Tatjana Pokorny
· 08.01.2023
Das erste Hafenrennen im 14. The Ocean Race ist Geschichte. Mit guter Segel-Wahl und viel Konzentration kamen Boris Herrmann und sein Team Malizia am Ende des Flautenpokers als Erste ins Ziel. An Bord hatten sie dabei einen ganz besonderen Gastsegler …
Das Auftakt-Hafenrennen im 14. The Ocean Race ist beendet. Es begann zwar mit einem kraftvollen Reaching-Abschnitt, auf dem die Boote 20 Knoten und mehr Speed erreichten und auch abhoben. Anschließend aber ließ der Wind immer stärker nach. “Es war ein interessantes Rennen mit vielen Führungswechseln”, sagte “Guyot Environnement”-Co-Skipper Robert Stanjek aus Berlin. Sein französisch-deutsches Team mit Skipper Benjamin Dutreux konnte sich nach gutem Start zwischenzeitlich auf Rang zwei vorarbeiten. Im Ziel wurde daraus Platz vier. Insgesamt hatten vier der fünf Imocas mindestens einmal während des Rennens die Führung inne.
Strahlende Sieger der Nervenschlacht waren an diesem 8. Januar Boris Herrmann und seine Crew. Erst vier Tage zuvor hatte Team Malizia seinem Boot neue Foils verpassen müssen, die sich bislang als gut und passend erweisen. Mit gelungener Wahl der Segel, viel Konzentration, Nico Lunven am Steuer und Boris Herrmann als Floater gelang der Auftakt-Coup vor Alicante.
Auch wenn die Hafenrennen nicht direkt in die Wertung der Weltumsegelung einfließen, kann die Platzierung der Teams in der Gesamtwertung der Hafenrennen durchaus von großer Bedeutung sein. Sind Teams am Ende der Weltumsegelung punktgleich, entscheidet die bessere Platzierung in der In-Port-Race-Wertung. Weshalb alle Mannschaften diese Punkte gern mitnehmen.
Auch Boris Herrmann freute sich über den Erfolg, obwohl er vor dem Start des Hafenrennens etwas abergläubisch darauf hingewiesen hatte, dass man ein Auftaktrennen eigentlich nicht gewinnen wolle. Das hat ihn nicht vom Siegen abgehalten. Der 41-jährige Hamburger hat eine Woche vor dem Beginn der ersten Etappe seiner Ocean-Race-Premiere beim ersten Import Race nicht nur ein beharrlich arbeitendes Team an Bord. Mit Butch Dalrymple Smith war außerdem ein historischer Ocean-Race-Sieger als Gast mit von der Partie.
Der frühere Chefdesigner von Camper & Nicholson, ehemalige Partner von Ron Holland und erster Sieger im Whitbread Round the World Race 1973/1974 mit dem Mexikaner Ramón Carlin auf dessen “Sayula II”, brachte offenbar den Siegergeist von einst mit. Nach Team Malizias Erfolg im Hafenrennen sagte Butch Dalrymple Smith an Bord augenzwinkernd, dass ihm der Sieg fast ein bisschen peinlich sei, weil er am Sonntagabend derjenige sein würde, der die Sieger ehrt. Und damit 50 Jahre nach dem Whitbread-Triumph mit den Mexikanern um Ramón Carlin auch sich selbst …
Viel hat dieses erste Hafenrennen noch nicht über die Stärken und Schwächen der Imocas und ihrer Crews im 14. The Ocean Race verraten. Zu leicht und unbeständig waren die Winde, als dass aussagekräftige Schlüsse möglich wären.
Unübersehbar war, wie Top-Favorit 11th Hour Racing anfangs kraftvoll davonzog. Ebenso offensichtlich war der Fehler, den die Crew in Abwesenheit ihres Skippers Charlie Enright beging, der sich nach einem positiven Covid-Test vorsichtshalber selbst aus dem Rennen genommen hatte.
Nach imposantem Auftakt überstand das Team 11th Hour Racing eine Anlegelinie so weit, dass es als führendes Boot gleich mehrere Plätze verlor. Im Ziel reichte es nach gelungener Aufholjagd schließlich noch zu Platz zwei vor Paul Meilhats “Biotherm”. Den letzten Platz belegte trotz zwischenzeitlicher Führung hinter dem viertplatzierten Guyot Environnement – Team Europe Kevin Escoffiers Team Holcim – PRB.
Während die im Rennen um die Welt zu mehr als 90 Prozent eingesetzten Autopiloten beim Hafenrennen noch Pause hatten, machte an Bord von “Malizia – Seaexplorer” Nico Lunven an “Malizias” langer Pinne einen souveränen und ruhigen Eindruck. Immer wieder besprach sich der Franzose mit Skipper Boris Herrmann, der als Floater sehr beweglich agierte. Auch wirkte die Crew-Arbeit an Bord von “Malizia – Seaexplorer” unter Deck wie an einem Schaltpult – gut koordiniert und effektiv. Übersicht und Ergonomie wurden im Team unter deutscher Flagge als ein Erfolgsfaktor wahrgenommen.
Skurriler war das Hafenrennen für die Flotte der sechs VO65er am früheren Nachmittag verlaufen. Nur das WindWhisper Racing Team hatte die Ziellinie in den quälend leichten Winden im Zeitlimit erreicht und sich damit sechs Punkte gesichert. Alle weiteren fünf Teams waren mit null Punkten leer ausgegangen. Die Flotte der VO65-Yachten bestreitet unter Ocean-Race-Dach nur drei der sieben Etappen um die Welt. Ihr Wettbewerb heißt The Ocean VO65 Sprint Cup.