Blauwasser-BlogAtlantikrunde auf neun Metern: von den Azoren nach Cuxhaven

Kristina Müller

 · 30.06.2019

Blauwasser-Blog: Atlantikrunde auf neun Metern: von den Azoren nach CuxhavenFoto: Burke/Ahlhaus
Von Flaute bis Sturm war alles dabei: Über Atlantik und Nordsee segeln Lennart und Valentin zurück Richtung Ostsee und nähern sich dem Ende ihrer Atlantikrunde

Lennart und Valentin genießen trotz dichtem Verkehr im Ärmelkanal und auf der Nordsee, trotz Gewittern und Nebel den letzten langen Schlag von Horta an die Elbe

Im August 2018 sind Lennart Burke und Valentin "Vale" Ahlhaus, Freunde und Melges-24-Segler aus Stralsund, zu einer Atlantikrunde mit einer alten IW-31 aufgebrochen. Nach abenteuerlichen ersten Etappen bis Frankreich, einer Biskaya-Überquerung gegen die Zeit, Buchtenbummeln auf den Kanaren und den Kapverden haben sie ihr Schiff für den großen Sprung vorbereitet. In 18 Tagen haben sie schließlich den Atlantik überquert und drei Monate das Segeln in der Karibik genossen. Schließlich warteten vor dem Start zum zweiten großen Schlag zurück nach Europa einige Überraschungen und dann ein rasanter Ritt zu den Azoren.
Nach der Atlantikrunde im Fahrtenseglermodus will Lennart Burke am Mini-Transat 2021 teilnehmen. Auf YACHT online berichtet er über seinen Weg dahin.

Es war ein Aufbruch in Eile und damit gar nicht nach unserem Stil.

Wir bevorzugen es, vor dem Start einer Etappe, möglichst früh, alles Wichtige erledigt zu haben, um mit einem klaren Kopf und ohne Sorge starten zu können. Vor unserer nun letzten langen Etappe nach Deutschland war das nicht ganz der Fall. Natürlich haben wir uns nicht aus der Ruhe bringen lassen, aber ein straffes Programm war dennoch erforderlich.

Nach unserem Erkundungstag am Sonntag hieß es nämlich, dass wir spätestens am Mittwoch lossegeln, komme was wolle. Unser Ersatzschlauch des Petroleumkochers sollte auch am Mittwoch ankommen, also passte das ja. Am Montag hieß es noch Farben kaufen, um uns selbstverständlich ebenso wie die anderen tausend Segler auf dem Beton Hortas zu verewigen. Nach einer Alternative für unseren Petroleumschlauch haben wir auch gesucht, um eventuell schon am Dienstag zu starten, konnten aber nirgends eine Lösung finden. Ich lief den halben Tag durch Horta und ließ mich von Laden zu Laden schicken, mit dem Verdacht, dass dort eventuell etwas sein könnte. Ganz wie in der Karibik. Vale fing zugleich an unser Bild zu malen und klarierte "Andiamo" für die nächste große Fahrt.

Den Dienstag starteten wir mit genau denselben Zielen: Schlauch finden, Bild malen und am Boot basteln. Mein Vater rief am Morgen jedoch an und machte uns darauf aufmerksam, dass das Paket ja schon längst auf der Insel ist, nur nicht zugestellt werden kann. Sofort war klar: Wir suchen sofort das Paket auf dieser Insel und fahren dafür von Poststelle zu Poststelle. Der Plan ging auch wirklich auf, und so haben wir den Schlauch noch vor dem Mittag montiert, malten unser Bild zu Ende, waren in der Markthalle Obst und Gemüse kaufen und im Continente (Supermarkt) noch fehlenden Proviant wie Milch und Käse besorgen.

Auf dem Weg zurück zum Boot haben wir nochmal beim "Peter Café Sport" Halt gemacht und richtig deftig gegessen. Wir haben es also echt noch geschafft, vor Anbruch des Abends mit allem fertig zu werden und legten in aller Eile, jedoch mit riesiger Zufriedenheit, am Dienstag den 21. Mai um 19 Uhr LT in Horta ab und segelten hinaus auf den offenen Atlantik.

1. Tag – Mittwoch, 22. Mai 2019

Seglerisch war das ein grandioser Start zur eventuell letzten, großen Etappe. Wir haben einen Schnitt von sechs Knoten, Sonne und angenehme See. Laut Windvorhersage soll das die ganze Woche so weitergehen. "Andiamo" gibt also Gas. Ich hingegen hatte eine sehr schlaflose Nacht. Aufregung, Kreuzseen in Inselnähe, und der Schlafrhythmus auf See trugen hauptsächlich dazu bei.

