Kristina Müller
· 04.01.2024
Der 30. Geburtstag sollte der Start in ein neues, abenteuerliches Leben werden. Damals, vor mittlerweile fünf Jahren, haben Paulina Lewandowski und Mathias Salomon in Flensburg die Leinen zur Weltumsegelung gelöst. Nicht etwa, weil sie ihre Jobs im Start-up-Umfeld in Berlin und München nicht mochten, ganz im Gegenteil. „Es lief super!“, sagt Mathias, der seit einer Atlantiküberquerung als 18-Jähriger wusste, dass er später einmal viel Zeit auf dem Wasser verbringen wollte.
Mit der Idee, um die Welt zu segeln, rennt er bei seiner Freundin offene Türen ein. Sie kaufen das erste Boot, das sie besichtigen, eine langfahrterprobte Reinke 13M. „Ich kannte mich nicht aus, aber ich dachte, das ist ein Expeditionsschiff, damit können wir überall hin.“ Sie kündigen ihre Jobs, refitten ein paar Monate und brechen im Mai 2019 auf.
Seitdem ist das Paar um die halbe Welt gesegelt, hat sich während der Reise selbstständig gemacht und berät an Bord andere Unternehmensgründer zu seinem ungewöhnlichen Lebensstil. Im Interview mit der YACHT berichten die beiden aus Tahiti von den wachsenden Möglichkeiten, unterwegs im Boat-Office zu arbeiten, von Videokonferenzen mit Hindernissen und den Höhen und Tiefen des Lebens als digitale Nomaden unter Segeln.
Mathias Salomon: Wir dachten, unser Erspartes reicht für ein Jahr. Drei Monate später war es aber aufgebraucht. Wir hatten zwar beim Kauf der Reinke ein Gutachten anfertigen lassen. Aber erst auf dem Weg nach Portugal haben wir gemerkt, wie viel am Boot noch zusätzlich gemacht werden musste. In Portimão haben wir festgestellt, dass der Steuerbordkiel, der Wasser und der Dieseltank saniert werden müssen und dafür das Schiff aus dem Wasser genommen werden muss. Eine Woche war geplant, es wurden mehrere Monate. Im Nachhinein war das aber der Wendepunkt für unser heutiges Leben: Wir haben die Laptops wieder aufgeklappt und angefangen, als Selbstständige Projekte und Aufträge anzunehmen, um Geld zu verdienen.
Mathias: Wir hatten schon während der Zeit im Angestelltenverhältnis damit geliebäugelt und uns ein starkes Netzwerk aufgebaut. Das konnten wir schnell aktivieren. Über Mund-zu-Mund-Empfehlungen ging es dann weiter. Mittlerweile machen wir das in Vollzeit.
Ich wollte dorthin, wo es schön ist, wo ich spannende Leute treffe und wo ich jeden Tag neue Abenteuer erlebe. Ich wollte ein Floating Office”
Mathias: Wir sind nicht weg, weil wir einen Exit wollten oder eine Pause brauchten. Im Gegenteil, ich hatte ein tolles Team, habe meinen Job gern gemacht und hatte meine Wirkungsstätte gefunden. Das wollte ich inhaltlich ohnehin gern mitnehmen. Aber ich wollte es in eine Umgebung packen, wo ich an superschönen Orten bin, mich mit spannenden Leuten umgebe und jeden Tag neue Abenteuer erlebe. Ich wollte ein Floating Office.
Paulina Lewandowski: Ich komme zwar nicht vom Segeln, aber für mich war immer klar, ich möchte draußen in der Natur sein, abenteuerlich leben, Neues entdecken. Ich wollte sowieso eine längere Reise unternehmen. Daraus wurde die gemeinsame Bootsreise.
Mathias: Wir sind beide Unternehmensberater, haben aber unterschiedliche Firmen und Kunden. Wir versuchen uns gegenseitig voranzubringen und sind auch Arbeitskollegen.
Paulina: Räumlich gehen wir uns nur sehr selten auf die Nerven, obwohl wir weniger als fünf Meter voneinander entfernt arbeiten. Ich empfinde unser 13-Meter-Boot als enorm riesig. Die hintere Koje nutzen wir nur, wenn wir Besuch haben.
