EinhandsegelnProfi-Tipps für Solosegler

Jochen Rieker

 · 20.08.2023

So viele Leinen, so wenig Hände. Für die YACHT demonstriert Mini-Transat- und Class-40-Segler Henrik Masekowitz Manöverabläufe
Foto: YACHT-Archiv
Manchmal sind Skipper gezwungen, ihr Schiff allein zu führen – etwa, wenn Seekrankheit die Crew schachmatt setzt. Viele suchen die Herausforderung beim Einhandsegeln aber auch ganz bewusst. Profi-Tipps für die hohe Schule des Segelns - egal ob auf der Ostsee, auf Binnengewässern oder im Hochsee-Bereich

In diesem Artikel:

Wenn es einen Indikator gibt für die Faszination Einhandsegeln, dann wohl das Silverrudder rund Fünen. Es findet Mitte September bereits zum zwölften Mal statt – und ist mit 439 Meldungen die bei Weitem größte Solo-Wettfahrt der Welt. Vom Holz-Jollenkreuzer bis zum Carbon-Trimaran, vom Familienkreuzer bis zum Regattaschiff geht vor dem Stadthafen von Svendborg alles an den Start, was schwimmt. Bei der Premier im Jahr 2012 waren es gerade mal ein Dutzend Boote.

Die Teilnehmer suchen „ihren eigenen kleinen Mount Everest“, beschreibt Silverrudder-Erfinder Morten Brandt-Rasmussen die eigenwillige Faszination dieses Rennens, bei dem ohne Vergütung und Vermessung gesegelt wird. Für die meisten gehe es auf dem rund 130 Seemeilen langen Kurs „nur ums Ankommen, um den einen besonderen Moment in ihrer Segelsaison“.

Wie groß der Reiz ist, längere Zeit ganz allein mit sich und dem Boot klarzukommen, zeigt auch die Resonanz auf das im Sommer 2015 erstmals veranstaltete YACHT-Skippertraining einhand. Die mit Boris Herrmann, Henrik Masekowitz und Andraz Mihelin hochkarätig besetzte Veranstaltung war binnen einer Woche restlos überbucht. Aus dem schier unerschöpflichen Wissen der In­struktoren speisen sich die im Folgenden erläuterten Profi-Tipps.

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Einhandsegeln als Gewinn

Es scheint, als habe das Alleinsein auf See noch nie so viele Anhänger in seinen Bann geschlagen wie zurzeit. Ganz gleich, ob Skipper die Herausforderung bewusst als Selbstbeweis suchen oder mangels Crew, ob sie nur gelegentlich ein Solo einlegen oder so oft wie möglich – es zu können ist definitiv ein Gewinn. Denn mitunter wird man plötzlich und ungewollt zum Singlehander. Migräne, Seekrankheit oder ein Sturz können Mitsegler so sehr beeinträchtigen, dass sie vollständig ausfallen. Insofern ist Einhand-Kompetenz ein wichtiger Baustein guter Seemannschaft.

Zwar gelten Solotörns gemeinhin als Grenzgang, als unverantwortliche Übung. Der Weltsegelverband World Sailing etwa verweigert Einhand-Langstreckenrennen seine Anerkennung, weil Punkt 5 der Kollisions­verhü­tungsregeln („... jederzeit gehörigen Ausguck halten ...“) nicht voll erfüllt werden kann.

Die Risiken sind freilich durch umsichtige Schiffsführung und geeignete Ausrüstung beherrschbar. Deshalb wird Einhandsegeln von führenden Wassersportversicherern wie Pantaenius vertraglich nicht ausgeschlossen und gilt auch nicht per se als grobe Fahrlässigkeit. Eine Haltung, die von der Rechtsprechung mehrfach bestätigt wurde.

Wie stellt man sich den Herausforderungen des Solo-Segelns?

Ganz trivial ist das Segeln ohne Begleiter dennoch nicht. Wahrscheinlich macht genau das den besonderen Reiz aus. Wie aber stellt man sich der Herausforderung? Wie wächst man daran? Wie vermeidet man Ängste und Überforderung?

Am besten draußen, auf See, wenn alle Theorie verblasst vor dem unbeschreiblichen Gefühl, dass nach dem Loswerfen der Festmacher alles von einem selbst abhängt. Manch einen beflügelt genau das. Manche irritiert und lähmt diese ungeteilte Verantwortung. Kann ich das? Soll ich? Was mache ich, wenn Sturm aufzieht? Wie finde ich zwischendrin Ruhe, wenn das Boot bockt? Wie sicher anlegen bei starkem Seitenwind?

Es gibt viel zu sagen über die richtigen Strategien, über konsequente Vorbereitung, über Ernährung, Schlafmanagement, Navigation, Hafenmanöver. Auf den folgenden Seiten zeigen wir grundlegende Segelmanöver, zerlegen sie in Einzelschritte und erklären sie der Reihe nach.

