Michael Rinck
· 11.03.2023
Ein Bäcker aus Bergisch Gladbach baut sich ohne Vorkenntnisse autodidaktisch einen Kleinkreuzer. Haben sich die vielen Arbeits- und Lernstunden gelohnt?
„Es war mein Traum, ein Boot zu bauen.“ Andreas Scherbarth steuert seine „Ideefix“ über den im Abendlicht glitzernden Biggesee. Dieser Traum vom selbst gebauten Boot ist wahr geworden und der Erbauer und Eigner sichtlich zufrieden. Neben der Herausforderung eines solchen Projektes, das den Bäckermeister mit eigener Biobäckerei reizte, gab es noch einen weiteren entscheidenden Punkt: Sein Wunschboot gab es nicht zu kaufen. Und dabei waren die Vorstellungen nicht völlig abwegig.
Das Traumboot sollte viel Platz im Cockpit fürs Segeln mit Freunden bieten, zudem Kojen für die Familie, um auch mal am Wochenende zu übernachten, Fläche zum Sonnenbaden und auch noch Stehhöhe unter Deck. Alles Wünsche, die mit den aktuellen Trends im Bootsbau durchaus konform gehen, jedoch auf immer größeren Einheiten.
Aber ein entscheidendes Detail machte die meisten Serienbauten uninteressant für Scherbarth: Auf dem Biggesee, einer Talsperre im Sauerland, gelten strenge Größenbegrenzungen für Sportboote. Eine Boxrule gibt vor, dass 20 Quadratmeter Grundfläche nicht überschritten werden dürfen. Daraus ergeben sich grob eine Länge von acht und eine Breite von 2,5 Metern. Angehängte Ruder und Gennakerrüssel zählen nicht mit. Als Antrieb sind nur Elektromotoren zulässig.
Die Eckdaten standen also schon fest, aber Scherbarth fand keinen Kleinkreuzer unter acht Meter Länge, der seinen Wünschen entsprach. Außerdem war da ja der Traum, ein Boot selbst zu bauen, warum dann die Zeit mit der Suche nach einem passenden Serienboot verschwenden?
Auf einer Geburtstagsparty zu späterer Stunde skizzierte er in Feierlaune den ersten Entwurf auf einer Tischdecke. Auch wenn das spätere Studium anderer Entwürfe an dieser frühen Zeichnung noch einiges ändern sollte, der Name „Ideefix“ stand seitdem fest. Sein Boot, entstanden als fixe Idee auf einer Party.
Beim Stöbern in den gesammelten YACHT-Ausgaben seines Vaters stieß er auf die französische Werft RM, die Knickspanter aus Sperrholz baut. Die Bauweise schien dem im Bootsbau unerfahrenen Bäckermeister vorteilhaft, da vergleichsweise einfach. Er besorgte sich Literatur und las sich viel Bootsbauwissen an. Anfangs mangelte es noch am Verständnis vieler Fachbegriffe. „Ich hatte ja keine Ahnung, was eine Schäftung ist. Das wusste ich einfach nicht. Also habe ich erst mal Youtube-Videos geguckt und gelernt, wie das geht“, so Scherbarth. Die Lernkurve zeigt bei ihm steil nach oben, er baut sich eine eigene Schäftbank, um per Oberfräse die großen Sperrholzteile schnell und präzise miteinander verbinden zu können. Vorteil der Konstruktion aus Sperrholz ist auch die überschaubare Anzahl an Werkzeugen, die dafür nötig sind. Handkreissäge, Stichsäge, Multimaster, Schleifgerät, Oberfräse und Akkubohrer reichen aus.
Wir sind mittlerweile zwischen bewaldeten Berghängen aufgekreuzt, fallen ab, der Gennaker wird von der Rollanlage abgewickelt und bläht sich langsam im leichten Windhauch, an Steuerbord versinkt die Sonne hinter den Bergen. Wir steuern zurück zum Yacht-Club Lister, die Erzählung von Andreas Scherbarth nimmt aber erst so richtig Fahrt auf.
Weihnachten 2015 war die Idee dann so weit gereift, dass er ein erstes Modell in der Größe 1:10 fertigstellte. Das Profil der Sitzduchten im Cockpit baut er sogar als Mock-up zum Probesitzen, verändert die Maße und Winkel bis zur Zufriedenheit. Im Januar bestellt der Bäcker dann auf der boot die Materialien: Bootsbausperrholz in acht Millimeter Stärke, Mahagonileisten und Epoxid und Füller zum Verkleben. Ostern 2016 kommt die Materiallieferung, und Scherbarth beginnt im Keller unter der Backstube mit den Arbeiten. Zuerst werden Schotten und Spanten ausgesägt. Alle 60 Zentimeter wird eine solche Verstärkung platziert und mit Leisten verbunden.
Das Gerippe stellt er bis zu den Sommerferien fertig, und die Beplankung mit den Sperrholzplatten konnte beginnen. Dazu wurde das Spantengerüst kieloben gedreht. Der Rumpf der „Ideefix“ weist zwei markante Knicke auf, wo die senkrechten Bordwände durch eine diagonale Beplankung mit dem flachen Unterwasserschiff verbunden sind. Ecken und Kanten.
