ZeesbootNeues Leben für einen fast 100 Jahre alten Klassiker

Stefan Schorr

 · 04.03.2023

Fast 100 Jahre nach dem Stapellauf erblickt das alte Arbeitsfahrzeug erneut das Licht der Welt
Foto: H. Berthold

Bootsbaumeister Jens-Peter Weiß hat in seiner kleinen Werft die Rekonstruktion eines Zeesbootes von 1929 durchgeführt. Der Berliner Fotograf Hardy Berthold hielt die Arbeiten in stimmungsvollen Schwarz-Weiß-Bildern fest

„In diese Geschichte habe ich mich sofort verliebt“, beschreibt der Berliner Fotograf Hardy Berthold den Moment im Dezember 2019, als ihm Bootsbaumeister Jens-Peter Weiß davon erzählt, dass er auf seiner kleinen Werft im vorpommerschen Bartelshagen II das Zeesboot FZ 54 „Romantik“ rekonstruieren wird. „Eine Werft, die sieben Kilometer vom Wasser entfernt liegt, weckte natürlich gleich meine Neugierde“, erinnert sich Berthold. „So auf dem Trockenen ist sie schließlich schon etwas kurios.“

Eignerin der „Romantik“ ist Rika Harder. Gebaut wurde ihr Zeesboot 1929 auf der Bootswerft Carl Holzerland junior in Barth: aus Eiche, karweel beplankt, als Spitzgatter mit konvexem Vorsteven. 11,03 Meter misst der Rumpf zwischen den Steven. Die Ketsch ist 3,55 Meter breit und hat 95 Zentimeter Tiefgang, wenn das Mittelschwert hochgenommen ist.

Vom Segelfischer zum Fahrgastschiff und zum Traditionssegler

Ersteigner Willi Grählert nutzte das Boot mit der Fischereinummer BOD. 10, später PRU. 6, bis 1974 zum Fischen. Dann hängte er, als letzter Zeesenfischer, das sackförmige Netz, mit dem quer zum Wind treibend gefischt wird, an den Nagel. Die Reederei Käpp’n Brass setzte das Boot bis 1981 unter dem Namen P-903 „Käpt’n Brass“ als Fahrgastschiff vom Alten Strom in Warnemünde aus ein. Zunächst wieder als Fischerboot, dann als reines Sportboot machte ab 1987 Eigner Frank Müller das segelnde Traditionsboot FZ 54 „Olle“ daraus. Nach Verkauf an die heutige Eignerin Rika Harder 2012 heißt FZ 54 nun „Romantik“.

Im Winter 2019/20 also beginnt die Geschichte der Totalsanierung des Rumpfes. Da dessen Generalüberholung in den neunziger Jahren in Wustrow nicht fachgerecht ausgeführt wurde, wird Bootsbauer Jens-Peter Weiß die alten Teile Schritt für Schritt austauschen und durch neue ersetzen müssen. Nur so kann er die Originalform wiederherstellen.

Projekt entwickelt sich zur echten Liebesbeziehung

Fotograf Hardy Berthold beschließt, diese umfangreichen Arbeiten zu dokumentieren. Im Januar 2020 fährt er erstmals zum Fotografieren zur Werft. Insgesamt werden es 14 Besuche. „Das war dann immer mindestens ein kompletter Arbeitstag, teilweise bin ich aber auch zwei oder drei Tage geblieben. Die Sanierung sollte eigentlich vier Monate dauern, aber so was funktioniert ja in den seltensten Fällen so schnell, wie anfangs gedacht.“Tatsächlich kann sich das Fotoprojekt über anderthalb Jahre „zu einer echten Liebesbeziehung“ entwickeln, erzählt Berthold. Er wandelt zu Hause am Rechner seine digitalen Aufnahmen in Schwarz-Weiß-Bilder um. „Für mich war von Anfang klar, dass es Schwarz-Weiß-Fotos sein müssen. Das passt einfach total gut zu dem Thema und zur Ästhetik der Werft.“

Berthold war lange Zeit Dozent an einer Fotoschule. 2011 wagte er den Schritt in die Freiberuflichkeit als Fotograf. Neben Industrie und Events fotografiert er Architektur für eine Location-Agentur und macht regelmäßig Fotos fürs Tourismusmarketing. Auftraggeber sind vor allem Städte in Süd-Brandenburg. Vor rund zehn Jahren lernte der Berliner die Zeesboote Vorpommerns kennen. „Ich bin immer mal bei Freunden in Berlin mitgesegelt. Da die meisten von ihnen Regattasegler sind, nahmen sie mich eines Tages zu einer Zeesbootregatta mit.” Mit jeder weiteren Teilnahme mehren sich die Kontakte in die Szene und werden intensiver.

Zeesboot-Rekonstruktion: klassisches Handwerk

Auf der Werft von Bootsbaumeister Jens-Peter Weiß wird heute noch klassischer Holzbootsbau betrieben. Neben Restaurierungen entstehen hier auch regelmäßig Neubauten nach traditionellen Vorbildern oder Neukonstruktionen nach Eignerwunsch.

Mit Bootsbaumeister Jens-Peter Weiß steht er während der anderthalbjährigen Rekonstruktion der „Romantik“ in regem Telefonkontakt. So wird abgestimmt, wann sich das Fotografieren wieder besonders lohnt. „Bei jedem Besuch haben wir ganz wunderbare Gespräche geführt, in denen ich viel Neues gelernt habe. Begriffe wie ‚aufpallen‘ oder ‚straken‘ zum Beispiel“, erzählt Berthold.

