Vendée GlobeWarum die neuesten Imocas so anders sind

Jochen Rieker

 · 21.03.2023

Thomas Ruyants neuer Imoca "For People" wirkt weniger radikal als sein Vorgänger "LinkedOut": vergleichsweise spitz zulaufendes Deck, weit achtern liegendes Cockpit
Foto: TR Racing/Pierre Bouras
Das jüngste Imoca-Design von Antoine Koch und Finot Conq

In Lorient ging mit Thomas Ruyants „For People“ der jüngste Imoca zu Wasser. Er basiert auf dem gleichen Rumpfdesign wie Yoann Richommes „Paprec – Arkea“ – und ähnelt zwar nicht im Aussehen, aber im Ansatz Boris Herrmanns „Malizia – Seaexplorer“. Was Konstrukteur Antoine Koch zu dem Entwurf bewogen hat, und welche Leistung er sich davon verspricht

Im Südpazifik kann man beim The Ocean Race gerade beobachten, wie ähnlich sich extrem unterschiedliche Konstruktionen tatsächlich sein können. Das hat, na klar, auch viel mit dem Wetter zu tun. Ein Hochdruckgebiet ließ am Wochenende die vier Imocas zusammenrücken wie bei einer Flottillenfahrt. Und selbst heute liegen noch gerade mal fünf Seemeilen zwischen den Booten. So wenig, dass Malizia-Skipper Boris Herrmann einigermaßen verwundert kommentierte:

Wir sind nach 8.000 Seemeilen enger beieinander als 45 Minuten nach dem Start.“

In der Tat erinnert manches an diesem Rennen an eine One-Design-Regatta. Dabei variieren die Boote – abgesehen von den per Klassenregel festgeschriebenen Grenzmaßen – zum Teil erheblich: Sie sind mal flach und leicht wie „Biotherm“ oder hochbordig und voluminös wie „Malizia – Seaexplorer“, mal haben sie eine lange Wasserlinie wie „11th Hour Racing“, mal tragen sie ihren Scow-Bug hoch wie „Holcim – PRB“.

Die neuesten Inkarnationen der Klasse, “Paprec - Arkea” und “For People”, sehen wieder anders aus, vor allem im Vorschiff.

Sie sind für zwei starke Skipper konstruiert: Yoann Richomme, der die Class 40 dominiert und sich beim Sieg der Route du Rhum ein eigenes Denkmal gesetzt hat, und Thomas Ruyant, ebenfalls Route-du-Rhum-Sieger, allerdings auf seinem Imoca „LinkedOut“, den er als Trainingsboot im eigenen Rennstall belässt und mit dem Sam Goodchild bei der Vendée Globe antreten wird – jener Sam Goodchild, der gerade auf Kevin Escoffiers „Holcim – PRB“ im The Ocean Race Erfahrung auf einem aktuellen Top-Boot der Klasse sammelt.

Was nun hat es auf sich mit den jüngsten Imocas?

Nicht nur ihre Skipper zählen zu den Stärksten. Auch das Design-Team hinter ihren Booten zählt zur Hautevolee des Hochsee-Rennsports. Antoine Koch, selbst ein fähiger Segler, hat gemeinsam mit dem Konstruktionsbüro Finot Conq die Entwicklung geleitet, an der auch die Strukturexperten von Gsea sowie die Ingenieure der beiden Segelteams mitgearbeitet haben.

Während die Rümpfe annähernd identisch sind, weichen die Boote bei der Cockpit- und Deckssgestaltung und beim Foil-Design voneinander ab. Keine Zwillinge also, eher Geschwister, die sich auf den ersten Blick sehr ähnlich sehen.

Besonders auffällig sind die Bugsektionen, die eher konventionell wirken und trotz ihrer Fülligkeit nicht an die bis vor Kurzem scheinbar unvermeidlichen Scow-Konzepte erinnern.

Am prägnantesten sind die Chines und die tiefe Spantform. Vorn ist der Rumpf fast V-förmig, bis zur Kimmkante zwar weich gerundet, aber dennoch stark prononciert – mehr wie bei einem schnellen Motorboot mit gestuftem V-Spant als bei einem modernen Hochsee-Renner.

Interessant auch: Sowohl Thomas Ruyants „For People” als auch Yoann Richommes “Paprec – Arkea” sind vergleichsweise schmal und sehr flach – anders etwa als Boris Herrmanns „Malizia – Seaexplorer. Wegen der Aufkimmung haben sie eine noch schmalere Wasserlinie, die achtern sogar eine leichte Taillierung zeigt. Deshalb spricht Thomas Ruyant von einem Rumpf, der „so etwas wie zwei Ebenen hat“ – unten sehr schlank, oben breit.