Besonders wichtig beim Einhandsegeln: Ruhe bewahren und Regeln befolgen

Die wichtigsten Tipps aber bilden die sieben goldenen Regeln. Denn sie beschreiben eher eine Haltung als einen Ablauf, zielen ab auf das große Ganze statt auf konkrete Handlungsanweisungen. So halten sie den Kopf frei für eigene Erfahrungen, auf dem eigenen Schiff, in dem für Sie eigenen Stil.

Weil Einhandsegeln viel mit Ihrer Persönlichkeit zu tun hat, Ihrem Risikoprofil, Ihren Stärken und Schwächen, gibt es meist nicht den einen universellen, für alle gültigen Weg. So haben auch die drei Instruktoren des YACHT-Skippertrainings auf ihren Fahrten teils unterschiedliche Angänge für bestimmte Situationen gefunden. Statt Patentrezepte anzubieten, propagieren sie Neugier und Offenheit.

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Zu den simpelsten und zugleich wichtigsten Empfehlungen zählt, flexibel zu bleiben. So zum Beispiel, sich nachts eine knifflige Hafenansteuerung zu ersparen und stattdessen bis zum Morgenanbruch in der Nähe zu ankern. Statt einen Harakiri-Anleger in die Box zu versuchen, sich an einen Dalben in Luv zu hängen und auf Wetterberuhigung zu warten. Statt sich im tanzenden Schiff mühsam etwas Warmes zu kochen, eine halbe Stunde beizuliegen und sanft schaukelnd das Essen zu genießen.

Jeder hat dabei seine ganz persönlichen Vorlieben. Beim Einhandsegeln kann man diese Eigenarten in vollen Zügen ausleben – oder auch mal überwinden, wenn man will. Es ist folglich weit mehr eine gedankliche Übung als eine bloße Fertigkeit.

Einhandsegeln: Die sieben goldenen Regeln

  1. Erwarten Sie nicht von sich, alles so schnell zu erledigen wie mit Crew. Einhandsegeln funktioniert seriell, nicht parallel
  2. Denken Sie voraus. Spielen Sie im Kopf Was-wäre-wenn-Szenarien durch
  3. Erlauben Sie sich unorthodoxe Lösungen. Verfolgen Sie nicht stur einen Plan, der nicht aufgehen kann
  4. Konzentrieren Sie sich aufs Wesentliche: Was will ich erreichen? Wie schaffe ich das?
  5. Halten Sie Fallen, Schoten und Strecker stets sauber aufgeschossen und bereit fürs Manöver
  6. Bereiten Sie Törns gut vor. Erlauben Sie sich Pausen. Bleiben Sie fit
  7. Vor allem aber: Zögern Sie nicht, packen Sie’s an! Souveränität und Gelassenheit kommen mit der Erfahrung

Einhand-Manöver-Tipps

1. Wenden

Bei Leichtwind eine der einfachsten Übungen, zumal mit wenig überlappenden Genuas oder mit Selbstwendefock. Aber wie geht man bei kräftiger Brise sicher über Stag?

Hoch am Wind rein: Wenn es bläst oder böig ist, vereinfacht sich der Skipper die Arbeit durch extreme Höhe. So bleibt die Lage im Schiff gering und das Hantieren mit Schot und Pinne fällt leichter. Boote mit Rad via Autopilot wenden
Foto: YACHT-Archiv

Profi-Tipps für Einhandsegler

  • Das simple Manöver sitzt auch einhand rasch. Bei moderaten Bedingungen gelingt es meist auf Anhieb, auch ohne Autopilot. Bei mehr Wind zunächst gerefft üben
  • Entscheidend für den Erfolg ist es, beim Lösen und Holen der Genuaschoten nicht das Ruder aus den Augen zu verlieren oder sich selbst zu überlassen. Sonst überwendet man oder bleibt beigedreht liegen
  • Großschot und Traveller wenn nötig vorher fieren, eventuell auch das Groß reffen. Das bringt Ruhe ins Manöver, insbesondere beim Anfahren auf dem neuen Bug
  • Bei richtig Hack ersetzt eine Q-Wende die Halse und schont das Rigg

2. Gennaker setzen

Ob das Raumwindsegel aufgerollt gesetzt wird, im Bergeschlauch oder frei fliegend: Die Abläufe sind fast identisch. Und einfach dazu – solange Schoten, Fall und Halsleine klariert sind

Prüfen: Vor dem Anschlagen der Leinen Laufwege prüfen, ebenso die Lieken des Gennakers. Selbst Routiniers haben ihr Tuch schon am Hals ins Rigg gezogen oder das Fall vertüddelt. Packtasche stets in die Reling einklipsen
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Profi-Tipps für Einhandsegler

