einen leidensfähigen Segler handelt, der auf einer Nussschale die Welt umsegelte, die Antarktis mit einem selbst konstruierten Boot umrundete und als erster Deutschsprachiger eine Vendée Globe erfolgreich beendet hat.
Wir haben Norbert Sedlacek Koch in seiner Wahlheimat Frankreich besucht, wo er sich zusammen mit seiner Frau Marion nördlich des Offshore-Mekkas von Les Sables-d’Olonne niedergelassen hat. Das Grundstück liegt idyllisch zwischen dem Atlantischen Küstenwald und dem Sumpfgebiet von Marais d’Olonne. „Wir wollten den Ozean hören und gleichzeitig unserer zweiten großen Leidenschaft, dem Schutz von Flora und Fauna, nachgehen können“, erklärt der 61-Jährige, während die Frösche aus dem Gartenteich um die Wette quaken.
Tatsächlich scheinen die beiden an alle tierischen Mitbewohner gedacht zu haben: Eine Vielzahl selbst gebauter Vogelkästen hängen am Haus, die Beete sind den Insekten zuliebe mit Holzstücken umrandet, und sogar der Fassadenanstrich ist so gewählt, dass die Eidechsen Halt darauf finden. „Wir haben der Natur durch unseren Hausbau ein Stück weggenommen, und das versuchen wir so gut wie möglich wieder zu kompensieren. Nachhaltigkeit und Umweltschutz fangen immer bei einem selbst an“, so der Österreicher beim Gang ins Haus, „und übrigens, lasst uns duzen!“ Obwohl die Arbeiten bereits 2010 begonnen haben, sieht es teilweise noch aus wie auf einer Baustelle. Da die Sedlacek Kochs vom Fundament bis zum Dachstuhl alles selbst machen, braucht es seine Zeit, und so bauen sie Stück für Stück an ihrem Traumhaus weiter, wann immer Reserven vorhanden sind. Im Schwimmbad stehen noch über 200 Kakteen im Winterlager – Prioritäten halt!
Grün ist mehr als nur eine Farbe! Es ist unerträglich modern geworden, mit grünen Aussagen diese Farbe zu missbrauchen”
Seine berufliche Karriere beginnt mit einer Ausbildung zum Kellner. Es folgen vier Jahre in einer Großtischlerei, wo Norbert im Akkord Särge schreinert. Sein Vater überredet ihn schließlich, eine sichere Beamtenlaufbahn einzuschlagen, und so wird er Tramfahrer in Wien. Schnell wird ihm jedoch klar, dass auch das nicht seine Zukunft sein kann, und er schmiedet erste Gedankenspiele, wie er seine Hobbys und seinen wachsenden Abenteuerdrang zu Geld machen könnte. Dann stößt er auf einen „Trümmerhaufen“ einer Swallow 26, den er einer Witwe abkauft und an dem sich der verstorbene Ehemann gegen ihren Willen hoffnungslos abgearbeitet hatte. Zwei Jahre baut er wie besessen zwischen seinen Tram-Schichten auf einem Abstellplatz an seinem Boot, das ihn hinaus in die weite Welt bringen soll. Sein Plan: einmal um die Welt segeln mit dieser Nussschale, um dann ein Buch darüber zu schreiben. Ausgleich findet er beim Segeln auf dem Neusiedler See und beim Taekwondo – einer koreanischen Kampfkunst – mit der österreichischen Nationalmannschaft.
1996 kündigt Norbert bei den Wiener Verkehrsbetrieben, um seinen Traum zu verwirklichen. Die Zeitungen berichten von dieser kleinen Sensation, und die Stadt Wien verleiht ihm daraufhin schon mal den Verdienstorden, ohne dass er überhaupt losgefahren ist. Tatsächlich legt der angehende Extremsegler im selben Jahr vom italienischen Grado ab, um als erster Österreicher zwei Jahre entlang der Barfußroute den Globus zu umrunden. Über seine Abenteuer und Entbehrungen schreibt er sein erstes Buch „Im Grenzbereich des Möglichen“.
Sedlacek hat Blut geleckt und strebt jetzt eine Profikarriere als Skipper an. Noch im selben Jahr initiiert er mit „Icelimit“ sein nächstes Projekt und legt die Messlatte gleich ein gutes Stück höher. Von Kapstadt aus will er einhand und nonstop die Antarktis umrunden. Für die rund 14.300 Seemeilen durch den Southern Ocean braucht er naturgemäß ein größeres Boot. Also konstruiert und baut er eine 54-Fuß-Aluyacht in Kooperation mit Chantier Naval Garcia in der Normandie. Während der zweijährigen Bauzeit lebt Norbert hinter der Werft in einem Wohnwagen und entdeckt dabei seine Liebe zu Frankreich.