Paulina: Hier in Französisch-Polynesien haben wir zwölf Stunden Zeitunterschied zu Europa. Daher beginnt unser Tag um 4.30 Uhr. Wir versuchen beide, noch vernünftige Schlafzeiten zu bekommen, sind aber flexibel. Klar, das führt manchmal zu Schlafmangel. Aber das, was wir machen, macht uns so viel Spaß, dass es mehr Energie gibt, als es nimmt.
Mathias: Viele denken, wir sitzen den ganzen Tag mit einem Cocktail am Strand – das ist definitiv nicht der Fall! Ich stehe um vier Uhr auf, um 4.30 Uhr gehen die Calls los. Bis acht Uhr früh, in Deutschland also acht Uhr abends, führen wir Kundengespräche. Dann geht der Kunde ins Bett, wir zum Frühstücken. Wir entwickeln bis zum Mittagessen unsere Inhalte weiter, zwischendurch ein bisschen Sport und Schlaf. Nachmittags wird bis fünf Uhr gearbeitet. Dann gehen wir wandern, freitauchen, schwimmen, treffen andere Segler oder unternehmen etwas Kulturelles. Am Abend kommen dann die nächsten Calls. Das ist unser Modus, wenn sich das Schiff nicht bewegt.
Mathias: Unterwegs halten wir Meetings nur in Ausnahmefällen ab. Wenn wir Strecke machen, sind wir auch mal eine Woche nicht erreichbar.
Paulina: Als selbstständige Berater haben wir den Vorteil, dass wir uns flexibel abstimmen können. Im Angestelltenverhältnis ist das vermutlich schwieriger.
Mathias: Unsere Kunden wissen, was wir machen – und dass es sein kann, dass ich im Call mal aufspringe. Das ist für uns aber nie eine Ausrede. Ich habe noch nie ein Meeting verpasst. Oder doch! Einmal wurden wir vor Anker gerammt. Und einmal mussten wir einer Freundin helfen, ihr Schiff vom Strand zu bergen. Da war ich zwei Tage nicht erreichbar. Unternehmen sind für unsere Arbeitsweise aber sehr offen. Sie werden dadurch sogar inspiriert. Wir sprechen oft mit Kunden, die den gleichen Traum haben, über unser Lebensmodell. Erst im Anschluss geht es dann um das eigentliche Thema.
Paulina: Vor Anker! Da streicht mehr Wind durchs Boot. Unser Lieblingsankerplatz befindet sich auf Tahitis Nachbarinsel Moorea. Dort ist es perfekt: ein geschützter Platz, wunderschönes Wasser und eine tolle Insel.
Mathias: Dafür genießen wir hier in der Marina den ungewohnten Luxus: Wasser aus dem Hahn, Mülleimer am Steg, Supermarkt um die Ecke. Das Dingi habe ich schon eine Woche nicht mehr benutzt.
Paulina: Eine mehrmonatige Exkursion ins Eis könnte ich mir gut vorstellen. Aber zum Arbeiten ist die Kombi mit Ankern im Warmen, wo man zwischendurch ins Wasser springen und sich draußen bewegen kann, unschlagbar. Ich glaube, wir sind eher für Badehose und Bikini.
Mathias: Im Kalten würde das Leben an Bord noch komplexer. Auf der anderen Seite darf man sich hier im Warmen von der schönen Umgebung nicht zu sehr ablenken lassen! Deshalb haben wir auch immer wieder Gäste an Bord, um Routinen reinzubekommen.