Nur etwa 20 Minuten unter Deck gewesen, schon steht ein Tanker etwa 50 Meter vor uns. Was ein Schreck.

2. Tag – Donnerstag, 23. Mai 2019, Etmal: 153 sm

Haben gehalst, und danach gab es einen leckeren Grog. Wir haben so gutes Wetter. Ich bin sehr froh, dass wir Hals über Kopf, so schnell wie möglich, von den Azoren los sind, so schön es dort auch war. Vale ruht etwas in der Koje. Habe noch Abwasch und Lernstoff für den Sportbootführerschein vor mir. Dann gibt es Panneköken! Großes Malheur: Kühlbox stinkt nach verdorbenem Fisch!

3. Tag – Freitag, 24. Mai 2019, Etmal: 144,7 sm

Irgendwie ist das Segeln normaler geworden als das An-Land-Sein.

Ich habe ja so einige Erwartungen an diese Strecke gehabt, aber nach dem Mittag ist tatsächlich eine Schildkröte an uns vorbeigetrieben! Was macht die nur hier draußen, auf 3000 Meter Tiefe und 600 Seemeilen vom nächsten Land entfernt?

4. Tag – Samstag, 25. Mai 2019, Etmal: 169,8 sm

Heute Morgen gegen 0630 UTC habe ich zwei Wale gesichtet. Atemberaubendes Schauspiel. Habe Vale direkt aus der Koje gerissen. Sie brachen die Welle, wie ein Fels in der Brandung. Nicht weit entfernt sprangen auch Delphine so hoch in die Luft, wie ich es nie zuvor gesehen habe. Einfach fantastisch.

"Andiamo" läuft unglaublich schnell. Zwischen halben und raumen Winden (bei 4 bis 5 Bft) laufen wir einen 7,1-kn-Schnitt. Damit erreichen wir unseren Etmal-Rekord: 169,8 sm in 24 Stunden!

5. Tag – Sonntag, 26. Mai 2019, Etmal: 139,6 sm

Das AIS meldete eine deutsche MMSI. Das könnte doch Mirko sein. Wer hätte es gedacht, nach einiger Zeit spuckte das AIS auch den Bootsnamen aus, und tatsächlich ist es Mirko. Wie cool. Wir sind ja fast gleichzeitig von den Azoren gestartet, jedoch von unterschiedlichen Inseln aus. Sich dann nach fünf Tagen zu treffen ist etwas ganz Besonderes gewesen.

Es musste ja irgendwann kommen: bedeckter Himmel, Kälte, Nieselregen und natürlich sehr, sehr schlechte Sicht. Das AIS lasse ich durchgehend auf dem iPad laufen, um Schiffe rechtzeitig zu sichten. Mirko ist die ganze Zeit um die sechs Seemeilen nordwestlich von uns.

Tag 6 – Montag, 27. Mai 2019, Etmal: 129,3 sm

Morgens beobachte ich, wie Mirko erheblich langsamer wird und auf uns abfällt. Über 24 Stunden haben wir ihn nicht einholen können. Plötzlich ist er in Rufreichweite. Ich wecke Lennart und entkoppele die Windfahne. Wir öffnen die Segel und schnacken eine ganze Weile. Das war gesellig. Wir haben ihm alle möglichen Sachen angeboten, aber er wollte nichts. Eine Limette für Cuba nahm er dann doch. Was für ein Zufall, dass wir ihn hier mitten auf dem Ozean treffen. Er war so schnell, weil er Spi gefahren war, bis ihm der Block im Masttopp brach. Doch auch mit seiner kleinen Fock machte er fast genauso viel Fahrt wie wir mit der alten Genua.

Später kamen dann noch Pilotwale. Sie bleiben eine ganze Weile bei uns und quietschten erregt.

Tag 7 – Dienstag, 28. Mai 2019, Etmal: 138,6 sm

So ein Mist – bin seit gestern erkältet. Na ja, die Temperaturen sind ja auch nicht mehr so schön. Denke, dass ich mich zu spät warm genug angezogen habe und es unnötig drauf ankommen ließ.

Tag 8 – Mittwoch, 29. Mai 2019, Etmal: 134 sm

Gegen 12 UTC erreichen wir den europäischen Kontinentalschelf. Wir wollen Halbzeit feiern, aber finden unser Festessen, die Dosenente, nicht. Yeah: Meine Erkältung hat merklich nachgelassen. War leider die letzten drei Tage sehr unproduktiv, konnte heute aber etwas an diesem Blog schreiben.