  • Benutzen Sie einen guten Packsack mit Karabinern für die Reling und Velcro-Laschen für Kopf, Hals und Schothorn. Maße lieber etwas zu groß als zu knapp wählen
  • Zum Setzen nicht zu tief steuern (150, bei mehr Wind maximal 160 Grad TWA). Andernfalls kann sich der Gennaker vertörnen
  • Bei Welle die Halsleine vorm Setzen nur bis knapp über den Bug holen
  • Alle Leinenwege prüfen. Besonders die Luvschot muss beim Setzen frei auslaufen
  • Setzen Sie Trimm-Markierungen auf Fall (max. durchgesetzt), Halsleine (max./mittel) und Schoten (max. tief/mittel). Dann passt der Grundtrimm schon nach dem Setzen

3. Gennaker halsen

Das Manöver gilt als die Königsdisziplin für Solosegler. Auf großen Yachten und bei viel Wind ist es eine Sache für Könner. So minimieren Sie das Überraschungspotenzial

Klar zur Halse: Freier Seeraum ist die Grundvoraussetzung für die Halse. Droht sie zu misslingen, weil sich der Gennaker zur Eieruhr verdreht, ist es besser, noch einmal neu anzusetzen. Bringen Sie sich daher nicht selbst unter Zugzwang
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Profi-Tipps für Einhandsegler

  • Überfordern Sie sich nicht. Wer wenig Übung mit Spi oder Gennaker hat, sollte zunächst bei 8 bis 12 Knoten Wind üben
  • Behalten Sie im Manöver die Kontrolle übers Ruder – bei Pinnensteuerung mit den Beinen, bei Radsteuerung per Autopilot
  • Versuchen Sie, den Gennaker stets voll zu fahren. Kollabiert er beim Halsen und vertörnt er sich, zurückhalsen oder Fall etwas fieren
  • Ein Sonnenschuss, also ungewolltes Anluven, ist kein Problem. Das kommt vor. Vermeiden Sie aber in jedem Fall Patenthalsen!
  • Bei viel Wind zuerst den Gennaker halsen (Schmetterling-Segeln), danach das Groß dichtnehmen und schiften

4. Sicherheits-Halse

Wer seinen Gennaker im Bergeschlauch oder an einer Rollanlage fährt, kann ihn fürs Manöver einfach kurz wegnehmen. Wenn es stark weht, machen das sogar die Profis so

Wie gehabt. Die konservative Variante: Groß gerefft und ein kleiner Fractional Code Zero zum Rollen – schon wird der Richtungswechsel zum Kinderspiel. Was bleibt: Anfahren auf tiefem Raumkurs, wie bei der konventionellen Halse
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Profi-Tipps für Einhandsegler

  • Wenn Sie nur ein Raumwindsegel kaufen wollen, wählen Sie eines mit Bergeschlauch oder Rollanlage – Sie werden es öfter nutzen
  • Achten Sie auf hochwertige Komponenten. Nicht alle Furler und Snuffer funktionieren anstandslos. Leichtgängigkeit und Robustheit sind für Einhandsegler gleich wichtig
  • Lassen Sie sich nicht von dem Begriff „Chicken Jibe“ irritieren. Die „Angsthasen-Halse“ ist auch bei geübten Solisten gängige Praxis. Das Manöver ist nicht ehrenrührig, sondern einfach nur konsequent sicher und schlau
  • Wenn Sie nach der Halse beschließen, das Segel nicht weiter zu nutzen, nehmen Sie es runter. Auch eng gerollt fängt es im Rigg viel Wind, kann pumpen oder teils aufdrehen

5. Gennaker bergen

Muss das bunte Tuch runter, ist kräftiges Zupacken gefragt. Und ein Trick, der vielleicht unorthodox erscheinen mag, aber enorm hilft: Fall über Bord!

Weg damit: Um den Gennaker zu bergen, müssen Fall und Halsleine sauber auslaufen. Das gelingt am besten, indem man sie vor Manöverbeginn achteraus wirft. Das Wasser bremst das Ausrauschen nach Lösen der Klemmen
Foto: YACHT-Archiv

Profi-Tipps für Einhandsegler

  • Legen Sie den Packsack vor dem Bergen bereits unter den Niedergang oder ins Cockpit, das erleichtert später das Wegstauen
  • Auf Yachten über 35 Fuß mit Gennakern von mehr als 100 Quadratmetern müssen Sie viel Tuch bändigen. Hier tun Sie sich mit Rollanlage oder Bergeschlauch leichter
  • Entschärfen Sie Beschläge und Kanten im Bereich von Großbaum, Kicker und Niedergang durch Tape
  • Bergen Sie den Gennaker auf der bevorteilten Seite – wo der Bugspriet angeschlagen ist und die Fallklemme gut zur Hand liegt
  • Die Halsleine muss so lang sein, dass Sie sie bis in die Plicht holen können

Dieser Artikel rund ums Einhandsegeln erschien in der Ausgabe 20/2015 von YACHT und wurde im August 2023 von der Redaktion überarbeitet.


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