Johannes Erdmann
, Jochen Rieker
· 11.05.2023
Mit seinen Fahrten und seinen Büchern hat Wilfried Erdmann Hunderttausende erreicht. Sein Abschied vom Segeln Mitte 2022 bewegte viele. Die YACHT traf ihn ein letztes Mal Ende September.
Es ist das letzte Gespräch, das die YACHT mit Ausnahmesegler Wilfried Erdmann führen konnte. Da war er schon gesundheitlich angeschlagen, hatte kurz zuvor seinen Abschied vom Segeln verkündet. Heute, ein gutes halbes Jahr später, lesen sich seine damaligen Worte noch trauriger, in dem Wissen, dass Deutschlands größter Segler von uns gegangen ist.
Dieses Interview ist einer der letzten Einblicke in die Seele dieses außergewöhnlichen Menschen, ein eindrückliches Zeitdokument. Deshalb veröffentlichen wir es hier noch einmal in der damaligen, ungekürzten und unbearbeiteten Fassung.
Ende September 2022:
Die YACHT war schon manches Mal bei Wilfried Erdmann zu Besuch, meist dienstlich, mitunter privat. Oft ging es um neue Projekte oder die Einordnung früherer Glanztaten. Diesmal soll es um die Entscheidung gehen, das Segeln an den Nagel zu hängen, um das Wie und Warum, und darum, was Wilfried Erdmann anderen rät, wenn es Zeit wird, aufzuhören. Kein einfaches Thema.
Seine Stimme ist leicht brüchig, wenn er antwortet. Aber obwohl er manchmal lange nachdenkt, gehen ihm die Sätze dann doch bemerkenswert leicht über die Lippen. Oft blitzt sein trockener Humor auf. Die Augen sind wach, genau wie sein Verstand. Und die Erinnerungen sprudeln aus ihm heraus, als lägen seine großen Fahrten nur ein paar Monate zurück, nicht Jahrzehnte.
Ich bin in einer längerfristigen Behandlung. Die müssen wir jetzt erst mal abwarten. Mehr will ich eigentlich nicht dazu sagen.
Also, im Krankenhaus hab ich den jedenfalls nicht gefunden. Das ist schon ’ne andere, für mich fremde Welt – nach so vielen Jahren, ohne dass ich je eine Klinik von innen gesehen hätte.
In Gotland, bei unserem letzten Ostseetörn. Da musste ich kotzen. Das war das erste Mal in 60 Jahren Seefahrt, und noch nicht mal bei schweren Bedingungen. Wochen später kamen wir in Kappeln an, ließen das Boot rausnehmen, und ich geh zum Kiel, wunder mich noch, dass der so blank ist, keine einzige Pocke dran – und da hat’s mich umgehauen, lang auf den Boden! So hat es angefangen. Aber da wusste ich noch nicht, was mir fehlt.
Die Entscheidung stand schon länger. Ist es jetzt leichter? (seufzt) Insgesamt waren die Jahre ja schön für mich, alles in allem. Ab und an ist man im Landleben auch darnieder, nicht?! Und auf See fällt manches noch schwerer. Da ändert sich die Lage manchmal sehr schnell. Das erlebt zu haben, über fast 60 Jahre! Der Anfang war jedenfalls schön, sehr schön. Geholfen hat mir, dass ich keine Ahnung vom Segeln hatte. Ich will nicht sagen, dass ich seemännisch unbehelligt war. Das wurde mir oft vorgehalten. Dabei war ich ja vorher zur See gefahren, in der Berufsschifffahrt.
Ja?
Das ist wahrscheinlich wie mit den Vorträgen. Es gibt den letzten. Und den allerletzten. Mein letzter Vortrag war in der Schweiz, und das war einer der besten: toller Veranstalter, wundervolles Publikum. Aber dann hab ich doch noch einen nachgezogen, in Kiel. Den hab ich für eine Freundin gemacht, eine Ärztin, auch Seglerin.
(Denkt lange nach)
Ja, das war auch so – aber nur für ein paar Jahre.
Nein, das war ja viel zu schön! Kiel nach Kiel hat mir insgesamt sehr gefallen. Mit dem eigenen Boot, das ich selbst ausgerüstet hab. War sehr anstrengend, aber auch schön. Von Kiel aus, das ist ’ne ziemlich harte Nuss: die dänischen Inseln längs, in die Nordsee, dann Englischer Kanal, da biste ja schon fast platt, bis du Ushant passiert hast. Puh! Aber es war eben die erste Fahrt mit dem ganz neuen Schiff. Das ist noch was anderes. War schön! Dass ich es tatsächlich geschafft habe, in dieser kurzen Zeit: Im Januar 1984 bestellt, im Juli ausgeliefert, am 8. September los. Und ich war noch ganz guter Laune, ne. Weißte noch, Astrid?
