YACHT-Redaktion
, Kristina Müller
· 20.12.2022
Der Gebrauchtbootkauf kann aufgrund der großen Auswahl sowohl verlockend als auch schwierig sein. Welcher Bootstyp ist die richtige Wahl für den jeweiligen Nutzer? Der interaktive Entscheidungsbaum kann dabei nützliche Informationen liefern. Durch Eingabe von Kriterien und Klicken durch die verschiedenen Optionen erhalten Sie eine fundierte Empfehlung
Das richtige Gebrauchtboot zu finden ist schwierig. Gelinde gesagt. Denn die erste Hürde auf dem Weg zum Eigner stellt schon die Entscheidung für den Bootstyp dar. Hunderte scheinbar attraktive Möglichkeiten – vom günstigen Kleinkreuzer bis zur erschwinglichen Fahrtenyacht – bietet der Gebrauchtbootmarkt, der für viele schon aus finanziellen Gründen die bessere Alternative zum Neukauf ist. König unter den Suchenden ist, wem schon immer ein Traumschiff vorschwebte. Steht seit Langem fest, dass es einmal eine Hallberg-Rassy 352, eine Luffe 40 oder ein Folkeboot sein soll, schrumpft die Zahl der in Frage kommenden Boote schnell auf eine überschaubare Anzahl.
Alle anderen Eigner in spe ringen mit einem Problem. Sie haben die Qual der Wahl. Soll die Suche nach dem passenden Gebrauchtboot nicht in jahrelangem Wälzen von Anzeigen, zahllosen Kilometern auf der Autobahn, frustrierenden Besichtigungsterminen oder gar in einem Fehlkauf enden, lohnt es sich, zunächst etwas Zeit in die Wahl des richtigen Bootstyps zu investieren. Als langjähriger Segler mit Erfahrung auf verschiedenen Booten ist die – vielleicht unbewusste – Entscheidung für oder gegen einige Modelle möglicherweise längst gefallen. Doch gerade für Einsteiger und all diejenigen, die zum ersten Mal ein eigenes Boot kaufen, ist es sinnvoll, nach Plan vorzugehen.
Zwei Aspekte sind dabei wesentlich. Zum einen gibt es das perfekte Gebrauchtboot ebenso wenig wie die eierlegende Wollmilchsau, die viele in Bootsform suchen. Bei Schietwetter im Deckssalon sitzen, aber dennoch das Revier mit dem Boot auf dem Trailer flexibel wechseln können, das wird nicht funktionieren. Jedes Schiff bleibt nun mal ein Kompromiss.
Zugleich ist mit fast jedem Boot fast alles möglich und letztlich nur vom Budget und persönlichen Vorlieben abhängig: Eine Weltumsegelung funktioniert auf einem sieben Meter langen Kunststoffboot ebenso wie ein Familienurlaub im Binnenland auf einer 38-Fuß-Stahlyacht. Wie empfehlenswert solche Vorhaben sind, sei dahingestellt.
Grundsätzlich sollte der Bootstyp zum Zweck passen, für den er angeschafft wird. Also zu Erfahrung, Größe, Nutzungsverhalten und Vorlieben der Crew sowie zu den kurz- oder langfristigen Plänen und natürlich zum Revier. Ein Schiff mit 1,80 Meter Tiefgang für die Ostfriesischen Inseln als Heimatrevier anzuschaffen wäre unklug. Und eine leichte, schnelle Yacht mit Ausrüstung für eine Langfahrt zu überfrachten würde ihre einst guten Segeleigenschaften zunichtemachen. Machbar ist beides, aber mit dem richtigen Gebrauchtboot für die eigenen Pläne wird man mehr Freude an ihm haben.
Die Erwägungen, um die es bei der strukturierten Bootssuche gehen sollte, erinnern ein wenig an die „W-Fragen“, die im Erste-Hilfe-Kurs für das Absetzen eines Notrufs geübt werden – wo, wer, wie und so weiter. Genau das sind auch die Fragen, auf die es bei der Bootssuche ankommt: Wo soll gesegelt werden, wie und mit wem?
