„Cutty Sark“Ein Museums-Klassiker mit bewegter Vergangenheit

Nic Compton

 · 30.03.2023

Die "Cutty Sark" ist heute Teil des National Maritime Museum in London
Foto: Jon Stokes/National Maritime Museum, Greenwich, London
Die „Cutty Sark“ im Detail
Der Teeklipper „Cutty Sark“ ist der letzte seiner Art. Der Klassiker steht heute im Museum in London und hat eine dramatische Vergangenheit.

Schon der erste Eindruck ist spektakulär. Der berühmteste Teeklipper der Welt scheint partiell in einem auffällig ausgeleuchteten Glashaus zu schweben. Und dies als Klassiker im Londoner Stadtteil Greenwich beim National Mari­time Museum an der Themse.

Der zweite Eindruck an Bord fällt deutlich nüchterner aus; es gibt tatsächlich nur wenig zu sehen. So mussten die Kuratoren das Besuchserlebnis mit einem Videospiel pushen, in dem man virtuell auf dem Schiff um die Welt segelt. Zudem wurden Schauspieler engagiert, die zahlreiche Rollen an Bord darstellen.

Die „Cutty Sark“ gehört heute zum National Maritime Museum in London

Der kontroverseste Aspekt der ganzen Restaurierung scheint jedoch die Entscheidung zu sein, das komplette Schiff um gut drei Meter vom Grund anzuheben und den Rumpf mit Stahlrohrstützen zu verstärken. Das wirkt durchaus, ist allerdings nicht artgerecht. Kritiker vermuten, dass die Treuhänder dem lukrativen Spektakel gegenüber struktureller Unversehrtheit den Vorzug gaben. Und in der Tat bietet die Webseite des Museums, zu dessen Fundus die „Cutty Sark“ gehört, diesen Ort derzeit als „ehrfurcht­gebie­tende Veranstaltungs-Location“ an. Die fasst bis zu 450 Menschen für einen Empfang und 270 für ein Bankett. Veranstaltungen, die regelmäßig unterhalb des Schiffsrumpfes stattfinden, sind beispielsweise „Live-Musik, bahnbrechende Opern, Theater-Spätvorstellungen, Disko und mehr“ – aus Sicht von Experten ein Sakrileg.

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Der eher nautisch interessierte Besucher wird aber mehr als entschädigt, wenn er die Stufen zum Bereich unter dem Rumpf hinabsteigt. Dort erleben feinsinnige Gemüter eine geradezu bewusstseinsverändernde Zeitreise. Eine Erfahrung, die dazu geeignet ist, einen oder gar mehrere Schauer über den Rücken zu jagen.

Die Stufen befinden sich unter einem über 2000 Tonnen schweren Schiff. Einem Klassiker, der mindestens 20 Mal um die Welt gesegelt ist. Eine Konstruktion, die zu ihren Lebzeiten für grandioses Design stand, ein Frachtsegler mit 150 Jahren Geschichte. Es ist fast so, als würde nur durch die schiere Kraft des Unterwasserschiffs, durch seine pure Ausstrahlung alles oberhalb der Wasserlinie in der realen Welt zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Und es ist nicht nur eine Illusion, dass die Form dieses Unterwasserschiffs den Klassiker „Cutty Sark“ zu einem Wunder der Segelwelt machte. Das ist quasi der Ort des Geschehens während ihrer rekordbrechenden Fahrten. Es braucht nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, wie das Meer unter diesem langen Kiel durch­rauschte, wie Delphine vor dem Bug sprangen und Eisberge sich in der leuchtend kupferroten Verkleidung spiegelten.

Der Klassiker hat eine vielseitige Geschichte

Kein Zweifel: Der Klassiker „Cutty Sark“ nimmt einen besonderen Platz in der kollektiven Wahrnehmung von Liebhabern nautischer Historie ein. Auch oder weil ihre Geschichte von mehr Unglück, Tod und Mord geprägt ist als allgemein angenommen.

Für die Jock-Willis-Schifffahrtsgesellschaft im schottischen Dumbarton von Scott & Linton (die noch vor der Fertigstellung pleite gingen) gefertigt, war die „Cutty Sark“ der Höhepunkt aus dreißig Jahren Klipper-Entwicklung, dem Bau schneller Schiffe für den florierenden Teehandel. Je schneller der Tee der neuen Saison London erreichte, desto höher war der Profit. Teeklipper wurden für ihre Länge vergleichsweise schmal kon­struiert. So ist der Klassiker „Cutty Sark“ bei einer Rumpflänge von knapp 65 Metern nur elf Meter breit. Zudem sollte sie mit ihrem scharfen Bug durch die Wellen schneiden können und mit viel Segelfläche an drei vollgetakelten Masten maximale Geschwindigkeit laufen. Die „Cutty Sark“ wurde so gebaut, dass 3000 Quadratmeter Tuch auf 32 Segel verteilt werden konnten.

