„Gertrud III”Ein Klassiker, der aus Landratten Segler machte

Lasse Johannsen

 · 19.02.2023

Die Silhouette der „Gertrud III“ wird von Deckshaus, Klüverbaum und Kanuheck dominiert
Foto: YACHT/Jozef Kubica
Die “Gertrud III” im Detail

Der Gelegenheitskauf eines  Seekreuzers aus der Vorkriegszeit wurde für drei Segeleinsteiger unverhofft zum Klassiker-Restaurierungsprojekt. Sie retteten ein seltenes Zeugnis der Fahrtenyachten dieser Epoche

Der Seekreuzer „Gertrud III“ ist mit Kanuheck, monströsem Klüverbaum, ellenlangem Mast und einem markanten Ruderhaus ohne Vorbild. Der hölzerne Klassiker aus dem Baujahr 1938 wechselte in den Besitz dreier Ruheständler, die damit einfach nur segeln wollten.

„Wir sind eigentlich Landratten.“ Detlef Kosig steht auf dem Vorschiff; lachend erzählt er, wie der Seekreuzer den jetzigen Eigner, seinen Freund Carlos Brandl, und dessen Mitstreiter – ihn selbst sowie Peter Feldt als einzig Segelerfahrenen im Triumvirat – gefunden hat und was sie seither zusammen erleben durften. Feldt steht neben ihm; er ist damit beschäftigt, die Fockschoten anzuschlagen.

Über den gewaltigen Klüverbaum geht es an Deck, es ist klassisch aus massiven Teakstäben auf den Decksbalken aus Eichenholz verlegt. Der– leer – sieben Tonnen verdrängende und mit 6 KR vermessene Klassiker bewegt sich nicht, als es am Aufbau entlang nach achtern geht, während die Sonne das natur lackierte Aufbaudach zum Glänzen bringt. Unter dem die halbe Plicht überwölbenden Deckshaus findet die gesamte Crew nebst Cockpittisch, auf dem bereits der Kaffee steht, einen schattigen Platz.

„Wir sind da ein bisschen blauäugig herangegangen“, sagt Kosig, dessen verschmitzter Gesichtsausdruck verrät, dass sie die sieben Jahre, in denen sich die Freunde gemeinsam der Instandsetzung ihres Seekreuzers „Gertrud“ gewidmet haben, keineswegs bereuen. „Wir wussten beim Kauf gar nicht genau, was da auf uns zukommt. Und das war denn doch ’ne ganze Menge.“

Der Kauf fand 2013 statt. Zu dieser Zeit war Kosig aus dem aktiven Berufsleben als Kunsthändler ausgestiegen. Eine seiner letzten Ersteigerungen war ein Schiff. Kosig will sich damals einen langgehegten Traum erfüllen. Der hochseetaugliche Knickspanter aus Stahl ist ein Schnäppchen, aber nicht das, was ein Ästhet mit Sinn für Formen und Proportionen sich erträumt.

Die Holzarbeiten an Deck des Klassikers nehmen viel Zeit in Anspruch

Doch unweit des Liegeplatzes liegt die „Gertrud“ – und zieht Kosig in ihren Bann. Freund Brandl, dem er den Klassiker zeigt, teilt die Begeisterung ad hoc. Der Berliner ist zwar ebenfalls kein aktiver Segler, liebt aber Oldtimer und Klassiker.

Beide faszinieren die Holzarbeiten an Bord von Klassiker “Getrud”, besonders unter Deck. Doch es dauert, bis der damalige Eigner sich zum Verkauf durchringen kann. Hans-Jürgen Luderer hatte den Seekreuzer über 40 Jahre zuvor aus erster Hand gekauft und viel Geld, Zeit und Liebe in seine „Gertrud“ gesteckt. Zuletzt plagten ihn gesundheitliche Probleme, was den Abschied nicht erleichterte.

Für Luderer ging damals mehr als ein Lebensabschnitt zu Ende. Im Frühjahr 1972 hatten er und seine frisch angetraute Gattin den damals mit 34 Jahren bereits als betagt geltenden Seekreuzer von dem Hamburger Zahnarzt Karl Maass übernommen.

