Daniela Maier
· 13.07.2022
Den Urlaubstörn in vollen Zügen genießen – darauf freuen wir uns alle. Aber wie gelingen die schönsten Wochen des Jahres wirklich?
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Menschen wollen über ihr eigenes Leben und Schicksal verfügen können
Erwartungen sind so eine Sache. Sie drücken unsere Gedanken in Bezug auf Personen oder Situationen aus und finden in unserer Fantasie statt. Genau da beginnt oft das Dilemma. Denn in den allermeisten Fällen werden die Erwartungen weder erfüllt noch übertroffen. Sie kentern vielmehr in den Fallböen der Realität.
So ist das auch und besonders in Bezug auf den Sommerurlaub, dieser wie von einer gigantischen Schelfwolke überwölbten mutmaßlich besten Zeit unter Segeln. Das ganze Jahr fiebert man ihr entgegen, plant Törnziele, Ankerstopps, Sightseeing, schreibt Ausrüstungslisten und häuft Mal um Mal mehr Vorfreude auf diese zwei, drei, vier Wochen auf dem Wasser. Damit lässt sich manche Senke im Alltag wundervoll umschiffen. Sie kennen diese Sätze bestimmt: "Nur noch ein Monat, dann ...!"
So wächst allerdings ein beängstigend langer Zettel voller Illusionen. Denn was soll von Tag eins des Urlaubs an nicht alles anders werden: Wir wollen schon mal ohne Stress und Stau am Boot ankommen. Wir wollen gutes Wetter haben, die Tage sonnig, die Nächte lau. Es soll stets gute Laune in der Crew herrschen. Krankheiten bleiben bitte fort, wichtige Utensilien unvergessen. Die Häfen, Strände und Lokale nicht zu voll, das Essen köstlich, das Preis-Leistungs-Verhältnis mindestens fair, die Nachbarlieger zuvorkommend und leise, das Wasser sauber und wohltemperiert.
Je länger die Liste der imaginierten Zukunftsaussichten wird, umso größer ist der innere Druck und umso höher leider auch die Wahrscheinlichkeit, enttäuscht zu werden. Dies bedeutet nun nicht, dass wir keine Vorfreude mehr auf unseren Urlaub empfinden sollen. Im Gegenteil, freuen Sie sich auf ihn, er wird schön, weil Sie es in der Hand haben, wie Sie ihn am Ende bewerten. Denn es sind nicht die objektiven Umstände einer Situation, die uns belasten, sondern deren subjektive Bewertung. Hier deshalb ein paar erprobte Techniken, wie Sie besser mit Ihren Erwartungen umgehen können:
Verschriftlichen Sie schon vor dem Urlaub all das, was Sie sich von Ihrem Törn wünschen – und differenzieren Sie nun, ob etwas dabei ist, das Sie vielleicht ein wenig beeinflussen können.
Sie möchten im Urlaub zur Ruhe kommen und nicht an Ihre Arbeit oder Ähnliches denken? Ein durchaus legitimer Wunsch! Sorgen Sie dann schon im Vorfeld für einen ruhigen Start, und arbeiten Sie nicht bis zur letzten Minute. Versuchen Sie, bereits zu Hause alle möglichen Reize, die mit Ihrem Job in Verbindung stehen, zu eliminieren, damit Sie im Urlaub wirklich mal alles hinter sich lassen können, wenigstens das allermeiste.
Räumen Sie Ihren Schreibtisch auf, erledigen Sie alle wichtigen Aufgaben vorab, richten Sie eine Abwesenheitsnotiz für E-Mail und Telefon ein. Hier dürfen Sie gern schummeln und einfach einen Tag dranhängen, obwohl Sie schon wieder zu Hause sind, damit Sie in der Zwischenzeit angefallene Aufgaben in Ruhe angehen können, ohne gleich von der Flut fortgerissen zu werden. Und machen Sie für die erste Woche nach dem Urlaub nicht zu viele Meetings, sonst rattert Ihr Unterbewusstsein garantiert schon wieder im Overdrive, noch während Sie an Bord sind.
Überlegen Sie dreimal, ob der Laptop wirklich mitmuss auf Törn. Die Natur ist allemal besser als eine Netflix-Serie. Takten Sie auch Ihre Route nicht zu sehr durch. Das Wetter kann launisch sein, Zwischenstopps erforderlich machen. Dafür braucht es, genau wie für die Erholung, Zeit und Muße.
