The Ocean RaceDie spannende 3. Etappe, jetzt in der Video-Zusammenfassung

Tatjana Pokorny

 · 06.04.2023

Der Code Zero löst sich aus dem Fallenschloss und kann nicht mehr geborgen werden
Foto: Antoine Auriol/Team Malizia
Die 3. Etappe aus Sicht von ”Malizia – Seaexplorer”

Die Königsetappe durch das Südpolarmeer bot Tief- und Höhepunkte zuhauf. Hier die wichtigsten Momente in der Übersicht und eine Videozusammenfassung, 25 Minuten packender Hochseesegelsport!

Erst das Aus vor Augen, dann zum Sieg gerast: Keine Etappe wollte Boris Herrmann „so unbedingt gewinnen“ wie den historisch längsten Rennabschnitt von Kapstadt über 14.714 Seemeilen entlang der drei Kaps ins brasilianische Itajaí. Das Werk ist nach einer Dreiviertelrunde um die Südhalbkugel vollbracht. Team Malizias Siegstory über die Königsetappe ist nach fulminantem Comeback filmreif – inklusive Happy End. Und wir haben sie verfilmt. Genauer unser Videoproducer Nils Günter. Er hat eine Video-Etappenzusammenfassung gezaubert, die man sehen MUSS!

Den schwersten Rückschlag steckt die Mannschaft schon am Ende der ersten von fünf brutalen Wochen auf See weg. Ein 20 Zentimeter langer senkrechter Riss im Mast kann das Etappen-K.-o. bedeuten. Zuvor war der Code Zero ins Wasser gerauscht – ein Fallenschloss war gebrochen. In der Folge sägte sich das Fall am Mastaustritt nach unten durch die Kohlefaser. „Wir hatten am Anfang sogar überlegt aufzugeben“, erinnert sich Boris Herrmann an den Tiefpunkt der Etappe.

Stattdessen läutet die Crew einen sagenhaften Reparatur-Marathon ein. Mit Unterstützung der Techniker an Land machen die Segler scheinbar Unmögliches möglich. Mit reichlich Kohlefasergelege und enorm viel Mut gelingt Will Harris und Rosalin Kuiper die Reparatur in mehrstündigen Einsätzen in schwindelerregender Höhe von 28 Metern.

Eine Woche nach dem Startschuss ist Team Malizia mit geflicktem Rigg und frisch erstarktem Glauben an die eigene Stärke wieder im Rennen.

Doch die Spitzenreiterin „Holcim – PRB“ ist inzwischen um mehr als 600 Seemeilen enteilt. Ein aussichtsloses Unterfangen? Nein! Wieder eine Woche später passieren zwar Kevin Escoffier und sein Team das Punktetor südwestlich von Tasmanien als Erste, doch dahinter folgt schon Team Malizia. Der Rückstand beträgt nur noch 135 Seemeilen. Und der Mast hält. Boris Herrmann frohlockt: „Wir können wieder Vollgas geben.“

Rosalin Kuiper laufen zur Etappenhalbzeit Freudentränen übers Gesicht. Die Niederländerin, die mit ihrer Dynamik so oft die ganze Crew mitreißt, erklärt beim Halbzeittor: „Dieser zweite Platz ist eine große Leistung. Es ist so emotional zu sehen, dass dieses Boot wirklich für den Southern Ocean gemacht wurde.“

Ausgerechnet sie muss den nächsten Tiefschlag einstecken. Auf Kurs Kap Hoorn wird das Boot von einer Riesenwelle erwischt. Rosie wird schlafend aus der Koje katapultiert. Sie erleidet eine Gehirnerschütterung, Prellungen und eine Platzwunde über der rechten Augenbraue. Ein zusätzlich angebrachtes Leesegel soll solche Unfälle künftig vermeiden. Der ärztlichen Anordnung zu ruhen kann Rosie Kuiper kaum Folge leisten. Das Boot hämmert in die Wellen, als gäbe es kein Morgen.

Team Malizias Krönung findet auf dem Ocean-Race-Gipfel statt: Das Boot unter deutscher Flagge führt das Feld bei Kap Hoorn an. „Das war der beste Moment der Etappe“, sagt Boris Herrmann. Die Bilder von der Hoorn-Passage zeigen eine ausgelassene Mannschaft, die Schwerstarbeit geleistet und sich selbst belohnt hat.

Nach dem Südmeer-Abschied und dem stürmischen Linksabbieger hinter Kap Hoorn rasen „Malizia – Seaexplorer“ und „Holcim – PRB“ den Atlantik entlang der südamerikanischen Küste hinauf. Tagelang ringen sie in Sichtweite zueinander um die Führung. Nie wurde deutlicher als bei diesem Krimifinale, wie sehr Wind und vor allem Wellen über Wohl und Weh der Top-Teams entscheiden. „Es ist ein Matchrace, bei dem es um Speed geht“, sagt Boris Herrmann zum Duell mit Kevin Escoffier. Dessen bis dahin ungeschlagenes Team kann zweimal die Führung zurückerobern. Das geschieht immer dann, wenn gerade keines der kleinen, aber heftigen Tiefs von der Küste über das Duo hinwegfegt. „Malizia – Seaexplorer“ dagegen funktioniert in den überwiegend chaotischen Wellen und Winden bis 55 Knoten effektiver. Wie geplant.