Jens-Peter Weiß muss die Steven und sämtliche Spanten ersetzen und den kompletten Rumpf neu beplanken. „Wenn man das Schiff im Winter lagert, gibt es in der Pallung nach, wenn das Holz weich wird. Das Boot bekommt irgendwelche Beulen, oder ein Spant gibt nach. Das Schiff hängt dann irgendwann durch, der tiefste Punkt ist nicht mehr mittschiffs, sondern an den Steven. Die hängen tiefer, und oben an Deck bekommt der dann so einen Katzenbuckel“, erklärt Weiß.

Fünf Eichenstämme für die „Romantik“

Er sieht es als seine Aufgabe, dass das komplette Boot am Ende wieder vernünftig strakt. „Das Schöne, wenn man so einen Rumpf total restauriert, ist, dass man dann auch gleich die alten Fehler ausmerzen kann.“ „Die Kurven und Linien an solch einem Boot sind ja rein organisch. Es ist unglaublich, wie präzise Jens-Peter arbeitet“, sagt Fotograf Berthold. „Er notiert irgendwelche Zahlen, sägt eine Planke zurecht und macht sie mit heißem Wasserdampf biegsam. Dann wird die eingepasst und saugt sich regelrecht an der vorgesehenen Stelle fest, als ob sie da schon immer hingehört hätte. Wirklich beeindruckend.“

„Die Maße der nächsten Planken werden mit der ‚Stickleiste‘ (Ree, Anm. d. Red.) ermittelt und darauf notiert. Die entsprechend zugesägten Eichenplanken werden dann für eine Stunde im Dampfkasten gekocht. Wasserdampf hat ja eine Temperatur von 100 Grad und die Planke dann eben auch durch und durch. Damit geht es im Laufschritt ans Boot. Vorn wird die Zwinge angesetzt, und der Nächste muss dann gleich die Planke mit rumdrücken“, erklärt Weiß.

Fünf Eichenstämme hat der Bootsbauer für die „Romantik“ besorgt, vier davon werden komplett verarbeitet. Kalfatert werden die Plankennähte mit Baumwolle, dann mit Dichtmasse verschlossen. Gestrichen wird mit einem Leinöl-Lack-Gemisch, in dem der Leinöl-Anteil bei jeder Schicht verringert wird. „Alle zwei Jahre werden die lackierten Flächen dann wieder angeschliffen und bekommen zwei neue Schichten Lack.“

Eignerin ist von ihrem “neuen” Zeesboot beeindruckt

Das neue Deck, das Weiß auflegt, ist aus Nadelholz, wie üblich bei den sonst fast ausschließlich aus Eiche bestehenden Zeesbooten. Jens-Peter Weiß hat noch zu DDR-Zeiten Bootsbauer gelernt. Nach der Wende machte er seinen Meister und erhielt als 24-Jähriger den ersten Auftrag für einen Neubau. Und so mietete er seinerzeit eine ehemalige Traktorenhalle der LPG in seinem Heimatort Bartelshagen II und legte los. Bis heute arbeitet er hier, baut neue Boote und führt Reparaturen an alten durch. Aus und ins Wasser kommen die Boote in Barth am Barther Bodden.

Im Mai 2021 kehrt hier auch das 9,7 Tonnen schwere, neu aufgebaute Zeesboot zurück in sein Element. Eignerin Rika Harder ist begeistert vom Ergebnis der Rekonstruktion und nennt es überwältigend. Die fließenden Linien zeugen von wunderschöner Handwerksarbeit, die Jens-Peter Weiß als wahrlich begnadeten „Bootsbaukünstler“ ausweist.

Dokumentationsfilm zeigt die Bootsarbeiten

Nach anfänglicher Skepsis bezüglich der Fotodokumentation rückten er und Fotograf Hardy Berthold im Laufe des Projekts immer enger zusammen. Durch das wachsende Vertrauen konnte eine „sehr persönliche, nahe Geschichte“ entstehen. Seine ästhetischen Aufnahmen kann sich der Fotograf gut als Outdoor-Ausstellung vorstellen. Auf großen Tafeln könnten die besten Motive präsentiert werden und eine zusätzliche Collage viele weitere Motive der Sanierung zeigen. Berthold hält Ausschau, wo seine Schwarz-Weiß-Bilder von der Rekonstruktion gut hinpassen könnten: vielleicht anlässlich der Zeesbootregatten in die entsprechenden Häfen.

Außerdem hat Hardy Berthold aus seinen Bildern und O-Tönen des Bootsbauers eine multimediale Dokumentation erstellt. Der 17-minütige Film lässt die Betrachter sehr lebendig an den Bootsarbeiten teilhaben. Es laufen Verhandlungen, ob der Film künftig im Darß-Museum in Prerow gezeigt wird. Damit auch dort die wunderschöne Handwerksarbeit an einem typisch vorpommerschen Zeesboot aus Eichenholz gesehen wird.


Traditionssegler Zeesboot

Benannt nach dem Fanggeschirr, der Zeese, sind diese Fahrzeuge bis heute Zeitzeugen der Segelfischerei. Als formstabile Schwertboote waren die Zeesboote ideal für seichte Gewässer und wurden für die Fischerei in den gesamten Boddengewässern eingesetzt.

Zeesboot 54 FZ „Romantik“

Das Schiff ist in Krummin, im Nordwesten der Insel Usedom am Peenestrom gelegen, beheimatet. Gebaut wurde es 1929 aus Eiche, karweel beplankt auf der Bootswerft Carl Holzerland junior in Barth. Ersteigner Willi Grählert nutzte das Boot mit der Fischereinummer BOD. 10, später PRU. 6, bis 1974 zum Fischen.


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