YACHT-Redaktion
· 10.11.2022
Wenn Hafenmanöver aus dem Ruder laufen, grient mitunter die halbe Marina. Warum eigentlich? Beobachtungen und Hintergründe der Schaulust
Es ist wieder so weit, trotz Nieselregens. Die Meute kriecht aus ihren Salonhöhlen und Kuchenbuden, um sich für die Nachmittagsvorstellung bereit zu machen, einige mit Kaffee, wahlweise Bier oder einem gepflegten Cocktail. Es ist kurz vor 16 Uhr. Bald werden sie kommen. Ganz sicher.
Nein, in der Dänischen Südsee wurden noch keine Orcas gesichtet, die Kurs auf den Sønderborger Hafen nehmen. Es wurde auch kein Goldschatz einer spanischen Armada gehoben. Nein, nein. Viel interessanter: Die Meute erwartet die Chartercrews aus Flensburg, die nach einer endlos langen Bootsübergabe nun ihre zweite große Hürde meistern müssen: den ersten Anleger der Reise, der für viele meist auch der erste des Jahres sein wird.
Ein Fest für alle, die schon festgemacht haben: die Muschelrücken, die Vielsegler, die Regattacracks nebst Charterern, die ihr Hafenmanöver hinter sich haben. Jetzt sind die anderen dran.
„Sie kommen!“ Der Mast des ersten eintreffenden Schiffs schiebt sich hinter der Mole Richtung Einfahrt voran, biegt langsam Richtung Steg A ein. Und die Meute wartet, während die Crew in Rettungswesten dasteht und konzentriert Ausschau hält. Man spürt förmlich, wie sehr sich die Neuankömmlinge wünschten, ihr Manöver in aller Ruhe zu fahren, ohne den Druck der versammelten Stegbesatzung.
„Guck mal, was der für Schuhe anhat, mit denen rutscht der gleich aus, wenn er auf den Steg springt“, sagt einer vom Schiff nebenan, und ein kleines bisschen Hoffnung schwingt mit. Die falschen Schuhe, der nasse Steg – ja, da könnte was zum Gucken draus werden.
„Die wollen bestimmt längsseits anlegen und haben noch gar keine Fender draußen“, kommt es von Backbord. Unausgesprochen bleibt, was sich anzubahnen scheint. „Der fällt beim Übersteigen gleich hin“ und „Ohne Fender, das kann nicht gut gehen, das gibt garantiert ’ne Macke!“
Diese Szenen spielen sich so oder ähnlich in fast allen Häfen ab, bevorzugt, wenn es weht oder sehr voll ist oder wenn besonders viele Einsteiger mit ihnen kaum vertrauten Booten versuchen festzumachen. Es gibt sogar ein Wort dafür, das einigermaßen harmlos und nach Unterhaltung klingt: Hafenkino.
Das Maß der Schadenfreude und Gehässigkeit, das sich darin ausdrückt, mag schwanken, die Boshaftigkeit der Kommentierung mag variieren. So ganz frei von Häme und Sensationslust aber ist kaum jemand, nicht mal jene, die selbst bisweilen darunter zu leiden haben, weil bei ihnen auch nicht jedes Manöver sitzt.
Warum ist das so? Warum gehen Menschen auf ihren sicher festgemachten Booten regelrecht Hafenkino-Wache, um nur ja nicht zu verpassen, wenn sich eine kleine Katastrophe anbahnt? Die sich gar zuprosten in der Vorfreude, dass hoffentlich gleich was los ist im Hafen, über das sie sich dann später in aller Ausführlichkeit mit den Nachbarn unterhalten können.
Konflikte zwischen Rudergänger und Crew befeuern noch das Drama, das sich in den Marinas oft abspielt
An Anlässen für eine gewisse Niedertracht mangelt es selten. Da hat einer ein größeres Boot als man selbst, schon ist er ein arroganter Lackaffe. Motort ein junges Pärchen auf einer Hallberg-Rassy in die Marina, ist die natürlich „sponsored by Papa“, und ganz klar: Die verwöhnten Gören können nix. Gelingt ihr Manöver wider Erwarten doch einwandfrei, kann das nur ein Zufall sein.