Die „Cutty Sark“ wurde von dem schottischen Designer Hercules Linton entworfen, der sich dabei an einem anderen Schiff orientierte. Die „The Tweed“ gehörte ebenfalls Willis und galt als außergewöhnlich schnell, obwohl sie für den Teehandel eigentlich zu schwer war. Linton nahm den scharfen Bug der „The Tweed“, verlieh dem neuen Design aber ein eher quadratisches Achterschiff mit weniger Angriffsfläche und mehr Auftrieb. Und das, um das Risiko von Überspülungen bei achterlichem Seegang zu verringern. Das Rigg des Schiffs imitierte ebenso das Design der „The Tweed“ mit geneigten Masten und einem Fockmast, der weiter achtern platziert war als üblich. Der Schiffsname rührt aus dem Gedicht „Tam O’Shanter“ des schottischen Schriftstellers Robert Burns. In diesem trägt eine Hexe ein zu kurzes Nachthemd mit der Bezeichnung „Cutty sark“.

Die „Cutty Sark“ segelt mit Fracht über die Weltmeere

Nachdem sie im November 1869 getauft worden war, machte die „Cutty Sark“ sich am 16. Februar 1870 unter dem Kommando von George Moodie auf ihre erste Fahrt nach Schanghai. In den Frachträumen gestaut waren Wein, Spirituosen und weitere Handelswaren. Nachdem sie in China 590 Tonnen Tee geladen hatte, kehrte sie nach London zurück, wo sie am 13. Oktober nach 109 Tagen eintraf – das Schiff hatte damit nur drei Tage länger gebraucht als die legendäre „Thermopylae“. Während der kommenden acht Jahre würde sie für ihre Reisen zwischen 107 und 122 Tagen brauchen. Das machte sie zu einem der schnellsten Schiffe der Flotte, wenn sie auch nie ein Top-Ergebnis einfuhr war. Die rekordverdäch­tigen Fahrten der „Cutty Sark“ folgten erst später und mit anderer Fracht.

In dieser Zeit waren die Tage der Teeklipper bereits gezählt. Der Stapellauf der „Cutty Sark“ fiel mit der Öffnung des Suezkanals zusammen, wodurch sich die ursprüngliche Strecke über das Kap der Guten Hoffnung um 3300 Meilen verkürzte. Die neue Route war für Segelschiffe schlecht geeignet, sodass zunehmend Dampfschiffe für den lu­krativen Teehandel genutzt wurden. Deshalb mussten die Klipper neue Ladung finden, damit sich ihre Fahrten bezahlt machten.

1877 ist Schluss mit Tee auf der „Cutty Sark“

Der heutige Klassiker „Cutty Sark“ transportierte ihre letzte Teeladung 1877 nach Europa. Die nächsten paar Jahre beförderte sie eine Vielzahl an Gütern. Kohle von Japan nach Schang­hai, Jute von Manila nach New York oder auch die erste Teelieferung überhaupt nach Aus­tralien. Es waren schwere Zeiten für das Schiff, die mit dem Tod seines zweiten Kapitäns William Tiptaft begannen. Dieser erkrankte und starb im Oktober 1878 in Schanghai.

Zwei Jahre später fuhr „Cutty Sark“ unter Kapitän James Wallace. In dieser Zeit tötete der erste Offizier Smith ein aufsässiges Crewmitglied und wurde eingesperrt. Als das Schiff wieder Festland erreichte, wurde der beschuldigte Mann jedoch nicht vor Gericht gebracht; stattdessen entsorgte Wal­lace angeblich die Mordwaffe und verhalf ihm zur Flucht. Ein paar Wochen später, anscheinend von Schuld geplagt, beging der 27-jährige Kapitän Selbstmord, indem er vom Heck des Schiffes sprang. Smith wurde später festgenommen und zu sieben Jahren Zwangsarbeit wegen Totschlags verurteilt.

An Bord des Frachtseglers herrschen oft schwierige Umstände

Dem nächsten Kapitän der „Cutty Sark“ erging es nur unwesentlich besser als seinen Vorgängern. William Bruce war den Über­lieferungen nach ein inkompetentes, feiges Großmaul, das sich die meiste Zeit an Bord mit seinem ersten Offizier betrank und nicht dazu imstande war, das Schiff zu führen. Vor der letzten Etappe der Reise von Cebu auf den Philippinen nach New York hatte er es versäumt, ausreichend Proviant zu beschaffen, sodass die Crew bei anderen Besatzungen um Speisereste betteln musste. Als das Schiff im April 1882 in New York ankam, beschwerte sich die Crew bei den Eignern; der Kapitän sowie sein Erster Offizier wurden daraufhin entlassen und später von einem amerikanischen Gericht auch suspendiert. Für einige Crewmitglieder kam dies allerdings zu spät: In den vorangegangenen zwei Jahren waren sieben Männer gestorben, und sieben weitere hatten das Schiff auf eigenen Beinen verlassen.

Zu dieser Zeit war das Rigg der „Cutty Sark“ bereits verringert worden. Der zunächst 43 Meter lange Hauptmast war gekürzt und sämtliche Sky- und Leesegel entsorgt worden, die bei wenig und raumem Wind für mehr Vortrieb sorgten. Dies war vor allem eine kostenreduzierende Maßnahme; so konnte das Schiff mit 21 Mann gesegelt werden anstelle der ursprünglichen 31.

Änderungen an der Konstruktion sorgen für Aufwind

Trotz ihres kleineren Riggs führte das Schicksal die „Cutty Sark“ nun in die erfolgreichste Zeit ihres Lebens. Geladen hatte sie diesmal australische Wolle. In den Jahren 1883/84 absolvierte sie ihre ersten beiden Fahrten mit neuer Ladung und legte die Strecke von Australien nach Großbritannien in 82 und 80 Tagen zurück; damit war sie mindestens drei Wochen schneller als alle anderen Schiffe. 1885 wurde Richard Woodget Kapitän und machte durch eine Kombination aus fähiger Seemannschaft und tollkühner Navigation die „Cutty Sark“ zum schnellsten Frachtsegler im Wollhandel.

Woodgets Taktik war im Grunde ebenso simpel wie brutal. Der Kapitän, der sich an Bord gern auf Rollschuhen bewegte, befehligte das Schiff tief in das Südpolarmeer, um stärkere Winde nutzen und einen kürzeren Kurs fahren zu können, dies trotz großer Kollisions­gefahr mit Eisbergen und Growlern. Um solche Aktionen zu vermeiden, sind heute bei den Weltregatten wie The Ocean Race Sperrzonen eingerichtet, die wegen der Gefahr von Eis-Kollisionen nicht befahren werden dürfen. Unter Woodgets Kommando erreichte das Schiff regelmäßig Geschwindigkeiten über 17 Knoten; für seine schnellste Fahrt von Sydney nach London benötigte es gerade einmal 73 Tage.

Der Klassiker wird Anfang des 20. Jahrhunderts umgerüstet

Schließlich übernahmen Dampfschiffe jedoch auch den Woll­handel, und die „Cutty Sark“ wurde 1895 für 2100 britische Pfund an die portugiesische Firma Ferreira & Co verkauft. In den folgenden 28 Jahren transportierte das Schiff unter dem Namen „Ferreira“ Fracht. Unterwegs war sie zwischen Portugal, Rio de Ja­neiro, New Orleans, Mosambik und London. Es überstand den Ersten Weltkrieg nahezu unbeschadet, wurde allerdings 1916 in einem Sturm vor Südafrika entmastet. Anstatt das Rigg originalgetreu zu ersetzen, entschlossen sich die Eigner dazu, die „Cutty Sark“ von einem Vollschiff zu einer Barkentine umzurüsten. So war sie zwar für eine kleinere Crew einfacher zu segeln, mit dieser Veränderung endeten allerdings auch ein für alle Mal ihre rekordträchtigen Zeiten.

Der ehemalige Kapitän Wilfred Dowman sah das Schiff in dieser neuen Aufmachung, während er im Januar 1922 vor einem Sturm in Falmouth Schutz suchte. Dowman erkannte es sofort und war entschlossen, die „Cutty Sark“ „für die Nation“ zurückzukaufen und wieder mit ihrem ursprünglichen Rigg auszustatten. Seine Mission war schluss­endlich erfolgreich, allerdings zu einem hohen Preis von 3750 britischen Pfund.

