„Kathena nui“Das Segelboot, das Wilfried Erdmann um die Welt brachte

Marc Bielefeld

 · 14.05.2023

Ein Mann und sein Boot: Wilfried Erdmann auf der „Kathena nui“ bei einem Schlag auf der Ostsee
Foto: Kym Erdmann
Die „Kathena nui” von Wilfried Erdmann im Detail

Zweimal segelte Wilfried Erdmann auf ihr nonstop um die Welt – und machte die „Kathena nui“ durch diese Großtaten zur berühmtesten deutschen Yacht. Zwischen Skipper und Schiff erwuchs eine wohl einmalig innige Beziehung, gestützt auf herrlich altbackene Tugenden: Einfachheit, Zuverlässigkeit, Bescheidenheit. 2016 ist YACHT Redakteur Marc Bielefeld auf dem legendären Segelboot zu Gast gewesen. Es war ein Bordbesuch der besonderen Art.

So also sieht Understatement zur See aus. Kein Lackkleid, das glänzt. Kein poliertes Messing, das prahlt. Keine blitzenden Instrumenten-paneele, kein beledertes Steuerrad. Was zuerst ins Auge fällt, ist eine lange Holzpinne, auf der die derbe Kette der Windsteueranlage einrastet. Die schlichte Plicht, von Wind und Salzwasser zerwaschenes Teak. Nein, keine Eitelkeiten. Diese Yacht schmückt sich nicht. Das hat sie auch nicht nötig. Die „Kathena nui“ ist das berühmteste Segelschiff der Republik. Sie braucht keine Show.

So also sieht eine Yacht aus, der ein Skipper sein Leben anvertrauen kann. Auch dann, wenn der Teufel kommt. Wenn der Orkan über ihn herfällt und er im Agulhasstrom kurz vor dem Kap der Guten Hoffnung dieselbe verliert. Wenn so brutale Wellen und Böen aufs Schiff eindreschen, dass der Mast erst in Lee waagerecht in die See gepresst wird, kurz darauf in Luv. Und wenn das Bord­leben darin besteht, unten auf dem Kajüt­boden zu liegen, sich festzukrallen und zu beten. Chaos­meer, Todeszone. Wo nur noch eine Option bleibt und keine Wahl: Verlasse dich auf dieses Schiff und traue ihm zu, dass es all die mörderischen Schläge wegsteckt.

Dass es fürs Erdulden solcher Extreme gemacht ist, danach sieht es schon auf den ersten Blick aus. Da ist dieser leidgeprüfte Rumpf, blankes Aluminium. Dieses berühmte Silber, ohne Anstrich. Sogar an Deck keine geschliffenen Schweißnähte. Faltig sind sie, stark. Da sind die dicken Wanten, die massiven Püttinge. Da ist der schmale Einstieg vom Brückendeck in den Niedergang. Statt großer Sprayhood zwei metallene Haltebügel. U-Boot-Charakter. Nein, kein Schiff für zierliche Regatten – ein Boot für andere Maßstäbe.

Zwei Mal segelte Wilfried Erdmann die “Kathena nui” um die Welt

So sieht ein Segelboot aus, die in Deutschland ablegt und auch dort erst wieder anlegt. Dazwischen die ganze Erde, alle großen Kaps an den Enden der Welt. Ohne Stopp, ohne einmal vor Anker zu gehen. Nur Meer. Nur bleierne Flauten. Und nur hartes Wetter, das zu Schmirgelpapier werdende Sturmmeer. Und Einsamkeit. Wochenlang, mo­natelang.

Das also ist sie, die einzige Yacht der Welt, die auf so unerschrockene Weise gleich in beide Richtungen nonstop um den Globus gesegelt ist. Einmal nach Osten abdrehend durch die südlichen Meere, danach die Folter gen Westen. Der Höllenritt gegen alle vorherrschenden Winde. 30183 See­meilen hat sie bei dem ersten Wahnsinns­törn am Stück gemacht, 1984/85, von Kiel nach Kiel. Sechzehn Jahre später die nächsten 31263 Seemeilen, von Cuxhaven nach Cuxhaven.