Der interaktive Entscheidungsbaum führt zum geeigneten Gebrauchtboot-Typ
Das Revier der Wahl, meist abhängig vom eigenen Wohnort, ist ein erster guter Filter bei der Suche nach dem passenden Boot. Soll es binnen gesegelt werden, an IJsselmeer, Nordsee- oder Ostseeküste liegen, seinen Liegeplatz im Mittelmeer oder sogar in der Karibik haben? Will die Crew damit vielleicht einmal auf Langfahrt gehen?
Wer die Blauwasserreise plant, schaut sich im Regelfall nach einer hochseetauglichen Fahrtenyacht von 35 Fuß an aufwärts um. Für den klassischen Binnensegler stellt sich eher die Frage: Jolle oder Kajütboot? Wer mit seinem Schiff auf der Adria oder in Griechenland segeln will, wird mehr Wert auf eine Yacht mit großzügigem Cockpit und Badeplattform legen als ein Eigner an der Nordseeküste. Dessen oberste Maxime wird womöglich eher sein, dass das Schiff nicht mehr als 1,40 Meter Tiefgang hat und trockenfallen kann, sodass es auch für die Wattfahrt geeignet ist.
Will man sich in Bezug auf das Revier nicht festlegen und möchte es lieber häufig wechseln, könnte ein trailerbares Boot die Lösung sein. Gleich zu Anfang sollte dabei bedacht werden, ob das eigene Auto als Zugfahrzeug geeignet ist und – bei jüngeren Seglern ein wichtiger Aspekt – ob der Führerschein das Ziehen des Gespanns erlaubt oder eine Anhängerprüfung fällig ist.
Außerdem wichtig: Wie soll das Boot genutzt werden? Sind Tages- oder Wochenendausflüge ohne Übernachtung an Bord geplant? Dann spielen Kojen, Toilette und Pantry vielleicht eine untergeordnete oder gar keine Rolle. Anders als bei einem Schiff, mit dem es wochenlang in den Urlaub oder jahrelang auf Reise gehen soll. Sind diese Komfort-Kriterien allerdings auch auf einem kleinen Boot für Binnen oder die Küste gewünscht, kann das die Wahl schon vereinfachen – denn es schränkt sie stark ein. Der ein oder andere Kleinbootsegler ohne Nasszelle wird längst gemerkt haben, dass eine Toilette an Bord genau der Schritt ist, der zur großen Freiheit noch fehlt – und folglich bei der Bootssuche genau darauf Wert legen.
Erfahrene Segler werden sich schnell über die Frage im Klaren sein, ob sie eher sportlich und auch Regatten segeln wollen – und beispielsweise nach einer gebrauchten X-Yacht, einer Dehler oder Elan Ausschau halten. Steht bequemes Fahrtensegeln im Vordergrund und ist ein ruhiges Seeverhalten wichtiger als das Geschwindigkeitspotenzial der Yacht, dürften eher Gebrauchte von Hallberg-Rassy, Najad oder Contest interessant sein. Wer auf Langfahrt will, wird die Kreuzeigenschaften für weniger relevant halten als etwa ein geschütztes Cockpit und eine hohe Stabilität.
Ein dritter Aspekt, der ganz zu Anfang jeder Bootssuche realistisch hinterfragt werden sollte, ist das Budget: Für welchen Schiffstyp reicht es, ohne dass man auf ein vermeintliches Schnäppchen mit Reparaturstau zurückgreifen muss – und am Ende doch noch zu viel investiert? Es braucht nicht unbedingt eine Menge Geld für einen guten Kauf: Trailerbare Kajütboote werden ab 3.000 bis 5.000 Euro angeboten. Kleinere Fahrtenyachten zwischen 28 und 33 Fuß liegen meist zwischen 15.000 und 30.000 Euro. Für 35 bis 40 Fuß gibt es Angebote zwischen 30.000 und 50.000 Euro. Steht fest, dass das Boot nur für einen bestimmten Zeitraum angeschafft werden soll und absehbar wieder verkauft wird, sollte dies schon beim Kauf berücksichtigt werden: Bekannte und populäre Modelle aus Serienproduktionen lassen sich in der Regel leichter wieder veräußern als ein Einzelbau oder ein exotisches Serienschiff aus ausländischer Produktion.
