Ursula Meer
· 08.03.2023
Mancher Soloskipper führt den Wimpel „Unaone“ am Achterstag, die Ziffer 1. Deren Bedeutung ist den meisten Seglern jedoch gar nicht bekannt. Dabei hat das Signal aus Sicht seiner Befürworter viele Vorteile
“Beim Ausschleusen in Kornwerdersand wunderte sich ein ‘deutsches’ Boot sehr, dass ich als ‘Japaner’ sie mit fehlerfreiem Deutsch angesprochen habe”, so die Zuschrift eines YACHT-Lesers nach unserem Artikel zur korrekten Flaggenführung. Denn tatsächlich ist der Wimpel mit Ähnlichkeiten zur Flagge Japans für die meisten hierzulande unbekannt, auch wenn viele den Gebrauch befürworten.
Im internationalen Flaggenalphabet stehen die rechteckigen Signale für Buchstaben, die trapezförmigen Wimpel sind den Zahlen vorbehalten. An erster Stelle steht „Unaone“: ein roter Punkt auf weißem Grund für die Eins. Bei Regatten sieht man diesen Wimpel häufiger. Während des Rolex Fastnet Race beispielsweise flattert er auf den Yachten der ORC-I-Klasse achteraus. Bei anderen Rennen kennzeichnet die Eins die erste Startgruppe.
Manchmal weht der „Unaone“ auch am Achterstag einer herkömmlichen Fahrtenyacht. Dann aber hat er eine ganz spezielle Bedeutung. „Ich führe an meinem Boot die Einhandseglerflagge. Häufig werde ich von anderen Seglern darauf angesprochen. Ich bin dann immer erstaunt, dass das Signal selbst in Seglerkreisen relativ unbekannt ist“, schreibt YACHT-Leser Hans-Friedel Reicke. Da er fast nur einhand segele, sei der Wimpel für ihn von Vorteil. Reicke: „Ich profitiere etwa von Hilfe beim An- und Ablegen.“
Das Internationale Signalbuch weist allen Buchstaben und Ziffern des Flaggenalphabets eine Bedeutung zu. So steht zum Beispiel die Flagge „Victor“ mit ihrem diagonalen roten Kreuz auf weißem Untergrund für die Bitte um Hilfe. Für den Zahlenwimpel „Unaone“ aber ist außer der Ziffer nichts hinterlegt.
Der Wimpel ist hier guter Brauch und kann hilfreich sein, wenn es auf dem Wasser eng wird” – Frank Zaun, Organisator des NRW-Cup auf dem niederländischen IJsselmeer
Bei Wikipedia hingegen ist in der Erläuterungsspalte neben dem entsprechenden Symbol zu lesen: „Wird auch bei Soloseglern eingesetzt.“ Da war wohl jemand so frei, diesen Zusatz einzufügen; ein offizielles Erkennungszeichen für Solisten ist der Wimpel damit aber nicht. Dennoch wird er immer wieder mal in diesem Sinne interpretiert – nicht allein in Deutschland.
In britischen Segelforen stellen Mitglieder erstaunt fest, dass sie den Ursprung des Brauchs zwar in der Ostsee vermuten, dort im Urlaub aber kaum einen „Unaone“-Wimpel sichten. Auch deutsche Segler unterhalten sich über die Eins. Die Diskussionen führen dann gern zur guten Seemannschaft: Die einen finden, er gehöre zum Einhandsegeln dazu, die anderen, er dürfe nicht in diesem Sinne verwendet werden, weil er keine offizielle Anerkennung besitze.
Wo der Wimpel erstmals von Einhandskippern gesetzt wurde, ist unbekannt. Viele Spuren führen aber in die Niederlande. Seit einem Vierteljahrhundert findet auf dem IJsselmeer die „200 Myls Solo“-Regatta statt. Bewusst „gezellig“ und mit nur wenig Wettbewerbs-Charakter, gehen dort jedes Jahr an einem Mittwoch im Oktober bis zu 140 Einhandskipper mit Booten aller Art – schnellen wie langsamen, sportlichen wie behäbigen – an den Start, um 200 Meilen am Stück zu segeln. Sie können sich auf das Binnengewässer beschränken oder außenrum über die Nordsee fahren. So unterschiedlich die Teilnehmer, haben sie doch eines gemeinsam: Ihr Erkennungszeichen ist der Zahlenwimpel „Eins“ am Achterstag.
