Walboot 13 „Coelnamara“Klassiker mit absolutem Seltenheitswert

Lasse Johannsen

 · 26.03.2023

Walboot 13 „Coelnamara“  auf seinem Heimatrevier,  der Flensburger Förde
Foto: Nico Krauss
Die „Coelnamara“ im Detail

Ab den 1930er Jahren sollten Walboote den Nachwuchs für das Segeln begeistern. Heute existieren nur noch wenige dieser Klassiker – aus einem bestimmten Grund

Weltuntergang in Flensburg. Schnell ziehen tief liegende Wolken vor blauschwarzem Himmel, der Wind heult in den Riggs, Schauer gehen hernieder. Am Museumssteg prasseln dicke Tropfen auf ein cremefarbenes Deck. Lange aber können sie sich dort nicht halten, denn es wölbt sich halbrund; und so schnell, wie das Wasser darauf landet, läuft es auch wieder ab. „Walbootwetter!“ Eigner Roland Fiebig steht grienend in der geräumigen Plicht seiner „Coelnamara“ und will los. Wetter sei einem Wal egal. Fiebigs Worte überraschen nicht: Der Wal ist ein besonderer Meeresbewohner.

Walboote haben ihren Ursprung in den 1930er Jahren

Seine Geschichte beginnt in den frühen 1930er Jahren: „Seit vielen Jahren habe ich mich mit der Idee beschäftigt, die Unterlagen für die Schaffung einer billigen Kielklasse für die Küstengebiete zu gewinnen.“ Als er diese Zeilen für die YACHT-Aus­gabe 18/1932 zu Papier bringt, hat der renommierte Hochseesegler Hans Domizlaff die größte Hürde zum geplanten Vorhaben bereits genommen. Wal 1 gewann gleich im ersten Sommer mehrere Regatten und stellte auf stürmischer Reise rund Seeland seine Seetauglichkeit unter Beweis.


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Die Genese zum Volksboot scheint in­folgedessen unausweichlich. Der Seglertag 1932 erkennt den Wal als neue Einheitsklasse an, und die Flotte wächst rasant. Doch dann kommt der Krieg, von dem sich der Wal nie erholen wird. Und selbst seine Geschichte scheint heute fast vergessen.

Hier, auf der nasskalten Flensburger Förde an Bord der „Coelnamara“, wird der Klassiker wieder lebendig. Knatternd steigt das Großsegel am hölzernen Mast empor, ein roter Wal zappelt darin, unter ihm die Nummer 13. Schweift das Auge über Deck, wird schnell klar, hier ist ein Walboot im Originalzustand erhalten worden, ein Glücksfall, wie der erfährt, der sich weiter in dessen Geschichte vertieft.

Der Klassiker kann schwierigen Bedingungen standhalten

Nach dem Ersten Weltkrieg kommt der Segelsport in Deutschland nur langsam wieder in Fahrt. Die Yachtflotte ist dezimiert, Geld für Neubauten knapp. Hans Domizlaff will das Problem lösen. „Ich denke an die mir besonders nahestehenden Küstenver­eine, die durch die Not der Zeit erdrückt werden und mangels eines billigen Boots­typs dem Segelsport verloren zu gehen drohen; und gerade diese Küstensegler sind die wertvollsten Erhalter seglerischer Tradition.“

Neben den ungefähren Abmessungen war das Anforderungsprofil damit klar. Das gesuchte Boot musste billig, für die rauen Bedingungen auf offener See geschaffen und – damit der Nachwuchs Gefallen daran finden würde – schnell sein. Außerdem war Fahrtentauglichkeit gefragt, also eine Kajüte mit festen Kojen und rudimentärem Ausbau.

Auf dem Klassiker „Coelnamara“ ist diese Einrichtung erhalten wie am Tag des Stapellaufs. Ausweislich der Bauvorschrift gehören dazu „Schlafgelegenheit und Kocheinrichtung für mindestens 3 Personen“. Ferner Kleider-, Karten- und Geschirrschrank, Wandborde mit Teller- und Gläserborden.