Astrid: Vor allem bist du mit dem Rad immer nach Eckernförde und zurück, jeden Tag. Den Rucksack voller Krempel.
Wilfried: Aus sportlicher Sicht war das gut. Ich war so in Bewegung. Auch auf dem Boot: Rein, raus, irgendwas war ja immer zu tun oder zu organisieren. Das ist mir zugutegekommen.
Ich bin nicht wie meine Schwiegermutter. Wenn die zu Besuch da war, hat sie nicht im Haus geschlafen. Die ist immer über ’ne Leiter aufs Schiff, mit wehendem Morgenrock. Sie war noch mehr verliebt ins Boot und ins Meer. Das gibt’s nicht oft.
Astrid: Sie hat ja so lange auf ihrem Boot gelebt, bis es nicht mehr ging. Aber das hatte andere Gründe: Es ist verrottet. Die hatten beim Bau zu frisches Holz verwendet.
Tja … von „weiter geht’s“ kann ja nicht so recht die Rede sein. Aber du weißt ja: Ein Ende gehört auch dazu. Als ich 60 war, dachte ich, mir reicht’s. Aber hast ja gesehen, kam noch was. Eigentlich wollte ich nie älter als 60 werden ...
Astrid: ... als Segler ...
Wilfried: ... nee, als Mensch!
Astrid: Aha.
Mein Vorbild war auch noch krank auf der Messe: Bernard Moitessier. Ich hab die Bilder in einem französischen Segelmagazin gesehen. Der sah nicht gut aus. Und wenn es bei mir geht, dachte ich, dann mach ich das auch noch.
Astrid: Ich les ihm das vor, und er reagiert … kaum. „Jo, schön“, sagt er dann. Wir kriegen aber auch so wahnsinnig viele Briefe, E-Mails und Anrufe. Doch das war schon besonders.
Wilfried: Ich hatte nie diesen Überschwang, wie das heutzutage üblich ist. Manch einer segelt ein Stück und kriegt gleich einen seitenlangen Bericht, hat Tausende Fans, lässt sich alles bezahlen. Ich bin ja losgefahren, ohne es an die große Glocke zu hängen, fast ohne Geld. Ich musste mir unterwegs mit Arbeit was dazuverdienen. Kein Mensch kannte mich, außer Astrid. Ich bin ja allein gesegelt, ohne Papiere oder sonst was. Und dann komm ich in Helgoland an. Das ist schon ungewöhnlich gewesen.
Am nächsten Tag stand die „Bild“-Zeitung da, mit Fotograf. Woher die das wussten!? Die waren aber überaus nett, haben mir Essen spendiert, Zigaretten, einen Schein ins Oberhemd gesteckt. Der Redakteur war ein Seemann, richtiger Hamburger, nicht so, wie man sie eigentlich kennt. Alles stimmte, was danach in der Zeitung stand. Dann kam erst der DSV. Und der hat mich als Seemann so richtig in den Sack gehauen. Das hat mich getroffen. Da ist viel hängen geblieben.
Der „Bild“-Mann hat mein Logbuch angeschaut, der hat verstanden, dass ich allein um die Welt bin. Dann hat er Astrid eingeflogen, nach Cuxhaven, und danach sind wir zusammengeblieben, bis heute. Das ist eigentlich alles.
Nu ja, Astrid hat auch ein bisschen was dazugetan.
Astrid, lachend: „’n bisschen was“, da kann ich gut mit leben …
Über meine jungen Jahre und die Zeit vor meiner ersten Fahrt kann ich noch mehr erzählen.
Astrid: Das wollen die aber nicht wissen!
Wilfried: Ich lebte ja zwei Jahre in Hamburg und fuhr oft an eurer Redaktion vorbei. Und jedes Mal fragte ich mich: Soll ich da reingehen? Aber dann dachte ich: Ich hab ja noch nicht mal ein Boot. Und dann bin ich erst mal zur See gefahren und hab mir was zusammengespart. Wenn heute viele sagen, Segeln ist teuer – das war damals auch schon so.
Also es kommt tatsächlich immer mal einer, der sie kaufen will, zuletzt Philipp Hympendahl. Aber dann hab ich ja noch einen Sohn. Und Kym will nicht, dass wir verkaufen. So ’ne Kajüte gibt’s nie wieder, findet der. Obwohl das ja keine Bootsbauerarbeit ist – die Schrauben im Ausbau sind nicht verpfropft. Aber andererseits sind da dann die Folgekosten. Also ich behalt sie erst mal. Sie steht jetzt in Kappeln bei Mittelmann in der Halle, und da steht sie gut.
Astrid: Ich hab ja zuletzt noch eine Toilette einbauen lassen, vor dem Hauptschott.