Tag 9 – Donnerstag, 30. Mai 2019, Etmal: 128,9 sm

Der Wind hat leider abgenommen, und ein gewünschter Schnitt von 5,5 Knoten war unter Groß und Genua nicht möglich. Ich habe also endlich mal wieder den Spi ausgepackt und gesetzt.

Prächtig, wie er da steht. Mirko versucht gerade, etwas näher zu kommen, um ein paar Fotos zu machen. Hoffe, das wird etwas. Er erzählte mir auch von seinem Frühstück, Porridge mit Orange und Zimt. Da läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Wieso kam ich noch nicht auf die Idee? Ich bin wirklich noch im Anfangsstadium meiner Porridge-Künste. Mirkos Rezept werde ich gleich mal ausprobieren. Vale hatte wenig Schlaf, da Mirko und ich seit etwa 0400 UTC gefunkt haben und ihm das zu laut war.

10. Tag – Freitag, 31. Mai 2019, Etmal: 132,6 sm

Ja, wir sind im Englischen Kanal. Die Dünung ist weg, der Wind leider auch. Der Horizont ist ein Feuerwerk. Städte strahlen in den Himmel, Leuchtfeuer blitzen, und Schiffe auf Reede leuchten wie Städte auf See. Wirklich problematisch ist das nicht, schlimmer sind die Tanker und Fischer, die uns kreuz und quer durch den Ärmelkanal jagen.

Die Sonne zeigt sich seit Tagen wieder, und den Spi konnte ich auch für ein paar Stunden setzen. Nun haben wir leider so gut wie Flaute. Wenn die Strömung von achtern kommt, ist das ja wie ein Segen. Ununterbrochen kreuzen uns Fischtrawler, die mal langsam, mal schnell fahren oder mal nach Backbord und dann wieder nach Steuerbord drehen.

11. Tag – Samstag, 1. Juni 2019, Etmal: 136,8 sm

Vale: "Tidensegeln, bei Wind – na gut. Aber jetzt dümpeln wir bei 2 Bft und ¾ Gas der Maschine gegen drei Knoten Gegenstrom!"

Die Fahrt ist gering. Dabei freuen wir uns doch so auf die baldige Ankunft. Meine Wache bei mitlaufender Strömung war super. Es herrscht sehr viel Verkehr, ich musste jedoch nie ausweichen. Immer zwischen sechs bis sieben Knoten bei Halbgas. Wenn man nur das Wasser beobachtete, hätte man auch denken können, wir fahren nur drei Knoten.

12. Tag – Sonntag 2. Juni 2019, Etmal: 127,2 sm

Der Wirbel um den Brexit scheint Folgen zu haben. Nicht nur, dass man mit britischen Seglern über kaum etwas anderes schnacken kann, sondern selbst die Passage Dover–Calais scheint unbefahren ...

Endlich baut sich Wind auf. Die Segel stehen zumindest. War echt überrascht vom Kanal: reichlich Verkehr der Großschifffahrt in Richtung Nordsee, aber da bleiben die meisten ja in ihren Schifffahrtswegen, von denen wir uns ja freihalten. Fischer sind vereinzelt da, aber in der Nacht verschwinden plötzlich alle, und es scheint echt leer.

Dover war der Hammer. Weit und breit kein Schiff, das uns ansatzweise in die Quere hätte kommen können – bis auf ein entgegenkommendes Segelboot. Haben wohl alle Angst vor uns. Jetzt bin ich ja auf Rotterdam gespannt.

Es ist unglaublich warm! Um 0800 UTC-1H schon T-Shirt und Shorts. Ewige Flaute. Konnte mal kurz für 20 Minuten den Spi setzen. Als der Motor endlich aus war, begann eine lange Serie an Manövern. Wir konnten viel Spi fahren und segelten entlang der Fahrwasser nach Rotterdam.

13. Tag – Montag, 3. Juni 2019, Etmal: 129,9 sm

Nachdem wir nun Rotterdam passiert haben, müsste der größte Spuk der Nordsee hinter uns liegen. Von ständig wechselnden Winden begleitet, schlängelten wir uns durch Ankergebiete, Verkehrstrennungsgebiete und Pilot-Areas. Das lief alles glatt, erforderte aber viel Aufmerksamkeit. Und viele, viele Manöver!

Die Nordsee erweist sich wieder als sehr anspruchsvoll. Wir konnten reichlich Spi fahren, was bei entgegenkommendem Strom sehr half. Echt wenig Segler unterwegs im Vergleich zur Karibik! Trotz der Ablenkung durch die Manöver zieht sich das Ende ganz schön hin – wie die letzten Stunden einer Fahrt mit dem Regionalexpress.