Bis zur nächsten Messe in Düsseldorf im Jahr 2017 war der Rumpf fertig mit zwei Lagen Sperrholz beplankt. Dabei kamen schon mal große Salzsäcke aus der Bäckerei als Beschwerung zum Einsatz, um die Sperrholzplatten an die Form des Spantengerippes anzudrücken. Zum Teil hatte Scherbarth schon vor Arbeitsbeginn in der Backstube am Kleinkreuzer gearbeitet, seine Pausen und die Freizeit nach der Arbeit gingen sämtlich in die Fortführung seines Projektes.
Wieder auf der boot, ein Jahr nach Bestellung der ersten Materialien, ordert der fleißige Selbstbauer schon das Rigg und holt sich Angebote für Segel ein. Schnell steht der Termin mit dem Segelmacher: In Abstimmung mit dem Krantermin am Club legt er den 24. Mai 2017 fest. Jetzt ist der Druck groß, das Teakdeck muss noch gelegt, der Aufbau fertiggestellt und alles mit mehreren Schichten Lack versehen werden. Die Teakstäbe hält er mit Fliesenkreuzen, kleinen Plastikteilen, die die Fugenbreite konstant halten, auf Abstand. Viele neue Aufgaben, viele erste Male macht er mit kreativen Lösungsansätzen zu Erfolgen.
Doch beim Lackieren klappt das nicht, zu groß der Tatendrang und die daraus resultierende Ungeduld für solch filigrane Arbeit. „Der einzige Punkt, an dem ich fast verzweifelt bin, waren die Lackierarbeiten. Zum Glück hatte meine Frau daran Freude und hat sehr viel mitgearbeitet“, verrät Scherbarth.
Während dieser Schilderung haben wir das Produkt dieses langen Arbeitsprozesses am Steg vertäut und sind an einen Tisch in den Vereinsräumen gewechselt. Scherbarth breitet Baupläne und unzählige Fotos aus. Es zeigt sich die akribische Vorbereitung und Planung, der es zu verdanken war, dass das Boot tatsächlich zum veranschlagten Termin fertig wurde.
Nur eine Verzögerung bei der Lieferung der Ballastträger, „Ideefix“ sollte Kimmkiele bekommen, ließ den Termin fast platzen. Als der bootsbauende Bäcker davon berichtet, ist ihm die Unruhe noch anzusehen. Zum Warten verdammt durch einen Zulieferer. Doch bevor überhaupt daran zu denken war, die Kiele unter dem Rumpf zu schrauben, musste das Boot aus dem Keller geholt werden. Die Ausfahrt war breit genug, doch dahinter ging es um eine Ecke, vorbei an einem Schuppen. Die Kurve bekam „Ideefix“ nur dank der Demontage von Türen und Anbauteilen am Schuppen, wodurch die entscheidenden Zentimeter frei wurden. Unterm Kran wurden dann die Kiele montiert.
Scherbarth beschleichen nach 14 Monaten Arbeit am eigenen Boot Zweifel: „Als es ins Wasser ging, hatte ich richtig Sorge, ob es denn überhaupt schwimmt.“ Doch das tut es. Anfangs noch etwas nach achtern vertrimmt, aber ohne Wassereinbruch und andere Überraschungen. Nachdem die Kiele doch etwas weiter vorn angebracht und der Innenballast weiter nach vorn gestaut worden war, schwamm sein Boot dann auch in der geplanten Wasserlinie.
Der Kleinkreuzer „Ideefix“ ist mit 2.400 Kilogramm nicht besonders leicht geworden, aber auch nicht übertrieben schwer. Die Kiele wiegen zusammen 300, der Innenballast zusätzlich 200 Kilogramm. Volumenmäßig segelt Andreas Scherbarth die größte Yacht im Revier. Unter den knapp 1.000 Booten auf dem Biggesee sind neben vielen Jollen besonders H-Boote, Biga 26, Dehlya, First 235 und Varianta 18 vertreten. Mit seinem kantigen Eigenbau hat sich der Bäckermeister schon sehr dicht an die maximal erlaubte Grundfläche angenähert.
Am nächsten Tag geht es noch mal aufs Wasser. Nach dem Feierabendschlag bei sehr leichter Brise lassen sich jetzt die Segeleigenschaften beurteilten – und die können sich sehen lassen. Am zehn Meter langen Mast trägt der Knickspanter 40 Quadratmeter Laminatsegel. Das Groß wird nicht durch ein Achterstag eingeengt und ist weit ausgestellt – genau richtig für das Leichtwindrevier. Das Boot kommt damit gut in Fahrt und lässt sich einfach dirigieren. Die Doppelruderanlage funktioniert erstaunlich gut. Von geringfügigem Spiel abgesehen, hält sie das kleine große Boot gut auf Kurs und überrascht sogar beim Hafenmanöver rückwärts durch volle Kontrolle.
Zudem ist die Ruderanlage, die mit dem Traveller am Heck eine Einheit bildet, so konstruiert, dass sie mit wenigen Handgriffen abgenommen werden kann. Die Schubstangen werden ausgehakt, die Ruderblätter bleiben am Spiegel, und Traveller und Pinne können an der Großschottalje hängend neben das Boot geschwenkt werden. So wird das Cockpit achtern frei zum Ein- und Aussteigen beim Badestopp. Diese einzigartige Konstruktion ist aber nur ein Beispiel unzähliger praktischer Selbstbaulösungen, die Andreas Scherbarth sich für seinen Erstling hat einfallen lassen.
Die Fallen vom Mast werden nach achtern umgelenkt und laufen auf dem Aufbau in einen selbst konstruierten Konstriktorklemmenblock. Lange hat Scherbarth mit verschiedenen Tauwerkdurchmessern und -herstellern und dazu passenden Mantelgeflechten herumprobiert, bis die richtige Kombination gefunden war. Bei der bekneift sich das Fall im Tauwerkschlauch, ist aber auch per Zug am Bändsel leicht wieder zu öffnen.
Die Vorschot sowie die Bedienleinen der Rollanlagen für Fock und Gennaker sowie den Gennakerbaum laufen unter Deck durch Aluminiumverbundrohre, die sich einfach in Form biegen lassen. Die Leinen erscheinen dann achtern wieder in einem Schwalbennest im Süll. Ein abnehmbarer Verschluss ist so dimensioniert, dass er beim Segeln im Backskistendeckel darunter gestaut werden kann. Das Vorluk ist keine der üblichen Standardlösungen von Gebo oder Lewmar, sondern besteht – selbst gefertigt – aus Acrylglas, Leisten und Dichtgummi.
Der Außenborder von Torqeedo ist komplett von seiner Verkleidung befreit, der Schaft abgesägt und dadurch extrem kompakt geworden. So kann er in eine eigens entworfene Halterung am Heck gesteckt werden und ist damit fast unsichtbar. Beim Segeln findet er Platz in einem kleinen Stauraum, mit Strom wird er per Steckdose im Spiegel versorgt. Selbst der Bootshaken erfüllt zwei Funktionen und ist auf der einen Seite Paddel und auf der anderen Piekhaken.
Unter Deck von Kleinkreuzer “Ideefix” setzen sich dieser Einfallsreichtum und die Liebe zum Detail fort: Das Niedergangsschott konvertiert durch Herunterklappen zu den Niedergangsstufen. Darunter befindet sich in einer Schublade das kleine, aber ausreichende Kühlfach – natürlich selbst entworfen und gebaut. Im Innenraum sind einige der Holzflächen weiß lackiert, und die Fenster lassen viel Licht herein, das macht die Kajüte sehr schön hell. Vier Kojen, eine Chemietoilette und eine kleine Pantry machen den Kleinkreuzer zudem zu einem vollwertigen Tourenboot.
Auch an Stauraum, zum Beispiel in den Hundekojen, mangelt es nicht. Doch bis das Rigg endlich stand und der erste Schlag gesegelt werden konnte, war Scherbarth, der in der Theorie alles genau geplant hatte, verständlicherweise selbst unsicher, ob dann auch alles funktioniert. „Das Ganze war ein Risiko. Aber im Zweifel hätte ich einfach zwei Elektromotoren eingebaut, einen Zapfhahn drauf und hätte ein Partyschiff daraus gemacht“, sagt er scherzend.
Doch die Freude ist ihm anzusehen, dass es dann doch anders gekommen ist und sein Entwurf bei leichter Brise über den Stausee segelt. Etwas behäbig ist „Ideefix“ bei diesen Bedingungen schon. Mit der hohen Formstabilität durch den breiten und kantigen Rumpf sowie dem aufrichtenden Moment aus zwei Kielen plus Innenballast ist das Boot so jedoch auch für Küstentörns fernab seines Binnenreviers qualifiziert.
Schon allein die Möglichkeit, den knuffigen Kreuzer auf einen Trailer legen zu können und zu weitaus größeren Revieren aufzubrechen, genügt dem Eigner aber. Im Sommer segelt er ohnehin jedes Jahr mit seinem Bruder auf einer 15 Meter langen Stahlketsch. Von Stralsund aus gehen sie dann auf Törn.
Die meiste Zeit verbringt er aber auf seinem selbst gebauten Kleinkreuzer. Das ist die Verwirklichung eines Traumes. Die hat sich Andreas Scherbarth auch einiges kosten lassen. Denn trotz des Baus in Eigenregie war das Projekt nicht billig.
Allein Holz und Harz haben 14.000 Euro gekostet. Weitere 15.000 Euro wurden für das Zweisalingsrigg und die hochwertigen Segel fällig. Dazu summierten sich für Beschläge, Tauwerk, Polster und Ausrüstung sowie Kleinteile noch 6.000 Euro. Macht eine Summe von rund 35.000 Euro für ein Boot genau nach eigenen Vorstellungen und die Verwirklichung eines Traumes.
Aus der Sicht des Hobby-Werftchefs ist das ein fairer Preis. Auch wenn die Bauzeit eine anstrengende Phase war: Der Bäcker, der zum Bootsbauer wurde, steckt noch voller Ideen. Offenbar reift in seinem Kopf bereits das nächste Projekt.