„Firecrest II”Klassiker-Eigenbau nach englischem Vorbild

Stefan Schorr

 · 19.03.2023

„Firecrest II“ liegt dauerhaft an der Boje vor Eckernförde  und lässt sich nur per Beiboot erreichen. Auf Törn wird das große  geklinkerte Dingi  hinterhergeschleppt
Foto: Stefan Schorr
Die ”Firecrest II” im Detail

Clemens Richter ist Seemann mit einem Faible für die Vergangenheit. Er baut sich seinen eigenen Klassiker „Firecrest II“, ganz  nach einem englischen Vorbild

„Sobald ich zu meinem Boot komme, bin ich total im Hier und Jetzt.“ Clemens Richter rudert gekonnt mit seinem Beiboot von der Dingibrücke des 1923 zu Danzig gegründeten Yacht Clubs Meteor los. Vorm Strand von Eckernförde-Borby liegt seine „Firecrest II“ an Boje 24. Die Sonne lässt an diesem heiteren Sommermorgen das Ostseewasser glitzern, das hier so klar ist, dass der Blick un­gehindert bis auf den sandigen Grund in drei Meter Tiefe reicht.

Behutsam geht der Segler an Steuerbord des Klassikers „Firecrest II“ längsseits. Das Holzboot, Typ englischer Kutter des 19. Jahrhunderts, ist klein und stäbig. Der Steven gerade, das Yachtheck auffällig lang gezogen, der Rumpf hochbordig. Das Deck läuft glatt durch, unterbrochen lediglich von einem kleinen, kreisrunden Cockpit, vor dem sich zwei schmale Skylights vor und hinter dem Niedergang befinden.

Der Anblick des Klassikers „Firecrest II” erfreut den Eigner immer wieder neu

„Ich meditiere regelmäßig, aber an Bord brauche ich das nicht“, erklärt Richter. Das Ankommen im Hier und Jetzt beginne mit dem Hinrudern. Lange schon träumte er von einem Liegeplatz mit glasklarem Wasser, von dem er ohne Hindernisse lossegeln kann. Deshalb zog er nach zehn Jahren an der Schlei in die Eckernförder Bucht – vom Stegplatz am Restaurant „Schleiperle“ zum Bojenfeld. „Wenn ich einige Tage nicht an Bord war, umrunde ich den Klassiker ‘Firecrest’ manchmal zunächst und erfreue mich an ihrem Anblick. Dann nähere ich mich ihr langsam und streichele den Rumpf, bevor ich an Bord gehe.“ Das Verhältnis zwischen Eigner und Boot ist ein besonderes.


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Clemens Richter wurde 1952 als Sohn eines Künstlerehepaars in Möltenort an der Kieler Förde geboren. Schon in früher Jugend begann er zu schreiben, als Elfjähriger zunächst Tagebuch, dann alle möglichen Texte. Bis heute vergeht kein Tag, an dem er nicht zum Stift greift. Außerdem entdeckte er früh seine Liebe zur bildenden Kunst – und zur See. Er verschlang die Klassiker der Segelliteratur und träumte bald von einem Boot wie der „Firecrest“ des französischen Langfahrtseglers Alain Gerbault. Nur ein eigenes weltreisetaugliches Segelboot würde sein aufflammendes Fernweh stillen können. Zunächst zog es ihn aber beruflich in die Ferne: 1971 heuerte Richter auf einem Frachtschiff an. Insgesamt 20 Jahre fuhr er zur See. Erst weltweit als Matrose, dann als Steuermann, schließlich als Kapitän auf großer Fahrt, der auch ein Diplom als Wirtschaftsingenieur in der Tasche hat.

Der Gaffelkutter entsteht nach einem englischen Vorbild von Alain Gerbault

Die eigene Yacht verlor er dabei nicht aus den Augen. Zwar reichte sein Budget nicht für den Bau eines Zwölf-Meter-Kutters, wie Gerbault ihn segelte – aber für eine 8,5- Meter-Variante. Die baute der Seemann während seines Nautikstudiums selbst aus Holz und nannte sie nach der Fertigstellung 1983 „Firecrest“, die englische Bezeichnung der Vogelart Sommergoldhähnchen. „Ich befürchtete, dass ich einen ausgefallenen Namen nach wenigen Jahren nicht mehr passend finden könnte“, erklärt der heute 65-Jährige. „Deshalb dieser Name, war doch Gerbaults Schiff meine Inspiration.“

