Morten Strauch
· 20.11.2022
Wie Segler die Gefahr Legerwall umschiffen, Vorkehrungen für den Ernstfall treffen und eine drohende Strandung abwenden können
In diesem Artikel:
Der Legerwall beschreibt eine gefährliche Situation, in der ein Schiff infolge von auflandigem Wind, Grundseen oder starken Strömungen immer näher an eine Lee- Küste gerät und dabei Gefahr läuft zu stranden, sofern es sich nicht freikreuzen oder mit Hilfe des Motors Abstand gewinnen kann. Auch beim Ankern ist es möglich, dass ein Schiff nach einer Winddrehung und zunehmenden Windstärken auf Legerwall gerät. Etwa dann, wenn der Abstand zu allen Seiten einer Bucht nicht ausreichend berechnet wurde oder aber der Anker ausbricht.
Für die historischen Großsegler mit ihren mächtigen Aufbauten und typischer Rahbesegelung war der Legerwall ein besonders hohes Risiko, da sie viel Windangriffsfläche boten und keine guten Kreuzeigenschaften besaßen. Zudem waren die navigatorischen Möglichkeiten zur genauen Positionsbestimmung früher sehr viel begrenzter als heutzutage. Daher wurden zum Beispiel die deutsche oder auch die dänische Westküste mit ihren vorgelagerten Inseln, Sandbänken und Riffs zur tödlichen Falle für unzählige Schiffe.
Heutzutage lauern die Gefahren woanders. Etwa, wenn sich der Rudergänger einer Yacht immer nur an der nächsten Tonne orientiert, ohne auch mal einen Blick nach achtern zu werfen. Dann gerät das Schiff, je nach Versatz durch Wind und Strom, peu à peu immer weiter aus dem Fahrwasser – was unter Umständen lange Zeit unbemerkt bleibt. In solch einem Fall spricht man von der berüchtigten „Hundekurve“, wie sie in der Grafik unten abgebildet ist.
September 2021: Ein Einhandskipper rauscht mit gesetzten Tüchern bei 22 Knoten Wind aus Südwest auf die südliche Ansteuerungstonne von Marstal zu. Der Wind ist zu schön, um ihn nicht möglichst lange auszukosten. Kurz vor der Tonne geht das Groß runter und der Motor an. Mit Genua und laufender Maschine wird angeluvt und auf Halbwind-Kurs gegangen. „Beim zweiten Tonnenpärchen begann ich, die Rollgenua einzuholen“, erinnert sich der Segler. „Da passierte dann das Malheur: Die Reffleine klemmte, und im nächsten Moment rauschte die Schot durch, deren Achtknoten sich gelöst hatte. Sie landete nicht nur im Wasser, sondern auch gleich im Propeller!“ Sofort sei sein Schiff manövrierunfähig auf das Flach in Lee zugetrieben.
Der Skipper reagiert gedankenschnell und schmeißt den Heckanker, den er stets griffbereit hat. So kann er sein Schiff vor einer folgenschweren Grundberührung bewahren. Lediglich der vordere Teil des Kiels hat sich bereits etwas in den Schlick gegraben. Das zum Anker hin ausgerichtete Ruder schwebt hingegen noch frei im Wasser. Zeit zum Durchschnaufen – und um die freiwilligen Helfer der Dänischen Seerettungsgesellschaft (DSRS) anzufunken.
So geht diese brenzlige Situation letztlich doch noch gut aus. Das ist aber nicht immer der Fall. Zuletzt gab es zunehmend mehr Fälle, in denen Yachten auf Grund liefen und festkamen oder gar strandeten, mit teils katastrophalem Ausgang für Schiff und Crew.
Ulf Kaspera, Direktor der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU), bestätigt, dass ein Großteil der gemeldeten Sportbootunfälle auf Legerwall zurückzuführen ist. „Insbesondere während des Corona-Booms und der damit verbundenen Zunahme von unerfahrenen Skippern gab es eine deutliche Steigerung von Grundliegern und Strandungen. Viele Bootsführer waren entweder lange nicht mehr auf dem Wasser, oder sie haben sich nach Erwerb ihres ersten Bootes oder mit dem druckfrischen Sportbootschein zu viel zugetraut.“
Neben Selbstüberschätzung sind mangelnde Vorbereitung, Revierunkenntnis und technisches Versagen die häufigsten Ursachen. Im Jahr 2021 wurden der BSU insgesamt 65 Fälle in deutschen Gewässern mit Freizeitbooten unter Motor und Segel in Zusammenhang mit Grundberührungen gemeldet, von denen 20 Yachten im Charterbetrieb fuhren.
