Tatjana Pokorny
· 01.03.2023
Nur noch vier Teams bestreiten aktuell die Königsetappe im Ocean Race. Das französisch-deutsche “Guyot”-Team hat die dritte Etappe nach stark gesegeltem Auftakt mit Rumpfproblemen vorerst unterbrechen müssen. Der Rückschlag trifft die Mannschaft hart. Die Crew kämpft jetzt um die sichere Rückkehr nach Kapstadt.
Gerade war der ärgerliche Verlust des Code Zero vom Team Malizia vermeldet worden, da traf auch schon die nächste schlechte Kunde aus dem Southern Ocean ein. Sie hat schwerere Konsequenzen, denn das Guyot Environnement – Team Europe muss mit Rumpfstrukturproblemen in den Etappenhafen Kapstadt zurückkehren. Das Boot wird im Klassement vorerst unter “suspended” (dt.: unterbrochen) geführt. Die entdeckten Rumpfprobleme sollen in Kastadt genau untersucht werden, bevor das Team über seine Zukunft im 14. The Ocean Race entscheidet.
Das von allen Seglern gefürchtete Szenario hatte sich im Southern Ocean ereignet, als das GUYOT Environnement – Team Europe gerade in die Zone unterhalb des 40. Breitengrades eingetaucht war. Rund 600 Seemeilen vom Etappenstarthafen Kapstadt entfernt, bemerkte die Crew mit Skipper Benjamin Dutreux, Co-Skipper Robert Stanjek, Navigator Sébastien Simon, der Britin Annie Lush und Onboard-Reporter Charles Drapeau Knacken und Bewegungen in der Rumpfkonstruktion unterhalb des Laminatbodens.
Die erste Analyse ergab, dass der Schaden so ernsthaft ist, dass eine sichere Fortsetzung der wichtigsten Ocean-Race-Etappe über 12.750 Seemeilen nach Itajaí in Brasilien nicht möglich ist. In Absprache mit dem Technik-Team, den Yachtkonstrukteuren und der Teamleitung wurde die Rückkehr nach Kapstadt entschieden und die Rennleitung über den Abbruch dieser Etappe informiert.
Das Ocean Race muss Team Guyot indes noch nicht zu Ende sein. In Kapstadt kann über die Möglichkeiten der Reparatur und einen eventuellen Wiedereinstieg in die nächsten Etappen entschieden werden. Die Crew arbeitet sich nun zum Schutz des Bootes in gedrosselter Fahrt nach Kapstadt zurück, wo das Team in drei bis fünf Tagen erwartet wird.
Alle Vorkehrungen zu einer eventuellen Evakuierung der Yacht sind parallel getroffen worden, weil bei einem Rumpfschaden immer auch die Gefahr von weiteren Folgeschäden und Wassereinbruch besteht. Die Stimmung an Bord ist trotz des schweren Rückschlags hoffnungsvoll, das Boot nach Kapstadt zurückbringen und möglicherweise wieder in das Rennen einzusteigen zu können.
Annie Lush berichtet in einem ausführlichen Statement des Teams davon, wie sie den Schaden entdeckte: “Ich kam gerade von der Wache und versuchte, meine Klamotten auszuziehen. Aber es war etwas schwierig, denn wir waren in ziemlich hohen Wellen unterwegs. Ich wollte gerade in meine Koje gehen, als ich sah, wie sich auf der anderen Seite ein Koffer bewegte, den wir am Boden festgeschnallt hatten. Ich dachte zunächst: Vielleicht bin ich ein bisschen paranoid. Aber dann sah wieder, wie er sich bewegte. Also ging ich rüber und hörte Geräusche von Delamination. Ich habe Ben alarmiert und Charles geweckt. Leider konnten auch sie es hören. Als ich meine Hand auf den Boden legte, spürte ich, wie er sich auf und ab bewegte.”
Weiter sagte die zweimalige Weltumseglerin zu den schwarzen Stunden an Bord von “Guyot”: “Das ist so bitter, denn wir hatte über so lange Zeit überhaupt keine Probleme. Wir haben mit den Bootskonstrukteuren gesprochen – und ja, leider: Es gibt keine Möglichkeit, es hier draußen zu reparieren. Also müssen wir jetzt nach Kapstadt zurückkehren und dort die Yacht reparieren.“
Zur aktuellen Stimmung an Bord sagte Annie Lush: “Für Ben und mich ist es das erste Mal, dass wir in einem Offshore-Rennen umdrehen müssen. Es ist ein neues Gefühl und es fühlt sich nicht gut an. Es ist eine große Etappe und wir haben uns darauf gefreut. Wir waren in einer starken Position und die Stimmung an Bord war sehr gut. Wir haben das Rennen genossen. Es gibt nichts, das wir jetzt tun können, außer zu versuchen, so schnell und so sicher wie möglich zurückzukommen, den Schaden zu begutachten und zu sehen, was als nächstes passiert. Zum Glück ist es nicht die Vendée Globe, es ist ein Rennen mit mehreren Etappen. Wir werden zurückkommen – sobald wie möglich.“
Der Kampfgeist im Team bleibt lebendig, auch wenn es ein herber Rückschlag ist, wie Skipper Benjamin Dutreux vor allem mit Blick auf die bislang starke Leistung seines Teams auf dieser wichtigsten Ocean-Race-Etappe erklärte: „Heute morgen waren wir in Richtung Osten unterwegs. Wir wurden von Tiefdruckgebiet mitgerissen, was es uns erlaubt hatte, ziemlich schnell voranzukommen. Wir waren gut positioniert im Vergleich zur Flotte. An Bord herrschte eine sehr gute Stimmung.”