Zwischen November 2000 und Februar 2001 umrundet er schließlich den antarktischen Kontinent in 93 Tagen und verdient sich wiederum den Rang des ersten Österreichers, der solch eine Leistung vollbracht hat. „Das Ganze war nebenbei auch ein Testlauf, um herauszufinden, ob ich fit war, um den nächsten Schritt anzugehen: die Vendée Globe 2004!“ Wieder brauchte es dafür ein neues Schiff, diesmal einen Imoca 60. Mit einem sehr kleinen Budget macht er sich auf die Suche und entsinnt sich eines „abgrundtief hässlichen Zossens“, der regelmäßig kaputt bei Garcia herumstand. Obwohl das Schiff anscheinend unter keinem guten Stern stand – es hatte nie ein Rennen zu Ende gefahren –, kauft Sedlacek seine zweite Baustelle für kleines Geld.
Nach anderthalb Jahren harter Arbeit qualifizieren sich Skipper und Boot schließlich über die Transat für die Vendée Globe 2004. Es gab keine Pressemeldung, in der nicht vom Tramfahrer aus dem Land ohne Ozean geschrieben wurde – die Rolle des Underdogs nimmt er gern an. Zwar muss er die härteste Einhandregatta der Welt in Kapstadt aufgrund eines Bruchs des Schwenkkiels aufgeben, aber vier Jahre später steht der hartnäckige Österreicher wieder in den Startlöchern und schafft es, das Rennen trotz einiger Schäden mit Rang elf erfolgreich zu beenden. 19 andere Starter, darunter namhafte Konkurrenz wie Alex Thomson, Bernard Stamm oder Loïck Peyron mussten dagegen aufgeben.
„Das Wichtigste bei der Vendée ist, erst einmal an den Start zu kommen, was kompliziert genug ist. Dann geht es darum, dieses verrückte Rennen zu Ende zu fahren, was schon ein riesiger Erfolg ist, da jede noch so kleine Materialschwäche oder ein Unfall sofort das Aus bedeuten können. Da es keine Siegeserwartung an mich gab, konnte ich entsprechend langsamer fahren. Dagegen sind im Southern Ocean reihenweise andere Yachten ausgefallen.“ Während die Franzosen und auch die internationale Fachpresse dem Segel-Exoten durchaus Respekt zollen, ist die Resonanz in seinem Heimatland erstaunlich verhalten – ob es daran liegt, dass er als Letzter ins Ziel gekommen ist?
Die Vergeudung von Material und Ressourcen im Rennzirkus der Offshore-Racer ist dem Wiener ein Dorn im Auge, und auch sein langjähriger Hauptsponsor Kapsch möchte lieber in nachhaltige, zukunfts orientierte Materialien investieren. Eher zufällig fällt ihm dabei die Vulkanfaser vor die Füße, und die nächsten Jahre verbringt er mit intensiver Forschung, Materialtests und Recyclingmöglichkeiten. So entstand 2012 im niederösterreichischen Altlengbach mit „Fipofix“der erste Prototyp unter Verwendung von Vulkanfaser, Balsa-Sandwich und einem biologischen Epoxidharz.
Nach zwei gescheiterten Ehen lernte Norbert seine Marion vor 20 Jahren auf einem Segelkurs für Wiener Gymnasiasten auf dem Markermeer in Holland kennen. Die damals 16-Jährige ist den anderen Schülern geistig weit voraus und beeindruckt den Segellehrer unter anderem mit ihrem analytischen Denken und technischen Interesse. Trotz des Altersunterschiedes von 25 Jahren schwimmen sie auf einer Wellenlänge und wollen gemeinsam etwas aufbauen. Heute ist Marion Schiffsbauingenieurin und technische Geschäftsführerin von Innovation Yachts. Zusammen bilden sie ein kongeniales Paar, das sich mit seiner kleinen Werft auf die Entwicklung von nachhaltigen Booten spezialisiert hat.
Mit dem Imoca wird 2018 der nächste Prototyp aus Vulkanfaser gelauncht (s. auch „Das besondere Boot“, YACHT 16/2018). Unter dem Projektnamen „Ant Arctic Lab“ sollen nicht nur neue Konstruktionskonzepte und technische Ausrüstung getestet werden, ein neuer Offshore-Segelrekord soll auch den endgültigen Beweis der Hochseetauglichkeit unter Extrembedingungen erbringen. Im selben Jahr folgt dann schon der Startschuss: Vom Vendée-Globe-Steg in Les Sables-d’Olonne bricht Sedlacek mit dem Ziel auf, um über die Nordwestpassage den Pazifik zu erreichen, zweimal das Kap Hoorn und einmal die Antarktis zu runden, um anschließend über den Atlantik zurück in den Starthafen zu gelangen. Nach wenigen Tagen muss der Versuch südlich von Irland aufgrund technischer Probleme bereits aufgegeben werden.
Ich habe nicht versagt, ich habe nur 10.000 Wege gefunden, die nicht funktionieren” (Thomas Alva Edison)
Nach einem Jahr des Wundenleckens und der Weiterentwicklung geht es 2019 wieder über die Startlinie, wieder muss die Rekordfahrt südwestlich von Irland abgebrochen werden. Nach einem missglückten Manöver in einer Sturmbö sind Vorstag, Rollanlage und das J1-Segel zerstört. Im Folgejahr muss das ambitionierte Projekt schon vor dem Start abgebrochen werden, da erst die Corona-Pandemie einen Strich durch die Rechnung macht und Norbert sich zudem einer Krebsoperation unterziehen muss. 2021 der dritte Versuch, diesmal gibt die Stromversorgung kurz vor der Querung des arktischen Polarkreises auf. Zerknirscht dreht er abermals um, aber unterkriegen lässt er sich nicht. 2022 geht es wieder los, doch eine Kollision mit einem unbekannten Gegenstand, in deren Folge die Ruderbefestigung bricht, beendet auch diesen Versuch frühzeitig.