Auch in diesem Jahr kam es zu zahlreichen Strandungen an den Lee-Küsten von Deutschland und Dänemark. Ein kurioser Fall sorgte Mitte September für Schlagzeilen, als ein Russe an der Nordseeküste Jütlands strandete, von deutschen Touristen versorgt wurde und letztendlich um Asyl in Dänemark ersuchte. Sein ursprünglicher Plan war es, nach Nordamerika zu segeln.
Die Auflistung der Rettungseinsätze der DGzRS vermerkt viele weitere solcher Havarien: Am 14. September endete für einen Einhandsegler die Fahrt auf der Westseite von Juist. Durch die Brandung rettete sich der Mann an Land. Am 24. September wurde die vierköpfige Besatzung einer britischen Gaffelketsch vor Norderney aus Lebensgefahr gerettet, nachdem ihr Schiff auf Grund gelaufen war. Bereits am 6. August war bei Mellumplate auf der Außenweser ein Trimaran im Watt festgekommen, woraufhin eine Frau abgeborgen werden musste, die medizinische Hilfe benötigte.
Aber auch erfahrene Crews kann es treffen, wenn etwa bei Starkwind ein zunächst kleines technisches Malheur eine unglückliche Kettenreaktion auslöst, die nicht mehr zu kontrollieren ist. Beim diesjährigen Golden Globe Race entscheidet sich der seit 30 Stunden am Ruder stehende und völlig erschöpfte Guy deBoer bei der Passage Fuerteventuras fatalerweise dazu, die Küste in Luv zu passieren. Übermüdet schläft er offenbar ein – um kurze Zeit später auf einen Felsen zu laufen. Fast wird er beim Aufprall über Bord geschleudert. Der 66-Jährige, der letztlich unverletzt gerettet werden konnte, gab sich im Nachhinein selbstkritisch: „Es war eine schlechte Entscheidung, Fuerteventura nicht in Lee zu passieren. Dafür musste ich teuer bezahlen!“
Auch Hafeneinfahrten können sich bei auflandigem Wind durch hohe, brechende Wellen und starke Querströmungen in wahre Hexenkessel verwandeln. So kam es 2017 zu einem desaströsen Yachtunfall vor Rimini in Italien, als eine Bavaria 50 auf die Felsenmole geschleudert wurde. Vier Crewmitglieder wurden von Bord gespült und ertranken, Kiel, Rigg und Ruder des Schiffs brachen. Eine heftige Bora mit über 40 Knoten Wind hatte die eigentlich erfahrene Mannschaft überrascht, sodass sie sich mit Funkunterstützung von Land entschied, den Hafen anzulaufen. Eine Kombination aus Motorversagen und einem nicht auszurollenden Vorsegel führte dann aber in die Katastrophe.
Auch der deutschen Ausbildungsyacht „Meri Tuuli“, eine X-Yachts 442, wurde 2013 eine Hafenansteuerung zum Verhängnis. Die Crew hatte versucht, Figueira da Foz in Portugal bei auflandigem Wind zu erreichen. Doch eine hohe Welle von achtern ließ das Boot querschlagen, und der Mast brach. Bei der sich anschließenden Rettungsaktion kamen ein Polizist und ein bereits geborgenes Crewmitglied ums Leben, nachdem auch ein zu Hilfe geeiltes Rib havarierte. Yacht und Rib wurden dann später an den Strand gespült. Die Bilder von damals jagen einem auch heute noch einen kalten Schauer über den Rücken.
Die Gefahr lauert aber nicht nur in fernen Revieren wie Adria oder Atlantik. Auch in der Ostsee finden sich Hafeneinfahrten, die bei viel Welle zu einem nicht zu unterschätzenden Hindernis werden. Im polnischen Kolberg etwa, dessen Einfahrt sich in einer Flussmündung befindet, sind an der lang gezogenen Mole riesige Stoßdämpfer angebracht, die das Schlimmste verhindern sollen. Im Grunde genommen kann sich aber jede Hafeneinfahrt beziehungsweise jedes Einlaufen bei ungünstiger Wetterlage als ein anspruchsvolles Manöver entpuppen. Es sollte daher immer gut vorbereitet sein.
Beherzte Manöver, ein optimaler Einfahrtswinkel, der Wind, Welle und Strom einkalkuliert, sowie gutes Timing sind die wichtigsten Voraussetzungen, um ohne Schäden den sicheren Liegeplatz im Hafen zu erreichen. Auch muss die gesamte Crew eingewiesen und mit Rettungswesten und -leinen gesichert sein.
Einige Häfen sind bei entsprechender Wetterlage gesperrt oder aber mit einer ausdrücklichen Empfehlung versehen, diese, wenn überhaupt, dann nur mit allerhöchster Vorsicht anzulaufen. Im Zweifelsfall ist es sicherer, auf offener See abzuwettern und auf bessere Bedingungen zu warten. Oder aber einen längeren Weg in Kauf zu nehmen, um einen besser erreichbaren Hafen anzusteuern.
