Orca-AngriffeKrasse Zunahme? – Wie viele Yachten wirklich beschädigt werden

Max Gasser

 · 23.11.2023

Vor einem Jahr ist eine Yacht nach einem Orca-Angriff vor Viana do Castelo (Portugal) gesunken. Es ist nicht der einzige Fall, bei dem die Schwertwale ein Schiff auf Tiefe schickten
Foto: Autoridade Marítima Nacional
Seit 2020 werden immer mehr Segelyachten von Orcas angegriffen, einige sind gesunken. Doch wie groß ist die Gefahr wirklich? Diese Zahlen und Statistiken von Meeresbiologe Dr. Boris Culik geben Klarheit

Die Straße von Gibraltar ist eine nautische Autobahn, sie wird jährlich von Tausenden von Segelyachten durchquert. In den letzten Jahren ist die Region für Segler jedoch aus einem anderen Grund bedrohlicher geworden. Es geht um eine Gefahr, die unter der Wasseroberfläche lauert: um die steigende Anzahl von Angriffen durch Orcas auf Segelyachten. Besonders häufig werden die Ruderblätter von Segelyachten unter 20 Meter Länge beschädigt. Als ein Risikofaktor wurde aufgrund einer statistischen Häufung auch schwarzes Antifouling ausgemacht.

Laut aktuellen Statistiken wurden zwischen 2020 und 2023 rund 500 Orca-Attacken auf Yachten gemeldet, mit einer alarmierenden Zunahme. Die Daten zeigen, dass die Anzahl der Angriffe von 52 im Jahr 2020 auf 197 im Jahr 2021 und schließlich auf 207 im Jahr 2022 gestiegen ist. Trotz dieser steigenden Zahlen werden nur rund fünf Prozent der Yachten, die rund um Gibraltar segeln, von Orcas angegriffen. Es ist also noch eine relative Seltenheit, aber definitiv eine, die der Überlegung und Vorsorge wert ist.

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Zudem bleibt etwa die Hälfte dieser Attacken ohne materielle Schäden. Bedenklicher ist die Tatsache, dass je nach Jahr zwischen 19 und 25 Prozent der angegriffenen Yachten schwere Schäden erleiden. Aber warum nehmen diese Angriffe zu? Und warum greifen Orcas überhaupt Yachten an?

Angriffsschutz durch Wal-Pal: Wie viel der Orca-Pinger tatsächlich bringt

Diese Fragen stellen die Wissenschaft noch immer vor Rätsel. Gegen den Begriff “Angriff” wehren sich die Forscher allerdings vehement, sie vermuten stattdessen eher spielerische Interaktionen. In einem im August veröffentlichten offenen Brief bringen 80 Experten ihre Sorge zum Ausdruck, dass das Verhalten der Tiere häufig inkorrekterweise als aggressiv und als Rache am Menschen dargestellt werde. Diese Vermenschlichung tierischen Verhaltens sei unverantwortlich und könne Gewalt gegenüber Orcas fördern. Das sieht auch die Meeresschutzorganisation “OceanCare” insbesondere deshalb kritisch, weil die betreffende Subpopulation, die wohl 35 bis 63 Tiere umfasst, auf der Roten Liste gefährdeter Arten als “kritisch bedroht” eingestuft wird

Eines ist jedoch sicher: Die steigende Zahl der Orca-Attacken vor Gibraltar erfordert eine ernsthafte und dringende Untersuchung des Phänomens und der möglichen Gegenmaßnahmen. Meeresbiologe Professor Dr. Boris Culik nutzte daher seine Erfahrungen mit Schweinswalen, um einen Orca-Pinger zu entwickeln. Beim sogenannten Wal-Pal handelt es sich um eine torpedoförmige, 20 Zentimeter lange und sechs Zentimeter dicke Sendeeinheit mit Elektronik und Akku, die nachgeschleppt wird und einen Laut ausstrahlt. Mit diesem Gerät ausgerüstete Schiffe sollen eine 80 bis 90 Prozent niedrigere Angriffsquote aufweisen, allerdings sei die Datenlage noch sehr dünn, so der Erfinder.

Firecracker, Sand & Co: Gibt es weitere Schutzmaßnahmen gegen Orca-Angriffe?

Neben den einschlägigen Verhaltensempfehlungen bei Angriffen, aber auch schon bei der Routenplanung, gibt es seit Jahren immer wieder verschiedene Lösungsansätze. Häufig war die Datenlage der Forschungen allerdings zu gering, die Idee nicht ausgereift oder kaum praktikabel. 2022 berichteten wir von einer erfolgreichen Abwehr durch Sand. Dieser soll tatsächlich helfen, jedoch ist es nur schwer möglich, überhaupt so viel Sand an Bord zu haben, wie man für eine nachhaltige Abwehr benötigt. Eine Crew berichtete damals, dass der Sand zunächst wirkte, als die Segler jedoch mit dem Streuen aufhörten, griffen die Tiere wieder an und brachen das Ruder ab.

Auch Berichte über eine erfolgreiche Abwehr mit verschiedenen Arten von Feuerwerkskörpern gibt es inzwischen häufiger. Mehrere Crews vermelden, diese ins Wasser abgefeuert zu haben, woraufhin die Orcas verschwinden würden. Meist wird davon ausgegangen, dass die Schwertwale zwar vom Geräusch verjagt werden, dieses ihnen jedoch nicht schadet. Meeresschützer sehen auch das allerdings problematisch und geben zudem die chemische Belastung zu bedenken.

Geht auch von Orcas in der Nordsee Gefahr aus?

Die als sehr intelligent geltenden Schwertwale können untereinander kommunizieren und voneinander lernen. Bisher ist jedoch nur diese eine iberische Subpopulation als gefährlich aufgefallen, ein Übersprung des Verhaltens auf die wohl Dutzenden Populationen weltweit ist laut Forschern nicht zu erwarten. “Es ist sehr unwahrscheinlich, dass dieses Verhalten des ‘groben Spiels’ mit Booten über große Entfernungen übertragen werden kann”, so Mark Simmonds, wissenschaftlicher Leiter bei “OceanCare”. Er kann daher Entwarnung geben: “Außerhalb des Gebiets, in dem die bekannte iberische Subpopulation lebt, besteht keine allgemeine Gefahr durch Orcas für die Schifffahrt.”


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