Andreas Fritsch
· 19.04.2023
Der Deutsche Dirk Wahl träumt ohne viel Offshore-Erfahrung von einem Blauwassertörn. Er kauft ein altes Schiff, bastelt einen Winter daran und segelt dann in die Karibik und zurück. Dabei überquert er den Atlantik gleich zweimal einhand. Allen, die ganz ähnliche Träume haben, rät er loszulegen. Im Interview verrät er, wie man es möglich macht
In diesem Artikel:
Wir treffen Dirk Wahl auf seinem Resthof, den er nach 13 Monaten Segelauszeit wieder bewohnt. Der 57-jährige Agraringenieur, der für die Landwirtschaftskammer Niedersachsen Bauern berät, führt uns in sein Arbeitszimmer. Der Blick aus dem Fenster fällt auf Wiesen, auf denen in den Jahren zuvor seine Schafe gegrast haben, wie er erzählt. Im Bücherregal finden sich Segelklassiker von Wilfried Erdmann und Bernard Moitessier sowie Seemannschafts-Nachschlagewerke. In einem Schrank stehen ein paar Flaschen Rum. „Die habe ich auf eigenem Kiel über den Atlantik mitgebracht“, schmunzelt Wahl.
Auf dem Schreibtisch liegt der Atlantik-Übersegler mit dem eigenen Kursverlauf sowie ein akkurat geführtes Logbuch. Wahl wirkt bodenständig, geerdet, fast ein wenig schüchtern. „Ich war nie auf Öffentlichkeit aus“, sagt er, doch immer wieder hätten Leute ihn angesprochen, die gar nicht glauben konnten, dass er keinen Blog über seinen Törn schrieb. Schließlich richtete ein Freund ihm einfach einen ein. Wahls wichtigstes Anliegen: „Den Leuten sagen, dass es geht!“
Dirk Wahl: Eigentlich hat sich das eher so ergeben. Ich war 2020 in einer Reha-Klinik wegen Hüftproblemen. Da hatte ich so viel Langeweile, dass ich lauter Bootsverkaufs-Webseiten durchstöbert habe. Ich dachte immer, so ein Schiff für einen weiten Seetörn, das kann ich mir nicht leisten. Doch plötzlich habe ich gesehen: Das geht ja! Ich hatte 2007 an der Volkshochschule einen SKS gemacht, mir eine Jolle gekauft. Aber das Urlaubssegeln auf der Ostsee war irgendwie nicht das Richtige – nach einer Woche schon wieder an den Rückweg denken, da war es ja schon immer vorbei, bevor es so richtig spannend wurde! Das kennt doch jeder, diese Lust an der Frage: Was wäre, wenn ich jetzt einfach nicht zurückmüsste? Da habe ich begonnen, über eine Atlantikrunde nachzudenken. Alles bis zur Rente aufschieben, das machen so viele, und dann segeln sie doch nicht mehr los, weil irgendwelche Krankheiten dazwischenkommen.
Weder viele meiner Freunde noch meine Kinder sind routinierte Segler. Und ehrlich gesagt ist das Zusammenleben auf so kleinen Schiffen ja auch nicht jedermanns Sache. Viele Mitsegler zu koordinieren kann zudem anstrengend sein. Meine Tochter und mein Sohn und einige gute Freunde sind aber mal für ein paar Wochen in Europa, auf den Kanaren und zwischen den Karibik-Inseln mitgefahren. Doch ansonsten war rasch klar: Ich segel allein.
Ich habe im Leben immer die Erfahrung gemacht, wenn etwas funktionieren muss, dann klappt das auch. Als Landwirt muss man alles können, muss ständig irgendwelche Probleme bewältigen, sein eigener Techniker sein. Warum sollte ich das als Segler nicht auch können? Man muss einfach Zutrauen ins eigene Können haben und dann einfach mal machen! Ich habe meinen Arbeitgeber gefragt, der hat mir ein einjähriges Sabbatical genehmigt. Das Modell war einfach: zwei Jahre 50 Prozent Einkommen, aber das erste Jahr voll arbeiten, das zweite dann frei.
Ja, einen kleinen 22-Fuß-Kimmkieler. Und vorher eine Jolle, mit der ich auf dem Steinhuder Meer gesegelt bin. Das war aber natürlich nichts fürs Hochseesegeln. Als das „Ja“ kam, musste ich mich flugs auf die Suche nach einem Schiff machen. Ein Langkieler sollte es ein, stabil, bezahlbar, unkompliziert, damit ich ihn selbst reparieren kann. Fündig wurde ich in Schottland. Dort stand eine Halmatic 30 zum Verkauf. Da bin ich hin, hab sie angeschaut, verhandelt und letztlich für 15.000 Euro gekauft. Das Boot habe ich in drei Etappen von Glasgow nach Bremerhaven gesegelt, meine erste richtige Offshore-Erfahrung als Skipper! Inklusive meiner ersten Nachtfahrt. Ich fand das super, so war es gleich von Anfang an Abenteuer und Fortbildung in einem!
Ich habe vorher noch einen einwöchigen Kojentörn als Mitsegler auf der Nordsee gemacht. Ich war ja zuvor nur einmal rund Rügen und einmal in Dänemark gesegelt. Auf der Nordsee habe ich meine ersten Tidenrevier-Erfahrungen gemacht, im Anschluss fühlte ich mich bereit für den Törn.
Ich habe es zu mir in die Scheune gebracht und losgelegt – die Elektrik komplett erneuert, das Wassersystem getauscht, Fenster gewechselt und ein paar Dinge für den langen Törn gekauft: AIS und aktiven Radarreflektor, damit mich andere Schiffe sehen. Das klappte unterwegs super: Erst schlug der Radarreflektor an, und wenn ein Schiff näher kam, gab das AIS Alarm. So fühlte ich mich immer sicher. Ein Garmin InReach kam ebenfalls an Bord, um per Satellit Nachrichten empfangen und senden zu können. Außerdem ein Kühlfach, zwei Autopiloten, eine Rettungsinsel – so was eben. Die Segel, das stehende Gut und der Rumpf waren alle noch sehr gut, der Motor von 2008. Und der Voreigner hatte mir eine Aries-Windsteueranlage mitgegeben.
Die Einhandfahrt zum Auftakt der Reise von der Weser nach Brest war der Testlauf. Danach war klar: Ich schaffe das!”
Ja, ich habe dann am 2. Juli 2021 in Bremen abgelegt und bin einhand die Küste entlang. In der Normandie gab es aber gleich den ersten Rückschlag. Der Motor, obwohl frisch gewartet, bekam einen Wasserschaden, weil der Auspuff gebrochen war. Das hat man wegen eines Thermobandes darum herum nicht gleich bemerkt. In Fécamp hieß es, die Reparatur würde sechs Wochen dauern. Das war mir zu lang. Da bin ich erst mal bis Brest weitergesegelt und habe dort einen neuen Motor einbauen lassen. Anschließend ging es mit einem Freund nonstop über die Biskaya. Meine Tochter kam später in Portugal an Bord. Danach hatte ich noch mal Motoren-Pech: Die Mechaniker in Brest hatten beim Einbau vergessen, die Ablassschraube des Getriebes festzuziehen.
Sie fiel irgendwann raus, und das Öl lief aus! Ich habe dann welches nachgefüllt, und das Getriebe funktionierte auch, heulte aber fürchterlich. Erst versuchte ich, eine Reparatur zu organisieren, aber das hätte erneut Wochen gedauert. Da bin ich weiter zu den Kanaren und den Kapverden. In Mindelo haben mir zwei einheimische Mechaniker das Getriebe ausgebaut, es zerlegt und neue Simmerringe eingesetzt. Danach ging es wieder. Nicht toll, aber die Geräusche waren schon viel erträglicher (lacht).
Nein. Ich habe jeden der 19 Tage der Überquerung genossen, habe mich nie einsam gefühlt. Nie im Leben zuvor hatte ich so viel Zeit für mich, konnte meinen Gedanken nachhängen. Die Weite, das ganze Leben um mich herum! Fliegende Fische, die hatte ich vorher noch nie gesehen! Über den ersten habe ich mich irre gefreut. Haben Sie die mal nachts im Mondlicht vor dem Schiff fliegen sehen? Sagenhaft! Jagende Möwen, Delphine, einmal ist mir ein riesiger Thunfisch drei Tage lang gefolgt! Ich hatte das Gefühl, die lauerten alle darauf, dass ich die fliegenden Fische aufscheuche, um dann zuschlagen zu können. Angst hatte ich zu keiner Zeit. Wachgehalten habe ich mich nachts mit Weckern alle 15 Minuten. Auf den langen Stücken habe ich einmal pro Nacht zwei Stunden am Stück geschlafen. Damit kam ich gut klar, das AIS und der Radar-Alarm funktionierten ja sehr gut. Ich war auch überrascht, wie wenig Verkehr war, ich habe nur ein Schiff auf der Passage vor den Kapverden gesehen! Selbst im Englischen Kanal hatte man dank AIS immer genug Zeit auszuweichen.
Auf dem Weg zu den Kanaren hatte ich einmal acht Windstärken. Das ging eigentlich gut, die Windsteueranlage hat das locker weggesteckt. Nur irgendwann ist die Rollleine vom Vorsegel gerissen, da musste ich im Sturm aufs Vorschiff und das Segel per Hand einrollen. Das war nicht so witzig. Aber wenn es gehen muss, geht es eben.
Groß, Rollgenua und Sturmfock. Einen Blister hatte ich vom Voreigner, aber den habe ich nie gesetzt. Ich habe sogar noch einen Bergeschlauch dafür gekauft, aber das Segel dann gar nicht genutzt. Toll war der teleskopierbare Spi-Baum, den ich angeschafft hatte. Der war zusammengeschoben viel handlicher als der originale, und wenn man das Vorsegel im Passat ausbaumen wollte, hakte man ihn am Segel ein, zog ihn dann erst aus und hängte ihn am Mast ein. Das war praktisch.
Nein, das war nur einfach ein Tag während der Überquerung, an dem ich mein Glück wieder kaum fassen konnte, dass ich das wirklich gemacht habe! Das muss man ja auch erst mal realisieren. Auf halbem Weg habe ich mich richtig gefreut, dass es jetzt noch mal so viel Strecke ist. Da entstand das Foto.
Die war etwas unwirklich. Man kommt aus Europa, ist 19 Tage allein und landet dann in so einer ganz anderen Welt. Überall Traumstrände, das türkise Wasser, die Palmen. Ich bin erst mal vor Anker gegangen und jauchzend ins Wasser gesprungen, davon hatte ich wochenlang geträumt. Die Insel hatte ich als Ziel gewählt, weil ich da schon immer mal hin wollte. Außerdem gibt es gute Direktflüge nach Barbados, und ein Freund wollte für vier Wochen zusteigen.
Bei der Ankunft in der Karibik kam ich mir vor, wie in einer anderen Welt”
Ja. Ich war völlig geflasht, wie da eine bildschöne Insel und Bucht nach der anderen kam – wie aus dem Bilderbuch! Ich bin auf einigen Inseln sehr lange geblieben, auf St. Lucia war ich fast vier Wochen. Oder die unfassbar schönen Strände von Barbuda: diese Farben mit dem Türkis des Wassers und den leuchtend weißen Stränden! Ich bin auch viel gewandert, auf die Vulkankegel auf Guadeloupe und St. Vincent. Die Vegetation im Regenwald ist toll, man fängt unten an, passiert Regen- und Nebel-Zonen. Mit meinem Sohn habe ich mir vier Wochen lang Martinique angeschaut. Vier Monate Zeit, die Inseln zu entdecken, es war einfach ein Traum. Beeindruckt hat mich auch die Fröhlichkeit und Freundlichkeit der Einheimischen, obwohl sie teils in echter Armut und simplen Bretterbuden leben. Man kam immer gleich ins Gespräch.
Vor den französischen Inseln habe ich geankert. Weiter im Süden, wo es manchmal Sicherheitsprobleme gibt, fühlte ich mich mitunter allein etwas unwohl, da war ich auch länger mal in Marinas. Das war zudem für meine Besucher angenehm, kostete aber natürlich mehr.
Ich wollte eigentlich von Antigua nonstop zu den Azoren segeln, hatte dafür 26 Tage geplant, aber daraus wurde nichts. Ich hatte vor dem Start eine Langfrist-Wetterberatung von der Firma Wetterwelt eingeholt, weil die Nordroute ja die eigentliche Herausforderung des gesamten Törns ist: mehr Windrisiko, längere Strecke. Weil der Weg weit war, hatten wir abgemacht, dass ich nach vier Tagen ein Update per Satelliten-SMS bekomme. Das kam dann auch, und darin stand: „Du segelst in ein Orkantief mit 45 Knoten Wind und 6 Meter Welle!“
Sie empfahlen mir dringend, nach Bermuda abzudrehen, und das tat ich auch. Hat sich gelohnt, eine tolle Insel! Alles war wie aus dem Ei gepellt, bildschöne alte Häuser, kein Müll, die Leute supernett und hilfsbereit. Der Rest der Karibik war teilweise ganz schön vermüllt, das war teils wirklich traurig. Wenn die Leute fragten, wo ich herkomme und hin wollte, schlugen alle die Hände über dem Kopf zusammen: „Einhand? Mit dem Boot? Ogottogott!“ Ich glaube, ich kann froh sein, dass meinen Eltern und Kindern nicht richtig klar war, was die Reise wirklich bedeutete. Nach vier Tagen bin ich dann von Bermuda wieder los, und alles klappte gut. Ich hatte nur einmal kurz Böen von 8 Beaufort.
Ja, großartig, der beste Landfall überhaupt! Die Stimmung dort ist einfach magisch. Die meisten Segler, die man trifft, haben gerade eine Segelsaison in der Karibik und die schwierige Atlantik-Überquerung auf der Nordroute hinter sich. Man geht wie auf Wolken, alle sind super drauf! Dieses Gefühl, es geschafft zu haben, diesen riesigen Atlantik mit so einer Nussschale überquert zu haben, dass das einfach so geht! Klar, der Atlantik hat mich in Ruhe gelassen, einige Tage nach mir kamen Crews an, da hingen die Segel in Fetzen. Im „Peters Café Sport“ trifft man alle und erzählt sich seine Geschichten. Das war großartig!
Ich möchte lieber ein neues Projekt planen. Daher habe ich das Boot am Ende wieder verkauft”
Das Schiff ist verkauft. Ich bin nicht der Typ für ein Wochenendhaus auf dem Wasser. Ich schaue aber schon im Internet nach einem größeren Boot. Den nächsten langen Törn planen, das ist es! Bald zieht mein Sohn aus, was soll ich allein in dem großen Haus?
Bilanz nach 13 Monaten: 50.145 Euro für Boot und Lebenshaltung