Dass auch das Ankern oder das Festmachen an einer vermeintlich sicheren Muringboje bei zunehmenden Winden von See in einem Albtraum enden kann, bewies im August dieses Jahres eine Gewitter-Sturmfront. Diese war von Westen kommend über Korsika nach Norditalien gezogen und hatte ganze Buchten abgeräumt. Zahlreiche Yachten endeten zwischen den Felsen und auf den Stränden.
Vor solch einem unangekündigten schweren Wirbelsturm kann man sich kaum schützen, das ist höhere Gewalt. Ist aber auflandiger, stärker werdender Wind angesagt und der Skipper reagiert unzureichend, dann droht nicht nur der Verlust des Schiffs, sondern im Nachgang möglicherweise auch Ärger mit der Versicherung. Charterskipper riskieren ihre hinterlegte Kaution, und sie müssen sogar damit rechnen, von der Bootskaskoversicherung des Vercharterers in Regress genommen zu werden. Da können schnell enorme Summen zusammenkommen.
Davor bewahrt einen eine gute Skipper- Haftpflichtversicherung, die auch grobe Fahrlässigkeit miteinschließt – und natürlich sorgfältige Seemannschaft. Schließlich geht es im Zweifel auch um das eigene Wohl und das der Crew. Neben der Beurteilung der Wetterprognose zählt dazu, einen sicheren Ankerplatz ausfindig zu machen, das Ankergeschirr zu überprüfen und Ankerwachen einzuteilen.
Beim Segeln vor einer Lee-Küste wiederum gilt es, größtmöglichen Abstand zur Küste einzuhalten. Dafür muss man sich zuvor über das Revier informieren und sowohl am Kartentisch bei der Navigation als auch am Ruder beim Steuern Sorgfalt walten lassen. Sonst passiert es leicht, dass man Untiefen oder küstennahe Strömungen übersieht – was gefährlich werden kann.
Noch mehr Vorsicht ist geboten, wenn aufgrund von engen Fahrrinnen keine Ausweichmöglichkeiten gegeben sind. Das ist beispielsweise in inselreichen Revieren wie der Dänischen Südsee der Fall. Oder auf der Nordsee im Bereich der Seegatten zwischen den Watteninseln. Dort kommen erschwerend Gezeitenströme hinzu.
Daher empfiehlt es sich, wenn es absehbar knapp wird, die Maschine mitlaufen zu lassen, um jederzeit so flexibel wie möglich reagieren zu können. Und Vorsicht mit allen Leinen: Gerät eine ins Wasser und verfängt sich im Propeller, ergeht es einem schnell genauso wie dem Skipper im eingangs beschriebenen Fall. Letzte Rettung bringt dann oft nur ein rasch ausgeworfener Anker, der das Schiff hoffentlich hält, bevor es auf Grund läuft.
Profi-Skipper Leon Schulz rät: „Ein angeschlagener Anker, ob am Bug oder Heck, der bei Bedarf schnellstens ausgeworfen werden kann, gehört zur guten Seemannschaft. Er kann buchstäblich als Notbremse gezogen werden, bevor es zu einer folgenschweren Grundberührung oder gar Strandung kommt.“ Daher empfiehlt er auch, niemals an einem Anker zu sparen. Schulz: „Leichte Pfluganker taugen aus meiner Sicht nicht viel und haben an Bord einer seegängigen Yacht nichts verloren!“ Bevor so ein Not-Ankermanöver gefahren wird, sollte man natürlich versuchen, sich aus der Gefahrenlage freizukreuzen. Die Segel sollten daher stets klar zum schnellen Setzen sein, falls sie zuvor etwa bei Fahrt unter Maschine geborgen wurden.
Ist das Boot doch einmal auf Grund gelaufen, muss das noch nicht das Ende bedeuten. Je nach Beschaffenheit des Meeresbodens oder bei einigermaßen moderaten Windbedingungen stehen die Chancen oft noch gut, sich aus eigener Kraft zu befreien. Dann heißt es, Schoten los, um den Druck aus den Segeln zu nehmen, und mit rückwärts laufender Maschine versuchen, wieder in freies Wasser zu gelangen. Eventuell kann die Crew dabei helfen, indem sie sich auf den gefierten Baum verholt, um das Schiff zu krängen. Auch ein nach Luv ausgeworfener Anker, dessen Leine mit einer Winsch geholt wird, kann dieses Manöver zusätzlich unterstützen.
Bei Starkwind indes erübrigen sich diese Maßnahmen, und es bleibt nur, die Seenotretter anzufunken. Auch damit sollte man nicht zu lange warten.
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