YACHT-Redaktion
· 20.01.2024
Liebe Leserinnen und Leser,
ich liebe Bootsmessen. Wahrscheinlich gilt das für 98 Prozent aller Segler. Und auch wenn in Cannes, La Rochelle, in Ellös oder Southampton bei den In-Water-Shows im Sommer das Wetter besser, das Meer näher ist und die Schiffe schaukeln, statt still auf ihren Böcken zu ruhen: Ich liebe die boot Düsseldorf.
Am Rhein haben sie geschafft, was an Themse oder Seine misslang: die weltgrößte Wassersportausstellung zu etablieren. Wir haben sie im eigenen Land und nehmen sie in ihrer Einzigartigkeit mitunter gar nicht mehr richtig wahr. Dabei gibt es Segler, die eigens für einen Besuch aus Japan oder Brasilien anreisen. Ein Fachjournalist aus den USA, der die boot vor ein paar Jahren das erste Mal erlebte, konnte die schiere Dimension gar nicht fassen, weil doch alles, was „bigger than life“ ist, eigentlich in den Staaten zu Hause sein sollte.
Gäbe es sie nicht seit gut einem halben Jahrhundert, man müsste sie sofort erfinden. Gerade im Winter, nur einen Monat nach dem kürzesten Tag des Jahres, tut es gut, im Trockenen gedanklich auf See zu gehen, an Bord der neuesten Modelle, die der Markt zu bieten hat.
Gestern bin ich dennoch mit gemischten Gefühlen an den Rhein gefahren. Denn es hat sich etwas verschoben im Yachtbau.
Damit meine ich nicht den im Vergleich zu den Vorjahren spürbaren Rückgang an Neuentwicklungen, insbesondere in Halle 16. Zwar sind manche Werften wieder da, die zuletzt pausiert hatten – so wie die Hanseyachts-Gruppe aus Greifswald mit der Moody 48 DS und der Hanse 410 oder X-Yachts mit der XC-47 und der X 4.9 Mark II. Dennoch ist eine generelle Zurückhaltung zu spüren, die nicht nur die Segelboothallen ausdünnt. Und sie ist hausgemacht.
So wird Beneteau, größte Sportbootwerft der Welt, 2024 erstmals, seit ich die Branche verfolge, absehbar keine neue Konstruktion vorstellen – und das im Jahr ihres 140-jährigen Bestehens. Okay, das ist kein rundes Jubiläum, aber recht eigentlich doch ein Anlass für etwas Wegweisendes. Bisher haben sich die Franzosen aus rückläufigen Märkten stets durch ein Innovationsfeuerwerk vom Wettbewerb abgesetzt. Jetzt aber scheint der Betrieb, der gleich mehrere Produktionsstätten an der Biskaya und in anderen Ländern unterhält, stillzuhalten.
Mit der Oceanis 37.1 kommt – immerhin – eine 2023er-Neuheit nach Düsseldorf, zudem im attraktiven Längensegment um elf Meter. Doch da sind wir beim zweiten Teil des Problems: Für die 37.1 verlangt Beneteau im Basispreis, bei allzu karger Ausstattung, satte 215.990 Euro. Wer sie als First-Line mit mehr Segelfläche ordert, zusätzlich mit Code Zero, Gennaker, Autopilot und Navigationselektronik bestellt, ist flugs an die 300.000 Euro los. D r e i h u n d e r t t a u s e n d !!! Vor zehn Jahren kostete die Oceanis 38 in YACHT-Komfortausstattung die Hälfte.
Und es wird weiter oben im Programm der Großserienhersteller, wo die Margen stets auskömmlicher waren, keinesfalls besser. Die neue C46 von Bavaria etwa steht für 375.560 Euro in der Preisliste. Wer sie adäquat ausrüsten will, kommt kaum um das umfangreiche Ocean Pack herum, das 147.920 Euro extra kostet. Eine C46 repräsentiert so also das gar nicht mal kleine Vermögen von einer halben Million Euro. Zum Vergleich: Vor vier Jahren, als die Werft in Giebelstadt in Turbulenzen war, konnte man mit wenig Verhandlungsgeschick den Vorgänger Cruiser 46 mit Komplettpaket für weniger als die Hälfte sein Eigen nennen.
Die C46 ist größer, variabler, qualitativ hochwertiger, keine Frage. Und sie segelt wirklich gut, fühlt sich nicht an, wie künstlich in der Leistung gekappt. Aber ist das noch ein Volksboot im XL-Format? Vercharterer, die fraglos eine große Nachfrage nach dem neuen Modell spüren, sorgen sich jedenfalls um die daraus resultierenden Wochenpreise und die Rendite – und tun sich schwerer denn je, Eigner zu diesen Kursen für Kaufchartermodelle zu finden.
Dufour hat aus dem gleichen Grund seinen Anspruch nach oben korrigiert. Der Bootsbauer, der wie Beneteau, Bavaria, Hanse oder Jeanneau gewöhnliche Fahrtenyachten anbietet, sieht sich selbst inzwischen als High-End-Marke. Seine Modelle hat er zu „Luxusyachten“ umetikettiert – so als würden sie jetzt mit Grand Soleils, X-Yachts oder Swans konkurrieren, was nicht nur ein bisschen abwegig ist. Die erst vor drei Jahren vorgestellte Dufour 32 flog gleich ganz aus dem Programm. Die sogenannte 37er ist in Wahrheit keine 33 Fuß lang; da soll für unkundige Interessenten wohl das Typenschild den herben Einstandspreis kaschieren.
