“Fahnen Fischer” im PorträtFlensburger Traditionsunternehmen fertigt Fahnen und Flaggen

Nico Krauss

 · 16.03.2024

Stück für Stück von Hand wird an der Flensburger Förde genäht
Foto: N. Krauss
In der Flensburger Manufaktur Fahnen Fischer entstehen Flaggen und Fahnen, Stander und Wimpel für Kunden aus aller Welt. Besuch bei dem Traditionsunternehmen

Die norddeutsche Stadt Flensburg ist auch im Spätherbst ein wundervoller Ort. Besonders wenn die steife Brise aus West die Förde zum Kochen bringt, die Fallen der Yachten im Hafen mit einem Klimperton gegen Wanten schlagen und die Flaggen laut im Wind knattern. Eine Geräuschkulisse, die auch an der Schiffbrücke 23 gut zu hören ist, einem dieser historischen Fachwerkhäuser mit großer Winde im Giebel direkt an der Hafenkante.

„Wir freuen uns als Segler immer über guten Wind und vor allem, dass unsere Flaggen so schön wehen“, sagt Christin Finke, die Inhaberin der Flaggenmanufaktur Fahnen Fischer, die hier zu Hause ist. Finke hat die Werkstatt und den Laden 2019 in dritter Generation von ihrem Vater übernommen. Die 38-jährige Flensburgerin hat schon als Kind gern den flinken Händen der Näherinnen zugeschaut. Damals wie heute entstehen in der Nähwerkstatt viele unterschiedliche Fahnen und Flaggen, für die Seefahrt, Behörden, Gewerbe- und Privatkunden. Ob Nationale, Signalflaggen von Alpha bis Zulu oder die Stander der Segelclubs von Flensburg bis zum Bodensee – hier wird noch in Handarbeit geschnitten und genäht für individuelle Aufträge in Einzelanfertigung oder Kleinserie.

Standort mit durchweg maritimer Vergangenheit

Hinter der historischen Fassade nahe dem heutigen Museumshafen Flensburg ging es schon immer um handwerkliche Erzeugnisse für die Seefahrt. Erbaut im Jahre 1740 von dem Schiffer und Gastwirt Lorenz Dethleffsen, diente das Haus seit 1776 bis heute ununterbrochen Segelmachern, Kompassbauern und Flaggennähern als Arbeitsstätte. Typische Gewerbe der historischen Seefahrt eben – wobei die Ausübung des angeblich ältesten Gewerbes bereits im Grundbuch von 1740 strikt untersagt wurde: das Betreiben eines Bordells.

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Nachdem die Familie Fischer das historische Gemäuer 1984 übernommen und restauriert hatte, wurde hinter der typisch norddeutschen Klöntür im Erdgeschoss der Verkaufs­bereich mit einem großen Sortiment an Flaggen eingerichtet. Daneben wird dort seither auch hochwertige Segel- und Funktionsbekleidung angeboten.

„Bevor es den Laden gab, hat meine Mutter Merete Fischer auch an den Nähmaschinen gearbeitet und sich um den Flaggenverkauf gekümmert. Später hat sie dann das Sortiment um maritime Bekleidung wie Ölzeug, bretonische Ringelshirts, Fischerhemden, Troyer und Seestiefel erweitert“, erzählt Christin Finke.

Seither gilt der Laden für Flensburger und Durchreisende als gute Adresse für zünftige Bordbekleidung. Das Kerngeschäft des Familienunternehmens findet jedoch gut hörbar im ersten Stock des Traditionshauses statt. Hier rattern die Nähmaschinen, die Fäden fliegen förmlich von den Spulen, rasen durch die Nadeln und weiter hinein in die Tücher, aus denen Flaggen werden. Passend dazu dudeln im Hintergrund Shantys und Schlager vom Radiosender Welle Nord.

Individuelle Kundenbestellungen – selbst vom Hochadel

Unter den flinken Händen von Anke Thomsen und Katja Fromm entstehen hier Tag für Tag Dutzende Flaggen nach Maß. Thomsen sitzt auf dem Drehstuhl an der Nähmaschine, mit konzentriertem Blick schiebt sie ein Stück Stoff durch das rasante Auf und Ab von Nadel und Faden. Blitzschnell hat sie eine Schere in der Hand und vollendet ihre Arbeit mit fließenden Bewegungen am Schneidetisch.

Basierend auf der Signalflagge Mike, einem rechteckigen Stander in Bayerischblau mit diagonal darüber verlaufendem weißen Kreuz, fertigt die 53-Jährige eine individuelle Kundenbestellung. „Sonderanfertigungen sind unsere Spezialität, damit beliefern wir Kunden in ganz Deutschland“, erklärt die erfahrene Näherin. Seit 30 Jahren ist sie bereits für Fahnen Fischer tätig. Sie kennt den Betrieb und die Wünsche der Kunden sehr genau.