Es braucht keine großen Worte. Ein paar Zahlen sagen alles, was es zu sagen gibt: 271 und 343 – so viele Seetage hat dieses Boot jeweils ohne Unterbrechung achteraus gelassen. Macht fast zwei Jahre nonstop auf den offenen Ozeanen.

2016 kommt das Segelboot wieder ins Wasser

Es ist Mitte April 2016 an der Schlei, seit zwei Stunden liegt die „Kathena nui“ wieder im Wasser – abgesehen von einem kurzen Intermezzo vorigen Sommer, nach 15 Jahren an Land! Seit der Nonstop-Weltumsegelung gegen den Wind lag sie aufgepallt neben dem Haus ihres Eigners in Goltoft. Dann haben Astrid und Wilfried Erdmann sie in der Saison 2015 kurz zu Wasser gebracht, ein Werftaufenthalt, ein paar Probeschläge. Aber jetzt wird es langsam ernst.

Kaum steht der Mast, geht Wilfried Erdmann mit wohlwollend wachen Blicken über sein Segelboot. Spaziert übers Vordeck, verschwindet in der Kajüte. So benehmen sich viele Eigner dieser Tage, und ein unbedarfter Beobachter wird in dieser Szene nichts Aufregendes erkennen, nichts Extravagantes. Ein Skipper macht sein Schiff klar, eine unauffällige Zehn-Meter-Yacht, sie zählt eher zu den kleinen. Schnörkellos ist sie, eher derb. Schon ein bisschen älter. Eine Fahrtenyacht ohne Luxus und Tamtam. Hat ja nicht mal Rollfock. Besitzt ja nicht mal Handläufe aus Holz. Alles Metall. Bestimmt irgend so ein Eigenbrötlerkahn.

Das könnte vermuten, wer keinen blassen Schimmer hat. Wer nicht weiß, dass dieses Schiff zweimal Kap Hoorn gerundet, sich in zehn, fünfzehn Meter hohen Wellen beinahe überschlagen, aber die größten vorstellbaren Torturen ohne zu murren weg­gesteckt hat. All das könnte annehmen, wer ebenfalls nicht weiß, dass die meisten anderen Eigner rundum ihre Schätzchen allein beim Gedanken an solche Brutalitäten sofort wieder in die Halle zurückkranen lassen würden.

Die „Kathena nui“ kommt unscheinbar daher

Mehr Understatement geht eben nicht. Seine Qualitäten zeigt das Segelboot nur Kennern. Zwei Achterstage, zwei Backstage, Kutterstag. Die Lukendeckel zur Segellast und achtern sehen aus wie auf einem Handelsschiff, doppelt verschraubbar, komplett wasserdicht. „Fällt dir eine der Luken auf die Finger, sind die Finger platt“, sagt Astrid Erdmann. Dafür allerdings kann das Schiff unter Wasser Kopf stehen, ohne groß Wasser zu nehmen.

Die Prioritäten sind völlig klar. Die Lady ist nicht dafür gemacht, bei einer Misswahl anzutreten. Sie ist gebaut, um stark zu sein. Da ist die massive Aries-Selbststeueranlage. Das große schiere Arbeitsdeck. Alles ausgelegt auf Zuverlässigkeit und Funktion. Keine einzige Stolperfalle an Deck, kein Schnickschnack. Konsequent auf Praxistauglichkeit ausgelegt. Schnelles, sicheres Hantieren unter allen Bedingungen. Da können auch bei brüllendem Wind und tosender See die Segel zehnmal am Tag und zehnmal in der Nacht vernünftig gerefft oder gewechselt werden. Sogar von einem allein.

Ihre wesentlichen Geheimnisse bewahrt die „Kathena nui“ unter Deck, ihre kräftigen Eingeweide. Tatsächlich ist sie gebaut wie für die Ewigkeit. Fünf Aluminiumschotten, zwei davon wasserdicht verschweißt. Kein Durchgang von der Kajüte zum Vorschiff. Alles dicht. Allein elf Vorsegel lagerten damals da vorn in der Segellast. Das kleinste hatte zwei Quadratmeter, selbstgenäht. Nein, man will nicht wissen, bei wie viel Wind so was gesetzt wird. Ein Taschentuch.