Dies sind nur Beispiele und Indizien für einen Trend, der sich umfassender belegen ließe. Achten Sie bei Ihrem Besuch auf der Messe mal darauf. Manche Werften schreiben, ähnlich wie Autohändler, gar nicht mehr den Kaufpreis groß auf ihre Exponate, sondern stattdessen die Leasingrate, was die Sache keinesfalls erschwinglicher macht.
Es könnte der Anfang sein von einer Entwicklung, die den Yachtsport in seiner Gänze so sehr verteuert, dass immer mehr Segler finanziell an den Rand gedrängt werden. Zumal ja auch Hafenbetreiber und Servicewerften teils drastisch die Preise anziehen und durch Auflagen die Teuerung noch zusätzlich verstärken. Sicher war es nie ganz günstig, ein Boot privat zu bereedern, aber es war bisher für Hunderttausende halbwegs erschwinglich. Jetzt braucht es zum Neukauf auch normal großer Fahrtenyachten schon eine Erbschaft oder einen Lottogewinn.
Die Werften tragen nicht allein die Verantwortung; wir alle haben mit dazu beigetragen. Dass ein Charterschiff von 37 Fuß Länge heute Minimum drei Doppelkabinen und zwei Nasszellen haben muss, geschieht ja nicht im luftleeren Raum, sondern drückt das Orderverhalten aus. Bei 45 Fuß sind vier separate Kammern und vier Bäder heute die Norm – so viele, wie es in durchschnittlichen Eigenheimen nirgends gibt. Auf modernen Fahrten-Kats scheint es inzwischen nicht mehr unter drei Freiluft-Sitzgruppen zu gehen, alle am besten voll beschattet: eine achtern, eine auf der Flybridge, deren Sinn sich mir noch nie erschlossen hat, eine vor dem Salon.
Dieses Länger-Breiter-Höher ist nicht ohne Mehrpreis, übrigens auch nicht ohne Mehrgewicht zu haben. Die Strategie, wenn man sie so nennen mag, ging lange Zeit trotzdem irgendwie auf. Auch weil die Hersteller in den Jahren nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/08 sich kaum an Preissteigerungen gewagt haben. Jetzt aber stößt das Modell an Grenzen: steigende Lohn-, Material- und Logistikkosten sowie das ewige Größenwachstum der Boote haben insgesamt zu einer Kostenexplosion geführt, mit der die Kaufkraft selbst von Besserverdienenden nicht mehr Schritt halten kann. Im Gegenteil: Das Gros der potenziellen Zielgruppe kämpft aufgrund von Inflation und Zinsentwicklung mit real rückläufigen Einkommen.
Wie krass die Entwicklung ist, zeigt dieser Vergleich: Für den Gegenwert eines Elf-Meter-Boots von der Stange könnte man sich locker einen Bentley Bentayga leisten. Der hat zwar absurde Proportionen, eine erschreckende CO2-Bilanz und ein Image, das Besitzer irgendwo zwischen pomadigen Landfürsten, neureichen Oligarchen und geltungssüchtigen Fußballstars verortet. Er ist aber, das lässt sich nicht bestreiten, wirklich Premium; er simuliert das nicht nur übers Preisschild.
Nun verteuern die Werften ihre Boote natürlich nicht aus Böswilligkeit oder niederer Gewinnsucht. Sie können anders nicht wirtschaften. Mit Ausnahme der Betriebe, die Mehrrumpfer bauen, haben die meisten Yachthersteller kaum genug Wasser unter dem Kiel; etliche verlieren seit Jahren Geld und werden nur durch Investoren gestützt. Das gibt dem Ganzen eine erschreckende Zwangsläufigkeit.
Warum aber traut sich niemand, den Status quo ernsthaft infrage zu stellen, auszubrechen aus dem Wachstumszwang, der Yachten vom Gros ihrer eigentlichen Zielgruppe immer weiter entfernt? Das geht sicher nicht mit immer noch größeren, komplexeren Booten. Es geht, vielleicht, über eine intelligente Form von Reduktion, über echte Innovation, über neue Vertriebswege – und natürlich nur, wenn sich Segler dafür begeistern lassen. Hanseyachts hat so etwas mal mit der Varianta 37 und 44 versucht, ohne durchschlagenden Erfolg. Bavaria hatte die 9.7 Easy als günstiges Einstiegsmodell im Programm, dem aber auch kein langes Leben beschieden war. Geht es also gar nicht – oder doch, nur anders?
Ich fürchte, dass wir auf dieser boot Düsseldorf nicht die Lösung sehen werden; ich hoffe aber in ein, zwei Jahren. Einstweilen wird das Problem zu besichtigen sein. Das soll Ihnen nicht den Spaß an der Messe verderben; dazu bin ich selbst viel zu gern auf Booten, die ich mir nie werde leisten können. Ich will Sie nur vorbereiten darauf, dass sich etwas verschoben hat im Markt, das dem Sport nicht guttun kann. Der Traum vom Segeln muss meiner Meinung nach erschwinglich bleiben. Das gilt nicht nur, aber auch für den Markt der neuen Yachten, die stets die Hauptattraktion jeder Wassersportmesse sind. Hohe Zeit also, Bootsbau neu zu denken, nicht immer nur größer!
Herausgeber YACHT
PS: Wer einmal hinter die Kulissen von “Europas Yacht des Jahres” – den Segel-Oscars – blicken möchte, dem ist dringend die neue Podcast-Folge des YACHT Segelpodcasts zu empfehlen.
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