„Hir 3”Kroatiens Segel-Legende mit wechselvoller Geschichte

Andreas Fritsch

 · 12.03.2023

Das italienische Design ist eine CAT 34, von der Enthusiasten nur eine Handvoll Boote bauten
Foto: Andreas Fritsch
Die „Hir 3” im Detail

Im Jugoslawien-Krieg wird das Segelboot “Hir 3” von Bombensplittern getroffen – doch es hält stand. Nach dem Wiederaufbau ging es (erneut) auf große Fahrt

Das erste Mal schien ihr Los im Jugoslawien-Krieg Anfang der neunziger Jahre besiegelt. Während „Hir 3“ im Winterlager an Land stand, schlug eine Granate in der Nähe ein. 286 Bombensplitter durchsiebten den Rumpf derart, dass das Tageslicht hindurchschien. Jeder normale Mensch hätte das Segelboot ab­geschrie­ben und verschrottet.

Aber „Hir 3“ durfte nicht sterben. „Sie ist ein Stück kroatischer Segelgeschichte“, sagt ihr heutiger Eigner, der Kroate Sasa Fegic. Das sah offenbar auch der Vorbesitzer so und laminierte aufwändig und gewissenhaft jedes der 286 Löcher wieder zu. Eine Sisyphusarbeit.

Die “Hir 3” hat eine große Bedeutung für den kroatischen Segelsport

Warum das Segelboot so besonders ist, können deutsche Segler am ehesten verstehen, wenn man die Leistungen der Yacht betrachtet: Mladen Sutjes-Barbara, der Ersteigner, segelte damit von 1989 bis 1992 als erster Kroate via die drei großen Kaps um die Welt. Der Törn war die Initialzündung für den kroa­tischen Segelsport, denn der Skipper nahm eine Kamera mit. Was er zurückbrachte, begeisterte das öffentlich-rechtliche Fernsehen des Landes derart, dass aus der Fahrt der „Hir 3“ eine 35-teilige Serie hervorging. Es folgten diverse Bücher und später weitere teils abenteuerliche Törns, unter anderem durch die Nordwestpassage, sowie ein Trans­atlantikrennen.

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„Ich habe die Serie als Kind im Fernsehen geschaut, und sie hat mich gefesselt“, sagte Fegic bei unserem Besuch 2018. Die „Hir 3“, zu deutsch etwa „Laune“ oder „Stimmung“, ist für die Kroaten das, was Wilfried Erdmanns „Kathenas“ für die Deutschen bedeuten: Sie entfachte in Generationen von Seglern das Fernweh. Auch in Fegic, der in Zagreb fern der Küste aufwuchs und ihretwegen schon in jungen Jahren von Fahrten über die Weiten der Ozeane träumte.

Bevor die 1979 gebaute 34-Fuß- Slup den Weg zu ihm fand, musste er sie ein zweites Mal vor dem sicheren Tod retten. Denn nachdem der Ersteigner das Boot verkauft hatte, ließen es diverse weitere Besitzer verkommen. Völlig von Grünspan überzogen, voller Regenwasser und Schimmel, der Rumpf dicht bewachsen, gammelte die „Hir 3“ an einer Muring vor sich hin.

Mit der Segelyacht “Hir 3” soll es um die Welt gehen

Sasa Fegic arbeitete damals schon fast 15 Jahre in der Charterbranche als Basiscrew und Skipper. „Durch Zufall fiel mir 2014 das Segelboot ins Auge. Ich habe es nie gesucht, aber sofort erkannt“, erinnert sich Fegic. Er war wie elektrisiert von seiner Ent­deckung. „Ich wusste sofort: Eine Weltum­segelung, das ist es – mit diesem Boot!“ Es kam ihm wie eine Ehre vor, das berühmte, wenngleich schwer vernachlässigte Schiff übernehmen zu dürfen. Für 8.000 Euro kaufte er die lädierte Ikone, ohne groß nachzudenken.

Die erste Bestandsaufnahme fiel ernüchternd aus. Unter Deck überall Schimmel und Wasserschäden, nur einige Teak- und Eichenteile konnten gerettet werden. Der Motor lief nicht, die Elektronik war hinüber, Segel und laufendes Gut verrottet. Kurz: ein Fall für den Abwracker. Sasa Fegic sah das anders. Er sah ein Segelboot, das für die Weite der Meere stand, das bewiesen hatte, was es kann, eine schlummernde Schönheit, die nur eine liebende Hand brauchte.