Die Momente, in denen sein Team den Schaden entdeckte, beschrieb Dutreux so: “Plötzlich sah Annie, wie sich der Boden bewegte, und Charles hörte zwei Knacken. Wir verlangsamten sofort das Boot und versuchten zu sehen, was passiert war. Tatsächlich sah ich, dass sich der Boden auf der Backbordseite am Boden des Rumpfes stark bewegte. Wir rollten die Segel ein und versuchten, eine ruhige Position zu finden. Aber es war nicht einfach, denn das Boot bewegte sich stark. Wir hatten Seegang mit Wellen von sechs bis sieben Metern. Wir kontaktierten das technische Team, das die Bootskonstrukteure anrief, um herauszufinden, wie sie die Lage einschätzen.“
Vor den Gesprächen mit den Experten an Land hatte die Crew die Hoffnung auf eine Fortsetzung der Etappe noch nicht ganz aufgegeben, wie Dutreux schilderte: „Wir fuhren langsam weiter nach Osten. Aber bis Australien waren noch viele Tage auf See, also schien es nicht sinnvoll, so weiterzumachen. Weil wir es nicht auf See reparieren können. Wir müssen das Boot aus dem Wasser nehmen, es aufschneiden, reparieren und wieder verkleben. Daher haben wir beschlossen, zurück nach Südafrika, wahrscheinlich nach Kapstadt zu segeln. Wir fahren langsam, um den Rumpfboden nicht zu sehr zu bewegen, und sind noch drei, vier oder fünf Tage von Kapstadt entfernt. Wir werden versuchen, eine notdürftige Reparatur durchzuführen.“
Für Co-Skipper Robert Stanjek, der seine Premiere im The Ocean Race bestreitet, ist die Rückkehr nach Kapstadt eine besonders bittere Erfahrung. Denn damit ist sein Traum von der Weltumrundung im Southern Ocean vorerst geplatzt. Entsprechend ernüchtert sagte der Berliner: „Es ist sehr enttäuschend, diese Königsetappe aufgeben zu müssen. Wir haben sehr gut gesegelt. Die Mannschaft hatte eine gute positive Konzentration. Gerade nach den beiden ersten Etappen hatten wir gehofft, dass das Pech mal abgeschöpft ist und wir endlich unser Potenzial zeigen können.”
Team Guyot hatte in den ersten Tagen der “Monster-Etappe” eindrucksvoll gezeigt, dass es vorne mitmischen kann. “Dann machte es zweimal Knack und innerhalb von Sekunden hat sich das Vorhaben umgekehrt”, erzählte Stanjek, “wir haben auf den Call des Tech- und Designteams gewartet. Aber es war eigentlich ziemlich schnell klar, dass man mit so einem Schaden nicht im Southern Ocean spielen kann. Es ist sowohl sportlich für die Mannschaft als auch das gesamte Team ein harter Schlag. Alle haben so schwer und lange gearbeitet. Es zerplatzt aber auch ein persönlicher Traum, der mich über Jahre angetriebenen hat. Ich wollte dieses Seerevier und diese Etappe erfolgreich segeln. Und dann kommt so schnell das Aus. Sport ist manchmal so brutal.”
Trotz aller Enttäuschung gilt der Fokus der Mannschaft nun der aktuellen Situation: „Wir haben die delaminierte Stelle stark mit Ausrüstungsteilen beschwert, damit der Sandwichboden nicht so starkes Spiel hat und von den Wellen durchgedrückt wird. Wir sind gedrosselt mit 8 kn Fahrt Richtung Kapdtadt unterwegs. Alle Schotten im Schiff sind geschlossen. Für den Extremfall ist alles griffbereit. Wir verbleiben im Wachsystem.“
Das verbliebene Imoca-Quartett führte am beginnenden vierten Tag auf See weiter Kevin Escoffiers Schweizer Team Holcim-PRB souverän an. Das US-Team 11th Hour Racing folgte mit einem Rückstand von gut 90 Seemeilen. Etwa 110 Seemeilen hinter “Holcim-PRB” segelte Team Malizia. Der Rückstand der Spätstarter vom Team Biotherm ist inzwischen auf knapp 200 Seemeilen angewachsen.