Jochen Rieker
· 21.01.2023
Die Gewinner der Bootsbau-Oscars 2023 ! Das zeichnet Europas Yachten des Jahres aus, so lautet das Votum der Jury
Genau 20 Jahre gibt es die von der YACHT initiierte internationale Bestenwahl zu Europas Yachten des Jahres nun schon. Weder die Finanz- und Wirtschaftskrise noch die Pandemie konnten den European Yacht of the Year Award je stoppen. Nur die Verleihung musste in den vergangenen beiden Jahren verlegt werden: Weil die boot Düsseldorf ausfiel, wo sonst die Vergabe der Bootsbau-Oscars vor gut 400 geladenen Gästen der Wassersportbranche stets den Auftakt der Messe bildete, fand das feierliche Finale ausnahmsweise im Internet statt.
Die Tests jedoch, Dreh- und Angelpunkt für die Ermittlung von Europas Yachten des Jahres, konnten selbst in Zeiten starker Reiseeinschränkungen stets durchgeführt werden. Sie sind es, die den Preis zur wertvollsten Auszeichnung weltweit machen. Keine andere Wahl folgt einem so aufwändigen Verfahren. Das wissen auch die Werften zu schätzen, die bei den mehrtägigen Seatrials nicht nur ihr eigenes Boot präsentieren, sondern oft auch gegen ihre direkten Konkurrenten im Markt segeln können. „Es ist ein beeindruckender Event“, sagt Yann Masselot, Markenchef von Beneteau, der diesmal gleich vier Nominierte am Start hatte. „Sehr professionell, sehr gut organisiert. Und egal ob man gewinnt oder nicht – dabei zu sein lohnt sich in jedem Fall.“
Im vorigen Herbst trafen sich die zwölf Jurymitglieder zuerst in La Rochelle im Westen Frankreichs und wenige Wochen später im katalanischen Port Ginesta unweit von Barcelona; zwei Destinationen, die schon mehrfach Austragungsorte für Europas Yacht des Jahres waren und erneut beste Testbedingungen boten.
Mit gleich zwei Siegen von Booten französischer Marken zementierte die wichtigste Yachtbau-Nation der Welt ihre Ausnahmestellung. Frankreich führt praktisch uneinholbar mit 36 Titeln vor Deutschland mit zehn sowie Dänemark und Italien mit je acht. In der Markenwertung vergrößert Beneteau seinen Abstand um einen auf jetzt neun Siege – fast so viel wie alle deutschen Hersteller zusammen. Wobei der jüngste Titelträger, die First 36, streng genommen eigentlich aus Slowenien kommt.
So viele Boote kürten die Juroren, seit vor 20 Jahren der bis heute anerkannteste Modus für die Selektion der Sieger Premiere feierte. Mehr als 400 Yachten waren insgesamt nominiert.
Diese Strecke haben die Juroren bei den Tests zurückgelegt. Das entspricht rund zehn Atlantik-Passagen oder mehr als der Route um die Welt bei The Ocean Race (32.000 nm).
Kann alles, und das praktisch fehlerfrei. Die schnörkellose Schwedin begeisterte im Test – trotz ihres Preises
Dies ist das eine Boot, das die Wunschliste vieler Segler so ziemlich in Gänze erfüllt. Die Linjett 39 kombiniert Robustheit und Stabilität mit der ersehnten Balance auf dem Ruder, die Kontrolle, Vergnügen und Selbstvertrauen vermittelt. Sie reagiert bei Leichtwind lebendig und macht die Crew auch bei 20 Knoten Wind nicht nervös, wenn diese den großen asymmetrischen Spi setzt. Im Gegenteil: Sie lädt geradezu dazu ein, die extrem hohen Stabilitätsgrenzen auszuloten.
Die Schwedin sitzt dabei bequem im Sweet-Spot zwischen Fahrten-, Luxus- und Performance-Segment und glänzt in so vielen Bereichen, dass Sie sie ohne jeden Zweifel Ihren liebsten Freunden empfehlen können. Unter Deck vermittelt sie mit ihren feinen Holzarbeiten und ihrer großartigen Ergonomie das heimelige Gefühl einer wirklich handgefertigten Yacht. Da die Stückzahlen klein, die Wege kurz und die Hierarchien extrem flach sind in der nördlich von Stockholm gelegenen Rosättra-Werft, bietet sie künftigen Eignern zudem weitreichende Möglichkeiten der Anpassung. Man kann also sein eigenes Unikat konfigurieren, ohne freilich Experimente eingehen zu müssen.
