Mike Peuker
· 25.05.2023
Gewollt oder ungewollt – manch Skipper wird schneller zum Einhandsegler als gedacht. Worauf zu achten ist, damit Törns ohne Crew gelingen. Tipps und Tricks aus der Praxis von Einhandsegler Mike Peuker
Hoch am Wind im Smålandsfahrwasser. Es brist auf, der Windmesser zeigt bald 20 bis 25 Knoten im Mittel, in den Böen steigt der Wind sogar auf bis zu 30 Knoten. Das Großsegel ist bereits im zweiten und somit letzten Reff. Eigentlich muss jetzt noch die Fock runter und die Sturmfock drauf.
Der erste Gedanke: umdrehen! Doch dann erfolgt die Einsicht, dass das keine gute Lösung ist. Die Wetterverhältnisse sollen in den kommenden Tagen nämlich auch nicht besser werden, und in zwei Tagen ist die Ankunft zu Hause in Maasholm geplant.
Gestern bin ich von Skåre in Schweden gekommen und südlich Møn ins vermeintlich geschützte Smålandsfahrwasser eingelaufen, um die Nacht im Inselhafen von Bogø gegenüber Stubbekøbing zu verbringen. Und jetzt das! Der Plan war eigentlich, heute Abend noch vor Einbruch der Dunkelheit im Hafen von Omø festzumachen. Doch dieses Vorhaben rückt momentan in weite Ferne.
Diese Situationen wäre mit Crew sicherlich entspannter. Nicht nur, weil mehr helfende Hände zur Verfügung stehen würden, sondern auch, weil man sich einfach mal austauschen und beratschlagen könnte.
Doch nun ist es eben, wie es ist, und schließlich habe ich es mir so ausgesucht. Ich beobachte eine Weile meinen Windpiloten, meinen zweiten „Mann“, werfe dann das Fockfall los und krieche in Richtung Bug.
Eine Hand für mich, die andere für das Manöver. Wenn nicht ausdrücklich abnehmender Wind vorhergesagt ist, bereite ich das nächstkleinere Segel immer schon im Hafen vor. In meinem Fall heißt das, dass die Sturmfock bereits angeschlagen und an der Seereling festgebändselt ist. Die Fock muss nun nur noch geborgen, das Fall und die Schoten auf die Sturmfock umgeschoren, die Stagreiter der Arbeitsfock abgeschlagen und das Tuch an der Reling gesichert werden.
Jetzt zurückkriechen, Sturmfock setzen, Schot dichtholen, und ja, schon fühlt es sich erheblich besser an.
Drei Stunden schütteln Wind und See mein Boot und mich nun hoch am Wind durch. Der Kurs wird von Omø auf Bisserup geändert. Das bringt die Aussicht auf einen Anleger im Hellen mit sich. Und plötzlich in der Landabdeckung, östlich Bisserup, läuft es wieder. Die See hat sich beruhigt, der Wind flaut auf 20 Knoten ab, und ich kann sogar mein ursprünglich geplantes Ziel Omø wieder anliegen. Später reffe ich dann auch wieder aus und wechsle auf die Fock.
Auf einmal ist alles wieder herrlich. Mein Ziel erreiche ich, wie morgens geplant, bei Tageslicht. Und die drei Stunden Starkwind sind im Rückblick auch nicht schlimm.
Es ist ein gutes Gefühl, Situationen wie diese ohne fremde Hilfe bewältigen zu können. Natürlich ist es mit einer eingespielten Crew einfacher. Und natürlich ist geteiltes Leid auch an Bord nur noch halbes Leid. Andererseits muss man diejenigen, mit denen man schwierige Situationen besser meistern kann, erst einmal finden. Meist ist der Kreis der potenziellen Mitsegler, mit denen man gern im gleichen Boot sitzt, wenn es hart kommt, auf einen kleinen Kreis beschränkt. Und nicht jeder davon hat Zeit, wenn man ihn braucht.
Während es vor Tagesetappen um die Segelpraxis geht, beschäftigen Einhandsegler vor langen Strecken auch mentale Fragen
Als Familiencrew versuchen wir Starkwind- und Schlechtwettertage konsequent im geschützten Hafen zu verbringen. Möglich wird das durch die Strategie, dass ich längere Seestrecken allein absolviere. Denn je längere Zeit am Stück gesegelt wird, desto mehr erhöht sich unterwegs ganz zwangsläufig auch das Risiko, auf schlechtes Wetter zu treffen.
Ist das Reiseziel erreicht, zum Beispiel die geschützten Gewässer der schwedischen Schären, stößt der Rest der Familie dazu.