Tatsächlich berichten viele Segler, deren Revier die niederländischen Gewässer sind, dass der Wimpel dort auch über die Wettfahrt hinaus zwar nicht vorgeschrieben, aber doch durchaus gebräuchlich ist. Frank Zaun ist Organisator des jährlichen NRW-Cup. Das ist eine dreitägige Regattaveranstaltung, die ebenfalls auf dem für westdeutsche Segler so nahen IJsselmeer ausgetragen wird. Beim NRW-Cup, sagt Zaun, habe sich das Führen der Flagge bei den Einhandskippern „ziemlich durchgesetzt“.
Zaun nennt das „gutes Brauchtum“. Es könne ganz hilfreich sein, wenn es auf dem engen Gewässer voll werde. Aber mehr auch nicht – bitte, man möge daraus keine Rechte ableiten. Der Wimpel könne nur Symbolwirkung haben, aber die gern auch in richtig groß: Im Hafen von Bruinisse beispielsweise bietet der ansässige Schiffsausrüster alle Flaggen und Wimpel in den üblichen Standardformaten an. Die „Eins“ hingegen gibt es zusätzlich in dreifacher Größe.
Mit Frank Winklmeier weiß ein weiterer deutscher Segler Kurioses zu dem Thema zu berichten. Er nimmt gern an der „200 Myls Solo“ teil. Wer sie außenrum fährt, passiert den Nordseekanal von Amsterdam nach IJmuiden. Blumenbeete und Rasenflächen reichen dort stellenweise bis an beide Ufer. Dazwischen dann Dutzende Boote, die wegen der Regatta keine Nationale führen, aber alle den roten Punkt auf weißem Grund am Achterstag. Ähnlich wie im zu Beginn genannten Leserbrief habe ihnen einmal ein älterer Herr aus seinem Garten aufgeregt zugewinkt und gefragt, ob sie alle aus Japan kämen, erzählt Winklmeier. Tatsächlich wird der „Unaone“ in den Niederlanden gern als „Japaner“ bezeichnet.
Winklmeier ist ein bekennender Fan des Wimpels. Er habe damit beste Erfahrungen gemacht und versuche schon lange, ihm auch hierzulande zu größerer Bekanntheit zu verhelfen. Nebenbei ist mit ihm rein zufällig der Mann ausgemacht, der Wikipedia um die Erläuterung „wird auch von Soloseglern gefahren“ ergänzt hat.
Ebenfalls in den Niederlanden, auf dem Grevelingenmeer in Südholland, liegt Fahrtensegler Oliver Langen mit seinem Schiff. Auch er fährt den „Unaone“ regelmäßig. Seine Törns führten ihn schon bis Portugal und Spanien, wo nach seiner Beobachtung die Eins häufiger zu sehen sei. „Vielleicht“, so Langen, „ist das aber auch eine selektive Wahrnehmung, weil Einhandsegler mehr darauf achten. Denn eigentlich können neben anderen Soloskippern ja nur Fachleute wirklich etwas damit anfangen.“
Schleusenwärter und Hafenmeister zum Beispiel wüssten meist, dass da einer eventuell Hilfe beim Anlegen benötigt. In England unterbreche dann schon mal der Hafenmeister sogar seine Teepause, um rasch auf den Steg zu eilen. „Andere weisen mir über Funk einen windgeschützten Platz zum Anlegen zu. Das ist sehr hilfreich“, so Langen.
So etwas wie das dänische Pendant zur niederländischen „200 Myls Solo“ ist das „Silverrudder“ rund Fünen. Alle Yachten werden einhand gesegelt. Aber: Keiner der Skipper macht das mit dem „Unaone“ kenntlich. „Man weiß ja ohnehin, dass alle allein unterwegs sind“, begründet dies Wolf André Schmidt. Er nimmt regelmäßig an der auch unter deutschen Seglern beliebten Regatta teil – ohne den Wimpel. Ansonsten aber, ergänzt Schmidt, verwende er ihn schon gelegentlich und habe wirklich gute Erfahrungen damit gemacht: „Insbesondere andere Einhandsegler erkennen das Zeichen und helfen im Hafen.“ Er nehme die Hilfe gern an, besonders bei viel Wind oder anderen widrigen Bedingungen. Aber auch, wenn die Situation überschaubar sei, denn oft folge auf die Hilfe „ein kleiner Schnack, der nach einem langen Tag allein auf See ganz gut tut“.