Erdmanns „Kathena nui“ ist 10,60 Meter lang und 5,4 Tonnen schwer

Da ist die Eisverstärkung am Bug. 50 Millimeter breite Profilspanten auf sechs Millimeter starken Bodenwrangen. Das unsichtbare innere Alu-Skelett. Darüber sechs Millimeter starkes Blech im Unterwasserschiff. Außen der nackte Rumpf aus Kaiser-Aluminium, der sich selbst schützt. Kurzkieler, 10,60 Meter lang, 3,25 Meter breit. Tiefgang 1,70 Meter, 5,4 Tonnen schwer – oder besser leicht. Das sind die Eckdaten eines Arbeitspferds, einer über die Maßen Tapferen, die da im Ostseewasser liegt und noch immer zu sagen scheint: „Kap Hoorn? Von mir aus kann’s losgehen.“

Es verwunderte nicht mehr allzu sehr, würde das Segelboot „Kathena nui“ tatsächlich auch noch anfangen zu sprechen. Denn dieses Schiff umgibt eine besondere Aura. In den Jahren, als es an Land hinterm Haus unter der Plane lag, seiner Funktion und seines Sinns beraubt, kamen gelegentlich Leute vorbei und fragten allen Ernstes, ob sie das Schiff einmal anfassen dürften. Nur einmal berühren.

Höchste Zeit also, dass anstelle der Fetisch-Verehrung wieder ein wenig Vernunft einkehrt. Zeit, dass die „Kathena nui“ wieder zeigt, was sie wirklich kann. Ehepaar Erdmann will nach Norden. Bis Skagen, von da aus 500 Seemeilen über die Nordsee bis zu den Färöern und weiter nach Schottland.

Das Segelboot kommt noch einmal in Fahrt

Für die meisten Segler alles andere als ein kleiner Sommertörn. Das Meer kann da oben ziemlich ruppig werden. Wilfried Erdmann ist gerade 76 Jahre alt geworden. Aber was soll er schon sagen? Er sagt nichts. Steht an Deck und braucht keine Worte. Ist auch so zu spüren, dass das Segelboot „Kathena nui“ und ihn eine Art Seelenverwandtschaft verbindet. Schwer vorzustellen, dass ein anderer mit seinem Schiff nur annähernd solch eine Fülle intensivster Stunden mitgemacht hat. Sie scheinen wie miteinander verschweißt.

Der anstehende Törn muss für Erdmann so eine Art Spazierfahrt vor der Haustür sein, einmal Kuchen holen und zurück. Seine Frau Astrid sagt: „Meine verfluchte Seekrankheit – aber er war von unserem Törn mal wieder nicht abzubringen.“

Dass die beiden frohen Mutes zu einer vorhersehbar strapaziösen Reise aufbrechen können, verdanken sie vor allem der wichtigsten Eigenschaft ihrer „Kathena nui“. „Ich vertraue dem Schiff voll und ganz“, erzählt Wilfried Erdmann. „Dieses tiefe Vertrauen habe ich auf der ersten Nonstop-Fahrt gewonnen, und es hat mich über die spätere Reise gegen den Wind überhaupt erst nachdenken lassen.“

Wie schön, Vertrauen. Eine ja fast schon altbackene Tugend, die sich allerdings mühelos über jeden supermodernen Kartenplotter erhebt, die mehr zählt als jede schicke Trimmvorrichtung, die alles ist, wenn es einmal so richtig hochkant zur Sache geht. Nicht vor Lyø. Sondern in den härtesten Revieren der Welt.

