PsychologieWie Schadenfreude entsteht – Interview mit einer Psychologin

YACHT-Redaktion

 · 11.11.2022

Psychologie: Wie Schadenfreude entsteht – Interview mit einer PsychologinFoto: Sea & Talk
Psychologin Daniela Maier

Die Ursachen für Schadenfreude – und wie man anderen beim Anlegen assistieren kann, ohne sie nur noch mehr zu verunsichern

Daniela Maier lebt in Bochum, ist Psychologin mit eigener Praxis und Lehrbeauftragte. Als Seglerin weiß sie um das Glück, aber auch den Stress an Bord und dass sich Anlegemanöver vor voller Hafenkulisse wie ein Spießrutenlaufen anfühlen können. Mit Dr. Thomas Göke bietet sie Coachings auf See zu allen Lebensfragen an.

Frau Maier, warum reagieren manche Segler so übelwollend, wenn andere im Hafen Fehler machen?

Ein schadenfreudiger Mensch ist quasi auf einem Selbsterfahrungstrip. Unbewusst vergleicht er sich beim Gaffen mit den anderen und empfindet es als Gewinn, wenn die ihr Manöver nicht gut hinkriegen. Das ruft ein Überlegenheitsgefühl hervor. Der Mensch „wächst“ quasi am Leid anderer.

Ganz schön traurig, oder?

Ja, das finde ich auch. Das Interessante dabei ist, dass ein anderer Schaden erleidet, ohne dass der Betrachter selbst handfeste Vorteile dadurch hat. Er erlebt vielmehr einen ausschließlich mentalen Gewinn. Der kann umso größer werden, wenn Neid hinzukommt. Passiert dem Eigner des teuersten Bootes im Hafen ein Missgeschick, kann die Missgunst regelrecht in Schadenfreude umschlagen. Ähnliches gilt, wenn ein Unsympath in Schwierigkeiten gerät. Das muss aber nicht bei jedem Zuschauer so sein. Da können unterschiedliche Ausprägungen der Persönlichkeit eine Rolle spielen. Bei Narzissten und passiv-aggressiven Persönlichkeiten etwa finden sich ausgesprochen häufig Neid und Schadenfreude.

Gibt es einen Unterschied zwischen Männern und Frauen?

Sowohl Männer als auch Frauen können Schadenfreude empfinden. Laut Untersuchungen sollen es statistisch mehr Männer sein, die sich am Leid anderer ergötzen. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass Schadenfreude stärker kulturellen Unterschieden unterliegt. Besonders verbreitet ist sie nach wissenschaftlichen Studien in Gesellschaften, die stark von Wettbewerb, Leistung und materiellen Werten geprägt sind, so wie unserer.

Wäre das An- und Ablegen leichter ohne Zuschauer?

Ja und nein. Ja, wenn der Manövrierende davon ausgehen muss, dass unter den Betrachtern nur das Bedürfnis nach Schadenfreude da ist und sie regelrecht darauf lauern, dass ihnen eine filmreife Aktion geboten wird. Und nein, wenn das Bedürfnis der Crew nach Hilfe überwiegt und die Zuschauer ungeachtet ihres Sensationsdrangs Hilfsbereitschaft signalisieren. So sollte es ja auch sein. Die „Benimmregel Nr. 9“ beim nautischen Pannendienst Sea-Help lautet sehr zutreffend: „Helfen statt lästern“. Weiter heißt es da: „Mit einem Drink in der Hand vom Cockpit aus Hafenkino vom Feinsten beobachten und entsprechend kommentieren? Kann man machen, ist aber weder freundlich noch hilfsbereit. Eine Leine anzunehmen und zu belegen gehört zum guten Ton.“

Wie sollte man seine Hilfe anbieten, ohne wie ein Besserwisser zu klingen?

Es hilft sehr, sich mit Kommentierungen zurückzuhalten. Die Aussage „Das war jetzt ja wohl nix“ kommt nicht gut an, wenn jemand ohnehin schon hadert. Generell wäre ein schlichtes „Kann ich helfen?“ hier von Vorteil. Oder man begegnet dem anderen mit Verständnis, indem man sagt: „Mensch, so ging’s uns neulich auch. Kommen Sie, ich helfe rasch.“ Wichtig ist auch, in welcher Tonlage und mit welcher Gestik, Mimik und Körperhaltung wir Hilfe anbieten, damit es nicht überheblich und schulmeisterlich daherkommt.

Wann sollte man seine Hilfe nicht anbieten?

Bevor ich zu lange überlege und darüber grüble, wem ich wann warum genau Hilfe anbieten sollte oder vielleicht besser doch nicht, haben sich die Ereignisse bei Windstärke fünf von der Seite vielleicht schon überschlagen. Ich persönlich finde, Hilfe anbieten kann einfach nicht schaden. Was kann denn groß passieren, außer dass sie nicht gebraucht wird? Natürlich wird der ein oder die andere nun sagen, dass sich jemand durch mein Hilfsangebot vorgeführt, sich in seiner Kompetenz untergraben fühlen kann. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch geringer, als wir mutmaßen. Helfen bringt Segler doch viel eher zusammen.

Freut man sich mehr, wenn man bei anderen Fehler sieht, die man selbst auch schon gemacht hat?

Das ist eine Frage des Charakters und der emotionalen Intelligenz. Erinnere ich mich an meine eigenen Fehler, habe ich das mitunter unangenehme Gefühl in mir präsent. Jemand mit Empathie und Selbstbewusstsein wird dann kaum Schadenfreude empfinden. Eventuell erzeugt es ein Gefühl der Erleichterung, dass ich nicht als Einziger diesen Fehler gemacht habe. Und sicherlich triggert die Erfahrung meine Hilfsbereitschaft. Fehlen mir diese positiven Eigenschaften, entsteht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit leider eine diebische Freude.

Interview: Steffi von Wolff


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