Mich wundert, dass in Deutschland so wenige Segler Unaone kennen” – YACHT-Leser Hans-Friedel Reicke
Die Botschaft, dass jemand allein an Bord ist, lässt sich neben dem Wimpel auch über die Bordtechnik abbilden. Eine durchaus geläufige Methode dafür ist das AIS. Die Skipper der kleinen Flitzer beim Mini-Transat erweitern ihren Bootsnamen im AIS ebenso um „Solo“ oder „Solosailor“ wie die der Imocas oder Class 40, die einhand um die ganze Welt segeln. Wer im Web auf der Marinetraffic-Seite nach „Solo“ sucht, stößt dort auf eine lange Liste von Yachten mit dem Zusatz im Bootsnamen. Die meisten fallen tatsächlich in die Kategorie Renn- und Regattayachten. Es sind aber auch einige Fahrtenboote darunter.
Je nach AIS ist die Erweiterung nicht unbedingt im Vorbeigehen erledigt; das Umprogrammieren des Schiffsnamens kann schon deutlich mehr Zeit beanspruchen, als rasch einen Wimpel ans Achterstag zu bändseln. Vermutlich werden sich diese Mühe eher diejenigen Segler machen, die lange Zeit auf offener See unterwegs sind.
„Im Ernstfall, also in Seenot, ist es doch gut, wenn man weiß, dass ich allein an Bord bin“, wird recht häufig als einer der Vorteile des analogen wie des technischen Einhandsignals benannt; „dann muss nicht noch nach weiteren Personen gesucht werden.“ Doch das ist ein Irrglaube: „Für die Seenotretter ist der Einser-Wimpel allenfalls ein Indiz, nie aber ein Beweis dafür, dass wirklich nur eine Person an Bord ist“, stellt Antke Reemts von der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger klar. „Er hat keinerlei Bedeutung in der Bearbeitung eines Seenotfalls.“ Selbiges gelte für die Ergänzung des Bootsnamens im AIS.
Die Seenotretter empfehlen stattdessen, mit der Anmeldung des Funkgeräts bei der Bundesnetzagentur einmalig eine Person an Land zu benennen, die binnen 24 Stunden erreichbar ist. Diese „Crew an Land“ sollte stets über den aktuellen Törn, die Besatzung und die Rettungsmittel an Bord informiert sein. Alternativ lasse sich dazu die „Safe- Trx“-App der Seenotretter nutzen.
Auch rechtlich betrachtet hat weder der Wimpel in seiner Verwendung als Einhandsignal noch die Namenserweiterung im AIS eine Bedeutung. Das wiederum heißt im Umkehrschluss dann auch: Wer allein segelt, darf das guten Gewissens für sich behalten, eine Kennzeichnungspflicht besteht nicht. Es sei denn, man unterwirft sich als Teilnehmer einer Regatta einer diesbezüglichen Anordnung des Veranstalters.
Entsprechend lassen sich aus der Tatsache, dass jemand sich als Solosegler zu erkennen gibt, keinerlei Rechte ableiten. Seeschifffahrtsstraßenordnung und Kollisionsverhütungsregeln kennen weder „Unaone“ noch den Zusatz „Solo“ im AIS als Erkennungsmerkmal für Einhandsegler. Sie bleiben auch dann verbindlich in Kraft, wenn das einzige Crewmitglied gerade am Großfall beschäftigt ist und niemand im Cockpit das Schiff lenkt. Oder wenn den Skipper weit draußen auf See die Müdigkeit von regelmäßiger Wache abhält.
Damit bleibt der Appellcharakter, die Bitte um Rücksicht und Aufmerksamkeit: Hier möchte ein allein segelnder Schiffsführer andere wissen lassen, dass er unter Umständen nicht mal eben schnell den Kurs ändern kann oder dass er bei Hafen- und Schleusenmanövern eventuell auf eine helfende Hand angewiesen ist. Viele Solisten berichten von positiven Erlebnissen – sei es, dass sie großzügig umfahren oder ihnen die Leinen angenommen werden.
Kritiker wie Befürworter des Wimpels haben also ihre Argumente. Beides ist recht. Denn das Schöne an Gebräuchen ist, dass man sie nicht gebrauchen muss – aber darf.