Sturm über KorsikaBericht eines Eigners, der seinen Katamaran verlor

Lars Bolle

 · 27.08.2022

Sturm über Korsika: Bericht eines Eigners, der seinen Katamaran verlorFoto: Jesse Meyer
Der an Land geworfene Katamaran

Jesse Meyer war mit Freunden an der Küste Korsikas unterwegs, als der Sturm sie am 18. August überraschte. Er verlor seinen Katamaran, aber alle überlebten. Ein sehr eindrucksvoller Bericht

Am vergangenen Donnerstag zog ein Sturm über Korsika und Italien, der mit 90 Knoten in der Spitze schwere Verwüstungen hinterließ. Neun Menschen sollen ihm zum Opfer gefallen sein. Auch in den Yachthäfen und auf den Ankerplätzen hinterließ er schwere Verwüstungen. Gestrandete, gesunkene Yachten, Bilder von fliegender Gischt, Eigner, die um ihre Boote kämpfen. Einer davon war Jesse Meyer, der mit seinem Katamaran in der Bucht von Girolata ankerte. Hier schildert er seine erschreckenden Erlebnisse:


Jesse Meyer und seine FreundinFoto: privat
Jesse Meyer und seine Freundin

Seit zweieinhalb Wochen waren wir unterwegs und hatten bis dato knapp 500 Seemeilen im Kielwasser unseres Katamarans „Gagou“. Sie war eine leichte und schnelle 43 Fuß Outremer Yacht, gebaut von Gérard Danson und seit knapp einem Jahr in stolzem Besitz unserer Eignergemeinschaft (mein Vater und ich). Bis dahin segelten wir einen 800er Dragonfly Trimaran, das Schiff, auf dem ich aufgewachsen bin und segeln lernte. Von der Rhône-Mündung bis Korsika, die Insel entlang mit dem Ziel Sardinien, das war unsere Reiseplanung. Hin und wieder sammelten wir uns Gästecrew ein, um diese großartige Art des Reisens auch mit unseren Freunden zu teilen.

Wir segelten am 17. August bei gutem Wind (15 bis 25 Knoten) von Algajola bis in den Golf de Girolata. An Bord waren ich als Schiffsführer, meine Freundin und ein befreundetes Paar, alle im Alter zwischen 22 und 28 Jahren. Wir entschieden uns, in der Bucht östlich des Ortes Girolata vor dem Plage de Tuara zu übernachten.

Aufgrund der Windvorhersage für den Abend, die Nacht und den nächsten Morgen hielt ich diese Bucht für sehr geschützt und geeignet für eine Übernachtung vor Anker.

Die Vorhersage war meiner Erinnerung nach Nordost für den Abend, drehend Richtung Nord am Morgen. Abends sollte der Wind noch etwas anhalten (in Böen bis zu 25 Knoten), nachts weitestgehend einschlafen und morgens wieder etwas auffrischen (ca. 20 bis 25 Knoten). Zur Planung der Übernachtungsplätze nutzte ich zwei verschiedene Windvorhersage Apps, „Windfinder“ und „windy.com“.

Hier sieht es noch nach traumhaften Bedingungen ausFoto: Jesse Meyer
Hier sieht es noch nach traumhaften Bedingungen aus

Wir legten den Anker recht mittig in der Bucht, knapp hinter und seitlich versetzt zu dem letzten Schiff, ebenfalls ein performanter Katamaran, und ließen uns um die Kettenlänge nach hinten aus der Bucht treiben. Ich achtete darauf, genug Abstand zum Riff in der südöstlichen Seite der Bucht zu haben. Nach ca. 30 bis 60 Minuten tauchte ich zum Anker, um mich von seiner guten Lage zu überzeugen.

Der Anker lag tief eingegraben im Sand, ohne sich in den bisherigen Böen bewegt zu haben, die Kette war sauber ausgestreckt. An Deck war alles verstaut und aufgeräumt.

Wir haben mit Gewitter und Regen für die nächsten zwei Tage gerechnet, ansonsten hatte ich keine Bedenken zu der anstehenden Übernachtung. Wir genossen die traumhafte Bucht bei gutem Essen und einem Glas Rose aus der Region. Wir gingen nicht allzu spät ins Bett, alle waren geschafft von dem Tagestörn. Am nächsten Morgen wurden wir von leichtem Regen und einem entfernten Gewitter geweckt. Die Uhrzeit ist nicht genau bekannt, es sollte unserer Meinung um etwa sieben Uhr gewesen sein, vielleicht auch später.