Dabei ist die Anfertigung von Fahnen und Flaggen mit unterschiedlichen Stoffen, um Symbole oder Buchstaben mittels einer Applikation hervorzuheben, eine besondere Herausforderung. Vor Kurzem hat Thomsen eine große Fahne mit fürstlichem Wappen für das Haus Glücksburg angefertigt. Denn auch der Hochadel ist Stammkunde bei den Fahnen­spezialisten von der Förde. „Es sind dann sehr große Mengen Tuche in unterschiedlichen Farben zu vernähen“, verrät Thomsen, die für diese Spezialaufträge verantwortlich ist. „Doch auch wenn es kompliziert wird, sind das die Highlights auf dem Nähtisch.“

Papierschablonen dienen als Vorlage, um die Formen der Symbole und Buchstaben auf den Stoff zu übertragen. Der wird in den entsprechenden Farben aufgesteckt, dann fest vernäht und dessen überstehender Rand danach ausgeschnitten. Bei großen Fahnen mit einigen Meter Kantenlänge haben die Näherinnen alle Hände voll zu tun, die kiloschweren Tuche sicher durch den Nadelparcours zu manövrieren. Und im Ergebnis muss die fertige Fahne optisch genau den Vorlagen entsprechen. Sie muss bei wenig Wind bereits ihre Pracht entfalten und bei Starkwind den Böen trotzen.

“Nähfahne” oder Digitaldruck: unterschiedliche Verfahren in der Fahnen- und Flaggenherstellung

In der Fahnen- und Flaggenherstellung gibt es neben dem Applikationsverfahren auch andere Herstellungsarten, die für alltägliche Flaggen wie Werbebanner zum Einsatz kommen. Darum kümmert sich der 32-jährige Jan Wiltschek, der Symbole und Texte am Computer editiert. „Die Vorlage schicke ich der Textildruckerei, die im Sieb- oder Digitaldruckverfahren unseren Auftrag ausführt.“

Handelt es sich schließlich um National- oder Signalflaggen für die Schifffahrt, werden die verschiedenfarbigen Stoffe miteinander vernäht. Deshalb sprechen die Flaggenfachleute in diesen Fällen von einer „Nähfahne“. Das Flaggentuch für den maritimen Einsatz ist UV-beständig, hat ein Gewebe mit einem Gewicht von 155 Gramm je Quadratmeter und gehört damit zu den stärksten textilen Fasern dieses Einsatzbereiches.

Trotz eiliger Kundenbestellungen, kniffliger Aufträge und penibler Materialprüfungen durch öffentliche Auftraggeber ist die Arbeitsatmosphäre bei den Flensburgern in Werkstatt und Büro entspannt, der Umgang respektvoll und auf Augenhöhe. Eine flache Hierarchie und die Eigenverantwortung der einzelnen Mitarbeiter sorgen für eine gute Motivation. Hinzu kommt eine veranlagte Leidenschaft für die Fahnenherstellung, mit der einst schon der Großvater und dann der Vater das Geschäft aufgebaut und betrieben haben.

Familieninterne Übernahme als Quereinstieg

Flaggenchefin Finke ist eine Allrounderin. In ihrem Betrieb kümmert sie sich um Bestands- und Neukunden, kaufmännische Angelegenheiten, Angebote und Ausschreibungen und setzt sich – wenn Not an der Frau ist – auch selbst an eine Nähmaschine. „Ohne echte Leidenschaft ist das nicht zu schaffen“, erzählt die Mutter einer fünf Jahre alten Tochter, an deren Bauchwand schon weiterer Nachwuchs klopft. „Wir haben hier aber zum Glück eine richtig tolle Gemeinschaft, da packt jeder überall mit an.“

Dass Christin Finke nunmehr seit fünf Jahren selbst die Fahnen für den Familienbetrieb hochhält, war in der Vita der kreativen Geschäftsfrau eigentlich nicht vorgesehen: „Auch wenn ich schon als Kind nach der Schule sehr oft in der Werkstatt und im Laden war und fasziniert von den Nähmaschinen und bunten Stoffen, wollte ich doch eigentlich immer lieber meinen eigenen Weg gehen.“

Und so studierte Finke erfolgreich Kultur, Sprache und Medien. Nach dem Master waren die favorisierten Jobangebote ihr dann aber zu weit weg von der Heimat oder bereits besetzt. Finke übernahm deshalb im elterlichen Betrieb kleinere Aufgaben und wurde später in alle Geschäftsbereiche eingearbeitet.