Maass hatte den heutigen Klassiker ein Jahr vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nach eigenen Wünschen bauen lassen und nach seiner Frau benannt. Er wählte dafür die Werft von Martin v. Cölln auf der Finkenwerder Aue­insel aus. Wer letztlich die Kon­struktion anfertigte, ist nicht überliefert. Sicher aber ist, dass Maass sehr klare Vorstellungen davon hatte, was er wollte.

Es entstand ein für die damaligen Vorstellungen der Hamburger Segler hochmodernes Fahrzeug. Das Kanuheck wurde von Max Oertz seit den 1920er Jahren als ideal gepriesen. Der in Hamburg populäre Schiffbauer und Segler Hein Garbers hatte seiner 1935 fertiggestellten „Windspiel III“ ein solches Heck verpasst und schipperte damit wenige Jahre nach dem Bau von Ost nach West über den Atlantik.

“Gertrud III” vom modernen Seekreuzer zum Klassiker

Die stabile Ausführung in massiver Eiche war typisch für Werften wie v. Cölln, auf denen an Sportbooten und kleineren Arbeitsfahrzeugen parallel gebaut wurde.

Das monströse Großsegel mit Schneckenreff in Kombination mit dem kleinen Vorsegeldreieck – der Klüver war ursprüng­lich nicht vorgesehen – galt als seegerecht. Am Mast, wo die Schiffsbewegungen am geringsten sind, konnte die Segelfläche relativ einfach verringert werden. Die kleine Fock hingegen blieb lange stehen. Ohne Backstagen war das Aufkreuzen der Elbe ein Kinderspiel.

Die dem Konzept folgenden Größen – bauartbedingt hohes Rumpfgewicht, entsprechend große Segelfläche, wiederum entsprechend großer Ballast – galten Fahrtenseglern als zeitgemäß, ebenso die sich daraus ergebenden Kräfte und Bewegungen, die bis heute den Eindruck vermitteln, man sei auf einem viel größeren Schiff unterwegs.

Maass segelte den anfangs motorlosen Klassiker nach alter Schule; der original erhaltene Ausbau zeugt noch immer davon. Vor dem Mast befindet sich ein winziges Logis, in dem neben den Segeln eine Koje für den Jungen untergebracht ist. Die Deckshand entert die vom Salon aus nur durch ein Schapp­türchen im Kriechgang zu erreichende Kammer über das Vorluk, wenn die Schiffsführung auf dem Sofa den Feierabend begießt.

Die nächtigt in Ermangelung eines auf den größeren Yachten dieser Zeit üblichen Achterschiffes in zwei geräumigen Hundekojen beidseitig des Niedergangs. Zwischen diesen Kojen und dem Salon sind die Abteilungen für Nahrungsver- und -entsorgung untergebracht.

Im Krieg versteckt der stolze Eigner den werftneuen Seekreuzer in der Elbmarsch, wo er unbeschadet unter einer alten Plane überlebt. Die Wirren der Nachkriegszeit werden noch einmal gefährlich, weil die Besatzungsmacht nach Fundstücken wie diesem Ausschau hält. Doch irgendwie gelingt es Maass, und er sitzt in den fünfziger Jahren endlich wieder an der Pinne seiner „Gertrud“.

Der 1938 gebaute Seekreuzer ist erst in dritter Hand

Als Luderer auf den Klassiker aufmerksam wird, ist Maass bereits ein alter Mann. Seine beiden Töchter sind an der Übernahme damals nicht interessiert, berichtet Luderers Frau Uschi, die noch gern in Erinnerungen an die Zeit auf der „Gertrud“ schwelgt.

Sie beginnen mit ihrer Hochzeitsreise im ersten Sommer nach Schweden. Rund zehn Jahre segelt das Paar den Doppelender noch ohne Nachwuchs. Weitere Seereisen in den hohen Norden folgen, gesegelt wird Tag und Nacht. Die Erinnerungen an diese Zeit bleiben Uschi Luderer präsent – etwa an die Ansteuerung der Erbseninseln im Nebel, das Einlaufen auf Læsø mit ausgefallenem Motor oder die stürmische Nacht vor Treib­anker im Kattegat. „Das war was für meinen Mann“, sagt sie rückblickend, denn der habe diese Herausforderungen geliebt.