Jeder Leser war an Bord von „Kathena nui“

Der erste Schritt aufs Segelboot geht einher mit einer Ehrfurcht wie beim Betreten eines Heiligtums. Das Gefühl zieht direkt in den Bauch. In Wahrheit ist ja jeder nicht vollständig ignorante Segler schon mehrmals hier an Bord gewesen – beim Lesen, beim Mitreisen im Geiste, beim Mitleiden. So gesehen war Wilfried Erdmann nie allein während seiner Sturmritte, auch wenn er da draußen auf See doch einsam sein mochte. Sie wackelt kaum beim Betreten. Kein knarzendes Deck, kein hohles Getrippel wie auf vielen GFK-Decks. Aluminiumhart liegt der berühmte Rundspanter im Wasser.

Kaum etwas hat sich verändert seit ihren beiden großen Reisen in die Annalen der Segelgeschichte. Am Achterstag hängt noch immer eine der kleinen zerfetzten schwarzen Flaggen. Ein Trick, den Erdmann sich bei Bernard Moitessier abschaute, dem großen Franzosen. Er konnte dieses dunkle Stück Stoff auch im nächtlichen Grau noch aus­machen, hinten durch das Bullauge in der Kajüte. Konnte im nächtlichen Sturm beobachten, wie der Wind einfiel – und wie die Flagge im Orkan vor Südafrika vier Fingerbreit verlor.

Unten in der Kajüte sind noch immer die beiden Kompasse angebracht, für die ständige Kurskontrolle, im Liegen, beim Kochen im Geschwanke. Da hängen die Messer in ihren Scheiden, stets in Griffweite, damit er im Sturm nicht lange suchen muss. Da hängt bis heute der Scherenschnitt von Frau Astrid, die hölzerne Schnitzerei aus der Südsee. Auf den beiden großen Törns waren es Glücksbringer, Erdmanns Glaubensbewahrer da draußen im Nichts.

An Bord der „Kathena nui“ ist alles wie früher

Licht ist es hier unten, einladend hell und gemütlich, keine dunkle Mahagonihöhle. Wäre auch nicht gut für den Kopf, wenn fünf Monate Kampf absolviert sind und noch sechs voraus liegen. Weit weg von allem. Unten im Polarmeer, allein. Da birgt eine dunkle Kammer die Gefahr von Depressionen. Weiß hingegen hellt die Seele auf, Licht bedeutet Leben. Auch unter dem Aspekt ist das Schiff für seinen Zweck optimiert.

Erdmann hat alles selbst ausgebaut damals, 1984, als er als erster Deutscher zum Nonstop-Törn um die Erde startete. Graue Polster, grauer Teppich. Offene Hundekojen. Kein Salontisch, keine Seetoilette. Die beiden kleinen und simplen Dietz-Petroleumlampen, verknotet neben Kartentisch und Kombüse. Einfacher Optimus-Petroleumkocher. Alles spartanisch, schön spartanisch. Gegenüber prangen fünf große Buchstaben unter der Leuchte am Kartentisch: HEUTE. Die stille Ermahnung an sich selbst, nichts aufzuschieben, alles sofort zu erledigen. Waschen, Reparaturen, Logbuch führen. In anderen Worten: durchhalten, nicht aufgeben. Nicht in Schwermut und Lethargie ertrinken.

Wilfried Erdmann hat vieles selbst (aus)gebaut

An der abgescheuerten blauen Kante am Kartentisch hat Erdmann wochenlang bei Lage gelehnt und geschrieben, navigiert und Logbuch geführt. Sie ist noch immer abgewetzt, nicht überpinselt. Frisch hingegen wirken die Gardinen, handgenäht aus tahitianischem Tuch. Dann fallen die Notizen überm Kartentisch ins Auge. Auf zwölf langen, senkrechten Klebestreifen sind noch immer mit Bleistift sämtliche Etmale der letzten Langstrecke um die Welt verzeichnet. 147. 142. 141. 133. 42. 63. 52. Stumme Spuren der Strapazen.

Wer würde diese Insignien jemals entfernen wollen? 343 dieser Zahlen sind dort vermerkt, für jeden Tag eine. Zahlen, bei denen einem vor Schreck das Salzwasser im Mund zusammenläuft und einiges an Farbe aus dem Gesicht weicht. Am Ende, unterm Strich, dann diese berühmte Summe: 31362! Seemeilen! Gegen die vorherrschenden Strömungen und Winde.