Mathias: Nein, das ist super und hat den positiven Nebeneffekt, dass wir dann das Boot aufräumen und putzen (lacht)! Wir sind ja keine Urlaubsveranstalter oder Animateure. Zu uns kommen für mehrere Wochen Gründer oder Leute, die an einem Projekt arbeiten oder sich mit neuen Themen beschäftigen wollen. Bisher waren das Freunde oder Freunde von Freunden. Aber wir erweitern das 2024. Tagsüber arbeitet dann jeder für sich, abends veranstalten wir Workshops zu unterschiedlichen Themen, die uns interessieren und voranbringen, jeder aus seinem Fachgebiet. Das ist wie ein schwimmender Co-Working-Space – vermutlich der abgelegenste der Welt. Dieser Rhythmus hält uns davon ab, abzuhängen, und verhindert, dass aus Tagen Wochen, aus Wochen Monate und aus Monaten Jahre werden.
Paulina: Nur noch eine Postadresse bei den Eltern, sonst sind wir in Deutschland abgemeldet und komplett auf dem Boot zu Hause. Wenn wir in Deutschland sind, dann bei der Familie oder Freunden. Wir sind sehr weltoffen: Ich bin in Polen geboren, Mathias ist Österreicher, wir haben uns in Deutschland getroffen. Wir können uns durchaus vorstellen, uns später in Portugal niederzulassen oder in Französisch-Polynesien zu bleiben und dort eine Landbasis aufzubauen. Wir schätzen uns glücklich, sagen zu können, dies ist keine Reise, sondern unser Lebensmodell. Wir leben auf dem Boot und verdienen hier unser Geld. Und ich bin davon überzeugt, dass jeder das kann.
Paulina: Das stimmt, das ist einer der Gründe, weswegen wir im digitalen Umfeld arbeiten. Es geht aber auch offline. Gerade wenn jemand handwerklich begabt ist, kommt man damit an abgelegenen Orten sehr weit. Wichtig ist dann, sich vor Ort in der Marina und mit anderen Seglern zu vernetzen.
Mathias: Wir haben einen 25-Jährigen getroffen, der seit sieben Jahren unterwegs ist. Entweder fährt er bei lokalen Fischern mit, arbeitet als Musiker oder macht sonst alles, was ihn weiterbringt. Er ist aber kein klassischer Tagelöhner. Der könnte auch digital tätig sein. Wichtig ist sein Urvertrauen in seine eigenen Fähigkeiten.
Paulina: Was gefragt ist, sind Mut, Ehrgeiz und unternehmerisches Denken. Wir treffen viele Menschen, die als Freelancer arbeiten, als Instagrammer oder Youtuber. Wieder andere verdienen ihr Geld mit Bootsarbecciten. Aber Gründer im Digitalbereich treffen wir leider praktisch nie. Die meisten Unternehmer, denen wir begegnen, haben ihr Geschäft schon gegen ein schönes Segelboot getauscht.
Mathias: Nein, denn das Mobilfunknetz ist hier besser als am Berliner Alexanderplatz. Wir arbeiten mit einem Hotspot übers Handy. Dabei jagen wir zwar ordentlich Gigabytes über Prepaid-Tarife durch und geben dafür 200 Euro im Monat aus. Das sind aber unsere einzigen laufenden Bürokosten! Davon abgesehen, haben wir vielleicht sogar das technologischste Segelboot in dieser Größe (lacht).
Mathias: Wir haben spezielle Belichtung, Kameras, Mischpulte, Mikrofone, Bildschirme, einen Greenscreen und Kühlung für die Geräte. Der Salontisch ist ein vollwertiges Videostudio!
Paulina: Mathias liebt Technik! Ein funktionierender Laptop und vielleicht ein Ersatz-Notebook reichen auch. Man braucht aber unbedingt gute Batterien an Bord, damit man sich keinen Stress machen muss, ob man den Laptop laden kann oder nicht. Und natürlich die entsprechende Energieversorgung mit Solar oder Wind.
Mathias: Wir versorgen uns komplett über Solar. Unsere 900 Watt in zwei großen Zellen auf dem Dach reichen völlig, auch für Kühl-, Gefrierschrank und Wassermacher. Wir haben hier elf bis zwölf Stunden Sonne am Tag. Die Lithiumbatterien mit 800 Amperestunden sind gegen Mittag voll und bleiben es bis Sonnenuntergang.
Viele denken, dass wir den ganzen Tag mit einem Cocktail am Strand sitzen. Das ist definitiv nicht der Fall!”
Mathias: Oh ja! Es gibt sogar eine Delle in der Bordwand, weil ich mit dem Schraubenschlüssel aus Frust so heftig dagegen gedonnert habe. Die höchsten Hochs sind gefolgt von den tiefsten Tiefs. Wir haben mitgeschrieben: Wir haben mindestens 2.600 Stunden in Bootsarbeit gesteckt. Das sind eineinhalb Jahre Arbeitszeit, und das noch ohne Organisation, Planung und Logistik. Dieses Leben kann megafrustrierend sein. Aber wir haben einen direkten Bezug zu unserem Zuhause und unserem Büro. Und wenn alles funktioniert, dann hat ein kaltes Bier noch nie so gut geschmeckt! Diese Intensität und dieses Lebensgefühl haben wir nirgends an Land.
Paulina: Ich habe mich in den letzten vier Jahren oft gefragt : Wo bin ich hier gelandet? Aber das gehört dazu. Da war zum Beispiel der Portugal-Moment, als wir pleite waren und uns gesagt wurde: Verkauft das Schiff! Das war schwierig.
Mathias: Schon im Nord-Ostsee-Kanal mussten wir den Dieseltank aufflexen, um Dieselpest loszuwerden. In der Biskaya hätten wir beinahe einen Grauwal gerammt. Als Corona kam, waren wir ein Dreivierteljahr in Quarantäne, wurden dann vom Blitz getroffen. In Panama wurden wir frontal mit fünf Knoten gerammt und haben Schießereien miterlebt. Im Panamakanal ging schließlich der Motor drauf, wir haben ihn fünf Monate lang repariert. Dann hatten wir einen Riss im Rumpf und mussten aus dem Wasser. In Nuku Hiva wurden wir beinahe auf Land gedrückt und sind erst im letzten Moment da rausgekommen. Es gibt am laufenden Band Situationen, in denen etwas passiert. Wir waren anfangs völlig überfordert. Aber wenn man einfach nur jeden Tag ein bisschen etwas besser macht als am Tag davor, kommt man überall hin. Ich glaube, wir sind ein Beispiel dafür, dass es jeder schaffen kann.
Paulina: Wenn man so etwas machen will: früh anfangen! Wenn wir noch einmal die Wahl hätten, würden wir in jüngeren Jahren losfahren. Dann hätten wir das alles viel eher gelernt.
Mathias: Man sollte sich im ersten Jahr nicht darauf fokussieren, viel zu arbeiten und Geld zu verdienen. Vielmehr muss man erst einmal ankommen, das Schiff und sich als Paar auf dem Wasser kennenlernen. Wir waren nach gut zwei Jahren in diesem Leben angekommen. Wir sind im ersten Jahr aber auch zu schnell gereist. Nach sechs Monaten waren wir schon in Kolumbien. 2022 sind wir dann gerade einmal fünf Wochen gesegelt, das war die Pazifiküberquerung. 2023 hatten wir vermutlich eine reine Segelzeit von vier Tagen. Hier in Französisch-Polynesien ist es so schön – wir wollen im Grunde gar nicht mehr weg.
Paulina: Das ist zweitrangig. Stand heute können wir uns gut vorstellen, noch ein, zwei Jahre zu bleiben. Zumal wir im Januar hier auf Tahiti Nachwuchs erwarten und damit ein neues, besonderes Kapitel beginnt.
Mathias: Ich fände es schön, die Weltumsegelung abzuschließen. Wichtiger ist aber, dass die Zeit intensiv bleibt. Wir sind tiefer in diesem Leben verankert denn je und ernten jetzt die Früchte der letzten Jahre. Wir haben bestimmt 18 Handwerke gelernt, sodass wir heute das Schiff leichter am Laufen halten können. Die Frage ist nicht mehr: „Können wir das?“, sondern: „Wollen wir das?“ Viele Sorgen, die uns früher enorm belastet haben, wiegen heute weit weniger schwer. Alles findet hier an Bord statt : Das Schiff ist unser kleines Universum geworden. Im Moment könnten wir ewig so weitermachen.