Als Werbepsychologe und Begründer der Markentechnik weiß Hans Domizlaff seinerzeit, welche Wirkung es hat, wenn er dem Seglertag keinen Vorschlag auf dem Papier präsentiert, sondern ein fertiges Boot. Und so geht er selbst an dessen Entwicklung. Tauscht sich mit Henry Rasmussen aus und landet mit seinen Ideen schließlich bei dem Kieler Marinebaurat Heldt.

Erfinder Domizlaff hat genaue Vorstellungen und Ideen

Und Ideen hat Domizlaff reichlich. Da ist zunächst der Preis. Billig soll das Boot sein und dabei doch hochwertig. „Material und Bauausführung muss unbedingt das Höchste bieten, was überhaupt in Frage kommt“, so sein Credo. Die Lösung des Dilemmas bietet schließlich die Konstruktion des Wal-Klassikers.

Als Knickspant-Boot mit untergebolztem Kiel ist der Wal ohnehin schon ökonomischer zu bauen als ein konventioneller Rundspanter. Weitere Stunden werden durch das runde Deck eingespart. Das so­genannte Waldeck sorgt allerdings auch für eine heftige Kontroverse über die neue Klasse. Domizlaff verteidigt das stilbildende Element – ob es nach dem Boot oder das Boot nach ihm benannt wurde, ist bis heute ein Rätsel –, denn neben einer gewaltigen Kos­ten­ersparnis habe es zahlreiche Vorteile.

Die runde Form offenbart seine Vorteile bei voller Fahrt

„Sobald das Boot in Fahrt ist, also gekrängt wird, lässt sich das Waldeck in Luv leichter und bequemer begehen als ein normales Deck. Es besitzt eine größere Festigkeit und bildet einen guten Schutz gegen überkommendes Wasser, das sofort seitlich abgeleitet wird.“ Außerdem, so der Vater des Walbootes, werde das Volumen des Boots­inneren durch das gewölbte Deck so groß, dass ein hoher Aufbau überflüssig sei. „Ich begreife nicht, wie jemand die übliche hohe Hütte schön finden kann.“

Auf Wal 13 steht mittlerweile auch die Fock, und der Vorschoter ist froh, nun in der Plicht Platz nehmen zu können. Denn ohne Lage und mit Nässe ist das Gehen auf dem Waldeck durchaus gewöhnungsbedürftig. Dafür kommt auf Ducht und hoher Kante Jollengefühl auf, als der Wal seine Nase gen Hafenausfahrt reckt und erstes Spritzwasser souverän vom Buckel abschüttelt.

Tatsächlich mutet die Konstruktion vor 90 Jahren futuristisch an. Ihre Ästhetik er­innert bei eingehender Betrachtung tat­sächlich an einen Wal; und das, obwohl die Knickspant-Bauweise einen deutlichen Winkel in die Bordwand zaubert. Doch Domizlaff und Heldt schaffen es mit einem Kunstgriff, eine scharfe Kimm zu vermeiden.

Der Klassiker hat vielseitig Vorteile in der Konstruktion

„Schließlich kam ich auf die Idee“, schreibt Domizlaff darüber, „dem Walboot den Kimmstringer nach außen zu verlegen – ähnlich wie bei Motor-Rennbooten. Damit erreichte ich eine besonders starke Planke, die Fleisch genug ließ, um die Kimm rund zu hobeln. Die dadurch ausgerundete Kimm wurde nunmehr in dem scharfen Vorschiff völlig unsichtbar. Und auch achtern verschwand die unschöne scharfe Kante.“ Die Nachteile des Knickspanters seien damit behoben, die Vorteile geblieben – insbesondere die höhere Festigkeit.