Nun, im fünften Anlauf, soll es endlich klappen, und Sedlacek nähert sich gut gelaunt und ohne Nervenflattern erneut der Startlinie. Seine Ruhe erklärt er so: „Das Projekt heißt ja nicht ohne Grund ‚Ant Arctic Lab‘. Neben der Entwicklung von Material und dem Baukonzept haben wir auch Prototypen neuester Elektronikbauteile an Bord gehabt. Da ergibt es keinen Sinn, auf einem 35.000-bis-40.000-Meilen-Projekt weiterzufahren, wenn die Stromversorgung nach kürzester Zeit versagt. Dann muss ich halt umdrehen, die Erfahrung mitnehmen und entsprechend nachbessern. Mein Ziel ist ja nicht, die Kiste mit großem Drama irgendwo zu versenken, sondern zu beweisen, dass das Konzept tadellos funktioniert. Budgetär gesehen, kostet jedes weitere Jahr natürlich viel Geld, aber am Ende des Tages muss halt gewartet werden, bis alles passt.“
Viele Fans haben nicht diese Ausdauer und wenden sich enttäuscht ab. Für Sedlacek ein Problem der heutigen Zeit, in der nur Siege und schnelle Erfolge zählen. Wenn das Projekt erfolgreich abgeschlossen ist, dann wird es der letzte Abenteuer-Törn für den umtriebigen Haudegen gewesen sein. Alter und Gesundheit spielen da mittlerweile eine Rolle. Falls der fünfte Versuch aber wieder scheitern sollte, könnte es durchaus noch einen weiteren geben, sofern die Finanzierung geklärt und der Körper noch fit genug ist für die Strapazen. „Aber heuer stehen die Sterne gut, und die technischen Probleme sollten mittlerweile alle ausgemerzt sein“, schmunzelt er.
Neben dem sich hinziehenden „Ant Arctic Lab“-Projekt, von dem sie sich einen großen Push für Innovation Yachts erhoffen, haben die Sedlacek Kochs noch weitere Eisen im Feuer. Gemeinsam haben sie auf Kundenwunsch den ersten vollständig nachhaltigen und recycelbaren Katamaran gebaut und diesen 2021 erstmalig vorgestellt. Der minzfarbene Kat mit dem kryptischen Namen IY LBV35 ist als Spaßboot und Buchtencruiser für Ibiza konzipiert, soll aber auch dank seines absenkbaren Trapezes zum Müllsammeln eingesetzt werden. Zudem ist das Boot energieautark, da es Wasserund Solarenergie für die zwei Elektromotoren und alle weiteren Geräte erzeugen kann. Für dieses ganzheitlich nachhaltige Konzept haben die visionären Österreicher den „ocean tribute“ Award 2023 der boot Düsseldorf gewonnen. Für weitere Großprojekte wurde bereits ein neues Werftgelände erworben. 120 Fuß lange Einrumpfer und 60 bis 70 Fuß lange Katamarane sollen dort gebaut werden.
Im Frühjahr hält Norbert auf der German Superyacht Conference in Hamburg einen Vortrag über Vulkanfasern und nachhaltige Kreislaufwirtschaft. Mit seiner authentischen und humorigen Art gewinnt er in Windeseile die Sympathien der versammelten Superyachtbranche. Der Mann will mit aller Macht die Bootsbranche grüner machen, und zwar ohne das von ihm verabscheute Greenwashing. Wille, Ausdauer und Knowhow sind vorhanden – fehlt noch der letzte Beweis, dass sein Vulkanfaser-Open-60 nicht nur umweltverträglich, sondern auch fähig ist, die Ozeane in Rauschefahrt zu bewältigen.
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Die Faser entsteht aus verschiedenen vulkanischen Gesteinssorten, je nach den gewünschten Eigenschaften. Die Steine werden gemischt, gemahlen und geschmolzen, um daraus dünne Fäden zu ziehen, die als Gelege oder Gewebe weiterverarbeitet werden. Anders als bei glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) lässt sich das Naturmaterial problemlos wieder schreddern, um es zu recyceln. Ein weiterer großer Vorteil der Vulkanfaser ist, dass sie hydrophob ist, also keine Feuchtigkeit aufnimmt, wogegen Carbon beispielsweise regelmäßig entfeuchtet werden muss. Zudem ist Vulkanfaser mit bis zu 850 Grad Celsius weitaus hitzebeständiger und zugleich UV-resistenter. Auch bei der Sicherheit kann die Faser punkten, da sie sehr gut Schocks absorbiert und sich bei einer Kollision eher wie Stahl oder Alu verhält. Nicht alle Schichten brechen, sodass Wassereinbruch vermieden wird.