MeinungDas Boot des Lebens oder der Zauber neuer Anfänge?

YACHT-Redaktion

 · 08.04.2023

Meinung: Das Boot des Lebens oder der Zauber neuer Anfänge?

YACHT-Woche – Der Rückblick


Liebe Leserinnen und Leser,

es gibt Segler, die ihr ganzes Leben lang dasselbe Boot besitzen. Wenn draußen am Mast ein Fall schlägt, wissen sie vom Ton schon genau, um welche Leine es sich handelt. Sie kennen ihr Boot vom Kielbolzen bis zum Windex, haben es in den vielen Jahren genau kennengelernt und nach den eigenen Wünschen gestaltet. Sie hegen und pflegen es und genießen jede Saison damit.

Ist ein Schiff erst mal technisch und optisch auf einen guten Stand gebracht, dann geht es in den Winterlagerarbeiten vorwiegend darum, den Zustand zu erhalten und saisonbedingte Abnutzungserscheinungen zu beheben. Häufig sind es dieselben Arbeiten wie bereits im Vorjahr: Antifouling auftragen, polieren, eine kleine Liste von Mängeln abarbeiten – und schon steht dem Einkranen zu Saisonbeginn nichts mehr im Wege. Beim Maststellen weiß solch ein langjähriger Eigner dann genau, welcher Bolzen wohin kommt und wie er die Leinen zu legen und fixieren hat, damit alles problemlos abläuft. Kurz nach dem Einkranen wird das Boot an den Liegeplatz verholt, an dem es bereits seit vielen Jahren liegt. In einer optimierten Box, mit auf passende Länge gespleißten Leinen und einem am Steg angenagelten Fußabtreter.

Mitunter werde ich ein wenig neidisch, wenn ich solche Eigner treffe und kennenlerne. Menschen, die ihr (Segler-)Leben derart perfektioniert und eine gewisse Routine entwickelt haben.

Denn ich selbst – so empfinde ich es zumindest – fange fast jedes Jahr wieder völlig von vorn an.

In den bislang 24 Jahren meines Seglerlebens hatte ich schon 14 Segelboote. Das erste war eine Jolle, alle anderen Fahrtenboote. Ein Schwertboot, ein Kielschwerter, zwei Katamarane, neun Kielboote.

Warum der ständige Wechsel, fast alle zwei Jahre? Warum immer wieder kleine bis mittelgroße Baustellen? Liegt es an einer gewissen Veranlagung zum Masochismus?

Wenn ich das wüsste. Vor allem ging es immer wieder darum, das perfekte Schiff zu finden.

Möglichst bezahlbar. Begonnen habe ich als Schüler, dann als Student, dann als Auszubildender. Zu Beginn waren es deshalb immer alte Boote, die ich kreuz und quer in Europa gekauft, seeklar gemacht, nach Hause überführt und dann dort weiter renoviert habe. Doch selten hatte ich das Schiff länger als ein Jahr. Die Statistik wird durch zwei Boote verzerrt, die ich deutlich länger besessen habe, ganze fünf Jahre: eine Contest 33 und einen Katamaran vom Typ Belize 43.

Alle anderen Boote waren wesentlich kurzlebiger. Statt Antifouling malen und Polieren ging es meist erst mal an größere Baustellen. Ein Schiff, das ich vor vielen Jahren gekauft habe, lag lange festgewachsen in einem Fluss in Holland. Der Motor im Eimer, am Unterwasserschiff ein längerer Bart, als ich 22-Jähriger mir damals wachsen lassen konnte, darunter große Osmosenester. Der Voreigner war vor langer Zeit verstorben, und so fanden wir an Bord Lebensmittel, die bereits seit zwölf Jahren abgelaufen waren. Doch nach etlichen Fahrten nach Holland glänzte das Boot wieder schneeweiß, und als wir einige Monate später aus dem Nord-Ostsee-Kanal in die Kieler Förde tuckerten … hatte ich bereits das nächstgrößere Boot gefunden.

Fast alle meine Boote wurden übrigens „mit Pütt un Pann“ übergeben, also all den Dingen, die ein Voreigner im Laufe eines Seglerlebens ansammelt. Sie mussten erst mal entrümpelt werden. Eine Arbeit, die schnelle Ergebnisse liefert. Etwas kniffelig war es jedoch immer, wenn sich auf Booten alte Seenotmunition fand, die schwer zu entsorgen war. Mein Rekord liegt bei einem Fund von drei Signalraketen, die seit 1986 abgelaufen waren.

Ein anderes Boot habe ich mal zweckgebunden gekauft, um meiner (damals) neuen Freundin das Segeln beizubringen. Die kleine Hurley 22 kostete knapp über 1.000 Euro, leckte bereits bei der ersten Überfahrt, und wir schliefen eigentlich immer auf feuchten bis nassen Kojen. Doch das Schiff erfüllte in seiner ersten (und einzigen) Segelsaison seinen Zweck: Mittlerweile ist meine Freundin meine Frau, und wir haben in den vergangenen Jahren zusammen 30.000 Seemeilen geloggt.

In der Corona-Zeit waren wir dann aber eigentlich ganz froh, mal kein Boot zu haben. Denn Segeln war ja ohnehin nur unter Einschränkungen möglich. Doch plötzlich bot uns ein Freund sein Schiff in Griechenland an. Einem Revier, das wir überhaupt noch nicht kannten. Zugleich war unser zweites Kind auf dem Weg, und wir überlegten, mit unseren beiden Jungs eine Elternzeit unter Segeln einzulegen. Vor uns lagen also einige Puzzleteile. Und plötzlich passten die alle zusammen – und das Schiff war ungesehen gekauft.