Auch was die Geschwindigkeit anging, sei ihr Mann sehr ambitioniert gewesen, erinnert sich die rüstige Seniorin: „Er hat immer gesagt, dieser Klassiker müsse laufen.“ Die „Gertrud“ erhält in den folgenden Jahren den Klüverbaum nebst großer Genua und Halbwinder von mehr als 60 Quadratmetern. Weil der Mast das nicht lange mitmacht, wird er bald durch einen toppgetakelten ersetzt. Mit der alten Vorkriegskonstruktion mit­zuhalten oder diese gar zu überholen wird dem Eigner zum Sport: „Das war für ihn immer das Tollste!“

Auch sonst ist Maass für seine „Gertrud“ zu manchem Opfer bereit. Die Außenhaut lässt er schon bald nach dem Kauf bei Asmus in Glückstadt mit GFK überziehen, das Stabdeck wird in den ersten Jahren seiner Eignerschaft komplett neu gelegt, der Aufbau bei der Gelegenheit gleich mit. Und der 15 PS „starke“ Benzinmotor – der Ersteigner hatte zunächst sogar nur einen mit 10 PS – wird durch einen 36-PS-Dreizylinder-Diesel von Bukh ersetzt.

Als Anfang der Achtziger Nachwuchs kommt, werden die Reisen kleiner, und „Gertrud“ erhält ihr Deckshaus. Gemeinsam mit der Segelmacherei Hinsch & Ruhland entwickelt Luderer ein Horizontal-Reff, mit dem sich das Großsegel durch Zug an einer Reihleine entlang des Vorlieks reffen lässt.

Heute, vor dem Auslaufen in Heikendorf, gibt das eigentümliche Tuch manch Rätsel auf. Wie so vieles andere an Bord auch, erinnern sich Kosig und Feldt an die Zeit der Übernahme vor mittlerweile sieben Jahren.

Das erste Problem heißt Osmose – bei einem Klassiker aus Holz

Damals machen sich die neuen Besitzer sofort an eine Bestandsaufnahme und holen sich dafür fachkundigen Rat von ihrem Hafenmeister Björn Broertjes. Der kennt nicht nur die „Gertrud“ seit vielen Jahren, er hat auch für alle Probleme eine Lösung und weiß, wer sie herbeiführen kann und wo man was dafür besorgen muss.

Das erste Problem heißt „Osmose“ – ausgerechnet bei einem Holz-Klassiker. Doch es ist eindeutig, der GFK-Überzug der Außenhaut ist stark angegriffen. „Ich wusste gar nicht, was das ist“, erinnert sich Kosig und erzählt, dass im ersten Sommer nicht gesegelt, sondern gespachtelt wurde.

Geschätzte 60 bis 80 Kilo Epoxidharz werden seinerzeit unter nicht enden wollenden Zwischenschleif-Phasen auf­gebracht, und ganz nebenbei erneuert ein Bootsbauer das Ruderblatt und weite Teile des Setzbordes. „Da hatte Laub die Speigatten verstopft, und die stehende Nässe war tief in die Struktur eingedrungen“, sagt Kosig, für den solche Begriffe bis dahin Fremdwörter sind. Dann muss noch der drei Tonnen schwere Gusseisenkiel neu eingedichtet werden, bevor „Gertrud“ wieder schwimmen kann. Auch der Mast kann nicht einfach wieder gesetzt werden: Über die Jahre hat eingedrungene Feuchtigkeit ihre Spuren am Mastfuß hinterlassen. Die Lösung ist eine massive Manschette aus Edelstahl.

Wieder auf dem Liegeplatz, geht es daran, die „Gertrud“ unter Deck in den edlen Zustand zu versetzen, in dem sie sich heute präsentiert. Sämtliche Lackoberflächen bekommen einen neuen Anstrich, die Decksbalken werden weiß lackiert, um den Salon aufzuhellen. Die Bordwände werden von einem befreundeten Holzhandwerker bis auf das rohe Eichenholz geschliffen und anschließend, wie die mittlerweile staubtrockene Bilge, mit Owatrol-Öl gesättigt.