Tatsächlich wirken die sichtbar von der IOR-Ära geprägten Linien der „Hir 3“ zeitlos, durchaus gefällig, als wir den Eigner in seinem Heimathafen auf der Insel Mali Losinj besuchen. Über die längst geschlossene Bauwerft CAT ist wenig bekannt, nur dass sie ein italienischer Arzt gegründet hatte, der mehr als Hobby denn als Haupt­beruf mit seinem Sohn begann, nebenher Boote zu bauen. Carlo Alberto Tiberio hieß er, daher der Name – ein Akronym. Insgesamt sollen in seinem Betrieb nur 30 bis 40 Yachten entstanden sein.

Sasa Fegic’ Traumschiff ging 1979 zu Wasser, zunächst als Kasko. Der ursprüngliche Eigner baute den Rumpf selbst aus, wechselte damit von seinen beiden vorherigen Holzbooten erstmals ins GFK-Zeitalter – so erklärt sich die „3“ in „Hir 3“.

Hoher Aufwand für den Wiederaufbau der “Hir 3”

Gemessen an den Strecken, die sie im Kielwasser hat, und an den Verheerungen, die sie bisher überstand, muss es sich um eine höchst durable Konstruktion handeln. Und so erscheint der immense Aufwand, den Sasa Fegic zu ihrer neuer­lichen Rettung unternahm, durchaus gerechtfertigt.

Aus einfachen Verhältnissen kommend, muss er sich den Wiederaufbau vom Munde absparen. Auch deshalb versucht er, jedes Originalbauteil zu retten. Den Motor zerlegt er in seine Einzelteile und setzt ihn Stück für Stück instand. Für die betagte Ankerwinsch von Lofrans klappert er mehr als 20 Betriebe ab, bis er das mittlerweile historische Originalteil bekommt. Spibäume, Beschläge, Luken, die insgesamt acht Winschen – alles nimmt er auseinander und macht es wieder gangbar. Nur stehendes und laufendes Gut tauscht er gegen neue Ware.

Zeitgleich beginnt der Kroate mit einem Online-Blog zu dem Projekt. Sein Plan spricht sich allmählich in der kroatischen Seglerszene herum. „So kam es, dass mir viele Freunde unter die Arme griffen. Einer, der sich mit Yachtelektrik auskannte, ver­kabelte mir das ganze Schiff neu, ein Segelmacher half bei der neuen Garderobe, Schlosser bei Schweißarbeiten.“

Mladen Sutjes-Barbara, der erste Eigner der „Hir 3“, hörte von dem Projekt und kam vorbei, um sich das Segelboot anzusehen. „Er unterstützt mich öffentlich, was eine große Hilfe ist, denn sein Wort hat in der hiesigen Seglerwelt Gewicht“, sagt Fegic. Von ihm erfährt er auch von der hervorragenden Verarbeitungsqualität des Schiffs: Unterzüge und Kiel­kräfte werden über aufwändig einlaminierte Stahlverstärkungen aufgenommen.

Das Motto des Eigners: Reparieren, nicht wegwerfen

Und dann gab es da noch diese anderen glücklichen Zufälle: Mladen Sutjes-Barbara hatte die „Hir 3“ für den Törn um die Welt damals mit einer Windsteueranlage ausgerüstet, sie aber später verkauft, da er sie nicht mehr brauchte. Wie durch ein Wunder traf ein Freund von Sasa Fegic vor drei Jahren einen Eigner, der seine Anlage verkaufen wollte und ganz nebenbei erzählte, es sei die der „Hir 3“. Sofort schlug Fegic zu. So kehrte ein weiteres Originalbauteil aufs Schiff zurück.

Für Sasa Fegic sind solche Erfolge eine Genugtuung. „Ich bin ein Mechaniker vom alten Schlag. Ich liebe es, Dinge zu reparieren; wegwerfen ist nicht meins. So will ich es auch auf dem Törn halten: Ich habe bis auf wenige Ausnahmen keine Technik eingebaut, die ich nicht selbst reparieren kann. Dafür führe ich haufenweise Ersatzteile an Bord mit.“ Eine Lehre aus seinen Zeiten in der Charterbranche.

