The Ocean RaceBoris Herrmann – ”Wir können wieder Vollgas geben”

Tatjana Pokorny

 · 09.03.2023

Drohnen-Aufnahme von "Malizia – Seaexplorer" auf Etappe drei
Foto: Antoine Auriol/Team Malizia/The Ocean Race

Das wäre vor fünf Tagen noch schwer vorstellbar gewesen: An Tag zwölf ringen Boris Herrmann und Team Malizia auf der Ocean-Race-Königsetappe mit Team Biotherm und 11th Hour Racing um Rang zwei. Das starke Malizia-Comeback sorgt für ein Gefühl der Stärke in der Mannschaft auf dem Imoca unter deutscher Flagge

Boris Herrmanns Team Malizia ist auf der Königsetappe im Ocean Race wieder mittendrin im Kampf um einen Podiumsplatz. Eine knappe Woche nach der dramatischen Mast-Reparatur kämpft die Crew um den Hamburger Skipper mit dem französischen Team Biotherm und dem US-Team 11th Hour Racing um Rang zwei. Zwar wird das Feld weiterhin von der Schweizer “Holcim – PRB” angeführt, doch deren Vorsprung vor “Biotherm” ist von rund 600 Seemeilen am 3. März auf nur noch 165 Seemeilen am 9. März geschmolzen.

Boris Herrmann: “Wir haben jetzt das Gefühl, allen Herausforderungen gewachsen zu sein”

Team Biotherm, Team Malizia und 11th Hour Racing trennten bei ihrer Aufholjagd im Südpolarmeer zum Auftakt von Tag zwölf auf See nur rund 30 Seemeilen. Bei einer Pressekonferenz war Boris Herrmann und seinem Team das gute “Wir sind wieder im Rennen”-Gefühl anzusehen und anzuhören. Bei seiner fünften Weltumsegelung ließ der 41-jährige Hamburger Skipper die harten Tage noch einmal Revue passieren.

Boris erzählte: “Der Riss im Mast war ein riesiger Schock. Es war nicht klar, ob wir das Rennen zu Ende segeln können. Wir haben aber die große Herausforderung der Mastreparatur gemeistert. Das hat unserer Mannschaft alles abverlangt, aber auch ein Gefühl der Stärke gegeben. Wir haben jetzt das Gefühl, allen Herausforderungen gewachsen zu sein, komme, was da wolle.” Den Dreikampf mit Team Biotherm und 11th Hour Racing bezeichnete Herrmann als “superspannend”, das gelungene Comeback als “sehr motivierend”.

“Wir können wieder Vollgas geben”

Sein Boot beschreibt Boris Herrmann als optimal wiederhergestellt. Er geht davon aus, dass sein Team das Rennen mit diesem Mast beenden kann. Auch wenn es im brasilianischen Etappenhafen noch gründlich untersucht werden müsse. Er sagte: “Wir können das Boot bei 100 Prozent segeln. Wir können wieder Vollgas geben.”

Zuvor war erneut Rosalin Kuiper in einer kurzen Phase leichterer Winde in den Mast gegangen, hatte die reparierte Stelle begutachtet, durch Klopfen überprüft und der Reparatur eine gute Qualität bescheinigt. Die wagemutige Niederländerin gab bei ihren Erzählungen vom Reparatureinsatz am vergangenen Wochenende auch Einblicke in ihre persönliche Gefühlswelt.

Rosalin Kuiper: “Da oben ist es, als hättest du menschliche Superkräfte”

Zweieinhalb Stunden hatte die 26-Jährige bei ihrem ersten Ocean Race in etwa 28 Meter Höhe des Riggs der “Malizia – Seaexplorer” gearbeitet. Was für die meisten Menschen eher einer Horrorvorstellung gleicht, hat sie auf ihre Weise – trotz blauer Flecken und schmerzendem Körper am Folgetag – genossen. Rosie schwärmte fast und sagte: “Für mich ist das da oben einer meiner Lieblingsarbeitsplätze. Es ist sehr intensiv. Wenn du da oben bist, kann das gefährlich sein. Du musst sehr vorsichtig sein. Alle deine Sinne sind hellwach.”

Weiter erzählte die Sportpsychologin: “Da oben ist es, als hättest du menschliche Superkräfte. Du fühlst das Adrenalin. Für manche ist es beängstigend. Ich aber mag das Gefühl, diesen Helikopterblick. Wenn du dich 360 Grad umschaust, siehst du nur Meer um dich. Du realisierst, dass du im Niemandsland bist. Du fühlst dich sehr lebendig. Es kostet große Anstrengung, aber wenn du da oben bist, ist es eine der schönsten Erfahrungen, die du haben kannst.”