„Ich hatte unter Vorbehalt angefangen, und dann gefiel mir die Arbeit so gut, dass ich nicht mehr wegwollte.“ Dass die familieninterne Übernahme so gut verlief, ist auch Fischer senior zu verdanken, der noch lange tatkräftig und beratend zur Seite stand, ohne Vorschriften fürs Tagesgeschäft zu machen.

Qualität und Präzision setzen sich im Wettbewerb durch

Der Wettbewerb für maritimes Zubehör hat sich in den letzten Jahrzehnten durch globale Produktionsstandorte stark verändert, eine Thematik, die bei den Gründervätern noch keine Rolle spielte. Wie schafft es die vergleichsweise kleine Manufaktur von der Förde, sich neben den Global Playern und Onlineshops aus Übersee zu positionieren? „Qualitativ hochwertige Materialien und eine manuelle, präzise Fertigung“, lautet die Antwort. „Durch diese Spezialisierung können wir individuelle Kundenwünsche bedienen, das verschafft uns ein festes Standbein.“ Zudem gibt es auch Standardflaggen wie Nationale oder Länderflaggen im Sortiment, die nicht teurer sind als beim Wettbewerb.

In Sachen Marketing setzen die Flensburger auf Kundenzufriedenheit und Werbung von Mund zu Mund. „Gute Qualität spricht sich herum, dafür sorgen unsere Stammkunden schon seit Generationen.“ Ob Segler, Vereine, Firmen oder Behörden, das Orderbuch der Flensburger ist bunt – und meistens voll. Und mit bescheidenem Stolz in der Stimme und einem Leuchten in den Augen erzählen die Näherinnen von dem 15 Quadratmeter großen schwarz-rot-goldenen Tuch am Heck des Segelschulschiffes der Bundesmarine: Denn auch die „Gorch Fock“ trägt als Dienstflagge der Seestreitkräfte ein 300-mal-500-Zentimeter-Tuch aus Flensburg.


Fahne oder Flagge? Begriffserklärung

Die Begriffe werden oft synonym gebraucht – zu Unrecht, wie ein Blick in die Geschichte deutlich macht. Schon frühe Zivilisationen wie die Ägypter, Römer, Griechen und Chinesen nutzten textile oder papierähnliche Materialien mit eingefärbten oder aufgesetzten Elementen für militärische, religiöse und kulturelle Zwecke. Diese Fahnen waren Unikate, die nur für einen festgelegten Verwendungszweck hergestellt und genutzt wurden. Dafür waren sie an einem Stab oder Stock befestigt und konnten herumgetragen werden. Wurde eine solche Fahne zerstört, musste entschieden werden, ob und in welcher Form sie ersetzt werden konnte.

Die Kirche demonstrierte mit Fahnen ihre Macht, Könige und Adlige zeigten mit dieser Symbolik ihren weltlichen Herrschaftsanspruch, und beim Militär wurden damit Truppenteile gekennzeichnet. Ein Fähnrich hatte für den Erhalt der Fahne zu sorgen, selbst wenn es ihn sein Leben kosten sollte. Seit dem 19. Jahrhundert lassen sich auch Vereine bestickte Fahnen zur Wiedererkennung anfertigen, und bis heute gilt die Fahne als zur Treue verpflichtendes Symbol und wird zu zeremoniellen Zwecken immer noch eingesetzt.

Flaggen haben in der Seefahrt eine lange Tradition

Im Unterschied dazu ist eine Flagge kein Unikat, sondern kann in großer Stückzahl produziert und bei Verlust durch eine neue ersetzt werden. Die Flagge wird nicht an einem Stock getragen, sondern an feststehenden Masten gehisst. Bei gleicher Symbolik kann die Größe und Materialart variieren, auch ein Stück Papier oder Metall kann eine Flagge zeigen.

In der Seefahrt haben Flaggen eine lange und wichtige Tradition, die im Hochmittelalter geprägt wurde. Für den Einsatz gab es unterschiedliche Gründe: die Identifikation von Schiffen, die Kommunikation zwischen Booten und Nationen sowie die Bekanntmachung des Status und der Absichten eines Schiffes und dessen Mannschaft. Dafür waren die früheren Flaggen so groß dimensioniert, dass wichtige Informationen von Schiff zu Schiff übertragen werden konnten. In der Seefahrt sind bis heute die wichtigsten Verwendungen Nationalitätsflaggen, Handelsflaggen, Seekriegsflaggen, Signalflaggen und Dekorationsflaggen.

Fazit: Fahnen werden getragen und sind Unikate, Flaggen werden gehisst und kommen in großer Anzahl vor.

Der Artikel erschien erstmals in YACHT Classic-Ausgabe 1/2024.


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