So eigen die Konstruktion erscheinen, so vergleichbar die Grundüberlegungen, die zu dem Design geführt haben. Die neuen Imocas fußen auf derselben Prämisse wie die bereits voriges Jahr fertiggestellten Neubauten.

„Wir gingen von der von allen geteilten Beobachtung aus, dass die Boote (der letzten Generation, d. Red.) sehr unkomfortabel und schwer zu handhaben sind“, sagt Konstrukteur Antoine Koch. „Bei der letzten Vendée Globe haben wir gesehen, dass sie bei rauem Seegang Probleme hatten, durch die Welle zu kommen.“ Mal beschleunigten die Foiler wie losgelassen, dann bohrten sie sich wieder in der See voraus fest, sodass die Geschwindigkeiten „ständig von 15 auf 30 Knoten und umgekehrt wechselten“. Das, so Koch, sei „belastend für den Skipper“, fürs Boot und führe „nicht zu hohen Durchschnittsgeschwindigkeiten“.

Sein jüngstes Design beschreibt er als moderater, weniger extrem, und zusammen mit den Teams von Thomas Ruyant und Yoann Richomme ging er dabei sogar Kompromisse in der Leistungsfähigkeit ein. Unter Idealbedingungen, also bei 4 Beaufort und flacher See, sei es sehr wahrscheinlich, dass Top-Boote der 2019er-Generation wie „Apivia“ schneller segelten als die neuen „For People“ und „Paprec – Arkea“. Bei raueren Bedingungen erwartet er dagegen ein um etwa zehn Prozent höheres Potenzial, wenn nicht noch mehr. Beim Eintauchen in eine Welle liege der Vorteil „bei mehr als 50 Prozent“, wie Koch dem französischen Regatta-Portal „Tip & Shaft“ sagte.

„Das gilt zwar nur für sehr kurze Zeit, etwa eine halbe Sekunde, aber diese halbe Sekunde reicht aus, um das Boot zu verlangsamen, das dann mehr Energie benötigt, um wieder auf die Foils zu kommen. Wir sind der Meinung, dass diese ganze Instabilität in den Geschwindigkeiten durch die sehr starke Widerstandsspitze im Seegang verursacht wird, und hier ist der Gewinn relativ groß. Wenn es so abläuft, wie wir es in der Simulation gesehen haben, können wir ein Boot erwarten, das in den Wellen viel weniger abbremst.“

Nicht weniger als 50 Rumpf-Varianten haben Antoine Koch und Finot-Chef David de Premorel analysiert, bevor sie sich auf das Design festgelegt haben. Dabei ging es nicht nur um das Verhalten im Seegang, sondern auch um möglichst hohe Effizienz auf Raumschotskursen.

Die bisherigen Imocas verhielten sich „ziemlich binär“, sagt Koch. Fällt man zu weit ab, verliert man stark an Geschwindigkeit und droht gar, von den Foils zu fallen. Segelt man dagegen fünf bis zehn Grad höher, springt der Speed von 15 auf 25 oder sogar 30 Knoten. „Es gibt kein Dazwischen“. Das sei auf Dauer „schwierig zu managen“. Mit weniger benetzter Fläche, geringerem Widerstand und einem sehr speziellen Foil-Design hofft Koch auf ein „lineareres Verhalten“.

“Interessant ist, dass wir alle am gleichen Thema gearbeitet haben, aber zu Vorschlägen kommen, die zwar einige Gemeinsamkeiten aufweisen, aber auch große Unterschiede.“

Das Boot von Thomas Ruyant entstand in Lorient bei CDK Technologies, das Schwesterschiff von Yoann Richomme bei Multiplast in Vannes. Beide segeln in der Vendée Globe auf Sieg.

Wie stark sie sein werden, lässt sich derzeit nicht absehen; auch die ersten Trainingsschläge und Testregatten werden allenfalls Anhaltspunkte liefern, denn in der Imoca-Klasse zählt die Weiterentwicklung ebenso viel wie die Grundkonstruktion, weshalb Antoine Koch und das Finot-Team die beiden Projekte bis Ende nächsten Jahres intensiv begleiten werden.

Und wer weiß: Vielleicht läuft es ja so wie aktuell im The Ocean Race, wo sich die Verdier-Designs gerade mit der von VPLP konstruierten „Malizia – Seaexplorer“ im Formationsflug üben. Es wäre für Regatta-Fans nicht das Schlechteste, wenn die Boote im Leistungsniveau nah beieinander lägen.