Der Himmel lässt nichts Gutes erahnenFoto: Jesse Meyer
Der Himmel lässt nichts Gutes erahnen

Kurz nach meinem Erwachen frischte der Wind auf, und ich bemerkte, dass sich dieser in eine unvorhergesehene Richtung gedreht hatte. Meiner Empfindung nach muss es zwischen Süd und Südwest gewesen sein, auf jeden Fall auflandig in Richtung Bucht und nicht wie geplant ablandig. Ich ging eilig ins Cockpit, um die Situation zu beobachten und – wenn nötig – reagieren zu können, falls wir bei der Drehung in den Wind einem anderen Schiff zu nahe kämen, oder es ein Problem mit dem Anker geben würde. Der Wind frischte fortlaufend deutlich auf, und ich bemühte mich anfangs darum, dass keine Gegenstände wie Polster, Stuhl oder Tisch aus dem Cockpit flogen. Ich schmiss ein paar Dinge in den Salon und bemerkte, dass der Wind in kürzester Zeit weiter deutlich stärker wurde.

Ich rief laut ins Deckshaus, um alle an Bord zu wecken und zum Aufstehen zu bewegen.

Ich war mir zu dem Zeitpunkt sicher, dass der Anker, sobald wir wieder an der Kette hingen, nach der Drehung des Schiffs kaum halten können würde. Ich versuchte, die Motoren zu starten, um im Notfall handlungsfähig zu bleiben, hatte aber Probleme und war mir in diesen Sekunden nicht sicher, ob sie schon liefen. Bei einem kurzen Blick nach oben bemerkte ich, dass es keinerlei Sicht mehr gab und ich mich visuell nicht mehr in der Bucht orientieren konnte, weder zur Position noch zur Ausrichtung des Schiffs.

Wasser peitschte durch die Luft und machte es schwer, die Augen offen zu halten.

Der Wind drehte unaufhörlich auf, zu einer Stärke, die ich bisher nie erlebte und auch nicht für möglich gehalten hätte. Laut Gutachter wurden wir von etwa 230 km/h Windgeschwindigkeit getroffen. Meine Freundin war seit Kurzem neben mir im Cockpit, um zu helfen.

Unsere Mitsegler kamen gerade ins Deckshaus, als sich das Schiff mit einer enormen Wucht und Beschleunigung ohne Vorwarnung überschlug.

„Gagou“ sollte zu diesem Zeitpunkt mit dem Bug Richtung Osten oder Südosten ausgerichtet gewesen sein. Der Wind kam seitlich über das Schiff, es wurde der Steuerbord Rumpf aus dem Wasser gehoben. Wir haben bis dahin auch noch nicht den erwarteten Ruck im Schiff, durch die wieder gespannte Kette gespürt und hatten uns somit weder vollständig gedreht, noch hingen wir an der Kette, als wir kenterten. Von meinem Ruf ins Deckshaus bis zum Überschlagen des Schiffs vergingen unserer Schätzung nach kaum 60 Sekunden. Meine Freundin und ich tauchten außerhalb des Schiffs auf, das Wasser schmeckte schon jetzt nach Diesel.

Unsere Mitsegler waren noch im Inneren. Sie wurden durch den Salon geworfen und behielten zum Glück ihr Bewusstsein.

Innerhalb von Sekunden stand ihnen das Wasser buchstäblich bis zum Hals. Sie sind keine routinierten Taucher oder Schwimmer und tauchten dennoch nach kurzer Mut-Zusprache und einem Kuss vom Salon ins Freie. Wir befanden uns nach kurzer Zeit alle an dem zur See zugewandten Rumpf. Ich wusste, wir hätten keine Chance im offenen Wasser, und rief alle dazu auf, unbedingt den Rumpf zu erreichen. Das Boot bewegte sich bereits von uns weg, wir schafften es nur knapp und unter größten Bemühungen. Wir hielten uns an einer Aluminiumschiene an der Außenseite des Rumpfes fest, diese hatte rechteckige Aussparungen, die einen guten Halt gaben, uns dafür aber die Hände aufrissen. Wir überlegten, ob wir auf das Schiff gelangen können, sahen uns aber nicht mehr in der Lage dazu, da inzwischen immer größer werdende Wellen auf uns einschlugen. Weder um Bug oder Heck herum noch direkt über den Rumpf schien es uns möglich.