Zahlreiche Details sind damals neu. Die Takelage ist für Einhandsegler optimiert. Die Fock verfügt über einen Baum, der auf einem Leuwagen geschotet wird. Das Großsegel kann stehend aus dem Niedergang gerefft werden, sodass die Plicht – die laut der späteren Klassenvorschrift wahlweise auch selbstlenzend gebaut werden darf – auf See nicht verlassen werden muss.

Das Walboot wird in Mahagoni auf Eiche gebaut. Das Rigg mit seinem elf Meter hohen, hohlen Fichtenmast wird mit zwei Vorstagen, Ober-, Mittel- und Unterwanten sowie Backstagen und Achterstag gefahren. Zur Besegelung gehören Großsegel, Fock, Genua, Sturmfock und Spinnaker.

Bei schlechtem Wetter trumpft der Walboot-Klassiker auf

„Das Walboot ist in erster Linie ein Fahrtenboot“, schreibt Domizlaff nach dem ersten Sommer mit Wal 1, der am 3. April 1932 in Arnis auf der Bauwerft Matthiessen & Paulsen auf den Namen „Wal“ getauft wird. „Sein eigentliches Element ist das schlechte Wetter. Leider glauben die meisten Segler immer noch, dass die zuverlässigsten Schwerwetteryachten wie Tröge aussehen müssen. Das ist falsch. Das richtige Seeschiff zeichnet sich dadurch aus, dass es länger als alle anderen bei zunehmendem Seegang hoch am Wind gute Fahrt voraus macht, ohne Wasser überzunehmen. Das ist die besondere Leistung des Walbootes, die jeder bestätigt, der einmal damit gesegelt ist.“

Auf der stürmischen Kieler Woche im Sommer 1933 macht der heutige Klassiker wegen seiner Schwerwettereigenschaften von sich reden. Am zweiten Tag weht es aus allen Knopf­löchern. Ein östlicher Südost mit 7 bis 8 Beau­fort zwingt manche Crew in die Knie. Doch die Gruppe der Walboote spult den Parcours routiniert ab.

Wal 1 bis 10 laufen in den Jahren 1932 bis 1935 bei Matthiessen & Paulsen vom Stapel, Domizlaff subventioniert den Bau mit 500 Mark pro Boot. „Das Inventar umfasst Riemen, Dollen, Anker usw., also die übliche seemännische Ausrüstung. Mit Ausnahme der Segel und der Polster kosteten die letzten beiden Walboote je 2.400 Mark“, schreibt Domizlaff 1933 in der YACHT. Mit Plänen, Bauvorschriften und Vermessungsbestimmungen kann das Boot aber auch eigenhändig oder von einer anderen Werft gebaut werden: „Für die Pausen der Bauzeichnungen wird der Selbstkostenpreis berechnet. Eine Lizenzgebühr wird nicht erhoben.“

In seinem 1937 erschienenen Standardwerk „Racing, Cruising and Design“ beschreibt der britische Star-Designer Uffa Fox den Wal mit Verve in seinem 13. Kapitel, doch das soll für die junge Klasse kein Glück bedeuten. Zwei Jahre später bricht Krieg aus.

Der Nachfolger kommt – und das Walboot wird immer seltener

Als es in den fünfziger Jahren wieder möglich wird, die Freizeit auf dem Wasser zu verbringen, hat das Walboot in der Rückschau die besten Chancen, an den Erfolg der ersten Jahre anzuknüpfen. Die ersten zehn Boote haben den Krieg überlebt, und in den ersten Kieler Wochen werden die Wale gemeinsam gestartet. Doch schon in der zweiten Hälfte der Fünfziger tritt das nordische Folkeboot auf den Plan. Es ist noch simpler zu bauen und zu segeln als der Wal und löst ihn als Volksboot ab.