Über seine Törns mit dem klassischen Gaffelkutter schrieb er sein erstes Buch: „Mit Firecrest rund Fünen“. Im Juni 1986 startete er mit seiner Freundin Christine Nissen zu einer ausgedehnten Ozeanreise ohne elektronische Hilfsmittel in die Karibik, die nach der zweiten Atlantiküberquerung 1987 endete. Um mehr Zeit für den gemeinsamen Sohn Max zu haben, gab Kapitän Richter 1988 die mehrmonatigen Seereisen auf. Max fährt heute selbst zur See und hat ein Kapitänspatent.

Der Eigner von „Firecrest II” widmet sich auch künstlerischen Projekten

Der ehemalige Frachtschiffkapitän Clemens Richter wurde hingegen Schriftsteller und Projektkünstler. Bis 1991 halfen noch gelegentliche Jobs auf Schiffen, den Lebensunterhalt zu sichern. Inzwischen sind rund 30 Bücher erschienen, die er selbst illustrierte: neben dem Törnbericht „Firecrest auf Atlantikreise“ maritime Fachbücher und solche über seine zweite große Leidenschaft, das Fliegen. Außerdem veröffentlichte er Bücher über das meditative Bogenschießen, das Mittelalter und mehrere Romane.

Immer wieder widmet sich Richter umfangreichen (künstlerischen) Projekten. Als solches startete er auch 1999 den Bau seiner „Firecrest II“. Der Selbstbau des Eigenentwurfs lief in den ersten Jahren „nebenbei“, dann als „Nebenberuf“ mit vier Handwerkertagen pro Woche. „Aber kein Beileid! Es war der Weg des geringsten Widerstands. Es nicht zu tun wäre schwieriger gewesen“, schrieb Richter einst dazu.

Die siebenjährige Entstehungsgeschichte ist genau dokumentiert. Im Bautagebuch ist jede der insgesamt 3.506 Arbeitsstunden notiert. Notizen und Skizzen zu Details ergänzen die Einträge. Dort finden sich die Maße des Aufbaus überm Niedergang, den er zunächst probehalber aus Pappe baute. Und wie das Drehen des noch unter 1.000 Kilogramm schweren Rumpfs klappte: mit Hilfe einer Kiste Bier, einer Menge Segler aus der nahegelegenen Kneipe, zwei Taljen und einem Stapel alter Matratzen.

Die (Bau-)Geschichte rund um den Klassiker ist in Büchern dokumentiert

2006 kam der Klassiker „Firecrest II“ ins Wasser. Wie schon im letzten Kapitel seines Buchs „Fire­crest auf Atlantikreise“ beschrieben, ist sie in der Handhabung viel einfacher gehalten als die Vorgängerin mit Gaffelgroß, Fock, Klüver, Flieger und Toppsegel. „Ich möchte in einer halben Stunde segelklar sein und losfahren“, erklärt Richter und lässt an Bord erkennen, dass jeder Handgriff sitzt. Schnell ist das Segelkleid des Großsegels ab- und Fock sowie Klüver angeschlagen. Der Klüver wird fliegend gesetzt – das Vorliek übernimmt die Aufgabe des Vorstags –, mit dem Vorholer zur Nock des zwei Meter langen Klüverbaums gezogen und mit einer einfachen Rollvorrichtung weggerollt. Der Vorholer dient zugleich als Wasserstag.

Der stämmige Mast steht unverstagt weit vorn im Bug. Dem zugekauften GFK-Fahnenmast hat der Selbstbauer ein Holzfurnier verpasst. „Der Mast wiegt zirka 80 Kilogramm und ist extrem robust. Ich habe schon ein paar Knockdowns mit dem Boot erlebt, die er alle überstanden hat.“

Richter nimmt den Außenborder vom Heckkorb. Nachdem er in der Backskiste an Backbord den runden Deckel entfernt hat, kann er den 3,5 PS starken Langschafter durch die Öffnung im Rumpf stecken und in seinem Schacht montieren; „ich kann den Außenborder auch drehen und somit sehr gut manövrieren“. Für Hafenmanöver ohne Motorgeknatter liegt außerdem ein langer Riemen an Deck. „Damit lässt sich der Klassiker gut in Fahrt bringen. Außerdem nutze ich die Markierungen daran zum Loten.“