Manche Menschen stresst allein schon die Vorstellung, vor Urlaubsbeginn nur ja nichts zu vergessen, zumal in kleinen Kommunalhäfen der deutschen, dänischen oder griechischen Provinz die Versorgungslage durchaus mau sein kann. Aber mal ehrlich: Was außer Pässen, Segelscheinen, Schiffspapieren, Geld und regelmäßig einzunehmenden Medikamenten ist wirklich unerlässlich? All dies können Sie schon vor der Reise an die Seite legen.
Sie sehen: Ruhe ist eine Frage der Einstellung. Und das gilt so auch für alle anderen Erwartungen, die wir an einen Segelurlaub haben. Es ist in jedem Fall hilfreich, sich ihrer bewusst zu sein. Und dann ist da noch eine Gewissheit, die Sie mit an Bord nehmen sollten: So, wie sich zu hohe Erwartungen selten ganz erfüllen, treten auch die schlimmsten Befürchtungen kaum je ein.
Womit wir bei der Frage wären, wie man am besten klarkommt, wenn der Törn nicht mehr bevorsteht, sondern längst begonnen hat. Auch da gilt: Akzeptieren Sie die Realität, die Sie nicht ändern können, üben Sie eine radikale Akzeptanz des Ist-Zustands, wenn eben nicht alles nach Wunsch läuft. Dadurch ersparen Sie sich Enttäuschung, Wut, Ärger, Verzweiflung, Hilflosigkeit und Kontrollverlust.
Akzeptanz ist die Bereitschaft, Dinge so zu nehmen, wie sie sind, und sie nicht negativ zu bewerten. Somit stärken Sie Ihre Resilienz und Ihre positiven Ressourcen. Dann ist das Wetter halt mal schlecht und das Essen nicht so lecker, der Lieblingspulli daheim und das Museum geschlossen. Davon geht die Welt nicht unter. Sie befinden sich im Urlaub. Genießen Sie die Zeit, die Sie ohne Verpflichtungen, Termine und Wecker mit der Familie oder Freunden verbringen dürfen, seien Sie dankbar dafür und offen für alternative Aktivitäten. Seien Sie einfach spontan, und gehen Sie weg von Gedanken wie: "Es hätte so schön sein können" oder "Immer haben wir Pech". Das ist Katastrophendenken, Kopfkino, und das raubt Lebensfreude. Lassen Sie negativistische Wenn-dann-Sätze weg, sie führen in einen dunklen Tunnel, wirken toxisch und sind für nichts und niemanden gut.
Übrigens: Auch nach dem Urlaub sollten Sie sich darin üben, erst mal die schönen Momente im Blick zu halten – selbst wenn vielleicht nicht alles rund gelaufen ist. Denn Sie allein haben die Deutungshoheit über Ihre Erlebnisse. Ist es nicht langweilig, wenn man wiederkommt und eigentlich "nichts" zu erzählen hat?
"Und? Wie war euer Urlaub?" – "Ach schön, wir hatten gutes Segelwetter, die Kinder waren entspannt, wir waren schwimmen, haben gut gegessen." Bla, bla, bla. Boooring! Hängen wir nicht auf Partys an den Lippen derer, die Haarsträubendes berichten? Die bei Sturm den Anker lichten und die ganze Nacht gegenanmotoren mussten, die von Wellen bis zur zweiten Saling erzählen, auch wenn sie vielleicht nicht mal ganz bis zur ersten reichten. Werden sie nicht für ihren Mut und ihre Kühnheit bewundert, finden Zustimmung, Lob, Respekt und Wertschätzung? Und fühlen sich nicht dann auch alle anderen ermutigt, von ihren eigenen Törnkatastrophen zu erzählen?
Tun Sie das bitte! Sie werden sehen, dass es sich auf einmal gar nicht mehr enttäuschend oder schockierend anfühlt. Mit ein bisschen guter Rhetorik und Sinn für Dramaturgie haben Sie garantiert alle Zuhörer auf Ihrer Seite.
In diesem Sinne, so oder so: Schönen Urlaub!
Die Autorin
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