Die Linjett 39 wirkt mit ihrem sich leicht verjüngenden Heck und dem langen Aufbau, mit ihrem schrägen Steven und den breiten Laufdecks wie ein moderner Klassiker. So in etwa sahen vor 20, 25 Jahren Swans aus. Doch es wäre falsch, das Boot als Retro-Design zu bezeichnen. Denn auch bei der Schwedin ist der Freibord gewachsen, das Längen-Breiten-Verhältnis gesunken – nur eben nicht in gleichem Maße wie bei Großserienyachten, die mehr dem Zeitgeist folgen und längst extremere Rumpfformen adaptiert haben.
Die Linjett geht da bewusst einen anderen, ihren eigenen Weg. Das gilt für ihre Linien ebenso wie für ihre inneren Werte, die unkompromittierbar scheinen. Die Werft baut sehr aufwändig, sehr robust, dabei aber für ein Fahrtenboot relativ leicht. Die Schaumkerne im Rumpf sind CNC-gefräst und so passgenau, dass keine Hohlräume bleiben, die sich beim Laminieren mit Harz füllen können. Und das ist nur eines von vielen Beispielen, welche die Linjett 39 zu einer Klasse für sich machen.
Für Beneteau ist dies eine ungewöhnlich mutige Neuentwicklung – und ein triumphaler Erfolg
Es ist eine Kategorie voller wunderbarer Segelboote. Umso erstaunlicher, dass die Yacht, die es dieses Jahr an die Spitze schaffte, am bescheidensten daherkommt – zumindest in Bezug auf das Design und, wichtiger noch, ihre Verdrängung. Die First 36 von Beneteau verdankt ihren Sieg, den sie mit einigem Vorsprung errang, nicht zuletzt der Tatsache, dass sie als Einzige der Nominierten schon bei mäßiger Brise raumschots ins Gleiten kommt. Aber das ist nicht alles.
Die in Slowenien bei Seascape konzipierte und in Lizenz gebaute Beneteau bietet auch das beste Arbeitscockpit: mit ideal positionierten Winschen, Blöcken und hervorragend platzierten Steuerrädern, die sowohl das Segeln mit kleiner als auch mit voller Crew unterstützen. Ihre Reaktionsfreudigkeit auf dem Ruder ist fantastisch, ihr Geschwindigkeitspotenzial herausragend. Auch deshalb entschied sie vorigen Sommer den YACHT-Vergleichstest der Performance-Cruiser um elf Meter Rumpflänge seglerisch für sich. Einzig die Leistungsfähigkeit in Bezug auf ihren Rennwert hat sie noch nicht unter Beweis gestellt. Wer in erster Linie Regatten segeln will, wird hier noch auf aussagekräftige Ergebnisse warten müssen, die nach Angaben der Werft in dieser Saison folgen sollen.
Für ambitionierte Fahrtensegler aber ist der Fall klar: Sie werden kaum ein besseres Gesamtpaket in dieser Größe am Markt finden. Denn selbst das Raumangebot unter Deck fühlt sich prima an – trotz zweier Unzulänglichkeiten: dem Mangel an leicht zugänglichem Stauraum im Salon und dem eher winzigen Badezimmer. Dafür stimmen Kojenmaße, Licht und Sicht sowie die klare, zeitlose Gestaltung unter Deck.
Hier ist er also: der wirklich moderne schnelle Kreuzer, der es wagt, anders zu sein, und den sich noch nicht genug Großserienwerften zu bauen trauen. Die First 36 wird zweifellos ein breites Lächeln auf das Gesicht ihrer Eigner zaubern, sobald der Wind nur ein wenig auffrischt und das Boot sein eigenes Wellensystem achteraus lässt. Schon zuvor mehrfach ausgezeichnet, fügt sie ihrer Trophäensammlung mit dem Sieg bei Europas Yacht des Jahres die wichtigste hinzu: Oscar-würdig!
Die Kleinste im arrivierten Programm der Briten war für die Juroren die Größte – trotz extravaganten Designs
Das Boot, das die Juroren während der Tests vor Port Ginesta segelten, war wie sein Eigner: exzentrisch. Es gehört Eddie Jordan, dem ehemaligen Formel-1-Rennstallbesitzer, der die See liebt, aber eine ausgeprägte Abneigung gegen weiße Yachten pflegt. So ließ er seine 495 außen im wilden Graffiti-Stil folieren und unter Deck in höchst erlesene, aber psychedelisch gemusterte Polsterstoffe kleiden. Weil das arg eigenwillig wirkt, zeigen wir hier Bilder einer Yacht im Serienzustand – und erwähnen das Styling von Eddie Jordans Boot, das Sie auf YACHT online sehen können, nur als Beleg dafür, wie weit die britische Nobelwerft bei der Erfüllung von Eignerwünschen geht. Diese Art von Customizing ist in der Luxus-Kategorie gefragt, und kaum eine Marke des Top-Segments zeigt sich dabei so offen wie Oyster. Die Bereitschaft zur Individualisierung geht über das bloß Visuelle weit hinaus. Auch in Bezug auf die technische Ausrüstung offerieren die Briten reichlich Spielräume.