Erfolge und Schwierigkeiten im Restaurationsprozess von Klassiker “Gertrud”

Dann ist der Antrieb dran. Brandel und Kosig sind froh, dass ihr Freund Peter Feldt sich der Anlage widmet. Der Berliner hat sein Berufsleben in der Bronzegießerei des „Sabina“-Eigners (s. „Das besondere Boot“ in YACHT 5/2014) Hermann Noack verbracht, der damit 1983 Teil des siegreichen Admi­ral’s-Cup-Teams war. Auf der „Gertrud“ ist Feldt für sämtliche Technik und die Schiffsführung zuständig.

Die Arbeit am Motor ist ein Knochenjob, schon weil Feldt sich in die Niederungen der Motorbilge zwängen muss. Doch er bekommt die lecke Stopfbuchse in den Griff, erneuert die gesamte Bordelektrik, stellt den Motor auf neue Schwingelemente. Trotzdem reichen die Bemühungen am Ende nicht aus, um den langersehnten ersten Törn unternehmen zu können.

„Wir waren kurz davor, das Handtuch zu schmeißen“, sagt Kosig, als Feldt erzählt, wie es weiterging. Als endlich der erste Törn möglich scheint, mahnt dieser zu einer ausgiebigen Probefahrt. „Der Bukh hatte ja ein Einkreissystem, und wir glaubten, der wäre schon ziemlich zugesetzt“, so Feldt.

Kosig hatte da bereits einen Liegeplatz an der Ostsee gefunden, dorthin wollen die Männer ihren Seekreuzer überführen. „Wir sind dann im Harburger Binnenhafen eine halbe Stunde unter Teillast gefahren“, sagt Feldt. „Ich sagte zum Schluss: ‚Det ist in Ordnung!‘ – und denn macht’s puff und zisch. Zehn Minuten, bevor wir Schluss jemacht hätten.“

Alles auf null. Feldt baut in der Folgezeit den alten Bukh aus und stellt fest, dass die Nockenwelle „jefressen“ hat. Da ein Klassiker ohne Motor nicht mal mehr verkauft werden kann, wird kurzerhand ein neuer geordert. Der Vetus-Vierzylinder-Diesel verschwindet unter verschiedenen kleinen Dramen im Bauch der „Gertrud“, was wieder ein Dreivierteljahr in Anspruch nimmt.

Es ist spät im Herbst 2019, als die „Gertrud“ über den Nord-Ostsee-Kanal fährt, um Heikendorf als neuen Heimathafen anzulaufen. Seither genießen die drei Mann auf ihrem Klassiker, was sie sich jahrelang erträumt haben: freie Zeit auf dem Wasser.

Viel Segelzeit war es bisher noch nicht, einige Trimmschläge, die allein schon nötig waren, um die unzähligen Segel zu sichten. Heute geht es bei wenig Wind erstmals nur zum Spaß aus der Box im Heikendorfer Fischereihafen.

Das hochsommerliche Wetter ist für diesen Zweck ideal. Die aus Voreigner Luderers Zeit überlieferte Atmosphäre tosender Seefahrt hingegen kommt mangels Wind nicht auf. „Gertrud“ trägt’s mit Fassung und wiegt sich langsam im Schwell der vorbeiziehenden Fördeschifffahrt – wie ein zufriedener Meeresbewohner, als würde sie merken, dass nach zwei Eignern, denen sie alles bedeutete, nun eine neue Mannschaft an Bord ist, der es ebenso zu gehen scheint.

Technische Daten Seekreuzer “Gertrud III”:

  • Bauwerft/Jahr: Martin v. Cölln/1938
  • Material: Eiche auf Eiche, Polyesterüberzug
  • Rumpflänge/Breite/Tiefgang: 9,61/2,77/1,60 m
  • Verdrängung: 7,0 t
  • Segelfläche am Wind (Messbrief): 45 m²
  • Groß/Genua/Fock: 37/38/22 m²
  • Motor: Vetus-4-Zylinder, 42 PS

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