Das haben wir auf vielen Reisen so gehandhabt, inklusive einer Atlantiküberquerung, und alle sind sehr zufrieden mit dem Konzept. So habe ich mich über die Jahre in das Thema eingesegelt und bin jetzt echter Fan des Einhandsegelns geworden.
Es ist eine Art von Freiheitsgefühl, das Schiff, die Elemente und am Ende auch mich selbst einschätzen und beherrschen zu können. Auf mich allein gestellt zu sein und trotzdem alle Probleme zu bewältigen und schöne Momente in Einsamkeit genießen zu können, erfüllt mich immer wieder mit einer tiefen Zufriedenheit.
Zugegeben, Einhandsegeln ist ein weiter Begriff. Natürlich macht es einen Unterschied, ob auf der Ostsee von Hafen zu Hafen gesegelt wird oder ob es über Tage und Wochen in vollständiger Einsamkeit über einen Ozean geht.
Während es bei den für allein gesegelte Tagesschläge erforderlichen Fähigkeiten im Schwerpunkt um Techniken geht, die man vorhalten muss, stehen bei den langen Passagen auch sehr die mentalen Fragen im Vordergrund. Es macht einen Unterschied, sich Tricks und Taktiken für Hafenmanöver und Schwerwettertage anzueignen oder Probleme im Vorfeld zu lösen, die sich aus tage- und wochenlangem Alleinsein gepaart mit Schlafmangel ergeben.
Während es immer schon mein Anspruch als Schiffsführer war, das Boot selbst unter harten Bedingungen allein gut im Griff zu haben, konnte ich die Frage, wie ich mit der andauernden Einsamkeit zurechtkommen würde, vor meiner Atlantiküberquerung nicht beantworten.
Und wer kann das schon – die tägliche Begegnung mit anderen Menschen kennzeichnet unser Leben. Kaum jemand kommt unter normalen Umständen in die Situation, über Tage oder sogar Wochen niemanden zu sehen oder vielleicht sogar zu sprechen. Woher soll man da wissen, wie sich das anfühlt?
Ich hatte Glück. Den größten Teil meiner Reise konnte ich genießen. Doch es soll nicht verschwiegen werden, dass es auch Phasen der tiefen Niedergeschlagenheit gab. Mehrfach überschattete die Frage den Törn, warum ich mir das eigentlich antue. Schweres Wetter, Dunkelheit, Schlafmangel – man muss bereit sein, das alles durchzustehen, und sei es nur für das Gefühl, es geschafft zu haben.
Im Nachhinein aber hat es sich für mich gelohnt. Allein über den Atlantik gesegelt zu sein wird mir immer als ein ganz besonderes Erlebnis in Erinnerung bleiben, das ich nicht missen möchte.
Wer allein zu einer solchen Langfahrt ausläuft, sollte schon in Übung sein und sich über die eigentliche Schiffsführung keine Gedanken mehr machen müssen. Anlegen bei Starkwind, Reffen, Segelwechsel bei harten Bedingungen, Reparieren und Improvisieren, das alles muss man nicht nur gern machen, sondern sollte es auch unter ungünstigen Bedingungen beherrschen.
Was jedoch zwangsläufig zur Törnvorbereitung gehören wird, ist die intensive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Schiff, seiner technischen Ausrüstung und möglichen Verbesserungen für die Bedienung durch die Einhandcrew.
Die Fähigkeit des Skippers ist für Einhandvorhaben wichtiger als die besondere konstruktive Eignung seines Schiffes
Oft ist zu hören, dass die Einhandtauglichkeit einer Segelyacht von besonderen konstruktiven Merkmalen geprägt wird. Doch dem ist nicht unbedingt zuzustimmen. Wesentlich relevanter als das Schiff ist beim Segeln ohne Crew der Skipper selbst und womit er gut zurechtkommt.
Die von Seglern häufig gewünschte Umlenkung aller Fallen, Strecker und Reffleinen ins Cockpit hat neben der Wuhling, die sie dort schnell verursachen, auch den Nachteil, dass ihre vielen Umlenkungen eine hohe Reibung erzeugen. Wer bei vergleichbar großen Schiffen aus dem Cockpit und am Mast die Segel gesetzt oder gerefft hat, weiß, wie viel schwerer das in der umgelenkten Variante oft ist.
Je einfacher, desto besser, ist mein persönliches Credo, was nicht nur für die Leinenführung, sondern auch für Elektrik und Elektronik gilt. Alles, was verbaut ist, geht unweigerlich irgendwann kaputt. Allein auf hoher See freut man sich spätestens dann, wenn Geräte überschaubar und einfach zu reparieren oder zu ersetzen sind.
Sicher, in diesem Punkt gehen die Meinungen weit auseinander. Manch einer fährt noch mit Sextant und Schlepplogge um die Welt. Die Mehrzahl der Segler aber ist heute auf Booten mit einer Instrumentensammlung unterwegs, auf die vor wenigen Jahrzehnten noch die NASA neidisch gewesen wäre.
Auch wenn ich mich zu keinem dieser beiden Lager zähle, schlägt mein Herz eher für die Sextantenfraktion. Aber all das sind Fragen, die jeder nach seinen Präferenzen für sich beantworten kann. Es gibt da kein eindeutiges Für und Wider.
Anders verhält es sich beim Thema Autopilot. Der steht unverrückbar auf Platz eins meiner Ausrüstungsliste für Einhandsegler. Wer besonders gut aufgestellt sein möchte, dem sei sogar empfohlen, für Redundanz zu sorgen. Auf meinem Boot ist das durch eine Windsteueranlage und einen Pinnenpiloten gegeben, der für deutlich größere Schiffe ausgelegt ist. So wird mein Boot zuverlässig weiter gesteuert, wenn ich unter Deck bin oder auf dem Vorschiff arbeite.
Je nach Fahrtgebiet, und vor allem wenn man auch nachts unterwegs ist, sollte ein AIS-Gerät installiert sein, zumindest ein Empfänger. Insbesondere wenn es um das Thema Schlaf geht, ist froh, wer den „closest point of approach“ oder die „time to closest point of approach“ am Gerät ablesen kann.
Derart informiert, fällt dann unter Umständen die Entscheidung, den ein oder anderen Frachter oder Fischer sicherheitshalber erst einmal passieren zu lassen, bevor es in die Koje geht. Nicht unterbewerten sollte man die dadurch zur Verfügung stehenden akustischen Alarme.
Doch nicht nur unterwegs, sondern auch und vor allem bei Hafenmanövern stehen Einhandsegler vor besonderen Herausforderungen. So profan es klingen mag, sind Mittelklampen und zwei große Kugelfender für mich essenziell. Es gibt kaum ein Anlegemanöver, bei dem sie mir das Leben nicht deutlich vereinfachen.
Bei all meinen Anlegemanövern in Boxen werden die Achterleinen durch die Mittelklampen nach hinten auf die Winschen geführt. So kann ich in die Leinen eindampfen und in aller Ruhe zentimetergenau zum Steg fahren. Dann werden die Leinen belegt, und während die Maschine weiter vorwärts eingekuppelt bleibt, gehe ich nach vorn und belege die Vorleinen.
Sollte ich längsseits gehen wollen oder müssen, kommt ein großer Kugelfender ziemlich weit nach vorn, der andere ziemlich weit nach hinten. Auf der Mittelklampe der entsprechenden Seite ist eine Leine mit höchstens zwei Metern Lose belegt.
Steg oder Kaimauer werden dann so angesteuert, dass sich nach dem Aufstoppen landseitig eine Möglichkeit zum Festmachen in Höhe der Mittelklampe befindet. Dort wird nun sehr kurz auf Slip über der Mittelklampe belegt.
Das Schiff hängt jetzt nur an einer sehr kurzen Leine an seiner breitesten Stelle, schwoit aber bloß bis zu einem der Kugelfender und ist erst mal fixiert. Nun kann es in Ruhe vertäut werden.
Das Klarmachen zum Einlaufen mit Segelbergen, Anbauen von Leinen und Fendern findet bei mir ausschließlich auf ruhigem Wasser statt. Ist das außerhalb des Hafens nicht zu finden, erfolgt es im Hafen, nur mit der Vorleine an einem luvwärtigen Poller oder Steg.
Habe ich nichts zum vorübergehenden Festmachen, bediene ich mich der folgenden Tricks: aufstoppen, Pinne festsetzen, rückwärts einkuppeln. Das Schiff dreht sich nun langsam mit dem Heck in den Wind und bleibt recht ortsstabil. Das Manöver nutze ich auch gern, um vor Brücken auf die Öffnung zu warten oder bei ähnlichen Gelegenheiten.
So gibt es viele kleine Tricks, mit denen sich der Einhandsegler unterwegs das Leben einfacher machen kann. Was ihn aber am weitesten bringt, ist, häufig zu üben und herauszufinden, ob er auch wirklich Spaß an der Einhandsegelei hat, denn nur dann ergibt das alles Sinn.