Gleichwohl sieht es eine Zeit lang so aus, als würden die Walboote eine Renaissance erleben. Immer wieder gibt es Neubauten, oft in Eigenregie. In Eckernförde etwa legt der Uhrmachermeister Rudolph Eckstein im Jahr 1959 zwei Walboote auf Kiel, eins davon, die heutige „Coelnamara“, für sich.

Eckstein baut im Vorraum einer Tisch­lerei, unterstützt wird er vom Nachbarsjungen Gernot Kastka. Der ist mittlerweile 80 Jahre alt und sitzt heute mit an Bord, als Wal 13 über die kabbelige Flensburger Förde schießt. „Wir fingen 1959 an. Jeden Tag nach Feierabend haben wir uns getroffen und am Boot gearbeitet, meist so bis 23 Uhr. Samstags wurde damals noch bis mittags gearbeitet, dann ging es ans Boot und Sonntag auch vormittags“, erinnert sich Kastka. „Zweieinhalb Jahre haben wir gebraucht.“

Auch in der DDR kam es zu mehreren Neubauten, von denen mit Wal 12 „Beluga“ und dem Wal mit der DDR-Segelnummer 119 „Kimm“ heute noch zwei exzellent erhaltene Exemplare in Norddeutschland gesegelt werden. Aus der Schweiz sind drei Neubauten bekannt, die in der zweiten Hälfte der Fünfziger auf der Werft Rudolf Fürst in Romanshorn am Bodensee entstehen.

Ganze Flotten bilden sich in Südamerika, und in Argentinien entsteht mit der von Germán Frers sen. in Anlehnung an den Wal entworfenen Grumete sogar eine verwandte Bootsklasse. Doch in seiner angestammten Heimat scheint der Wal fast ausgestorben. Auf der Kieler Woche 1961 sind noch fünf Boote am Start, im darauffolgenden Jahr sind es nur noch zwei.

Walboote sind heute eine wertvolle Seltenheit

Bis in die achtziger Jahre gibt es ein jährliches Walboottreffen. Und als sich Anfang der Neunziger der Freundeskreis Klassische Yachten etabliert, sind auch dessen Klassiker-Treffen wieder ein Anlass für die Eigner, mit ihren Booten zusammenzukommen. Im Jahr 1997 stiftet die Nachfolgerin der Werft Matthiessen & Paulsen einen Walbootpreis, der aber 1999 letztmalig ausgesegelt wird.

Heute ist kaum mehr bekannt, wo die Wal-Klassiker abgeblieben sind. Einige wenige finden sich in der Klassikerszene in guten Händen. Wal 13 ist wohl der am originalsten erhaltene von ihnen. Gernot Kastka jedenfalls fühlt sich an Bord völlig in die sechziger Jahre zurückversetzt, als er mit dem Ehepaar Eckstein und dessen Sohn lange Törns unternahm. „Es gab weder Motor noch Persenning“, sagt Kastka, aber als eng habe er es an Bord nicht empfunden.

Eigner Roland Fiebig fand den heutigen Klassiker Anfang der Neunziger in bemitleidenswertem Zustand auf der Eckernförder Siegfried- Werft und nahm sich seiner an. Ein Voreigner hatte das Gefährt auf den heutigen Namen getauft, was auf Gälisch „Klang des Meeres“ bedeutet. Ein Leben ohne Wal hält Fiebig für sinnlos. Den Klang des Meeres, sagt er und schmunzelt, höre man nirgends so gut wie auf dem Buckel eines Wals.


Technische Daten Walboot 13 „Coelnamara“:

  • Idee und Konzept: Hans Domizlaff
  • Konstrukteur: Marinebaurat Adolf Heldt
  • Erbauer: Rudolph Eckstein
  • Entstehungsjahr/Baujahr: 1932/1959–62
  • Rumpflänge: 8,50 m
  • Breite: 2,20 m
  • Tiefgang: 1,30 m
  • Verdrängung: 1,32 t
  • Segelfläche: 27 m²