Es hatte drei Jahre an Land gestanden, schien zunächst in gutem Zustand. Doch der Zahn der Zeit hatte bereits genagt. Der Motor sprang nicht an, die Trinkwassertanks waren drei Jahre voll Wasser gewesen und kontaminiert, die Batterien platt. Vor Beginn der Reise ging es also wieder darum, über mehrere Wochen Arbeit ein Schiff „wiederzubeleben“.

Dieses Boot wollten wir nun etwas länger besitzen. Während der ganzen sechs Monate auf Elternzeit unter Segeln im Mittelmeer (sie lesen demnächst hier davon …) planten wir, wo genau an der Ostsee wir das Boot hinlegen und welche unsere Ziele in den Sommerferien werden würden.

Doch als wir nach 1.300 Seemeilen in Italien die Leinen festmachten, von wo das Boot dann irgendwann mit dem Tieflader nach Deutschland gelangen sollte, hatten wir uns an das Mittelmeer gewöhnt und die Sehnsucht war schon wieder groß. Zwei Wochen später hatte ich das Schiff bereits verkauft.

Schiff Nummer 14 ist nun wieder ein Katamaran, eine französische Mahé 36 von Fountaine Pajot. Ein Boot, das das Potenzial hat, nun wirklich längerfristig unseres zu sein. Von der Größe her optimal für uns vierköpfige Familie, selbst wenn die Kinder mal etwas größer werden. Und der Liegeplatz in Griechenland gibt uns Gelegenheit, in den nächsten Jahren den Rest des Mittelmeeres kennenzulernen. Jedes Jahr in den Sommerferien eine weitere Etappe, ganz vom Osten des Meeres hinüber in den Westen zum Atlantik, dann über Portugal (die Azoren?) und Frankreich nach Hause.

Nicht, weil wir das Schiff so gern in der Ostsee haben würden. Eigentlich ergibt das sogar wenig Sinn. Dort waren wir schon elf Jahre nicht mehr segeln. Sondern eher, weil der Weg das Ziel ist und zwischen dem Ort des Kaufs und unserem Zuhause in Schleswig-Holstein unheimlich viel Wasser liegt, das unsere Buge noch nicht gekreuzt haben. Wenn wir dann in Deutschland sind, sehen wir weiter. Oder segeln zurück.

Das Boot ist eigentlich in einem guten Zustand, eignergepflegt und unverbastelt. Aber auch mit einem gewissen Wartungsstau. Die Batterien und Leinen sind hinüber, die Motoren mit geringer Laufleistung, aber rostig, die Polster durchgerieben und die Elektronik spärlich und veraltet. Da wir das Boot wie gesagt länger behalten wollen, werden viele kleine Baustellen auch gleich etwas ausgeweitet, „dann muss man da nicht bald wieder ran“. Statt die Batterien gegen normale Blei-Säure-Batterien zu tauschen, wechseln wir auf Lithium, was natürlich auch die Umrüstung der Ladetechnik und Co mit sich zieht. Eine ganze Palette mit Ausrüstung geht kommende Woche auf den Weg nach Griechenland.

„Wäre es nicht viel einfacher, wenn ihr jedes Jahr ein paar Wochen chartert?“, wurde ich neulich gefragt, „dann habt ihr immer andere Boote und müsst nicht erst basteln“

Ein gutes Argument. Ein sehr gutes sogar.

Für das gleiche Geld (oder sogar weniger …) könnte man auch in exotische Reviere fliegen, an den schönsten Orten der Welt segeln gehen und das Boot danach einfach sorgenfrei wieder abgeben.

Doch ich weiß nicht, woran es liegt. Vermutlich gibt es keine rationalen Gründe. Aber wir sind einfach keine Chartersegler.

Zumindest nicht von tiefstem Herzen. Wir freuen uns zwar immer sehr, wenn wir die Gelegenheit dazu bekommen – und es ist auch keineswegs so, dass ich Chartersegeln oder Eignersegeln unterschiedlich bewerte. Menschen sind eben unterschiedlich, beide Arten zu segeln sind toll, und jede Vorliebe hat durchaus ihre Berechtigung. Genau genommen ist Chartersegeln, also sich ein Boot mit mehreren Leuten zu teilen, vermutlich sogar nachhaltiger und ergibt mehr Sinn.

Doch den höchsten Grad an Erfüllung spüren wir erst, wenn wir diese immer gleiche Abfolge durchlaufen haben: ein altes Boot kaufen, es auf Vordermann bringen und dann eine erfolgreiche Reise damit unternehmen. Sich die Reise vorher verdienen. Das gehört für mich irgendwie zusammen. So wie bei einer elektrischen Eisenbahn: erst bauen, dann fahren.

Und frei nach Hermann Hesse liegt ja ohnehin jedem Anfang ein gewisser Zauber inne. Die Übernahme eines neuen Schiffes ist immer ein ganz besonderer Moment. Ein Gefühl, als wäre man frisch verliebt und würde den neuen Partner langsam kennenlernen. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb ich immer wieder andere Boote gekauft habe.

Bemerkung am Rande: Meine Frau ist aber in all den Jahren dieselbe geblieben 😉

Johannes Erdmann, Redakteur YACHT

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