Morten Strauch
· 19.10.2022
Ein dänischer Solo-Skipper, der nach einer Verkettung unglücklicher Umstände in höchster Seenot auf die somalische Küste zutrieb, wurde unter dramatischen Bedingungen von einer philippinischen Tankerbesatzung gerettet
Nach sechs Jahren auf den Seychellen sollte es für Kim Johansen wieder langsam Richtung Heimat nach Dänemark gehen. Der erste anvisierte Stopp war die jemenitische Insel Socotra, die rund 125 Seemeilen östlich des Horns von Afrika liegt, wo er sich mit Freunden treffen wollte, um in einer kleinen Flottille in das Rote Meer zu segeln.
Für die 1.000 Seemeilen durch den Indischen Ozean waren ursprünglich zwei weitere Deckshände eingeplant, doch konnte man sich preislich nicht einigen, sodass Johansen letztendlich entschied, allein in See zu gehen.
Am Morgen des 10. September 2022 legte Kim Johansen mit seiner Bavaria 47 von Victoria auf Mahé ab und setzte seine Genua mit nördlichen Kurs. Um allein nicht unnötig viel auf dem Deck arbeiten zu müssen, entschied er sich, auf das Großsegel zu verzichten. Die ersten zwei Tage verlief alles nach Plan bei bester Sicht und moderaten Winden. Was dann folgt, ist eine Verkettung unglücklicher Umstände, die an den Film “All Is Lost” erinnert, in dem Robert Redford immer stärker in Seenot gerät.
In der dritten Nacht nehmen Wind und Seegang dermaßen zu, dass es die Genua zerfetzt. Johansen wirft die Maschine an und motort bis zum Morgengrauen, um dann bei Tageslicht doch das Groß zu setzen. Zwei Stunden später rauscht das Großsegel herunter – der Schäkel des Falls ist gebrochen, und das Fallende klemmt für Johansen unter diesen Umständen unerreichbar oben im Masttopp fest.
Wieder wird der Motor gestartet, und Johansen entscheidet sich, weiter nach Socotra zu fahren, mit dem Wind und der Strömung anstatt zurück zu den Seychellen mit Wind und Strömung gegenan. Der Motor ist jetzt das einzig verbliebene Hilfsmittel, doch der erfahrene Skipper bleibt ruhig und wartet seine Maschine in regelmäßigen Abständen. An Seenot denkt er noch lange nicht.
Nach weiteren anderthalb Tagen hört er, wiederum des Nachts, dass sich der Propeller nicht mehr dreht. Also bindet sich der 60-jährige Johansen eine Leine um und taucht, mit Taschenlampe und Messer bewaffnet, unter sein Boot, das sich immer wieder beängstigend hebt und senkt in den meterhohen Wellen. Es gelingt ihm jedoch, die Schraube von Seegras zu befreien, sich unverletzt aufs Boot zu ziehen und die Fahrt wieder aufzunehmen.
Am 17. September, es ist abermals mitten in der Nacht, gibt der Motor mit Getriebeschaden auf. Die Bavaria 47 wird damit endgültig zum Spielball der aufgebrachten See bei Wellen bis zu fünf Meter Höhe. In der Gewissheit, sich in einem Hochrisikogebiet zu befinden, unweit der somalischen Küste, berühmt-berüchtigt für brutale Piratenüberfälle, setzt Johansen eine Mayday-Meldung ab. Über Satellitentelefon erreicht er zusätzlich die dänische Küstenwache, die Kontakt zur US Marine herstellt, die aber kein Schiff in der Nähe hat, um ihn aus seiner Seenot zu retten. Nach neun langen Stunden im Schleudergang antwortet der Autofrachter “MV Neptun” auf seinen Notruf, der sich aber aufgrund des Wetters und seiner 30 Meter hohen Bordwand nicht in der Lage sieht, helfen zu können, jedoch im Standby bleibt. Zwei Stunden später meldet sich schließlich der Tanker “MS Riviera II”, der nach weiteren fünf Stunden beim Havaristen eintrifft und sofort Maßnahmen zur Rettung einleitet.
Im Video berichtet Johansen unter Tränen und immer wieder um Fassung ringend, wie er sich auf seine Rettung vorbereitete und wie ihm der Gedanke an seine Kinder half, nie aufzugeben. Beim Abbergen verletzte sich der Däne noch an Fuß und Bein und verlor sein Grab-Bag mit Bargeld, Pass, Computer und Telefon. Die philippinische Besatzung kümmerte sich rührend und versorgte ihn mit Medizin, Kleidung und Essen. Beim Verlassen des Tankers in Indien übergab ihm die Crew sogar noch 500 US-Dollar, die sie für ihn gesammelt hatte. Es folgte eine behördliche Odyssee an Land, bis er endlich mit dem Flugzeug über Helsinki, Kopenhagen und Ålborg in seinem Heimatort Nibe am Limfjord ankam.
Mit dem Kapitän des Tankers ist Kim Johansen weiterhin in Kontakt. Für den philippinischen Kapitän war es bereits das zweite Mal in seiner Karriere, dass er einen Segler aus höchster Seenot gerettet hat.