Der Klassiker lässt sich leicht einhand segeln – ein Vorteil

Die Leine zur Festmacherboje wird mit einem Slipstek der Fockschot gesichert. Als der Motor läuft, löst Richter die Leinenverbindung und tuckert los. Problemlos bedient der Schriftsteller, der fast ausschließlich allein segelt, seinen Klassiker „Firecrest II“ einhand. Die Pinne wird mit einer Kette arretiert, und Richter setzt das um den Mast gespannte Großsegel und die Fock. „Die erhofften Vorteile des unverstagten Mastes haben sich voll erfüllt. Auch bei viel Wind ist das Großsegel leicht zu setzen, ohne dass ich in den Wind gehen muss. Einreffen, ausreffen, halsen – alles absolut easy.“

Als der Klüver ausgerollt ist, zieht „Firecrest II“ bei zwei Windstärken langsam, aber kursstabil ihre Bahn. Neben der passierenden Hallberg-Rassy 29 oder einem über­holenden Trimaran wirkt der kleine Holzkutter wie aus längst vergangener Zeit. Dazu tragen auch der Steuerkompass im Messinggehäuse und die traditionellen Beschläge bei. Die waren tatsächlich nur in Niro zu bekommen; Richter hat sie mit einer Owatrol- Grundierung auf alt getrimmt.

Dank der Windselbststeueranlage ist der Solosegler autark. Lenkt er eigenhändig, sitzt er an Deck, das aus Kiefer auf laminierten Decksbalken besteht und mit Teakleisten belegt ist. Seine Beine streckt er ins lediglich fassgroße Cockpit. Auch bei Seegang sind die Schiffsbewegungen laut Richter ungemein angenehm. Das kleine Boot segelt äußerst trocken.

Insgesamt ist „Firecrest II” ein gelungenes Projekt

Was es jedoch gar nicht mag, sind Amwind-Kurse gegen Wellen – da stampft sich „Firecrest II“ fest. „Aber ab 60 Grad zum Wind fängt sie an zu laufen“, beteuert der Eigner. „Und auf Halbwind- oder Raumschots-Kurs segelt sie absolut bezaubernd.“

Zufrieden sieht Clemens Richter aus, wie er so vor Eckernförde kreuzt. Auch in diesem Jahr hat er sein Boot wieder erst im Juni ins Wasser gebracht. Vorher war er abermals als Seminarleiter für meditatives Bogenschießen in Klöstern in Deutschland und Südtirol unterwegs. Zahlreiche mittelalterliche Langbögen hat er seit Beginn der Neunziger gebaut und Bücher darüber wie auch über ritterliche Kampfkünste geschrieben.

Außerdem intensivierte Richter in den vergangenen Jahren sein Engagement in der bildenden Kunst mit dem Schwerpunkt experimentelle Fotografie. Für sein Projekt „Lufträume“ mit großformatigen Fotogra­fien nutzt der Hobbypilot seinen offenen leinwandbespannten Doppeldecker vom Typ Kiebitz-B 9. Sieben Jahre lang baute er das Flugzeug aus den Pioniertagen der Fliegerei selbst in einer Scheune in Angeln. Im Sommer 2017 durfte der Kunst-Quereinsteiger als einer von lediglich zehn Deutschen bei der NordArt seine Arbeiten zeigen. Die jährlich stattfindende Ausstellung gehört zu den größten Europas für zeitgenössische Kunst.

Demnächst wird er mit einer selbst gebau­ten Helmtauchausrüstung und Lochkamera seine experimentelle Fotografie um Unterwasser-Aufnahmen ergänzen. Vorher muss er noch die Fotolocation eines chinesischen Bordells der 1920er-Jahre demontieren. „Irgendwie beschäftige ich mich meist mit vergangenen Zeiten. Vielleicht bin ich hundert Jahre zu spät geboren“, mutmaßt der Künstler.