Andererseits könnte man die 495 in der Standardkonfiguration ordern und damit auf Langfahrt gehen. Denn sie ist bis hin zu den elektrischen Schotwinschen erfreulich komplett ausgestattet, was sich im sehr hohen Grundpreis widerspiegelt. In den Rumpflinien zeigt sie sich als die derzeit modernste, auch aufgeräumteste Yacht der Oyster-Flotte. Die große Breite, die sich bis achtern durchzieht, und der hohe Freibord schaffen enorm viel Volumen unter Deck. Die weiten Laufdecks und der relativ flache Deckssalon-Aufbau vermitteln dennoch Klasse und Rasse. Über jeden Zweifel erhaben ist die Konstruktion: so beruhigend stark, bei grober See so unerschütterlich, so großartig zu dirigieren von den beiden Steuerständen, so einfach zu handhaben und so, so bequem, wenn man sich in ihre Wohnräume zurückzieht! Als das kleinste Angebot von Oyster muss man bei ihr keine großen Kompromisse eingehen. Sie bietet in gewisser Weise sogar noch mehr Luxus als ihre größeren Geschwister, denn sie lässt sich leicht allein oder vom Eignerpaar handhaben, ohne dass eine zusätzliche Hand benötigt wird. Und dann ist da dieser hochglanzpolierte Edelstahlbeschlag an der Niedergangsluke, der das Boot wie einen Safe verschließt. Eine Klasse für sich!
Die zu Bavaria gehörende Marke hat mit ihrem jüngsten Kat einen famosen Allrounder entwickelt. Chapeau!
Die Nachfrage und das Angebot auf dem Markt für Mehrrumpfboote sind enorm. Das gilt auch für die Vielfalt neuer Modelle, die von Offshore-Performance-Designs bis hin zu segelnden Ferienhäusern reichen. Nautitechs neuer 44 Open liegt genau in der Mitte, und sein breites Spektrum sowie seine überzeugende Qualität machen ihn trotz starker Konkurrenz zum unumstrittenen Gewinner der diesjährigen, heiß umkämpften Mehrrumpfkategorie.
Der Kat mit den beiden Steuerständen achtern kommt in seiner Präzision auf dem Ruder einem Einrumpfboot sehr nahe. Auch sein Geschwindigkeitspotenzial und die Wendewinkel enttäuschen nicht. Gleichzeitig liegen die Bauqualität, die ausgezeichnete Festigkeit des mit Vinylester laminierten GFK-Verbunds und die Details der Ausstattung deutlich über dem Standard. Mit dem 44 Open trifft Nautitech mit dem neuen Boot ein sehr attraktives Segment des Katamaranmarktes und dominiert es regelrecht.
Die einzigen Kompromisse, mit denen sich die Eigner abfinden müssen, sind die kleine Salonsitzgruppe und die eher schmalen Rümpfe – beides Einschränkungen, mit denen man sich gut arrangieren kann. Zum einen kompensiert das Boot den begrenzten Raum unter der zentralen Kanzel durch den großen Außensalon, der komplett mit Segeltuch verschlossen werden kann. Zum anderen verfügt der 44 Open im Ausbau über zwei Besonderheiten, die es so nicht überall gibt: den Stehtisch vor der Pantry, der sich sowohl auf See als auch im Hafen für einen Drink oder einen Snack perfekt eignet, sowie wahlweise einen Multifunktionsraum im Bugbereich des Steuerbordrumpfes. Dieser sogenannte Smart Room dient als Werkstatt und Waschküche und offeriert zudem üppigen Zusatzstauraum. Eine Option, die vor allem Eigner auf Langfahrt sehr zu schätzen wissen werden. All das macht den Nautitech rund 15 Prozent teurer als vergleichbare Kats. Wert ist er es allemal.
In der Kategorie der Kleinen fand die Jury keinen Sieger – und dennoch
gute Gründe für eine Auszeichnung
Sie sind so speziell, dass sie eine Nominierung auf jeden Fall verdient haben. In diesem Jahrgang aber erfüllte keine der drei ausgewählten Yachten die Kriterien für einen Sieg – entweder mangels Serienfertigung oder mangels Qualität. So blieb es bei einem Sonderpreis für Nachhaltigkeit.
Diesen erhält der Ecoracer 25. Ein Sportboot, das begeistert – auch in Bezug auf die Ökobilanz. Es ist fast vollständig recycelbar – daher unser Ehrenpreisträger für Nachhaltigkeit.