“Wir hoffen, Team Biotherm noch zu überholen”

Ihr Skipper Boris Herrmann war sichtlich darüber erleichtert, dass er den Reparatur-Marathon mit einem so einsatzfreudigen Team hat meistern können: “Ich habe keine Ahnung, wie ich das allein geschafft hätte. Sogar mit Mannschaft ist es unheimlich schwer, mit diesen ganzen technischen Problemen umzugehen, weil sie einem große Zweifel in den Kopf setzen, ob man es zum Ziel schafft. Dazu kam die Unsicherheit mit unserer Lichtmaschine. Will und ich haben jeweils 20 Stunden mit nur kleinen Pausen daran herumgeschraubt, damit wir überhaupt die Batterien laden können. Ich bin extrem froh, nicht allein, sondern mit dieser tollen Mannschaft auf dem Boot zu sein.”

Mit Blick auf die aktuelle Position seines Teams und das Wettrennen zum ersten Wertungstor sagte Boris Herrmann bei seiner Zwischenbilanz an Tag zwölf der “Monster-Etappe” im 14. The Ocean Race: “Wir hoffen, Team Biotherm noch zu überholen und vier Punkte einzuholen. Aber natürlich kann auch 11th Hour Racing uns noch einholen. Wir kämpfen so gut es geht, um das Beste herauszuholen.”

Kevin Escoffier: “Ich freue mich sehr, dass Boris und sein Team es geschafft haben, im Rennen zu bleiben”

Rund 1.700 Seemeilen waren es am Abend des 9. März noch für die Spitzenreiter vom Team Holcim – PRB bis zum “Scoring Gate”. Die imaginäre Halbzeit-Linie der “Monster-Etappe” liegt auf dem Längengrad 143 Grad Ost vor Tasmanien. Dort werden die ersten Punkte im gleichen Wert einer der ersten beiden Etappen vergeben. Im brasilianischen Zielhafen Itajaí werden noch einmal so viele Punkte verteilt.

Für Spitzenreiter Kevin Escoffier ist es keine Überraschung, dass Team Malizia inzwischen wieder so nah an seine Mannschaft herangerückt ist. “Wir wissen, dass ‘Malizia – Seaexplorer’ ein gutes Boot für schwere See ist. Sie ist wie ein Fahrzeug mit Allradantrieb. Ich bin definitiv nicht überrascht, dass sie zurück sind im Rennen. Sie haben repariert, ohne viel auf die Konkurrenz zu verlieren.” Escoffier berichtete auch über die Kameraderie im Ocean Race. “Ich habe mit Boris über die Reparaturen gesprochen und freue mich sehr, dass er und seine Crew es geschafft haben, im Rennen zu bleiben.”

“Jeder braucht an einem Punkt einmal Hilfe”

Gleichzeitig hat Team Holcim – PRB das Guyot Environnement – Team Europe mit Material für dessen Reparaturen in Kapstadt unterstützt. “Wir wollen, dass sie so schnell wie möglich reparieren können”, sagte Escoffier. Die Unterstützung für die Konkurrenz ist für sein Team und auch die anderen im Ocean Race selbstverständlich. Escoffier sagte: “Vor zwei Jahren war es Jean Le Cam, der mich (Redaktion: nach der Havarie bei der Vendée Globe) aus meinem Rettungsboot geborgen hat. Jeder braucht an einem Punkt einmal Hilfe. Ich habe bei diesem Ocean Race Freunde in allen Teams und kenne Boris gut. Natürlich ist das hier ein Rennen, aber wenn jemand ein Problem hat, gibt es keinen, der nicht helfen würde.”

Die Tatsache, dass “Holcim – PRB” in den vergangenen Tagen so viele Meilen an Vorsprung eingebüßt hat, beunruhigte Escoffier nicht: “Diese Leichtwindpassage war perfekt für uns, um das Boot zu überprüfen und gut zu schlafen. Das war also nicht schlecht. Wir sind es von den Etappen eins und zwei gewohnt, in Kontakt mit den anderen Booten zu segeln. Und wir waren in der Lage, vorn zu bleiben. Ich hoffe, dass uns das auch jetzt gelingt.” Das Team Holcim – PRB hatte die ersten beiden Etappen im 14. Ocean Race gewonnen und setzt diesen Erfolgskurs aktuell fort. Ob die Verfolger am Thron des Schweizer Teams mit französischem Skipper rütteln können, müssen die kommenden Wochen zeigen.

Hey, Will, was ist deine älteste Erinnerung an ein Segelboot? Die Antwort und mehr gibt’s beim aktuellen Bord-Gespräch mit Will Harris und Malizia-Navigator Nico Lunven:

Auch an Bord von Biotherm wird viel gelacht – hier ein Einblick in das französische Team um Skipper Paul Meilhat mit britischer Verstärkung durch Sam Davies:

Zur jüngsten Ocean-Race-Zusammenfassung vom 9. März mit Kommentaren der Segler von See geht es hier: