Fridtjof Gunkel
· 20.03.2023
Ein Hamburger hat sich seinen alten Laurin Koster bei Henningsen & Steckmest neu bauen lassen. Die Replik mixt konstruktive Elemente früherer Zeiten mit moderner Technik. Und ist ein optischer Genuss
Dass Henningsen & Steckmest in Kappeln-Grauhöft für perfektes Bootsbau-Handwerk steht, weiß fast jeder Liebhaber schöner Yachten. Dort an der Schlei, dem Gewässer Deutschlands mit der größten Dichte an Betrieben der Wassersportbranche, bauen sie seit 1958 Yachten allererster Güte. Bekannt ist die Reihe der Scalar-Typen von 31 bis 40 Fuß. Letzterer keine Eigenkonstruktion von Rolf Steckmest, sondern von Georg Nissen aus Laboe.
Doch neben den berühmten Scalars erschafft Henningsen & Steckmest auch Einzelstücke wie die “Gaudeamus II”. Das Boot mit der Baunummer 145 wurde 2013 bei Henningsen & Steckmest gefertigt und in der YACHT porträtiert.
Warum ein 45 Fuß großer Langkieler als ausgewiesener Einzelbau? Hauke Steckmest, ebenso wie Bruder Malte in die Firma eingestiegener Sohn von Rolf, erläutert damals gegenüber YACHT: „Eigentlich können wir im Bootsbau viel mehr, als bekannt ist, wir wollen nicht länger nur auf die Scalare festgelegt sein, sondern auch besondere Einzelstücke fertigen. Da kam dieser Auftrag gerade recht.“
Der hat obendrein eine skurrile Entstehungsgeschichte. Der Eigner aus Hamburg, der nicht namentlich genannt werden will, hatte rund 30 Jahre einen Laurin Koster gesegelt, der 1965 bereits bei Henningsen & Steckmest gebaut worden war. Das sind Doppelender nach einer Konstruktion von Arvid Laurin (1901–1998). Der in Lysekil an der schwedischen Westküste geborene Maschinenbau-Ingenieur und Marineflieger war nebenbei Silbermedaillengewinner im Starboot bei den olympischen Segelwettbewerben 1936 in Kiel. Nach seiner aktiven Regattazeit machte sich Laurin Gedanken über Hochseeyachten und entwickelte die traditionellen an der Westküste verbreiteten Koster-Boote (benannt nach den Kosterinseln) weiter.
Laurin erklärte einmal: „Ich wollte ein hochseetaugliches und solides Boot, das aber nicht gleichzeitig wie eine Zigarrenkiste aussieht.“ So entstanden mehrere Typen, angefangen mit der L 28, die erst in Holz, später in GFK gebaut wurden. Hölzerne Kosters wurden über 45 Jahre gefertigt, 95 finden sich im Register einer Art Klassenvereinigung. Die meisten Boote entstanden in Schweden, einige aber auch in der Ferne wie in den USA oder in Hongkong sowie ein Exemplar eben in Deutschland.
Der Eigner hatte dieses Boot veräußert, rund fünf Jahre eine moderne dänische Konstruktion gesegelt, war dieser überdrüssig geworden und wollte seinen Laurin Koster zurückkaufen. Das Vorhaben klappte nicht, und der Hamburger entschloss sich zu einem Neubau im Sinne seines alten Bootes unter Anwendung moderner Erkenntnisse.
Da kam dann wiederum Konstrukteur Georg Nissen ins Spiel, der betont, das neue Boot nicht konstruiert, sondern dem Laurin Koster lediglich nachempfunden zu haben. Auf alte Pläne hätte er dabei nicht zurückgreifen können.
Was Rolf Steckmest gerade in das graue Wasser der Schlei schiebt, ist denn auch von der Bootsform, dem Langkiel, dem Spitzgattheck her ein Laurin Koster, aber zeitgemäßer gebaut und modern ausgerüstet. Der Rumpf aus formverleimtem Mahagoni entstand wegen logistischer Überlegungen im Unterauftrag auf der Werft Janssen & Renkhoff, wenige Schäkelwürfe von Henningsen & Steckmest entfernt. Parallel fertigten Steckmests Mannen die Schotten und Teile der Einrichtung. Optisch immer noch ein Laurin Koster, bietet „Gaudeamus II“ (Lateinisch für „Freuen wir uns“) versteckte Tugenden aus heutiger Technik.
Konstrukteur Georg Nissen: „Der Neubau wurde rund 600 Kilogramm leichter, die Segelfläche ist zwar ungefähr dieselbe, aber die Flächen sind anders verteilt. Jetzt überlappt das Vorsegel kaum, ist durch kurze Schotwege einfacher zu bedienen, so wie man das heute eben macht.“ Und: Das Rigg ist aus Carbon gefertigt. Der jüngste Laurin Koster dürfte somit der Einzige sein, der ein Rigg von Southern Spars trägt. Das ist obendrein mit individuell gespleißter Dyneema-Ware bestückt. Dazu eine Ausstellung von Andersen-Winschen. Sechs Trommeln, die auf einer Ebene arbeiten und die auch für die versenkten Fallen dienen. In Kombination mit dem schieren, reduzierten Teakdeck wirkt das fast schon wallyesk.
Auf ein Waldeck, jene stark gerundete, meist weiß abgesetzte Ausbuchtung, die in die Bordwände führt, verzichteten Eigner und Konstrukteur jedoch. Das Thema wird aber durch die weiß lackierte hohe Schanz optisch aufgenommen.
So wirkt das Boot denn auf den Betrachter in vieler Hinsicht erstaunlich: Es ist handwerklich perfekt ausgeführt, verfügt über schöne chromblitzende Beschläge, in Edelstahl eingefasste Decksprismen, Bullaugen und ein Decksskylight, rötlich schimmernde, perfekt lackierte Freibords und einen ebensolchen Aufbau – und könnte so als Gentleman’s Yacht durchgehen. Andererseits erinnert die Form, besonders die des Hecks, an einen Kutter. Auch wirkt das Boot unglaublich stark, solide, steif – und beim genaueren Hinsehen oder aus bestimmten Perspektiven ist es wiederum durchaus schmal. Der Mix aus verschiedenen maritimen Epochen und Szenen führt zu einer ganz eigenständigen Erscheinung.
Der Mix aus verschiedenen maritimen Epochen und Szenen führt zu einer ganz eigenständigen Erscheinung.
Geradezu hybrid auch Teile der Bauweise. Die Rumpfhülle besteht aus sieben diagonal zueinander verklebten Furnierstreifen und ist in Gänze 32 Millimeter dick. Mit einer abschließenden Furnierlage in der Waagerechten wirkt das Boot wie beplankt. Das Teakdeck ist unter Vakuum ohne Schrauben verklebt, aber dennoch gibt es Pfropfen.
Auch zeigt sich zur im Grunde knorrigen Optik die Anfangsstabilität des S-Spanters als eher gering, dessen Form jedoch für weiches Einsetzen in die Welle und angenehmes Seeverhalten sorgt. Man kann es auch positiv ausdrücken: „Gaudeamus“ ist eine Kombination aus dem Besten nicht aller, aber vieler seglerischer Welten.
Und sie segelt tatsächlich schneller, als sie aussieht. Mit Schrick in den Schoten überholt sie während der Probefahrt eine moderne, sportlich ausgelegte 42-Fuß-Yacht. Überzeugender noch die einfache Steuerbarkeit und der dem Langkieler sprichwörtliche Geradeauslauf. Der Autopilot dürfte nur wenig Arbeit haben und geringen Strom verbrauchen. Die Steuerbefehle werden nun von einer Jefa-Anlage per Kardanwelle auf das am Spitzgattheck arbeitende Ruder geleitet; auf dem alten Laurin Koster geschah dies noch per Seilzügen.
Hart ackern muss auch die Crew nicht. Neben den großzügig dimensionierten Winschen hilft eine manuelle Hydraulik beim Segelhandling; Achterstag, Großsegel-Unterliek und Rohrkicker sowie das Genuafall werden per Pumpenschlag justiert. Besonders die Fallspannung ist pfiffig gelöst: Das Fall langt nur bis auf einen am Mast montierten Zylinder, der es trimmt. Zum Bergen und Setzen des Segels wird die Schlaufe des Falls am Zylinder ausgehakt und mit einer umgelenkten Verlängerungsleine per Winsch bedient; eine saubere Lösung, die aus der Großbootszene kommt.
Der leichte Wind vermag die „Gaudeamus“ zwar souverän segeln zu lassen, versagt aber auch eine Demonstration der eigentlichen Stärke des S-spantigen Rumpfes. Es geht keine Welle, die das weiche Einsetzen zeigen würde. „Dieses komode Eintauchen und die weichen Bewegungen sind typisch für einen Rumpf mit S-Spant. Auch die geringere Anfangsstabilität. Dafür ist dann der Kenterwinkel enorm groß, der liegt mit diesem Boot bei 160 Grad! Moderne Boote kommen da nur auf 120“, berichtet Konstrukteur Nissen.
Überhaupt strahlt das Boot Sicherheit und Seegerechtigkeit aus. Dazu trägt auch das tiefe Cockpit bei. Oder Bullaugen achtern am Kajütaufbau, die nicht nur Licht und Luft befördern, sondern auch bei Hack Kommunikation von innen nach außen zulassen, ohne den Niedergang öffnen zu müssen. Oder eine bestens, selbst von oben erreichbare Maschine.
Auch der Innenraum scheint in erster Linie dem Mantra der langen Seefahrt untergeordnet. Es ist sackgemütlich, komfortabel, optisch warm. Rötliches Holz in perfektem Finish, der Mensch im Schiffsbauch, in Geborgenheit. Gemütlich, gediegen und edel einerseits, aber auch urig, irgendwie knorrig, rustikal. Da ist er wieder, der diesem Schiff eigene Dualismus. Wobei es normal ist, dass der Einzelbau eines Eigners, der auf eine sehr lange Erfahrung zurückblickt, sehr speziell wird. Immerhin war der Mann schon in Grönland, Spitzbergen und im Atlantik unterwegs, das sollte prägen.
So finden sich auch unter Deck diverse praktische Dinge. Eine Seewasserpumpe beispielsweise, die zum Abwaschen und Kochen Trinkwasser sparen hilft. Dann die tiefe Bilge, die schöner ist als so manches Boot von außen. Der tiefe hölzerne Hohlraum dient zum Wassersammeln, zeigt sich aber auf dem formverleimten Schiff als knochentrocken. Im langen Kiel, der immerhin satte 2,05 Meter tief geht, wurden auch die Tanks untergebracht. Dort sind sie aus dem Weg und aus segeltechnischer Sicht wünschenswert weit unten installiert, zudem lagert das Trinkwasser dort kühler als weiter oben.
Der achtere Schiffsbereich liegt leicht erhöht. Zwei Hundekojen sind in kleinen Kabinen dicht an Navigation und Niedergang untergebracht, dort, wo sich die Freiwache in Rufbereitschaft befindet. Davor Pantry und Navigation. Eine Stufe tiefer befindet sich der zentrale Salon unter dem mächtigen Skylight, der mit echten Seekojen ausgestattet ist. Im Durchgang nach vorn ist ein riesiger Schrank eingebaut, von innen beleuchtet, nein, das gab es auf einem Laurin Koster noch nicht. Gegenüber Dusche und WC-Raum, getrennt voneinander. Im Vorschiff dann die Eignerkabine mit konventionellen Kojen und weiterem Stauraum. Davor noch eine ordentliche Segellast für alles, was die kleinen Backskisten nicht aufnehmen können.
Selbst die laminierte Befestigung der Schotten ist so sauber ausgeführt, dass sie nicht übermalt werden musste.
Der Ausbau makellos, das Finish perfekt, die Stöße, Kanten, Umleimer, Fugen und Verbindungen präzise, formschlüssig, der Boden nicht knarrend. Dazu Wegerungen unten und eine weiße Decke mit klar lackierten hölzernen Decksbalken, wie früher. Selbst die laminierte Befestigung der Schotten ist so sauber ausgeführt, dass sie nicht übermalt werden musste.
Das Ding, Baunummer 145 – mehr nicht? Rolf Steckmest sagte damals: „Das ist das größte Segelboot, das wir bisher gebaut haben, insofern ist es schon was Besonderes. Aber bei der Scalar 34 war ich aufgeregter. Die hatte ich selbst konstruiert.“ Er kann eben nur ehrlich.