Wir wurden immer wieder durch die Wellen vom Boot weggerissen und schafften es immer nur knapp, die Person wieder zurückzuholen.

Wir riefen vergeblich um Hilfe, als wir knapp an einer Motoryacht vorbeitrieben, die scheinbar noch am Anker hing. Ansonsten haben wir kein weiteres Schiff mehr gesehen. Aufgrund der letzten bekannten Windrichtung und der Motoryacht, an der wir vorbeitrieben, war mir klar, dass wir Richtung Land treiben, und ich hoffte, dass wir an den Strand und nicht auf die Felsen gespült werden. Unsere Kräfte schwanden, und wir waren kaum mehr in der Lage, uns über Wasser oder am Boot zu halten. Augenzeugen zufolge dauerte der gesamte Vorgang etwa 15 Minuten, bis wir am Strand ankamen und hinter dem Schiff hervorgekommen sind.

Erst als meine Freundin Sand unter den Füßen spürte und wir stehen konnten, trauten wir uns, das Schiff loszulassen und uns am Bug entlang durch die Brandung an den Strand zu schleppen.

Der Katamaran in der BrandungFoto: Jesse Meyer
Der Katamaran in der Brandung

Wir brachten uns hinter einer kleinen Mauer vor umherfliegenden Trümmerteilen in Sicherheit. Wir sahen, dass alle Schiffe der Bucht inzwischen an den Strand oder auf die Felsen getrieben wurden. Ich wollte kurzzeitig nach den Besatzungen schauen, diese hatten ihre Schiffe aber noch nicht verlassen, und die umherfliegenden Trümmer machten es sehr gefährlich, sich weiter auf dem Strand aufzuhalten. Wir harrten hinter der Mauer aus, bis es vorbei war.

In Summe sahen wir in unserer Bucht sieben Schiffe auf Land und keines mehr vor Anker im Wasser.

Nachdem sich alles wieder beruhigt hatte, fanden sich die Besatzungen der havarierten Schiffe dieser Bucht langsam am Strand zusammen. In unserer Bucht ist niemand ums Leben gekommen, das war leider nicht überall so. Wir suchten am Strand zusammen, was uns gehörte und noch von Nutzen war, leider war das nicht mehr viel. Anschließend warteten wir auf Hilfe. Ich möchte mich auf diesem Wege bei allen bedanken, die uns unterstützt haben. Wanderer sowie Crews anderer Schiffe gaben uns Kleidung und versorgten uns mit Wasser, Kaffee und Keksen.

Die ganze Küste der Bucht ist mit …
Foto: Jesse Meyer

Fischer und Shuttleboote aus Girolata holten uns vom Strand, man muss wissen, dass Girolata sowie unsere Bucht nicht mit dem Auto zu erreichen sind. Das Militär brachte unsere Freundin per Hubschrauber ins Krankenhaus. Restaurants in Girolata und Porto versorgten alle Evakuierten mit Essen und Trinken. Es wurde von offizieller Seite innerhalb eines Tages für eine Unterbringung gesorgt, und auch bei gewissen Sprachbarrieren aufgrund unserer begrenzten Französischkenntnisse standen uns immer hilfsbereite Korsen oder andere Urlauber zur Seite. Die Hafenmeister aus Girolata unterstützen uns bis zum Schluss, auch bei weiteren Begutachtungen unseres Schiffes. Vor allem aber unsere Familien brachten sofort alle Hebel in Bewegung, um uns bestmöglich zu unterstützen und nach Hause zu holen.

Unser Schiff, die Erfüllung eines lang gehegten Traums und die Grundlage für fantastische Urlaubs- und Lebensplanungen, ist nun dahin. Es hat uns lebend an Land gebracht und sich dafür aufgeopfert. Das werden wir ihm nicht vergessen.

Mehr zum Sturm über Korsika:

Videos, die Jesse Meyer nach der Havarie filmte:

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