Als auf der knapp zurückliegenden „Holcim – PRB“ am Tag vor dem Showdown der Autopilot bockt und das Großsegel bei einer Crash-Halse beschädigt wird, ist das Giganten-Duell entschieden. In ihren bevorzugten Bedingungen rauscht „Malizia – Seaexplorer“ dem Ziel souverän entgegen. Vergessen sind der Kampf mit der Lichtmaschine, das kohlefaserschwarz verschmierte Gesicht von „MacGyver“ Will Harris, das blaue Auge von Rosie Kuiper, das zermarterte Hirn von Navigator Nico Lunven, der Schlafmangel und andere Strapazen der fünfwöchigen Prüfung.

Team Malizia kreuzt die Ziellinie vor Itajaí am frühen Morgen des 2. April. Der ersehnte Triumph auf Boris Herrmanns erklärter Lieblingsetappe ist nach 34 Tagen, 17 Stunden, 10 Minuten und 28 Sekunden perfekt. Dafür wird die Mannschaft nicht nur mit dem Etappen-Pokal, sondern auch mit der Roaring Fourties Trophy für die schnellste Passage vom Kap der Guten Hoffnung bis Kap Hoorn ausgezeichnet.

„Diese Etappe zu gewinnen hat einen Traum wahr werden lassen. Ich bin so stolz auf das ganze Team“, sagte Boris Herrmann nach seiner sechsten Kap-Hoorn-Passage. Die Schadensliste seines Teams bezeugt die durchlebten Härten: Der Code Zero ist komplett durchgerissen, kann aber an Land repariert werden. Der Fractional Code Zero und das Großsegel weisen Risse auf. Die Aufhängung der Lichtmaschine am Motor war defekt, konnte aber mit Bordmitteln repariert werden. Zwei Wochen später ging die Lichtmaschine selbst kaputt und musste ausgetauscht werden. Probleme machten der Backbordzylinder zur Foil-Einstellung und etwas banaler eine durchgescheuerte Großschot.

Wichtiger aber ist Boris Herrmann der Erfolg des von ihm mitgeprägten Design-Konzepts. „Malizia – Seaexplorer“ erfüllt, was er sich von ihr versprochen hat: „Ich habe mein Boot fürs Südmeer gebaut. Es mag etwas schwerer sein, aber es ist wie ein Panzer. Ich bin glücklich mit dem Boot, würde es gegen kein anderes tauschen.“

Die Frage, ob die Leichtwindschwächen behebbar seien, beantwortet Herrmann zweiteilig: „Der Unterschied liegt nicht so sehr bei starkem oder leichtem Wind, sondern bei Wellen oder glatter See. Ohne Wellen sind die anderen etwas schneller. Es ist also eher die Frage, wie sich das auf den letzten Etappen ausgeht. Viel ändern kann man nicht.“

Herrmanns robustes, beim Itajaí-Sieg erst 258 Tage altes Schiff galt Beobachtern anfangs als zu schwer. Der Etappensieg hat die Kritiker verstummen lassen. Mit Blick auf seinen zweiten Start bei der Solo-Weltumsegelung 2024/25 ist sich Herrmann sicher: „Malizia ist das perfekte Boot für die Vendée Globe.“

Zunächst aber gilt es, die nächsten vier der sieben Ocean-Race-Etappen zu meistern. In der Gesamtwertung ist Team Malizia mit 14 Punkten auf Platz zwei hinter Team Holcim – PRB (19 Punkte) vorgerückt. Der auf Etappe drei knapp geschlagene Dominator Kevin Escoffier nahm den Dämpfer gelassen auf. „Wir sind mit dem Ziel in diese Etappe gestartet, die Crew und das Boot in gutem Zustand nach Itajaí zu bringen. Das haben wir geschafft. Dazu noch neun von zehn möglichen Punkten zu bekommen ist sehr gut und bringt uns für den Rest in eine gute Position.“

Mit etwa 600 und fast 800 Seemeilen Rückstand waren die Teams 11th Hour Racing und Biotherm noch unterwegs, als Team Malizia die Ziellinie kreuzte. Die US-Crew hatte mit einem Riss im Ruder und einer Großsegelreparatur zu kämpfen.

Team Biotherm war im Finale mit einem „Ufo“ (engl.: unknown floating object“) kollidiert. Skipper Paul Meilhat und seine Crew humpelten dem Ziel danach mit schweren Schäden am Backbord-Foil und dem Foilkasten entgegen.

Noch sind ganze 60 Prozent der Punkte im 14. Ocean Race zu verteilen. Maximal 25 Zähler kann ein Team inklusive der doppelt gewerteten Transatlantik-Passage von Newport ins dänische Århus bis zum Finale Ende Juni in Genua noch gewinnen. „Wir wollen Holcim im Kampf um die Spitzenposition fordern“, kündigte Malizias Co-Skipper Will Harris an. Der Brite übernimmt auf Etappe vier von Itajaí nach Newport über 5.500 Seemeilen die Skipperrolle. Der Startschuss fällt am 23. April. Boris Herrmann setzt planmäßig aus und ist für einige Wochen bei seiner Familie in Hamburg. In Newport stößt der neue König von Kap Hoorn für Etappe fünf im Mai dann wieder zu seinem Team.