Die Bochumer Psychologin und Seglerin Daniela Maier erklärt das Phänomen so: „Das Interessante an der Schadenfreude ist, dass ein anderer Schaden erleidet, ohne dass der Betrachter selbst handfeste Vorteile dadurch hat. Er erlebt vielmehr einen ausschließlich mentalen Gewinn. Der kann umso größer werden, wenn Neid hinzukommt.“
Der Logenplatz im Hafenkino befriedigt also nicht nur die schiere Sensationslust, sondern hilft auch, eigene Defizite zu kompensieren.
Unterdessen im Gästebereich des Sønderborger Sportboothafens: Die Chartercrew erwägt tatsächlich, längsseits festzumachen, auch wenn noch keine Fender bereitliegen. Es wäre das simpelste, das logische Manöver. Schon wabert die Enttäuschung wie Nebel über Steg A. Das wäre doch zu einfach!
Zum Glück schlägt jemand auf dem Vorschiff eine leer stehende Box vor. Zum Glück ist die zu klein. Aber das wissen die Segler nicht – woher auch. Die Marina ist ihnen fremd, das Boot und seine Dimensionen nicht vertraut. Gut nur für die Gaffer!
Und schon naht das nächste Schiff, wieder ein Charterboot. Die Meute beugt sich den Neuankömmlingen zu. Vorn am Bug steht ein Mann in Ölzeug mit der Vorleine in der Hand, der hektisch guckt. Am Rad erteilt ein anderer bellend Befehle. Zwei Frauen mit Festmachern warten geduckt in Höhe der Wanten und wirken wie eingeschüchterte Vögelchen. Sie schauen herüber und hoffen vielleicht, dass ihnen jemand Zuversicht schenkt, einen Tipp gar: „Platz 65 ist frei! Wir helfen auch gleich!“
Aber Steg A wartet nur, lauert regelrecht. Bestimmt wird gleich etwas passieren.
Wie sich die Crew wohl fühlt? Die Segler, die da leicht verloren an Deck stehen, haben eine Menge Geld für ein oder zwei Wochen Charter bezahlt, haben sich seit Monaten auf diese Zeit gefreut. Nun sind sie endlich an Bord, unterwegs, voller Vorfreude, aber auch begleitet von einem Gefühl latenter Unsicherheit, des Nicht-Genügens.
Wie sich die Crew wohl fühlt, die ihren ersten Anleger fährt mit einem fremden Schiff in einem ihr fremden Hafen vor großer Kulisse?
Der Skipper: überfordert. Die Crew: eingeschüchtert. Das Wetter: herbstlich herb. Eigentlich wollen alle nur diesen Anleger hinter sich bringen und dann einen schönen Abend gemeinsam verbringen. Aber dann sitzen da die Schaulustigen Spalier, Leute mit Steinbeißerblick, die aussehen wie die beiden Opas in der „Muppet Show“. Furchtbar!
„Guck mal, ob die Box da neben der Moody rot ist, guck mal, wie breit die ist, guck mal, jetzt guck doch mal!“
„Die ist viel zu schmal“, sagt einer der Muppets altklug, leise genug, dass es die Chartercrew bloß nicht hört. Wär ja noch schöner, wenn man denen das Manöver erleichtert.
Geht’s gut? Oder kracht es? Ist die Box breit genug oder zu schmal? Und soll man lieber helfen, unterstützen, Tipps geben – oder die anderen besser erst mal machen lassen?
Der Rudergänger macht einen Schlenker; er will nur noch festmachen, in dieser Box, nicht mehr suchen, nicht mehr spießrutenlaufen. Ohne Absprachen prescht er zwischen die Dalben, und es passiert, was passieren muss: Pfähle knirschen, die Crew wird panisch, die Meute grient.
„Hätt ich dir gleich sagen können“, schlaumeiert einer zwei Schiffe weiter, gar nicht leise.
Die Mannschaft des ersten Charterboots hat sich inzwischen dann doch entschlossen, den Längsseitsplatz zu nehmen. Denn die Box, das haben ja jetzt alle mitbekommen, ist zu eng. Unterdessen wächst sich das Nieseln zu einem Landregen aus.
