YACHT-Redaktion
· 09.05.2023
In der Nacht von Donnerstag (4. 5.) auf Freitag wurde die Schweizer Segelyacht „Champagne“ kurz vor Gibraltar von drei Orcas so stark attackiert, dass sie von der Crew aufgegeben werden musste und wenig später sank
Zum Überführungstörn von Spanien nach Mallorca sollte auch Profiskipperin und Autorin Silke Eggert gehören. Sie stand bereits in den Startlöchern, um am Abend des 5. Mai auf die „Champagne“ (Sun Odyssey 519) in Málaga zu treffen, als sie von dem Unglück erfuhr. Die Yacht befand sich mit einer Vierpersonencrew auf einem Ausbildungstörn der Schweizer Segel- und Motorbootsschule HOZ Hochseezentrum International von Teneriffa über Málaga nach Palma.
Silke Eggert stand in ständigem Kontakt mit der Crew. Sie berichtet:
„Achtung, dringende Durchsage: Unser Skipper Werner Schaufelberger hat soeben telefoniert und einen Angriff von drei Orcas gemeldet. Skipper und Crew haben sich vorbildlich verhalten und werden in diesem Augenblick gerettet. Bitte nicht anreisen, die Überführung wird abgebrochen.“ So lautete die Information von Christoph Winterhalter, Präsident der Schweizer Schule HOZ Hochseezentrum International um 2.24 Uhr.
Sofort war ich hellwach. Normalerweise schaue ich nach dem Aufwachen nicht direkt auf das Handy, doch an dem Morgen wollte ich das Vorankommen der „Champagne“ weiter beobachten, denn die geplante Ankunft am Freitag in Benalmádena bei Málaga schien eine knappe Kiste zu werden. Spätabends hatte ich noch mit dem Skipper kommuniziert, und er berichtete, dass er noch in Gibraltar tanken müsse.
Bis um Mitternacht hatte ich mir immer wieder Standort und Geschwindigkeit auf marinetraffic.com angesehen. Eine größere Motoryacht schien mit 25 Knoten auf Kollisionskurs mit der „Champagne“ zu sein.
Das war der Moment des ersten Angriffs, wie Werner Schaufelberger, 72, mir später berichtete: „Wir liefen unter Maschine und Groß bei 7 bis 8 Knoten achterlichem Wind, als es plötzlich laut rumpelte. Im ersten Moment dachte ich, dass wir etwas gerammt hatten. Doch dann wurde mir schnell klar, dass es Orcas waren, die auf das Schiff losgingen.“
Sofort stellte er Motor und Autopilot aus und sendete einen Pan-Pan-Funkspruch ab. Die Motoryacht passierte die „Champagne“ etwa 200 Meter am Heck. Doch trotz Leuchtzeichen mit dem Scheinwerfer und einem Ruf über Funk sei die Yacht einfach weitergefahren.
Tarifas Küstenwache fragte, ob sie Hilfe benötigen, und riet dazu, Ruhe zu bewahren.
Die Orcas ließen trotz der Maßnahmen nicht locker: „Die Angriffe waren brutal. Es waren zwei kleinere und ein größerer Orca. Die beiden Kleinen rüttelten hinten am Ruder, während der Große immer wieder Anlauf nahm und dann mit voller Wucht von der Seite das Schiff rammte. Wir lagen dann jeweils um 90 bis 100 Grad anders“, berichtet der Skipper.
Ab und zu war für einige Minuten Ruhe, und die Crew atmete auf. Doch dann ging es wieder weiter. Schaufelberger: „Die beiden kleinen Orcas haben sich die Technik von dem großen abgeschaut und kamen jetzt auch mit etwas Anlauf auf das Schiff zugeschossen. Hauptsächlich auf das Ruder, aber auch auf den Kiel.“
Nach etwa eineinhalb Stunden bemerkte die Crew im hinteren Bereich einen Wassereinbruch. Es waren zwei Löcher seitlich vom Ruder. Schwer zu erreichen, denn Kabel und Schläuche erschwerten den Zugang. Trotzdem gelang es der Crew, eines davon notdürftig abzudichten. Aber nun wurde der Crew klar, dass sie Hilfe brauchte. Tarifa Coastguard schickte einen Helikopter und einen Seenotrettungskreuzer los.
Das Wasser stieg langsam weiter, die Pumpen konnten nicht mehr dagegen anarbeiten. Inzwischen hatten die Orcas von der Yacht abgelassen, denn ihr Werk war vollbracht: Das Ruder war komplett zerstört, der Quadrant abgebrochen.
Nach 20 Minuten war der Rettungskreuzer vor Ort, nahm die vier erschöpften Segler an Bord, installierte eine starke Pumpe und nahm die „Champagne“ in den Schlepp. Mit etwa 8 Knoten ging es die 11 Meilen in Richtung des Hafens von Barbate westlich von Gibraltar. Doch kurz vor der Hafeneinfahrt stellte sich heraus, dass es für die Yacht keine Hoffnung mehr gab: Das Wasser stand fast bis zum Deck, und der Schleppzug war nicht mehr steuerbar. So versank die „Champagne“ kurz vor dem Hafen, nur der Mast ragt noch ein paar Meter aus dem Wasser.
Derartige Angriffe wurden erstmals im Juli 2020 gemeldet, berichtet die deutsche Stiftung für Meeresschutz. Allerdings spricht sie nicht von Angriffen, sondern von Interaktionen mit Yachten. In den Folgejahren steigerten sich diese unschönen Begegnungen auf mehr als 180 Fälle pro Jahr. Wobei es insgesamt nur drei Totalverluste von Yachten gab und Menschen dabei bisher nicht zu Schaden kamen.
Das betroffene Gebiet zieht sich von der Bretagne bis nach Marokko. Etwa 20 Prozent dieser Interaktionen führen zu einer starken Beschädigung der betroffenen Yachten.
Für Werner Schaufelberger war es der erste Seenotfall, den er selbst erlebt hat. Der Schweizer aus dem Züricher Oberland begann bereits mit 27 Jahren mit dem Jollensegeln auf den Schweizer Seen. Seit nunmehr 23 Jahren fährt er regelmäßig für die HOZ Hochseeschule.