The Ocean RaceVon der “mentalen Ohrfeige” und Comeback-Hoffnungen

Tatjana Pokorny

 · 02.03.2023

Co-Skipper Robert Stanjek auf der "Guyot"
Foto: Charles Drapeau/Guyot Environnement – Team Europe/The Ocean Race

Co-Skipper Robert Stanjek reflektiert das Etappen-Aus seines Guyot Environnement – Team Europe. Der 41-jährige Berliner berichtet von den Momenten, in denen die Crew die Delamination im Rumpfboden entdeckte. Vom Warten auf das Urteil des Tech-Teams und der Designer. Von der bitteren Rückkehr nach Kapstadt. Und von der Hoffnung auf ein Comeback in Itajaí

Der 1. März war für Robert Stanjek und sein Team Guyot einer zum Vergessen. Und doch wird er vermutlich allen für immer im Gedächtnis bleiben. Es war ein schwarzer Mittwoch, an dem viele Träume und Hoffnungen im Guyot Environnement – Team Europe geplatzt sind, für dessen Verwirklichung auch Robert Stanjek über Jahre gekämpft hatte. Nun musste die Crew auf der historisch längsten, wichtigsten und begehrtesten Etappe im Ocean Race mit Delamination im Rumpf schon nach wenigen Tagen aufgeben. Bei gedrosselter Fahrt segelt die Mannschaft das 2015 gebaute Boot nach Kapstadt zurück. Ob die schwarz-grüne Hoffnungsträgerin dort in einem Kraftakt repariert werden kann und der Mannschaft das Comeback im 14. Ocean Race gelingt, ist noch unklar.


Von Robert Stanjek, 1. März, 22 Uhr

“Wir sind jetzt mit verminderter Fahrt auf dem Weg zurück nach Kapstadt. Wir sind schon im Hochdruckgebiet. Die Welle ist immer noch da. Wir haben zwei Segel oben und den Motor dazugeschaltet, so wenig Wind ist schon. Die delaminierte Stelle im Bodenbereich der Living Area ist etwa zweieinhalb Quadratmeter groß. Wir haben sie jetzt mit schwerem Ausrüstungsmaterial bestückt, sodass sich der Boden nicht mehr so bewegen kann. Innendrin ist der Schaum zerbröselt. Damit das nicht immer so weitergeht und dann möglicherweise die Carbonplatten brechen, haben wir die Fläche sehr beschwert, damit sie nicht so stark arbeitet.

Wir haben alle Schotten dichtgemacht. Die Notfallausrüstung ist griffbereit, falls es zum Extremfall kommt. Das ist in den aktuellen Bedingungen eher nicht abzusehen, aber vor Kapstadt werden wir schon noch einmal Wind bekommen. Ich hoffe, dass es nicht zu krass wird. Jetzt ist es erst mal wichtig, das Schiff in den Hafen zu bekommen.

“Es hat sich so angefühlt, als wären wir jetzt mal dran”

Heute Morgen war um 8 Uhr UTC Wachwechsel: Annie (Redaktion: Annie Lush) ist von der Wache gekommen, ich on. Wir waren seit gestern Morgen fett in diesem erstem Southern-Ocean-Tiefdruckgebiet drin. Wir haben den Call ähnlich wie alle gemacht, nicht zu südlich reinzugehen, weil in seinem Zentrum doch richtig Alarm herrschte. Haben die Lane gefunden, die wir haben wollten. Das Feld lag dann wie eine Perlenschnur hinter uns. Das war ziemlich schön. Wir waren superzufrieden mit unserer Position (Red.: Platz zwei hinter “Holcim – PRB”) und auch damit, wie die Mannschaft gearbeitet hat. Es hat sich so angefühlt, als wären wir jetzt mal dran, unser Potenzial zu zeigen.

Wir waren unterwegs mit einem True-Wind-Einfallswinkel von 110 Grad. Ben und Annie hatten gerade das dritte Reff rausgeschüttelt und wir hatten die J3 oben. Es war ein schneller Raumschotsgang. Der war natürlich wild. Über fünf, sechs Meter Welle hat das Schiff schon manchmal bis 30 Knoten Fahrt gemacht. Aber das ist okay. So einen Stress hatten wir schon paar Male ins Boot gebracht.

“Das Boot muss aus dem Wind, in Lee drückt sich der ganze Fußboden durch!”

Annie ging runter, steckte aber nach zehn Minuten den Kopf wieder durch die Tür und sagte: ‘Jungs, wir müssen das Boot aus dem Wind bringen, in Lee drückt sich der ganze Fußboden durch.’ Das haben wir gemacht. Danach haben wir uns die alarmierende Stelle angesehen. Jede Welle brachte heftiges Knacken. Wir haben erst einmal alle geweckt und ziemlich schnell das Tech-Team informiert. Das wiederum hat mit den Designern gesprochen. Wir haben eine Viertelstunde auf Rückmeldung gewartet. Vielleicht auch länger. Die Antwort war negativ. Die Designer haben gesagt, dass man so nicht durch den Southern Ocean fahren kann. Eigentlich war uns das auch klar. Wenn du diese Bewegung auf den zweieinhalb Quadratmetern siehst, wie es sich um fünf, sechs Zentimeter hebt und senkt und dabei irre laut knackt … Es wird wirklich eine Mission, das Schiff heil nach Kapstadt zu bringen.

Zum Zeitpunkt, als es passierte, war Ben unser Watch Captain, hat das Schiff gesteuert. Ich habe assistiert, hatte gerade Annies Position übernommen. Das ist kein Trostpflaster, aber ich bin trotzdem froh, dass es nicht unter meiner Wache passiert ist. Die Ereignisse bedeuten einen herben Rückschlag für die sportliche Mannschaft, aber auch das gesamte Team. Wir waren auf den ersten zwei Etappen schon so mit Schäden gebeutelt, dass wir jetzt langsam mal die Schnauze voll hatten und zeigen wollten, was doch an Potenzial in diesem älteren Boot und auch in uns als Team steckt, wenn wir es gut segeln.

“Gerade diese Etappe hat mich über Jahre angespornt”

Es ist ein ganz schönes Drama. Persönlich hat mich gerade diese Etappe über Jahre angespornt, dieses Projekt hier aufzugleisen. Da ist das hier jetzt mental eine ziemliche mentale Ohrfeige. Es wird sicher ein paar Tage dauern, bis die Suppe abgekühlt ist und man das runtergelöffelt hat. So brutal kann Sport sein. Wir werden schauen, dass wir das Schiff in Kapstadt wieder repariert bekommen. Ich denke, dass ein Neustart in Kapstadt eher unrealistisch ist. Wir hatten überlegt, noch mal Gas zu geben, aber das Risiko wäre geblieben. Man müsste auch erst einmal heil durchkommen. Ich denke, die nächsten Tage werden sein: Rücküberführung, Boot raus, Reparatur und dann Überführung nach Itajaí.