Wenigstens steht ein Helfer da, bereit für die Leinen, die auch fliegen. Wie dumm nur, dass sie nicht auf den Klampen belegt sind. Und da ist noch die Sache mit den Fendern, die fehlen. Der Helfer steht da mit der Vorleine in der Hand und verfolgt hilflos, wie das Schiff erst längs gegen den Steg und dann ins Heck einer Motoryacht driftet. Noch mehr Hafenkino.
Was für ein Nachmittag! Da hat es sich doch gelohnt, nicht rauszufahren heute! Denn „wir als Bootseigner können uns das ja leisten, wir haben ja nicht nur eine Woche, sondern, wenn wir wollen, immer Saison! Die armen Teufel da eben nicht, aber im Ernst, wie kann man denn so blöd sein! Da klatscht der Vercharterer aber keinen Beifall!“
Ungewollt zum Hauptdarsteller werden – das trifft, fast will man sagen: zum Glück, nicht nur Chartersegler. Die Chance auf öffentliches Scheitern ist zwar fraglos größer, die Yachten meistens auch. Aber sehenswerte Manöver-Stunts gibt es allenthalben zu sehen.
Da hätten wir den Klassiker, dass jemand alle Leinen loswirft, schwungvoll einkuppelt – und erst dann merkt, dass das Stromkabel noch im Verteilerkasten steckt. Dass die Yacht bereits die Dalben passiert hat, bevor klar wird, dass ein Kind, ein Hund oder alle beide fehlen.
In Sønderborg, an Steg A, trug sich gar folgende Szene zu: Ein Boot läuft ein, an der Pinne ein zornesroter Mann, achteraus an einer Leine hängend die eigene Frau im Kielwasser. Wie sich später herausstellte, hatten die beiden sich auf ihrem Törn so zerstritten, dass sie vor Wut ins Wasser gesprungen war – und er hatte sich geweigert, sie wieder an Bord zu holen. Ihr Streit endete damit natürlich nicht, oh nein! Er zog sich so lange hin, bis die Frau, nachdem sie wieder an Bord war, trockene Sachen übergezogen, Handy und Handtasche geholt und das Schiff, später womöglich auch den Mann verlassen hatte.
Das sind Geschichten, über die sich herrlich lachen lässt, solange man nicht selbst betroffen ist. Szenen eigentlich, die man sonst nur in leicht überdrehten Komödien zu sehen bekommt. Und doch ist dies eben kein Film, sondern das wahre, pralle Leben. Wohl auch deshalb bleibt da meist ein Gefühl der Scham, wenn man – gewollt oder ungewollt – zum Zuschauer wird.
Manche legen es dagegen regelrecht darauf an, einen Eklat zu provozieren. Und sie fühlen sich so selbstgerecht, dass sie ihre finsteren Gedanken nicht einmal für sich behalten. So geschehen in einem viel besuchten Stadthafen an der Ostsee, bei Hack.
„Ah, guck mal, die sehen aus, als könnten sie nix. Vielleicht passiert ja was! Nee, geh mal nicht helfen“, sagte ein Skipper zu seiner Crew, als sich eine Familie mit ihrer 32-Fuß-Yacht dem Gästesteg näherte.
Ein anderer hat den armen, durchgefrorenen Seelen, die zum ersten Mal mit ihrem neuen Boot unterwegs waren, dann doch assistiert und sie direkt auf eine Kanne heißen Tee bei sich an Bord eingeladen, wo schon die Heizung lief. Hilfe statt Hafenkino. Wobei auch das nicht immer gut ankommt. Es gibt Segler, die so von sich überzeugt sind, dass allein schon das Angebot, ihre Leinen anzunehmen, als Anmaßung empfunden wird. „Nee, lassen Sie mal! Das mach ich besser alleine.“ Auch damit kann man Menschen vor den Kopf stoßen. Auch so können Solidarität, Hilfsbereitschaft und Kameraderie Schaden nehmen. Schade eigentlich, denn ist es nicht das, was Segeln so besonders macht?
Steffi von Wolff