Auch sonst brachte die Restaurierung manche Überraschung. In der verdreckten Bilge lag noch eine alte Granate aus dem Beschuss im Jugoslawien-Krieg, die bei der Reparatur der Einschusslöcher wohl über­sehen worden war. Weitere Fundstücke waren eine Medaille für einen dritten Platz der „Hir 3“ während des Transatlantik-Rennens von Miami nach Rijeka 1983 sowie eine Gedenkmünze einer weiteren Regatta, die offensichtlich als Talisman unter dem Mastfuß lag; dazu noch ein original haitianisches Ton-Totem von der ersten Reise, wie ihm der Voreigner erzählte. Es hat einen Ehrenplatz am Mastschott gefunden. So durfte alles, was der neue Besitzer für historisch wertvoll erachtete, an Bord bleiben – mit Ausnahme der Granate allerdings.

Viele Teile an Bord der “Hir 3” stammen noch aus Kriegszeiten in Jugoslawien

Dazu zählt auch die massive, bleischwere Baumbremse aus Metall, die über dem Kajütdach fest unterm Baum angeschlagen ist. Sie rettete bei der Weltumsegelung 1989 bis 1992 einem Crewmitglied wohl das Leben. Als es an Deck am Segel arbeitete, brach in schwerem Wetter und bei hohem Seegang plötzlich ein Bolzen der Wind-Selbststeueranlage. Das Segelboot fuhr eine dramatische Patenthalse. Der Baum hätte den Mann von Deck gefegt, doch die Bremse – Nachbau eines westeuropäischen Produkts – bewahrte ihn vor dem Sturz ins Meer. „Wie könnte ich ein Teil mit einer solchen Geschichte abbauen?“, fragt Sasa Fegic.

Ein ganzes Jahr steckt er in die Re­staurierung. Er kündigt seinen Job dafür, schuftet Tag und Nacht. Als das Projekt langsam erste Erfolge zeitigt, lernt der Kroate seine heutige Freundin Marina Dukanovic kennen. Die Marketing-Spezialistin ist noch nie gesegelt, lässt sich von Fegic’ Begeisterung aber sofort anstecken. Sie hilft ihm beim Bloggen und knüpft Kontakte zu den Medien. Die beiden versuchen, über Crowdfunding eine zweite Fahrt der „Hir 3“ um die Welt zu finanzieren. Noch einmal soll es in Etappen ums Kap der Guten Hoffnung, Kap Leeuwin und Kap Hoorn gehen, diesmal jedoch in nur zwölf Monaten statt zweieinhalb Jahren. Davon zwei echte Herausforderungen: nonstop von Kapstadt nach Australien und von Neuseeland nach Ushuaia. 2020 konnte er seinen Traum erfüllen und die Weltumsegelung mit der “Hir 3” unter dem Jubel seiner Freunde und Fans erfolgreich absolvieren.

Wer mit Sasa Fegic und Marina Dukanovic auf dem aus der IOR-Ära stammenden Segelboot vor Mali Losinj einen Schlag segeln geht, spürt, dass in der Ausrüstung der „Hir 3“ viel Erfahrung steckt. Alles hat seinen Platz, ist durchdacht. Sei es das immer griffbereite Messer unter der Pinne, clevere Polster­säcke, die es erlauben, sich am Navitisch oder sogar im Cockpit schlafend zu verkeilen, oder die clevere Idee, Bilgen- und Toiletten-Pumpe bau­gleich zu wählen, damit sie notfalls getauscht werden können.

Nur für Hightech hat der Kroate wenig Sinn und obendrein zu wenig Geld: Radar und AIS sind daher nicht an Bord, auch keine moderne Rettungstechnik. Lediglich ein Satellitentelefon und eine Epirb für Notfälle kommen mit. Für verwöhnte westeuropäische Standards mag das Boot an einigen Stellen etwas betagt und gebastelt wirken, doch der Kroate denkt gar nicht daran, die Patina eines langen Lebens durch Glanzlack und neue Teile zu ersetzen. Man sieht der „Hir 3“ an, dass sie schon einiges erlebt und bewältigt hat. Sie ist, wie ihr stolzer neuer Eigner, wahrlich kein Blender.

Im Hauch eines lauen Abendwindes segelt „Hir 3“ voll beladen durch die Adria. Mit der für ihre Bauzeit typischen großen Genua ist sie noch immer ganz passabel unterwegs. Nach allem, was sie schon überstanden hat, war die zweite Weltumsegelung eine Fingerübung.


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