Unweit der Etmallisten, in einem hellen Schapp, ruht der alte Kasten mit dem Sextanten, darauf steht „Gegenwind im Paradies“. Daneben kleben handschriftliche Notizen an der Kajütwand, Gekritzel, Parolen, Merksätze. „Astrid, sei stark!“ – „80 Tage brauchte Chay Blyth von Tasmanien bis Kap der Guten Hoffnung.“ – „Strömung Lemaire-Straße, 1 h nach Hochwasser is best.“ Solche Sachen. Kleine Seelenaufheller, die wohl nötig sind, wenn jemand ein Jahr allein auf See ist. Eselsbrücken gegens Verrücktwerden. Dazu sind Logstände verzeichnet und BBC-Frequenzen. Alles noch da. Das Segelboot „Kathena nui“ ist ein schwimmendes Stück Historie. Ein Museum unter Segeln – und alles im Originalzustand.

Talismann als Glücksbringer

Sogar der Hammer ist noch an Bord. Der Fäustel mit dem roten Kopf, mit dem Werftchef Uwe Dübbel damals in Norderney noch das letzte Aluminium plättete, bevor es losging. Er gab ihn Wilfried Erdmann als Geschenk mit, als Talisman. Der Einhandmann fand bald gute Verwendung dafür. Er hielt den Hammer in Händen, wenn mal wieder eine Marathonwache an der Pinne drohte. Krachte das Werkzeug lautstark auf die Bodenbretter der Plicht, war ihm das eine Mahnung: „Erdmann, nicht einpennen! Weitersegeln!“

Nur wenig ist die „Kathena nui“ aufgerüstet worden für diese nächste Fahrt. Wichtigste Neuerung: ein kleiner Dieselinnenborder. Auf Erdmanns großen Fahrten wäre so ein Motor höchstens Ballast gewesen, Makulatur; er hätte ihn eh nicht sinnvoll benutzen können. Nun soll die 14-PS-Maschine in der Flaute helfen, bei Manövern in den Häfen. Seine Gattin hatte auf dem Einbau bestanden. Nochmal auf Törn? Okay, aber: „Nicht ohne Maschine!“

Außerdem sind die Polster neu, ein paar lose Sitzkissen. Der alte Wassertank ist jetzt zum Dieseltank umgewidmet. Der große Rest aber ist original. Innen kein neuer Pinselstrich. Außen ein frisch gepöntes weißes Deck, rutschfest gemacht mit handverlesenem Ostseesand aus Eckernförde, von Frau Astrid mit dem Teesieb auf die frische Farbe gestreut. Alte Methode. Einfache Methode. Gute Methode. Orkanerprobt. Da rutscht gar nichts.

Zwei Wochen später in Missunde an der Schlei, Ende April. Inzwischen sind die Segel angeschlagen, im Schapp stehen schon mal Kaffee und Milch, an Deck ist alles klar. Ein kleiner Probeschlag, einmal die Segel hochziehen, bevor es rausgeht auf die Ostsee, die Nordsee. Es ist ein kalter frischer Morgen, später blauer Himmel, Sonne.

„Wilfried ist ein Stropp- und Bändsel­fanatiker”

Wilfried Erdmann ist mit dem Fahrrad zum Segelboot gefahren, hat alles vorbereitet. Aber viel hat er dabei nicht tun müssen. Der große Vorteil des Einfachen. Fock anschlagen, Schoten festknoten, fertig und raus.

Massive Schäkel klemmen am Seezaun, überall verknotet sind allerlei Stropps und Bändsel. „Und das werden unterwegs immer mehr werden“, seufzt Astrid Erdmann. „Wilfried ist nun mal ein Stropp- und Bändsel­fanatiker, die hängen bald überall am Schiff und wehen zauselig im Wind.“ Die alte Angewohnheit eines Soloseglers. Will eben nicht lange suchen und grabschen, wenn er was laschen muss – und von hinten die nächste Achtmeterwand heranmarschiert.