In finanzieller Hinsicht sollten laufende Kosten für Liegeplatz, Winterlager, Versicherung und Reparaturen einkalkuliert werden. Das wirkt sich auf die in Frage kommende Bootsgröße aus – getreu dem Motto: Jeder Meter mehr kostet mehr. Ein Trailerboot dagegen kann unter Umständen im Winter privat gelagert werden und so Geld sparen. Für einen Kimmkieler muss nicht extra ein Bock fürs Winterlager angeschafft werden, das senkt ebenfalls Kosten. Und auch die Überlegung, ob sich an der eigenen beruflichen oder finanziellen Situation absehbar etwas ändern wird, kann beim Thema Budget nicht schaden.
So verlockend es erscheinen mag, möglichst viel Schiff für möglichst wenig Geld zu kaufen, so schnell kann sich dieser Plan als Trugschluss erweisen. In der Folge werden meist doch noch die Ausrüstungsgegenstände angeschafft oder die Dinge repariert, die bei einem teureren Angebot bereits vorhanden oder intakt gewesen wären. Was das nächste Problem aufwirft: Wie viel Arbeit und damit verbundenen Zeitaufwand will man mit dem neuen alten Schiff haben? Lautet die Antwort „wenig“ und ist man handwerklich nicht geschickt genug, um Bootsarbeiten selbst durchzuführen, sollten Boote mit Holz- oder Stahlrümpfen gar nicht erst in die engere Wahl rücken. Die Entscheidung sollte dann für ein pflegeleichtes und tendenziell neueres GFK-Schiff fallen.
Sind all diese Fragen im Kopf oder auf einem Blatt Papier beantwortet, wird sich ein schon viel klareres Bild des künftigen Schiffes ergeben haben. Vielleicht handelt es sich um eine Fahrtenyacht für Nordsee und Ostsee um die 35 Fuß mit variablem Tiefgang, vielleicht um ein kleines Klassenboot für Familienspaß am Wochenende und bei Regatten, vielleicht um ein Langfahrtschiff mit solidem Rumpf und Platz für Jahre unter Segeln.
Um zwischen verschiedenen Bootstypen, die sich für den jeweiligen Zweck eignen, schließlich den einen richtigen herauszufinden, sind weitere Punkte zu bedenken. Spätestens an dieser Stelle spielen detaillierte Anforderungen der Crew, aber auch deren Erfahrung und ihre – sowohl körperliche als auch zahlenmäßige – Größe eine Rolle:
Sind lange Kojen und Stehhöhe ein Muss oder ein auf Einhandtauglichkeit ausgerichtetes Cockpit? Ist ein Teakdeck oder ein bestimmtes Rumpfmaterial wie Alu oder GFK absolut erwünscht oder tabu? Stehen Seekoje, Pinnensteuerung oder ein großer Kühlschrank auf der persönlichen Prioritätenliste ganz oben?
Allein durch das Auflisten und Gewichten der entscheidenden Kriterien wird man sich häufig erst bewusst, wonach man eigentlich sucht.
Mit einer individuellen Entscheidungsmatrix lassen sich Prioritäten setzen und gewichten. Unter dem Strich steht im Optimalfall: das perfekte Boot
Am Ende all dieser Überlegungen wird schnell klar, auf welchen Typ man sich konzentrieren kann. Natürlich gilt: Nichts spricht gegen einen Kauf aus dem Bauchgefühl heraus, solange das Schiff in Ordnung ist. Linien und Geschmack entscheiden immer noch ganz erheblich darüber, für welchen Bootstyp letztlich die Entscheidung fällt.
Dass es durchaus angebracht ist, sich beim Kauf auch vom Äußeren als Kriterium leiten zu lassen, sagt sogar Wilfried Erdmann, vierfacher Weltumsegler und Eigner zahlreicher gebrauchter Schiffe. In seinem Buch „Segeln mit Wilfried Erdmann“ äußert er zum Thema: „Ein Boot, das mutig aussieht, wird einen nicht im Stich lassen.“ Und: „Ein schönes Schiff hat meist beste Segeleigenschaften.“
So sehr also Emotionen und Bauchentscheidungen beim eigentlichen Kauf fehl am Platz sind, so sehr dürfen sie bei der Auswahl des Bootstyps noch eine Rolle spielen. Denn kaum etwas wäre ärgerlicher, als später mit dem neuen gebrauchten Vernunftschiff auf dem Wasser zu sein und dabei wehmütig auf die Boote zu schauen, die Bauch und Herz viel lieber gekauft hätten.