Der Eigner ist umtriebig – und hat viele Pläne und Projekte

Sein vielfältiges Schaffen verhinderte jedenfalls auch im vergangenen Sommer wieder einen längeren Törn. Anfang Oktober müssen die Bojen vor Eckernförde aus dem Wasser. Dann geht es zum Kran an der Schlei und kurz danach schon ins Winter­lager in Kiesby. Trotz der kurzen Saison ist Clemens Richter zirka 40 bis 50 Tage pro Jahr an Bord. Etwa an jedem zweiten segelt er. „Ich rudere auch einfach mal raus zu ‚Firecrest II‘, sitze an Bord und genieße das Leben.“ Meist dauert es jedoch nicht lange, bis der Gedanke „Ich muss raus, ich muss zwischen die Inseln“ erneut auftaucht. Dann wird wieder losgesegelt. Ein paar Mal ist der Rastlose mit dem Schiff um Fünen rum. Bisher allerdings dauerten die Törns nie länger als zwei, maximal drei Wochen.

Wenn der Schriftsteller unterwegs ist, ankert er gern. Den verwendeten Bügelanker hat ihm sein Freund empfohlen, der Weltumsegler Wilfried Erdmann. Die Ruhe der Ankerplätze nutzt Richter „fast ständig zum Schreiben“ – egal, ob er mit seinem Block und Klemmbrett an oder unter Deck sitzt. Über die Niedergangsleiter geht es hinab in die kleine Kajüte, die dank sinnvoller Aufteilung mehr Platz bietet als erwartet. An Steuerbord ein Kartentisch, der den Namen noch verdient. Hier lässt sich unter der Schiebeluke des Niedergangs gut im Stehen arbeiten – etwa, wenn Clemens Richter gewissenhaft das Journal seiner „Fire­crest II“ führt; es ist das mittlerweile dritte. Davor eine Sitzbank, die auch als schmale Koje dienen kann.

Der Klassiker „Firecrest II” entsteht nach Seemannsart und mit Auge fürs Detail

Weit vorn dominiert der massive Mast. Kiellager wie auch die Decksverstärkungen sind sehr stark dimensioniert. Seetauglichkeit hatte beim Bau klare Priorität. Am Mast ist ein kleiner, drehbarer Tisch befestigt.

An Backbord liegen auf dem kurzen Sofa die handlichen Segelsäcke weiterer kleiner Vorsegel. Dahinter befindet sich ein Holz­ofen aus Stahl und Messing, Richter ver­abscheut Kälte und Nässe an Bord. Der Ofen mit seinem durch Kupferblech geschützten Abzugsrohr ist – was sonst – von ihm persönlich konstruiert und gebaut. Die eher grobschlächtigen Schweißnähte hat er mit der Flex geglättet. „Ich bin im tiefsten Inneren immer Seemann geblieben und habe deshalb auch alles ‚nach Seemannsart‘ gebaut. Das gilt für den Ofen wie für den Rumpf.“

Wenn das Boot aus zehn Meter Entfernung gut aussieht, reicht das Clemens Richter. Hätte er den in Leistenbauweise entstandenen und mit Glasfasergewebe und Epoxidharz überzogenen Rumpf noch akkurater gespachtelt und geschliffen, wäre er einige Hundert Arbeitsstunden später aufs Wasser gekommen.

Vorbei an der kleinen Pantry mit Spül­becken und einflammigem, halbkardanisch aufgehängtem Spirituskocher führt ein schmaler Durchgang nach achtern. Die dort angesiedelte Kammer des Eigners ist sehr einladend. Die bis zum schrägen Heckspiegel reichende Koje an Steuerbord ist groß, und das traditionelle Skylight sorgt dafür, dass die helle Kammer von Licht durchflutet wird. Außerdem bietet sie dem 1,80 Meter großen Eigner Stehhöhe zum An- und Ausziehen. Hier lässt es sich gut aushalten.

Es verwundert nicht, dass Clemens Richter nach wie vor auf eine lange Reise mit seiner „Firecrest II“ hofft. Die Inspiration dafür bezieht er aus einem Törn Alain Gerbaults. Er würde dem Vielschreiber sicher den Stoff für ein weiteres Buch liefern. Das Thema: über das Segeln wie in einer anderen Zeit.


Technische Daten Gaffelkutter „Firecrest II”:

  • Konstrukteur: Clemens Richter
  • Baumethode: Leistenbauweise
  • Bauzeit: 1999–2006 im Eigenbau
  • Rumpflänge: 6,50 m
  • Länge Wasserlinie: 5,20 m
  • Breite über alles: 2,30 m
  • Tiefgang: 1,25 m
  • Großsegel: 16,0 m²
  • Klüver: 4,0 m²
  • Fock: 5,0 m²
  • Verdrängung: 3,5 t
  • Ballast/-anteil: 1,0 t/28,6 %

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