Der Klassiker „Cutty Sark“ wird zum Museumsschiff

Nachdem das Rigg wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt worden war, nutzte Dowman das Schiff 13 Jahre lang zum Segeltraining vor Falmouth. Als er 1936 starb, spendete es seine Witwe Catharine (plus 5000 Pfund für die Instandhaltung) dem Thames Nautical Training College. Die „Cutty Sark“ wurde durch den Ärmelkanal nach Greenhithe nahe der Themsemündung geschleppt; es sollte ihre letzte Seereise gewesen sein. Während der nächsten zwölf Jahre lag sie an einer Muring und wurde von der Royal Navy für die Kadettenausbildung genutzt. In den frühen Fünfzigern war sie baufällig geworden und dem Verfall nahe.

In Greenwich, ein paar Meilen flussaufwärts, gründete Frank Carr, Direktor des National Maritime Museums, einen Verein für die Erhaltung des historischen Schiffes und gewann Prinz Philip als Schirmherren. Seitdem gehört es der Cutty Sark Society. Dank Carrs Tatendrang wurde nur einen kurzen Fußmarsch vom Museum entfernt ein Trockendock gebaut, in dem das Schiff im Dezember 1954 seinen finalen Liegeplatz fand.

Der Museums-Klassiker muss aufwändig gepflegt werden

Museumsschiffe, die nicht mehr im Wasser liegen, sind immer problematisch, da war auch die „Cutty Sark“ keine Ausnahme. Da sie auf ihren Kiel gestützt stand, war 2004 der Rumpf verzogen, und die Stahlspanten waren schwer korrodiert. Es wurde ein Re­staurierungsprogramm ins Leben gerufen, welches jedoch zunächst ein dramatisches Ende fand, als ein Feuer das Schiff im Mai 2007 heimsuchte. Es stellte sich heraus, dass der überwiegende Teil der Struktur bereits für die Restaurierungsmaßnahmen entfernt worden war und vorrangig die nicht ursprungsgetreuen Schiffsdecks dem Feuer zum Opfer gefallen waren; lediglich fünf Prozent der Originalstruktur hatten Schäden davongetragen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Bilder des Brandes jedoch schon öffentlichkeitswirksam um die Welt gegangen und hatten für eine Flut an Spenden gesorgt.

Von diesen erhöhten Einnahmen angetrieben, wurde das Re­staurierungsprogramm 2009 wieder aufgenommen. Es wurden zwölf Stahlrahmen eingesetzt, um den Rumpf zu stützen, und einige Spanten wurden getauscht. Das Schiff wurde schließlich angehoben und auf 24 Pfeiler platziert, die sein gesamtes Gewicht tragen. Der Kiel hängt frei über dem Boden des früheren Trockendocks. Die Kosten für die Restaurierung betrugen um die 46 Mil­lionen Pfund.

Geteilte Meinungen zum Projekt an der Themse

Der Plan, den der Londoner Architekt Grimshaw vorlegte, sorgte bei Seglern sowie in Londons kultureller Oberschicht für Verzweiflung. Der Trust führte das Projekt aber unbeirrt weiter, und das Schiff wurde im April 2012 ordnungsgemäß von Queen Elizabeth II. wieder der Öffentlichkeit übergeben.

„Grimshaws desaströse Restaurierung der ‚Cutty Sark‘ hat das Objekt, welches eigentlich hätte gerettet werden sollen, stattdessen verstümmelt“, schrieb das „Building Design Magazine“ im September 2012. Sieben Jahre später erscheinen diese Beschwerden nun allerdings als schwarzseherisch. Die Ikone britischer Seefahrtsgeschichte ist beliebter als je zuvor und zog seit ihrer Wieder­eröffnung bereits zwei Millionen Besucher an. Sie ist laut Kuratorin Hannah Stockton in sehr gutem Zustand. „Das Schiff wird regelmäßig von unserem für die Erhaltung zuständigen Team begutachtet und geprüft. Mir ist keinerlei negative Veränderung bekannt“, sagt sie. „Die ‚Cutty Sark‘ verfügt noch immer über mehr als 90 Prozent ihrer originalen Beplankung.“

Die Designer und Kon­strukteure, die ihrerseits für die damalige Zeit ebenfalls Außergewöhnliches vollbracht hatten, wären entgegen jeder Kritik gewiss ungemein stolz, ihre Ausführung derart spektakulär ausgestellt zu sehen.


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