14. Tag – Dienstag, 4. Juni 2019, Etmal: 149 sm

Wieder einmal hat uns der Wind über Nacht verlassen, und das auch noch bei entgegenkommender Strömung. Konnte den Motor endlich abschalten. Es wird voraussichtlich noch anspruchsvoll werden, da der Wind gegen Mittag auf Ost drehen soll – das läuft dann auf eine Kreuz hinaus. "Andiamo" und Crew geht es sonst bestens. Verwunderlich, dass das Schiff keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigt, bis auf den Kocherschlauch und ein paar nachzunähende Nähte. Bin begeistert!

Das macht echt keinen Spaß. Haben jetzt Wind von vorn und auch die Strömung. Nun ist der Wind aber zu schwach, um gut gegen die Strömung anzukommen, jedoch zu stark, um mit unserer geringen Motorkraft gegenan zu kommen. Jetzt segeln und motoren wir zugleich.

15. Tag – Mittwoch 5. Juni 2019, Etmal: 106,6 sm

Die deutsche Bucht hat uns nochmal eins auf die Mütze gegeben. Je näher wir der Elbe kamen, desto stärker wurde der Wind, und wir mussten voll gegenan. Den ganzen Tag haben wir gekreuzt – nun ging nichts mehr. In der engen Fahrrinne, umgeben von Berufsschiffen und daneben Sandbänken mussten wir motoren, aber Wind und Welle machten das unmöglich. Dieses Mal sahen wir das ein und drehten ab. Wir rasten mit Halbwind und unter Sturmfock auf die offene Nordsee und wollten dann eigentlich mit Halbwind auch wieder zurück. Doch nach ein paar Meilen waren die Gewitter durchgezogen, der Wind drehte und war weg. Nun also nur noch auf günstige Strömungen warten und ab in die Elbe, an Cuxhaven vorbei, direkt nach Brunsbüttel.

Wir haben die Zeit unter Segeln bis zuletzt Ende ausgereizt. Jedoch mussten wir jetzt in der Schleuse anlegen. Ja, wir machten nun nach 15 Tagen auf See das erste Anlegemanöver. Und zwar in einer Schleuse. Alles war perfekt: Das Schleusentor stand offen, und ohne jegliche Schwierigkeiten konnten wir einlaufen. Was ein angenehmes Ende.

Es war ein toller, anspruchsvoller Törn!

Rückblickend waren die 15 Tage nonstop auf dem Atlantik, dem Ärmelkanal, der Nordsee und letztlich der Elbe mit Abstand die anspruchsvollsten der ganzen Atlantikrunde. Der Atlantik war gnädig und drückte uns mit hohen Geschwindigkeiten in Richtung England. Angekommen im Ärmelkanal jedoch erwartete uns ungewohnt viel Verkehr, sehr flaue Winde, aber dafür wieder viel Kontakt zur Außenwelt. Das Satellitentelefon war nun also nicht mehr nötig. Die Nordsee wollte es dann nochmal so richtig wissen: unentwegt wechselnde Winde, Windparks, Ölplattformen, Stömung und Berufsschifffahrt.

Kurz vor der Elbe dann der Hammer. Hocherfreut nach dem ganzen Kreuzen, endlich in die Elbe zu segeln und den Hafen schon so gut wie in Sicht zu haben, machte uns eine unerwartete Gewitterfront, aus Norden kommend, zu schaffen: Mit Starkwind aus Süden und starker Strömung, die zwar mit uns, aber gegen die Welle lief. So kurz vor dem Ende der Reise zu stehen und dann die Entscheidung zu treffen, demütig zu sein und weiter draußen in der deutschen Bucht abzuwettern war wirklich der Höhepunkt dieser letzten Etappe und brachte ohne Zweifel nochmal zum Ausdruck, wie anspruchsvoll unsere heimischen Gewässer doch sind.

Dennoch haben wir es geschafft und segelten mit unser "Andiamo" aus Deutschland in die Karibik und wieder zurück. Interessant ist es, wie unterschiedlich viel Zeit wir uns für die beiden Törnabschnitte genommen haben: Von Deutschland in die Karibik fünf Monate, in der Karibik selbst drei Monate und zurück nur 40 Tage. Das war doch mal abwechslungsreich. Jetzt heißt es also nur noch durch den NOK zu motoren und von Kiel nach Stralsund (zirka 130 Seemeilen) zu segeln.

Ein Katzensprung, aber dazu beim nächsten Mal mehr.