Wilfried: „Kathena“ ist in einem wirklich guten Zustand: nicht ein bisschen Korrosion! Als wir das Unterwasserschiff neu haben machen lassen, war da nix zu finden. Vollkommen in Ordnung! War ja auch nicht viel Elektrik drin.
Astrid: Also, ich würd sie gern verkaufen, aus genau diesem Grund.
Astrid: Wir haben ja „Gipsy Moth“ gesehen, in London. Das war schon ein trauriger Anblick. Die stand draußen, an Land. Da konnten die Leute hinten reingehen und vorne wieder raus. Das geht bei uns noch nicht mal. Und es passen höchstens drei Besucher gleichzeitig rein. Wenn ich zurückdenke, wie viele 2002 auf der boot Düsseldorf anstanden, um sie zu sehen. Das war schon toll. Aber im Freien ...? Ich weiß nicht!
Wilfried: Tja, nee!
Das war schon nach meinem ersten Törn so. Da kamen ja auf den Bericht in der YACHT drei Seiten Leserbriefe! Das war ungewöhnlich viel.
Zuletzt war ich das allein schon wegen des Schreibens am neuen Buch. Ich bin ja nicht so talentiert als Autor, ich schreib vieles zweimal, und ich les dann sehr viel. Daran hapert’s jetzt auch langsam. Hab schon zwei Brillen hier liegen. Das ärgert mich wirklich sehr, weil ich noch so viele Bücher habe, die ich immer gern lesen wollte – für die nächste Fahrt. Eine wollte ich noch machen. Aber das wird ja nun wohl nix.
Ja, in der YACHT habt ihr auch schon mal über das Ziel berichtet, eine Insel.
Nein!
Nee.
Da liegt’s nicht weit weg. Mit Eis hat es schon zu tun. Aber ich glaube, ich bin zu alt dafür. Eins meiner Lieblingsbücher spielt da, von Isabelle Autissier: „Herz auf Eis“. Und es ist ja auch so: Fahrten kann man nicht mehr gut verkaufen. Es gibt kaum noch Verlage, die für solche Geschichten was bezahlen. Da hatte ich schon Glück früher mit dem „Stern“. Da konnte ich mir fast ein Boot kaufen von einer Exklusiv-Story. Das ist ja leider vorbei. Früher gab’s für ein Foto im „Hamburger Abendblatt“ noch 100 Mark. Heute kriegst du gar nix mehr. Heute musst du den Redakteur der Zeitung ja noch selbst zum Essen einladen, so knapp sind die mit dem Geld.
Die Jungen wissen das meist gar nicht. Die hoffen ja drauf, dass ihnen jemand ihre Fahrt finanziert. Aber wer soll das sein? Und die Älteren, die ein Boot haben und auch das Geld, die sind zu bequem oder zu sehr im Beruf gebunden – oder zu alt für eine anspruchsvolle Fahrt.
Astrid: Wir hören das immer wieder von den Bootsbauern, dass da Leute ihre Boote so gut wie überhaupt nicht mehr segeln. Aber aufhören wollen die auch nicht.
(Schüttelt wortlos den Kopf)
Es reicht mir einfach, überhaupt zu segeln. Es kommt natürlich auch auf das Ziel an, auf das Wetter, ob was passiert oder nicht.
Damit hatte ich es nie so. Ich bin nicht fürs Publikum gesegelt, für den Ruhm, sondern für mich. Ich hab mich auch nie um Preise beworben. Sonst wär ich ja auch nicht erst mal ein Jahr in Alicante hängen geblieben bei meiner ersten Weltumsegelung. Das hat mir für den Einstieg schon gut gefallen, dieses Leben.
(lacht) Fehler, die ich gemacht habe. Ich denk bisweilen daran: das erste Mal Atlantik. Da hab ich lange für gebraucht. Aber es war auch schön. Und das Ziel: Westindien! Schon der erste Tag auf St. Vincent. Ach …! Ein einfaches Dorf war das damals, mit nur einem Kai – da lag ich allein, als einziges Schiff, mit ’ner Wolldecke als Sonnensegel. So war das. Na ja!
Nee! Letztens war ich mit fünf NDR-Leuten an Bord. Die wollten unbedingt unter Deck filmen. Das war ... es war sehr anstrengend!
Also, wenn du ein Haus hast, mit Garten, bist du da ganz gut aufgehoben. Dann hast du immer was zu tun. In der Stadt wollt ich jetzt nicht wohnen.
Also, ich hab den nicht gefunden. Ich bin wohl nicht der Richtige, da Ratschläge zu erteilen.
Schwer! Wenn es mir nichts wert wäre, wofür hätte ich dann all die Jahre gelebt?!