Das Groß ist schnell oben, die Fock gesetzt. Tücher, in die schon die Brüllenden Vierziger und Schreienden Fünfziger pusteten. Vierkant liegt einem die starke Pinne in Händen. Motor aus, die „Kathena nui“ legt sich im nächsten Moment auf die Seite, sie will gleich los, auch bei wenig Wind.

Blick nach oben, nach vorn. Drei Reff­reihen im Groß, eine Reff­reihe sogar in der Fock. Die Reffbändsel alle fest verknotet, stets parat. Außen laufende Fallen, einfaches Bindereff. Auch am Rigg: bloß kein Schnickschnack. Hauptsache, alles ist mit bloßem Auge gut zu erkennen und im Zweifel schnell zu greifen. Die Religion der Einfachheit ist überall zu spüren. Was nicht an Bord ist, kann nicht kaputtgehen. Aber was an Bord ist, hat unter allen Bedingungen zu funktionieren. Der alte Steuerkompass von Cassens&Plath, die massive Aries, die Alu-Schotten, die Zehn-Millimeter-Wanten – das sind Erdmanns Lebensversicherungen.

So wenig elegant das Segelboot „Kathena nui“ anmutet, so leicht fühlt sie sich an, wendig, agil und doch brutal stabil. Geht flott durch die Wende. Macht prompt fünf Knoten, derweil es gerade mal mit 2, 3 Beaufort weht. Weiß und groß liegt das Deck vor einem. Kein dicker Aufbau, der stört. Kein Getöse, kein piependes und blinkendes Instrument. Die mechanische Logge ist noch an Bord. „Ich kann hören, wie schnell das Boot ist“, sagt Wilfried Erdmann. „Ich höre es am Surren.“

Das Unmögliche wurde mit der „Kathena nui“ möglich

Weich tucht sich das Groß auf dem Baum auf, legt sich geschmeidig in schmale Falten. Handarbeit, Zeisinge drum. Fertig. Nach vier Stunden liegt die „Kathena nui“ wieder am Steg. Ihr Skipper sitzt jetzt im Cockpit, grauer Wollpulli, Jeans. Sortiert Leinen und Zeisinge. Eigentlich könnte es gleich weitergehen gen Norden. Andererseits ist diese Reise mit diesem Schiff noch schwerlich vorstellbar.

Viele Häfen hatte ihr Eigner mit dem Segelboot „Kathena nui“ nicht besucht. Ihre Heimat, beider Heimat ist die See. Sie werden damit klarkommen müssen: Menschen, Buden, Stegnachbarn! Ungewohntes Terrain. Auf eine Art hübsch sieht die Gute aus, obwohl sie kein Model ist. Schwimmt stillschweigend am Steg, hochbordig, aber dennoch mit einer gewissen klassischen, eher schlichten Eleganz.

Die wahre und besondere Schönheit der „Kathena nui“ ist in einer eigenen Kategorie begründet. In einer Verhältnismäßigkeit, die weit über das Segeln hinausreicht. Es geht um alte Gesetze. Sie sagen: Das Große kannst du auch mit dem Kleinen erreichen und das Unmögliche auch ohne große Möglichkeiten. Anders formuliert: David kann Go­liath schlagen – sonst hätte dieses kleine Schiff nicht so Großes leisten können.

Das Segelboot „Kathena nui“ ist der Beweis, dass du in Lederstiefeln auf den Everest kommst.

Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 12/2016 und wurde für diese Online-Version überarbeitet.


Technische Daten „Kathena nui“

 | Illustration: YACHT/N. Campe
| Illustration: YACHT/N. Campe
  • Konstrukteur: Uwe Dübbel
  • Baujahr: 1984
  • Lüa (Rumpflänge): 10,60 m
  • Wasserlinienlänge: 8,60 m
  • Breite: 3,25 m
  • Tiefgang: 1,70 m
  • Gewicht: 5,4 t
  • Ballast: 2,5 t
  • Großsegel: 21,6 m²
  • Genua: 40 m²
  • Maschine: Yanmar, 14 PS

Zum Tode Wilfried Erdmanns: