Das Défi Azimut ist von der Offshore-Hauptstadt Lorient aus mit einer unglaublichen Imoca-Flotte von 33 Booten gestartet. Rund 48 Stunden werden die Zweihand-Teams für den 609 Seemeilen langen Viereckskurs benötigen, die Ersten werden am Samstagmorgen im Ziel erwartet. Das Rennen dient als letzte Bewährungsprobe vor dem anstehenden Transat Jacques Vabre und auch als Gelegenheit für eine Standortbestimmung im Hinblick auf die kommende Vendée Globe. Die wichtigsten Neubauten wurden vorgestellt, nun treten erstmals fast alle gegeneinander an. Einige der neuen Designs konnten bereits einen guten Eindruck hinterlassen, doch auch die Beständigkeit und besonders die Erfahrungswerte der etwas älteren Ocean Race-Teilnehmer könnten sich auszahlen.
Vor allem bei den vorhergesagten Bedingungen mit starkem Westwind vor der bretonischen Küste werden diese im Vorteil sein. Zu viel Risiko wird aber keines der Teams eingehen, zu kurz ist die Zeit bis zu den nächsten wichtigen Rennen. “Wir werden nicht zögern, etwas langsamer zu machen und die rauen Bedingungen an uns vorbeiziehen zu lassen”, kündigte unter anderem “V and B – Monbana – Mayenne”-Skipper Maxime Sorel an. Das gelte für ihn insbesondere auch beim Start: “34 Boote auf einer Linie – das ist kein Spaß. Wir wollen bei einem 48-Stunden-Rennen nicht gleich zu Beginn in Schwierigkeiten geraten.”
Eigentlich sollten bereits gestern die sogenannten Speed-Runs stattfinden, doch auch diese wurden aufgrund der Wettersituation auf Sonntag verschoben. Dabei geht es darum, die beste Zeit auf einer Strecke von einer Seemeile zu loggen. Jedes Team startet einzeln und hat mehrere Versuche. Vorjahressieger dieses Wettbewerbs war Charlie Dalin, damals mit seiner “Apivia”, die nun als “L’Occitane en Provence” mit Clarisse Crémer am Steuer an den Start geht.
Denn der Vendée-Globe-Zweite von 2021 hat sich mit einem neuen Boot ausgestattet und gilt als Top-Favorit, liegt wenig nach dem Start an zweiter Position. Seine “Macif Santé Prévoyance” ist das jüngste der aktuellen Verdier-Designs. Der zweifache und amtierende Défi-Azimut-Sieger hat mit seinem Sieg beim Rolex Fastnet Race bereits ein erstes Ausrufezeichen gesetzt. Sein Konkurrent Thomas Ruyant hat derweil noch mit größeren Problemen an seinem Neubau “For People” zu kämpfen. Während dieser sich noch in der Werft befindet, wird er daher nochmals auf seine alte “LinkedOut” steigen, mit dieser war er bei der Vendée Globe 2021 auf den sechsten Platz gesegelt. Inzwischen wird sie unter dem Namen “For the Planet” von Sam Goodchild gesteuert. Gemeinsam mit Rennstall-Kollege Ruyant bildet dieser nun ein erfolgsversprechendes Duo für das Défi Azimut.
Yoann Richommes “Paprec Arkéa” ist wie Ruyants Neubau ein Design von Antoine Koch/Finot Conq mit ähnlichen Linien. Während Ruyant das Fastnet Race aufgeben musste, segelte Richomme mit Co-Skipper Yann Eliès ein starkes Rennen und musste sich nur Dalin geschlagen geben. Nach Problemen beim Guyader Bermudes 1000 Race hatte das Team bereits vor dem Fastnet Race den Bug der “Paprec Arkéa” verstärkt. Das Erfolgsduo geht nun als Mitfavorit in den 48-Stunden-Test. Gleiches gilt für das derzeit führende Team Jérémie Beyou/Franck Cammas, das beim Fastnet Race ebenfalls zu kämpfen hatte. Auch Vendée-Globe-Sieger Yannick Bestaven hofft mit seiner neuen “Maître CoQ V”, dem Schwesterschiff von 11th Hour Racings “Mālama”, und Mitstreiter Julien Pulvé auf eine Top-Platzierung. Nach einer Verletzung im Frühjahr musste Bestaven allerdings eine Pause einlegen, befindet sich aber nach eigenen Angaben wieder in Topform. “Ich habe das Gefühl, dass ich eine Außenseiterchance habe, und das ist eine Position, die ich liebe.”
Den Sieg streitig machen kann dieser Spitzengruppe vor allem eines der Ocean-Race-Teams. Neben Paul Meilhat und Mariana Lobato (“Biotherm”) in erster Linie Boris Herrmanns “Malizia – Seaexplorer”. Vor einem Jahr noch diente das Défi Azimut dem damals neuen Imoca selbst als erste Bewährungsprobe, jetzt zählt Boris Herrmann zusammen mit Co-Skipper Will Harris zu den Favoriten des Rennens. Der Imoca ist im Rahmen von The Ocean Race einmal um die Welt gesegelt und längst mit allen Wassern gewaschen. Nach dem Rennen wurde “Malizia – Seaexplorer” außerdem einmal komplett überholt, inklusive einiger kleiner Anpassungen. Dazu ist Herrmanns Rennmaschine mit sagenhaften 641,13 Seemeilen in 24 Stunden und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 26,71 Knoten der schnellste Einrumpfer aller Zeiten.
Aufgestellt wurde der Rekord auf dem Nordatlantik während der fünften Etappe vom Ocean Race, damals noch mit Holcim-PRB-Neuzugang Rosalin Kuiper an Bord. Die Schweizer Yacht, die beim Défi Azimut noch nicht an den Start geht, hatte kurz zuvor selbst den acht Jahre gültigen 24-Stunden-Einrumpfrekord des deutlich größeren Hundertfüßers “Comanche” überboten, wurde von Herrmanns Team dann allerdings ebenfalls übertroffen. Die 641,13 Seemeilen der deutschen Yacht werden in der Segelwelt mittlerweile kompromisslos anerkannt, offiziell ratifiziert ist der Weltrekord jedoch noch immer nicht.
Die bisherige Bestmarke von 618 Seemeilen galt als kaum zu überbieten, dann wurde sie während des Ocean Race plötzlich mehrfach und schließlich um 22 Seemeilen nach oben geschraubt. Boris Herrmann sprach hinterher von einmaligen Gegebenheiten: “Es herrschten historisch einmalige Bedingungen: glatte See, perfekter Winkel. Das wird nie wieder in einem Rennen so sein.”
Laut Experten ist die foilende Imoca-Generation jedoch noch lange nicht am Ende ihrer Möglichkeiten. Yachtdesigner Guillaume Verdier sagte im Gespräch mit der Imoca-Klassenvereinigung auf die Frage, ob der aktuelle Rekord in absehbarer Zeit zu schlagen ist: “Sicher, ja. Gilt die Frage dem Zustand, in dem sich die Yachten heute befinden? Die Aerodynamik dieser Boote ist ziemlich besch…, um ehrlich zu sein. Es gibt vieles, das man tun kann, um sie zu verbessern.” Einen neuen Rekord wird es beim Défi Azimut aber wohl noch nicht geben.